„SoS-Verordnung” und der Notfallplan Gas: Was gilt, wenn das Erdgas ausgeht?

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​​veröffentlicht am 17. März 2022

 

Erdgas trägt unverzichtbar zur Energieversorgungssicherheit in Deutschland bei. Der Primärenergiebedarf der Bundesrepublik wird insgesamt zu 22 Prozent über Erdgas gedeckt. Erdgas ist ist als Energielieferant für die Industrie, für die Gebäudewärme und auch für die Stromerzeugung ein unverzichtbarer Faktor. Gleichzeitig ruft der russische Angriff auf die Ukraine erhebliche Unsicherheit hervor. Was passiert, wenn die Erdgasversorgung aus Russland gedrosselt oder unterbrochen wird? Welche Regeln gelten, wenn die zur Verfügung stehenden Mengen kurzfristig nicht zur Versorgung ausreichen? Und was bedeutet dies für Unternehmen? Diesen Fragen möchten wir in diesem Beitrag nachgehen.


Die Bedeutung von Erdgas für die deutsche Energieversorgung

Zunächst einige Zahlen: Mit rund 36 Prozent ist die deutsche Industrie der Hauptabnehmer von Erdgas, das als Brenn- und Rohstoff in verschiedenen Produktionsprozessen wie beispielsweise der Herstellung von Glas, Ziegeln, Stahl oder Chemikalien verwendet wird. Nach der Industrie sind die Haushalte in Deutschland mit einem Anteil von ca. 31 Prozent der zweitgrößte Verbraucher von Erdgas. Erdgas ist insoweit mit weitem Abstand der beliebteste und wichtigste Energieträger im Wärmemarkt und sorgt in nahezu jeder zweiten Wohnung Deutschlands für Wärme. Etwa 12 Prozent des Erdgases in Deutschland werden von der Gruppe Gewerbe, Handel und Dienstleistungen verbraucht.

 

 

 

Quelle: statista 

 

Deutschland bezieht sein Erdgas zu über 94 Prozent aus Importen, nur sechs Prozent stammen aus heimischer Förderung. Die drei größten Lieferanten sind Russland (55 Prozent der importierten Gasmenge), Norwegen (31 Prozent) und die Niederlande (13 Prozent). Weitere Importe kommen aus Großbritannien und Dänemark. Die Biomethaneinspeisung trägt lediglich mit ca. einem Prozent zur deutschen Gasversorgung bei.

 

Deutschland besitzt vergleichsweise große Speicherkapazitäten für Erdgas. Nach den USA, Russland und der Ukraine weist Deutschland das größte Speichervolumen für Erdgas weltweit auf. In 51 unterirdischen Erdgasspeichern werden große Mengen des Energieträgers gelagert und bei Bedarf wieder in das Leitungsnetz eingespeist. Der Speicherfüllstand liegt derzeit bei 25 Prozent. Das ist wenig im Vergleich zu früheren Jahren um die gleiche Zeit (50-80 %). Die Mengen entsprechen etwa einem durchschnittlichen Monatsverbrauch, wobei zu berücksichtigen ist, dass in der kalten Jahreszeit der Verbrauch mit ca. 120 TWh pro Monat höher liegt als im Sommer mit ca. 50 TWh. Um auch künftig sicherzustellen, dass die Speicher ausreichend befüllt sind, wird momentan unter Hochdruck an einem Gesetzesentwurf für ein Gesetz zur nationalen Gasreserve gearbeitet, das bereits im Mai 2022 in Kraft treten soll.

 

Deutschland ist mit mehreren Transitleitungen und Grenzübergangsstellen zu den Anrainerstaaten engmaschig im transeuropäischen Gasfernleitungsnetz eingebunden. Somit besteht auch mittelbar die Möglichkeit der Versorgung über die LNG-Einspeisestellen in Rotterdam, Zeebrügge und Dunkerque. Jedoch verfügt Deutschland momentan über keine eigenen LNG-Terminals. Zudem sollen künftig auch eigene LNG-Projekte in Norddeutschland vorangetrieben werden, die die Gas-Branche zwar seit längerem geplant, jedoch bislang nicht umsetzen konnte.

 

Kapazitäten der größten Gaspipelines zwischen Russland und Europa:

 

 

 

Was im Krisenfall gilt

Doch was passiert, wenn nicht einmal zu Höchstpreisen genug Gas erhältlich ist, um alle Sektoren ausreichend zu versorgen?

 

Auf Grundlage der sog. Security of Supply-Verordnung der EU, kurz auch „SoS-VO”, hat Deutschland den „Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland” erstellt. Der Notfallplan unterscheidet bei (drohenden) Gasmangel zwischen drei Krisenstufen, deren Feststellung einen Pool an verschiedenen Maßnahmen eröffnet:

 

 

Frühwarnstufe: Es bestehen konkrete Hinweise auf eine erhebliche Verschlechterung: Netz- und marktbasierte Maßnahmen der Gasversorgungsunternehmen, z.B. vertragliche Regelungen über eine Abschaltung und den Einsatz von Speichern oder den Einsatz von Ausgleichsleistungen
Alarmstufe: Störung der Gasversorgung oder außergewöhnlich hohe Nachfrage: Marktbasierte Maßnahmen der Gasversorgungsunternehmen
Notfallstufe: Erhebliche Störung der Gasversorgung oder außergewöhnlich hohe Nachfrage: Netz- und Marktbasierte Maßnahmen der Gasversorgungsunternehmen sowie hoheitliche Eingriffsmöglichkeiten der Bundesnetzagentur und der Bundesländer, z.B. Rückgriff auf strategische Gasvorräte oder Abschaltung eines Versorgungsbereichs

 

 

Die jeweilige Krisenstufe wird durch Verordnung der Bundesregierung festgestellt. Bei mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen, welche in gleicher Weise geeignet sind, werden grundsätzlich diejenigen Maßnahmen gewählt, die Umwelt und Wirtschaft am wenigsten belasten.

 

Vorrang der Versorgung von „geschützten Kunden” 

Eine Versorgungspflicht besteht grundsätzlich nur für sog. „geschützte Kunden”. Wer geschützt ist, ist in § 53a Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) geregelt:

  • Haushaltskunden sowie weitere Letztverbraucher im Erdgasverteilernetz, bei denen standardisierte Lastprofile anzuwenden sind oder Letztverbraucher im Erdgasverteilernetz, die Haushaltskunden zum Zwecke der Wärmeversorgung beliefern und zwar zu dem Teil, der für die Wärmelieferung benötigt wird
  • Unternehmen oder Dienste aus den Bereichen Gesundheitsversorgung, grundlegende soziale Versorgung, Notfall, Sicherheit, Bildung oder öffentliche Verwaltung
  • Fernwärmeanlagen, soweit sie Wärme an Kunden im Sinne der beiden vorgenannten Punkte liefern, an ein Erdgasverteilernetz oder ein Fernleitungsnetz angeschlossen sind und keinen Brennstoffwechsel vornehmen können, und zwar zu dem Teil, der für die Wärmelieferung benötigt wird

 

Die meisten Industrieunternehmen fallen also nicht in den Bereich der „geschützten Kunden”. Dies bedeutet, dass eine Reduzierung oder sogar Unterbrechung der Gasversorgung für Industrieunternehmen vor diesem Hintergrund grundsätzlich möglich ist. Hervorzuheben ist dabei, dass eine Reduzierung oder sogar Unterbrechung keine marktbasierte, sondern eine hoheitliche Maßnahme ist. Diese Maßnahmen sind nur in der Notfallstufe möglich. Die Alarmstufe lässt dagegen hoheitliche Maßnahmen nicht zu. In jedem Fall darf eine Unterbrechung der Gasversorgung nur als letztes Mittel angeordnet werden. Andere mögliche und vorrangige Maßnahmen sind etwa die verstärkte Nutzung von Strom, der nicht mit Gas erzeugt wird, oder die Verwendung von Ersatzbrennstoffen in Industrieanlagen und Kraftwerken.

 

Zwar nehmen die SoS-VO und der Notfallplan Gas – von den geschützten Kunden abgesehen - keine ausdrückliche Priorisierung von Unternehmen für die Gasversorgung vor. Jedoch dürfen Verfügungen zum Abschalten der Gasversorgung nicht willkürlich erlassen werden; vielmehr müssen sie immer verhältnismäßig sein. Daher sollten Unternehmen sich vorsorglich und mit mit Blick auf eine drohende Gasversorgungsunterbrechung fragen, welche stichhaltigen Argumente ihnen für ihre Versorgung zur Verfügung stehen. Insbesondere kann gefragt werden, warum das jeweilige Unternehmen von einer Abschaltung besonders schwer betroffen wäre und warum Alternativen (z.B. der Einsatz von Elektrizität oder Ersatzbrennstoffen) nicht oder nur eingeschränkt in Betracht kommen. Wie die aktuellen Ereignisse zeigen, sollten auch diese Überlegungen teil der unternehmerischen Risikovorsorge sein.

 

Bei Fragen zu diesem Thema stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung!  

 

 

Update: Ein Ende der Erdgaslieferungen aus Russland? – Bundesminister Robert Habeck ruft Frühwarnstufe im Notfallplan für die Gasversorgung aus

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