Überarbeitung des Gesellschaftsrechts in China: Weitere wichtige Änderungen und neue Bestimmungen

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veröffentlicht am 4. Mai 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten

von Xiaolan Zhao und Christina Gigler

  
Neben den bereits in den vorhergehenden Artikeln erwähnten Änderungen sieht der Entwurf des Gesellschaftsrechts („Änderungsentwurf") weitere Änderungen für bspw. den Exit von Unternehmen, den Schutz der Rechte und Interessen von Minderheitsgesellschaftern, die Stärkung der Transaktionssicherheit sowie das stärkere in die Pflicht nehmen von Führungskräften vor.

    

     

 

Vereinfachtes Abmelden von Unternehmen

In der Regel ist der Exit eines Unternehmens aus China nicht so einfach wie eine Gründung. Die Liquidation ist der komplizierteste und zeitaufwändigste Teil des Abmeldeverfahrens. Mit dem Änderungsentwurf soll ein schlankeres Abmeldeverfahren eingeführt werden, um den Exit von Unternehmen zu erleichtern. Obwohl die vereinfachte Abmeldung erstmals im Jahr 2014 vorgeschlagen und in der Praxis bereits angewandt wird, wurde sie nun erstmals in das Gesellschaftsrecht aufgenommen. Die vereinfachte Abmeldung gilt für Unternehmen, bei denen während ihres Bestehens keine Schulden entstanden sind oder alle Schulden getilgt wurden. Für die vereinfachte Abmeldung ist keine Liquidation erforderlich, sondern nur die Zusicherung aller Gesellschafter sowie die Bekanntgabe der Abmeldung für mindestens 20 Tage in der offiziellen Unternehmensdatenbank (National Enterprise Credit Information Publicity System). Im Vergleich zum allgemeinen Abmeldeverfahren kann die vereinfachte Abmeldung den Exit eines Unternehmens erheblich beschleunigen, solange während der Bekanntmachungsperiode keine Einwände von Gläubigern oder anderen interessierten Parteien erhoben werden.
 
Es ist jedoch zu beachten, dass sich bei der vereinfachten Abmeldung die Haftung der Gesellschafter für die Schulden des Unternehmens, die vor der Abmeldung entstanden sind, von einer „entsprechenden Haftung“ in eine „gesamtschuldnerische Haftung“ ändert, was das Risiko der Gesellschafter bei der Schuldentilgung erhöht und sogar die beschränkte Haftung der Gesellschafter durchbrechen kann.
 
Das heißt, ein Gläubiger, der seine Forderung vor der Abmeldung dieses Unternehmens nicht rechtzeitig anmeldet, kann von den Gesellschaftern Schadensersatz verlangen, sofern er nachweisen kann, dass die Gesellschaft von der Existenz seiner Forderung Kenntnis hatte und der Gläubiger es nicht grob fahrlässig versäumt hat, den Antrag rechtzeitig zu stellen.
  

Ausweitung des Einsichtsrechts der Gesellschafter

Buchungsbelege sind die wichtigsten Dokumente für die Gesellschafter, um die wahren Finanzdaten eines Unternehmens zu erfahren. Nach geltendem Recht haben die Gesellschafter das Recht, die Rechnungsbücher des Unternehmens einzusehen, nicht jedoch die Buchungsbelege. Obwohl die vorherrschende Rechtsauffassung den Zugang zu den Buchungsbelegen unterstützt, kann es vorkommen, dass Gerichte den Anspruch der Gesellschafter auf Einsichtnahme in die Buchungsbelege ablehnen, weil es an einer Rechtsgrundlage mangelt, wenn ein Gesellschafter sein Recht geltend macht. Der Änderungsentwurf klärt diese Frage und nimmt die Buchhaltungsbelege in den Umfang der Dokumente auf, zu denen Gesellschafter Zugang haben.
 
Außerdem sieht der Änderungsentwurf vor, dass ein Gesellschafter bei der Einsichtnahme in die Unternehmensdokumente eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Anwaltskanzlei oder einen anderen Vermittler beauftragen kann, der gemäß dem Verhaltenskodex zur Vertraulichkeit verpflichtet ist. Das Erfordernis der Anwesenheit des Gesellschafters bei der Einsichtnahme, wie es in den Bestimmungen des Obersten Volksgerichts zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung des Gesellschaftsrechts der Volksrepublik China (IV) („Bestimmungen IV“) vorgeschrieben ist, wird jedoch aus dem Änderungsentwurf gestrichen. Somit müssen die Gesellschafter beauftragte Anwälte oder Wirtschaftsprüfer zur Prüfung nicht mehr in Persona begleiten. Die Einsichtnahme wird damit insbesondere für Gesellschafter im Ausland erleichtert.
 
Von besonderer Bedeutung ist auch das Einsichtsrecht der Aktionäre von Aktiengesellschaften. Das geltende Gesellschaftsrecht berechtigt die Aktionäre einer Aktiengesellschaft nicht zur Einsichtnahme in die Rechnungsbücher und Buchungsbelege des Unternehmens, sondern nur in die Finanz- und Buchhaltungsberichte, was durch den Änderungsentwurf nun geändert wird. Gemäß dem Rechnungslegungsgesetz der VR China muss die Erstellung von Buchhaltungsberichten auf geprüften Aufzeichnungen der Rechnungsbücher basieren, und die Einträge in den Rechnungsbüchern müssen auf geprüften Buchungsbelegen beruhen. Der Zugang zu den Finanz- und Buchhaltungsberichten allein - wie er im geltenden Gesellschaftsrecht vorgeschrieben ist - bietet den Aktionären vergleichsweise wenig Möglichkeiten, versteckte finanzielle Probleme zu erkennen. Nach dem Änderungsentwurf haben Aktionäre, die allein oder gemeinsam mit anderen 1 Prozent oder mehr der Aktien einer Gesellschaft für mindestens 180 aufeinanderfolgende Tage halten, ein Einsichtsrecht. Der Grund für die Einsichtnahme beschränkt sich auf den Verdacht, dass das Unternehmen bei seiner Tätigkeit gegen Gesetze, Verwaltungsvorschriften oder die Satzung verstößt. Die Einsichtnahme erfolgt in dem erforderlichen Umfang. Verweigert das Unternehmen dem Aktionär die Einsichtnahme, kann der Aktionär vor einem Volksgericht Klage erheben.
  

Aufhebung und Nichtzustandekommen von Beschlüssen

Die Gesellschafterversammlung und der Vorstand fungieren als oberste Entscheidungsinstanz bzw. als Exekutivorgan eines Unternehmens, und die meisten ihrer wichtigen Entscheidungen werden in Sitzungen getroffen, die im Einklang mit den Gesetzen und Vorschriften sowie der Satzung stehen müssen, andernfalls können die Beschlüsse nicht zustande kommen, aufgehoben werden oder ungültig sein.
 
Ein Beschluss einer Gesellschafterversammlung oder eines Vorstand kann aufgehoben werden, wenn das Einberufungsverfahren oder die Abstimmungsmethode gegen Gesetze, Verwaltungsvorschriften oder die Satzung verstößt oder wenn der Inhalt eines Beschlusses die Satzung verletzt. Nach dem geltenden Gesellschaftsrecht können nur Gesellschafter beim Volksgericht die Aufhebung eines Gesellschaftsbeschlusses beantragen. Der Änderungsentwurf sieht vor, dass neben den Gesellschaftern auch Direktoren und Aufsichtspersonen vor Gericht Klage erheben können. Darüber hinaus müssen die Gesellschafter nach dem geltenden Gesellschaftsrecht die Aufhebung innerhalb von 60 Tagen ab dem Datum der Beschlussfassung beantragen, wohingegen der Änderungsentwurf einen weiteren Umstand hinzufügt, dass die Gesellschafter oder Direktoren, wenn sie nicht über die Teilnahme an der Gesellschafterversammlung oder Vorstandssitzung benachrichtigt werden, innerhalb von 60 Tagen ab dem Datum, an dem sie den Beschluss kennen oder kennen sollten, beim Volksgericht die Aufhebung des Beschlusses beantragen können. Mit dieser Änderung wird das Problem gelöst, dass die oben genannte Frist aufgrund von Unkenntnis des Beschlusses von Gesellschaftern oder Direktoren versäumt wird.
 
Anders als bei der Aufhebung eines Beschlusses, die aufgrund eines (leichten) Verstoßes gegen das Verfahren oder den Inhalt des Beschlusses erfolgt, ist das Scheitern eines Beschlusses (nicht zustande gekommen) hauptsächlich auf schwerwiegende Verfahrensfehler zurückzuführen, die dazu führen, dass der Wille der Gesellschaft nicht gebildet werden kann. Die Umstände, die ein solches Nichtzustandekommen auslösen, sind im geltenden Gesellschaftsrecht nicht geregelt, sondern in den Bestimmungen IV vorgesehen. Der Änderungsentwurf übernimmt nun die Regularien der Bestimmungen IV und legt fest, dass ein Beschluss nicht zustande kommt, wenn
 
1. keine Versammlung abgehalten wird, um den Beschluss zu fassen;
2. keine Abstimmung über die Beschlussgegenstände erfolgt;
3. die Zahl der an der Versammlung teilnehmenden Personen oder die Zahl der von ihnen gehaltenen Stimmrechte nicht die im Gesellschaftsrecht oder in der Satzung vorgeschriebene Zahl erreicht; oder
4. die Zahl der Personen, die den Beschlussgegenständen zustimmen, oder die Zahl der von ihnen gehaltenen Stimmrechte nicht die nach dem Gesellschaftsgesetz oder der Satzung vorgeschriebene Zahl oder das vorgeschriebene Stimmrecht erreicht.
 
Der Auffangtatbestand „andere Umstände, unter denen der Beschluss nicht zustande kommt“ in den Bestimmungen IV ist im Änderungsentwurf nicht enthalten.
 
Im Hinblick auf die Einhaltung der Verfahrensvorschriften führt der Änderungsentwurf eine wesentliche Änderung bei der Einberufung und Beschlussfassung der Vorstandssitzung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ein. Der Entwurf sieht vor, dass keine Vorstandssitzung abgehalten werden kann, wenn nicht mehr als die Hälfte der Vorstandsmitglieder anwesend sind, und dass ein Beschluss des Vorstands mit der Mehrheit aller Vorstandsmitglieder gefasst werden muss, was im geltenden Gesellschaftsgesetz nicht erwähnt wird.
 

Wichtige Änderung bei Ein-Personen-GmbHs

Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die von einer einzigen natürlichen oder juristischen Person als Gesellschafter gegründet wird, ist gesetzlich definiert als eine Ein-Personen-GmbH. Das geltende Gesellschaftsrecht enthält einen speziellen Abschnitt für Ein-Personen-GmbHs. Im Änderungsentwurf werden die meisten Beschränkungen für Ein-Personen-GmbHs aufgehoben, wie z.B. dass eine natürliche Person nur eine Ein-Personen-GmbH gründen kann, der es untersagt ist, in die Gründung einer weiteren Ein-Personen-GmbH zu investieren, oder dass der Gesellschafter einer Ein-Personen-GmbH, der nicht nachweisen kann, dass das Vermögen der Gesellschaft unabhängig vom persönlichen Vermögen des Gesellschafters ist, für die Schulden der Gesellschaft gesamtschuldnerisch haftet.
 
Darüber hinaus erlaubt der Änderungsentwurf einer einzelnen natürlichen oder juristischen Person die Gründung einer Aktiengesellschaft, was Investoren eine zusätzliche Möglichkeit zur Wahl der Rechtsform bietet.
 

Anteilsrecht und Gläubigerrecht als neue Form der Kapitaleinlage

In der Praxis ist es nicht unüblich, dass Gesellschafter Kapitaleinlagen in Form von Anteilsrechten oder Gläubigerrechten leisten. Diese Einlageformen sind jedoch im geltenden Gesellschaftsrecht nicht eindeutig anerkannt, was in der Praxis zu Verwirrung bei Unternehmen und den Registerbehörden führt. Die Rechtsgrundlage für die Einbringung in Form von Anteilsrechten ergibt sich aus der Bestimmung des geltenden Gesellschaftsrechts, wonach Gesellschafter Kapitaleinlagen in Form von „allen anderen“ Sachwerten, die bewertet und übertragen werden können, leisten können. Gemäß Artikel 13 der Durchführungsbestimmungen zu den Verwaltungsvorschriften der Volksrepublik China über die Registrierung von Marktsubjekten, die am 1. März 2022 in Kraft traten, sind Kapitaleinlagen in Form von Anteilsrechten und Gläubigerrechten grundsätzlich bereits rechtlich möglich.
 
Der Entwurf erkennt zum ersten Mal die „rechtliche Identität“ von Anteils- und Gläubigerrechten an, indem er festlegt, dass Gesellschafter unter anderem Kapitaleinlagen in Form von Anteilsrechten und Gläubigerrechten leisten können.
 
Aufgrund der Instabilität und Unsicherheit von Anteils- und Gläubigerrechten sollte jedoch unseres Erachtens weitere Klarstellung hinsichtlich der Rechtsmittel bei einem Scheitern der Kapitaleinlage erfolgen. Beispielsweise sollte im Falle einer Kapitaleinlage in Form eines Gläubigerrechts gegen einen Dritten geklärt werden, ob der einzahlende Gesellschafter verpflichtet ist, die Differenz auszugleichen, wenn der Schuldner die Kapitaleinlage nach Ablauf der Zahlungsfrist nicht in voller Höhe leistet.
 

Bekanntmachung der Unternehmenssatzung

In der gerichtlichen Praxis werden viele Streitigkeiten über die Gültigkeit von Verträgen aufgrund einer Überschreitung der Vertretungsmacht oder eines Konflikts mit internen Vorschriften des betreffenden Unternehmens geführt. Der Änderungsentwurf fügt die Bestimmung hinzu, dass die Unternehmenssatzung in der offiziellen Unternehmensdatenbank (National Enterprise Credit Information Publicity System) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden muss. Sollte diese Bestimmung in Kraft treten, würde dies einerseits die Transaktionsrisiken verringern und den Gläubigerschutz stärken, andererseits könnte dies aber den Interessen des Unternehmens selbst zuwiderlaufen, da die Satzung ein rein internes Dokument sein soll. Nach dem Wortlaut des Änderungsentwurfs ist nicht ganz klar, ob die Satzung tatsächlich der Allgemeinheit zugänglich sein wird, ohne dass besondere Interessen bestehen. Zudem ist unklar, ob die Satzung mit dem vollen Wortlaut zu veröffentlichen ist oder ob einige wichtige Bestimmungen ausreichen.
   

Direktoren als Liquidationsverpflichtete

Mit dem Änderungsentwurf wird der Liquidator für die Liquidation eines Unternehmens von „Gesellschaftern“ auf „Direktoren“ geändert. Dies bedeutet, dass der Direktor als Verpflichteter für Schäden haftet, die dem Unternehmen oder ihren Gläubigern entstehen, wenn er die Liquidationspflichten nicht rechtzeitig erfüllt.


Frist für die Gewinnausschüttung

Der Änderungsentwurf sieht vor, dass die Gewinnausschüttung durch den Vorstand innerhalb von sechs Monaten nach einem entsprechenden Beschluss der Gesellschafterversammlung zu erfolgen hat, sofern die Satzung oder der Beschluss der Gesellschafterversammlung nichts anderes vorsieht. Diese Regelung ist derzeit in den Bestimmungen des Obersten Volksgerichts zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung des Gesellschaftsrechts der Volksrepublik China (V) („Bestimmungen V“) enthalten, allerdings mit einer Frist von einem Jahr.
   

Verschärfte Strafen für Finanzbetrug

Der Änderungsentwurf erhöht die Strafen für Finanzbetrug in Unternehmen. Die Höchststrafe für Unternehmen, die andere als die gesetzlich vorgeschriebenen Rechnungsbücher führen, wird von RMB 500.000 auf RMB 2 Millionen erhöht. Die Höchststrafe für die verantwortliche Person und andere direkt haftende Personen für die Erstellung von Finanzberichten mit falschen Aufzeichnungen oder das Verschweigen wesentlicher Tatsachen wird von RMB 300.000 auf RMB 500.000 angehoben. Öffentliche Unternehmen werden zusätzlich zu den Strafen gemäß dem Änderungsentwurf mit weitaus höheren Strafen oder sogar strafrechtlicher Haftung gemäß dem neuen Wertpapiergesetz und anderen Bestimmungen konfrontiert, wenn sie betrügerische Angebote oder falsche Angaben machen. 
  

Ausblick

Das geltende Gesellschaftsrecht wurde zuletzt 2018 geändert, nachdem es seit seiner ersten Verabschiedung im Jahr 1993 vier Mal überarbeitet worden war. Diese fünfte Revision ist eine recht umfassende Überarbeitung des Gesellschaftsrechts. Es werden viele wesentliche Änderungen vorgenommen, die als Verbesserung angesehen werden können (z.B. die formale Einführung der Möglichkeit, Kapitaleinlagen mit Anteils- oder Gläubigerrechten zu leisten). Andererseits enthält der Entwurf einige Änderungen, die aus Investorensicht nachteilig interpretiert werden könnten (z.B. das obligatorische Erfordernis von Arbeitnehmervertretern im Vorstand einer GmbH mit mehr als 300 Beschäftigten). Gleichzeitig zeigt sich, dass auch der Änderungsentwurf in der Praxis ausgefeilt werden muss und in Zukunft möglicherweise weitere unterstützende Regelungen erforderlich sind, die auch neue Herausforderungen in verschiedenen Bereichen wie der Unternehmensführung und Risikokontrolle mit sich bringen werden.

Da es sich aktuell noch um einen Entwurf handelt, bleibt es weiter offen, inwieweit dieser weiter überarbeitet oder zum neuen Standard wird. Die tatsächlichen Auswirkungen in der Praxis bleiben daher vorerst unklar. 

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