Erbschaftsteuer: Analyse des Kabinettsbeschlusses

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Update zum Zeitplan

Das Bundesfinanzministerium hofft, das Gesetzgebungsverfahren noch im diesem Jahr abschließen zu können. Ende September sollen die Beratungen zum Regierungsentwurf in Bundestag und Bundesrat beginnen. Inoffiziell kursiert ein erster, sehr ehrgeiziger Zeitplan: in diesem wird der 27. November 2015 als „endgültiger” Beschlusstermin im Bundesrat genannt, so dass das Gesetz noch in diesem Jahr verkündet werden und damit auch Inkrafttreten kann. Bisherige Vorhersagen hatten sich auf den 18. Dezember 2015 als dem Datum der letzten Bundesratssitzung in diesem Jahr konzentriert.
 
Der weitere Zeitplan lässt vermuten, dass eventuelle Einwände der Bundesländer schon im Vorfeld in die Entschließungen des Bundestages eingebracht werden sollen. Damit könnte man (wenn alle wesentlichen Punkte übernommen werden würden) eine Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat vermeiden. Wenn sich Bundestag und Bundesrat jedoch nicht vorab verständigen könnten und ein Vermittlungsverfahren notwendig würde, wäre mit einem Inkrafttreten noch in diesem Jahr kaum mehr zu rechnen.
 
Damit schließt sich jedoch das zeitliche „Fenster” für Übertragungen nach altem Recht schneller, als bisher gedacht. Wollen Unternehmer die Begünstigungen noch in Anspruch nehmen, muss eine Nachfolgeregelung umso zeitnaher entwickelt und umgesetzt werden. Es ist absehbar, dass Zeit und Kapazitäten für die Umsetzung, z.B. für die Regelung von Auslandssachverhalten, Abstimmungen mit Nachfolgern und Mitgesellschaftern oder Kreditgebern und notwendige notarielle Beurkundungen mit fortschreitendem Ablauf der Frist knapp werden können.
 

Inhaltliche Analyse des Kabinettsbeschlusses 

Was angesichts der Äußerungen der letzten Wochen aus dem Lager der Mittelstandspolitiker der CDU, aus der CSU und der SPD nicht zu erwarten war, ist geschehen: Vertreter der Koalitionsfraktionen haben sich am 6. Juli 2015 auf einen Kompromiss zur Reform des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes geeinigt. Dieser Gesetzentwurf wurde am 8. Juli 2015 vom Bundeskabinett verabschiedet.
 
Auch wenn es partielle Verbesserungen gegenüber dem ersten Entwurf des Bundesfinanzministeriums gibt: Beschäftigungsstarken Familienunternehmen drohen erhebliche Mehrbelastungen. Eine erste Analyse der „Giftliste” des Regierungsentwurfs.
 
  • „Große” Unternehmen werden grundsätzlich von den bisherigen Begünstigungen für Betriebsvermögen ausgeschlossen, die verschärft nur noch für kleine und mittlere Unternehmen weitergelten. Die Größengrenze wurde dabei im Koalitionskompromiss bei 26 Mio. Euro festgelegt (statt wie von Bundesfinanzminister Schäuble ursprünglich vorgeschlagen bei 20 Mio. Euro). Dies entspricht bei den aktuellen steuerlichen Bewertungsverfahren einem Unternehmen mit gut 1,4 Mio. Euro Jahresertrag – Wirtschaftsverbände hatten eine Grenze von mindestens 100 Mio. Euro gefordert.
     
  • Die Grenze für Familienunternehmen mit Kapitalbindung soll bei 52 Mio. Euro liegen (nach dem Referentenentwurf noch 40 Mio. Euro). Unverändert praxisfremd und starr sind dagegen die Anforderungen an die Kapitalbindung (Ausschüttungs-/Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen). Diese soll darüber hinaus über einen Zeitraum von 40 Jahren (10 Jahre vor (!) und 30 (!) Jahre nach der Übertragung!) eingehalten und nachgewiesen werden. Dies geht völlig an der unternehmerischen Realität vorbei. Die Regelung ist als reine „Kosmetik” für besorgte Familienunternehmen zu betrachten.
     
  • Für große Unternehmen gibt es eine dem bisherigen Status vergleichbare Begünstigung nur noch dann, wenn der Erwerber dem Finanzamt nachweist, dass er nicht in der Lage ist, die Erbschaftsteuer auf den Betrieb aus „verfügbarem” Vermögen zu bezahlen (Verschonungsbedarfsprüfung). Dabei wird weiterhin auch das vorhandene Privatvermögen des Erwerbers einbezogen, entgegen aller Warnungen vor einer systemwidrigen Doppelbelastung und der fatalen Auswirkungen auf Eigenvorsorge und Fortführungswillen potentieller Nachfolger. Die Union ist hier mit einem zentralen Versprechen an die Wirtschaft, zumindest das eigenerarbeitete Vermögen des Nachfolgers unberührt zu lassen, eingeknickt. 50 Prozent des verfügbaren Vermögens zuzüglich der innerhalb von 10 Jahren nach dem Vermögensübergang anfallenden Schenkungen oder Erbschaften muss für die Steuerzahlung eingesetzt werden, nur die Reststeuer wird erlassen.
     
  • Für die im Rahmen der Verschonungsbedarfsprüfung anfallende Steuer werden neue Stundungsregelungen eingeführt. Einerseits soll eine bis zu 6-monatige verzinsliche Stundung in Betracht kommen, wenn die Veräußerung von Vermögen oder eine Kreditaufnahme zur Bezahlung der nach dem Erlass noch verbleibenden Steuer notwendig ist. Andererseits hat der Koalitionskompromiss eine gesonderte zehnjährige Stundung für den Fall eingeführt, dass ein Steuererlass nicht gewährt wird. Im Falle der Schenkung soll diese verzinslich, bei einer Erbschaft aber unverzinslich gewährt werden.
      
  • Wer als Nachfolger sein Privatvermögen vor dem Fiskus nicht offenlegen oder vor dessen Zugriff schützen will, kann auf Antrag alternativ noch einen mit steigender Größe abschmelzenden Verschonungsabschlag, ausgehend im Regelmodell von 85%, im Optionsmodell von 100%, erhalten. Angesichts der hohen Hürden und des Aufwandes für eine Verschonungsbedarfsprüfung war dieses Abschmelzmodell die Hoffnung vieler Familienunternehmen. Diese Alternative ist aber durch den Koalitionskompromiss noch einmal so beschnitten worden, dass sie wahrhaft nur noch „minimalinvasiv” wirkt: Ab einem Unternehmenswert von 116 Mio. Euro wird der Verschonungsabschlag auf pauschal 20 Prozent (im Regelmodell bzw. 35 Prozent im Optionsmodell) begrenzt. Für Familienunternehmen mit Kapitalbindung soll das Abschmelzen (1 Prozentpunkt weniger pro 1,5 Mio. Euro übersteigender Unternehmenswert) bei 52 Mio. Euro beginnen und bei einem Wert ab 142 Mio. Euro enden.
      
  • Keine wesentlichen Erleichterungen finden sich bei der Abgrenzung des zukünftig begünstigten Betriebsvermögens. Der neue Ansatz, begünstigtes Betriebsvermögen positiv über den Hauptzweck und die überwiegende Nutzung eines Wirtschaftsgutes zu definieren, stützt sich auf völlig neue, unklare Begrifflichkeiten und wird dadurch für lange Jahre nach dem Inkrafttreten der Reform bis zu einer Klärung durch die Gerichte zu enormen Unsicherheiten bei der Bestimmung des begünstigten Vermögens führen. Der Ermittlungsaufwand wird erheblich ansteigen, bedeutet dies doch, dass sämtliche betrieblichen Wirtschaftsgüter einer Einzelbewertung unterzogen werden müssen. Auch die neu erfundene Verbundvermögensaufstellung, die der „konsolidierten” Ermittlung in Unternehmensgruppen dienen soll, wird nicht zur Vereinfachung beitragen, sondern die Komplexität der Nachfolgebesteuerung für Unternehmen aller Größenordnungen noch steigern.
      
  • Zwar hat die Politik eingesehen, dass die neue Definition des begünstigten Betriebsvermögens auch nicht ohne Ausnahmeregelungen auskommt und die bisher fehlende Branchenbegünstigung von Finanzmitteln für Kreditinstitute und Versicherungen wieder eingefügt. Viele andere bisher sinnvoll begünstigte Konstellationen wie rein vermögensverwaltend tätige große Wohnungsunternehmen und konzerninterne Vermietungsgesellschaften und Finanzierungsgesellschaften sind aber weiterhin von der Begünstigung ausgeschlossen. 
     
  • Und konzerninterne Finanzierungsgesellschaften, die bisher ebenfalls begünstigt waren? Als Tochtergesellschaft in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft sollen sie begünstigt sein, wenn sie ausschließlich Finanzmittel halten, eine entsprechende Regelung für Personengesellschaften fehlt. Alles ärgerliche handwerkliche Fehler, die der Bundestag oder die Bundesländer im Gesetzgebungsverfahren hoffentlich noch korrigieren werden.
      
  • Die Ausnahme von der Lohnsummenregelung für Kleinunternehmen, die nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts deutlich zurückgeführt werden muss, ist jetzt dreistufig gestaltet: eine echte Ausnahme gilt nur noch für Unternehmen mit bis zu drei Mitarbeitern. Für Unternehmen bis zu 15 Mitarbeitern wird die grundsätzlich einzuhaltende Mindestlohnsumme von 400 Prozent abgemildert: auf 250 Prozent bei nicht mehr als 10 Beschäftigten, darüber hinaus auf 300 Prozent (bei Optionsverschonung auf 500 Prozent bzw. 565 Prozent statt regulär 700 Prozent). Das erschien dem Bundesfinanzministerium wohl als Maximum an Entlastung für kleine Unternehmen, das vor dem Hintergrund des BVerfG-Urteils zu vertreten ist.
     
  • Ob die sonstigen Änderungen bei der Lohnsumme für die Wirtschaft von Vorteil sind, ist nicht gesichert. Nicht zu berücksichtigen sind neu Vergütungen an Beschäftigte, die Mutterschaftsgeld, Krankengeld oder Elterngeld erhalten, sowie an Auszubildende; sie zählen auch bei Ermittlung der Arbeitnehmergrenzen für die Anwendung der Lohnsummenregelung nicht mit. Dafür soll die bisherige Bereichsausnahme für Mitarbeiter, die nicht ausschließlich oder überwiegend dem Betrieb zuzuordnen sind, wegfallen. Je nach Situation des Betriebs stellen diese Regelungen eine Erleichterung (Unterschreiten der Arbeitnehmergrenze wegen Nicht-Berücksichtigung eines Auszubildenden) oder aber auch eine Verschärfung (Berücksichtigung der Vergütungen von Saisonarbeitern oder Teilzeitbeschäftigten bei der Ausgangslohnsumme) gegenüber dem bisherigen Status quo dar.
      
Die Einigung kann aus Sicht der Regierung im letzten Moment, denn der Punkt stand schon lange auf der Tagesordnung des Bundeskabinetts und wäre eine Blamage gewesen, hätte man den Gesetzentwurf nicht planmäßig auf den Weg in die parlamentarischen Beratungen gebracht. Terminzwang und Koalitionsräson haben wieder einmal die Oberhand über vernünftige wirtschaftliche Argumente gewonnen. Die Verlierer scheinen vorerst die Familienunternehmen in Deutschland zu sein, denn die erzielten Kompromisse sind nur kosmetische Korrekturen an einem verfehlten und nicht mehr administrierbaren Gesetzeskonzept. Weder der große Befreiungsschlag in dem unendlichen Drama über eine verfassungsfeste und wirtschaftsschonende Erbschaftsteuer – deren vollständige Abschaffung – noch ein mutiges Flat Tax-Modell ohne große Ausnahmen und mit niedrigen Steuersätzen für alle ist dieser Großen Koalition gelungen. Für uns ein steuerpolitischer Offenbarungseid.
 
Die Hoffnungen von Familienunternehmen richten sich jetzt auf die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Wie zu hören ist, war der Koalitionskompromiss zur Erbschaftsteuer keine „Liebesheirat”, sondern notwendiges Übel, um überhaupt innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist bis zum 30. Juni 2016 noch einen Gesetzesentwurf auf den Weg der parlamentarischen Beratung zu bringen. Die CSU-Minister haben zum Regierungsentwurf eine Protokollerklärung abgegeben, in der sie Nachbesserungen für Familienunternehmen fordern, während die Verlautbarungen der SPD zeigen, dass dieser bereits der vorliegende Koalitionskompromiss zu weit geht. Das Feilschen über die Details der neuen Erbschaftsteuer für Betriebsvermögen wird also weitergehen. Eine neue Chance für die Wirtschaftspolitiker der Union klarzumachen, dass man mit dieser Erbschaftsteuerreform die Unternehmenskultur in Deutschland schädigt und Familienunternehmen ins Ausland oder in die Hände des Kapitalmarktes und von Großinvestoren treibt. Und wenn sie auch im Bundestag kein Gehör finden? Letzter Rettungsanker: Ein Veto Bayerns im Bundesrat? Daran darf man nach der gestrigen Zustimmung der CSU-Vertreter zum Koalitionskompromiss zweifeln.
 
zuletzt aktualisiert am 27.07.2015
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