Die Messung der impliziten Marktrisikoprämie (iMRP) in Krisenzeiten und volatilen Aktienmärkten

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veröffentlicht am 20. Februar 2024 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Die Marktrisikoprämie ist einer der Inputparameter für das Capital Asset Pricing Model (CAPM) zur Ermittlung der Eigenkapitalkosten. Sie entspricht der Rendite, die ein Investor für die Übernahme von Risiko zusätzlich zur Rendite für eine risikolose Anlage erwartet. Die Marktrisikoprämie kann aus empirischen Marktrenditen (als historische Marktrisikoprämie) oder zukunftsorientiert als implizite Marktrisikoprämie (iMRP) abgeleitet werden. Beide Ansätze sind nicht unproblematisch. In Krisenzeiten unter­liegen die Aktienmärkte regelmäßig einer hohen Volatilität, was Auswirkungen auf die Ermittlung der impliziten Marktrisikoprämie hat.



Von der historischen Marktrisikoprämie zur Methodenpluralität

Bis zum Jahr 2012 war die Analyse von historischen Marktrenditen der vorherrschende und vom Fachausschuss für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) des IDW empfohlene Ansatz zur Bestimmung der Marktrisikoprämie. Dieser fußte im deutschen Raum insbesondere auf Veröffentlichungen von Prof. Dr. Stehle von der Humboldt-Universität zu Berlin, der Marktrenditen ab dem Jahr 1955 untersucht hat. Das Vorgehen bei der Berechnung der historischen Marktrisikoprämie war und ist regelmäßig Gegenstand theoretischer Dis­kussio­nen. Insbesondere die folgenden Annahmen sind diskussionswürdig und haben einen maßgeblichen Einfluss auf das Untersuchungsergebnis:

  • Welcher Aktienmarkt wird analysiert?
  • Welcher historische Zeitraum wird untersucht?
  • Wie wird die durchschnittliche Rendite gemessen (arithmetisch oder geometrisch)?
  • Wie wird die risikolose Rendite gemessen?
  • Ist auf der Grundlage historischer Renditen ein Abschlag für eine gestiegene Kapitalmarkteffizienz vorzunehmen?
  • Verhält sich die historische Marktrisikoprämie zeitvariabel (Messung anhand des sogenannten Total Market Return-Ansatzes) oder zeitstabil (Messung anhand des sogenannten konstanten Ansatzes)?


Über den vorgenannten Fragestellungen schwebt jedoch die Frage, ob historische Marktrisikoprämien über­haupt als Schätzer für die Zukunft herangezogen werden können. In der Folge der Finanzmarktkrise hat der FAUB im Jahr 2012 die empfohlene Bandbreite der Marktrisikoprämie angehoben. Begründet wurde dies – erst deutlich später im Jahr 2019 – mit einem pluralistischen Ansatz, der nunmehr sowohl eine historische Be­trach­tung als auch eine zukunftsorientierte Untersuchung umfasste. Die zukunftsorientierte Untersuchung erfolgt dabei über die implizite Marktrisikoprämie (kurz iMRP).


Die Messung der impliziten Marktrisikoprämie (iMRP)

Grundlage der iMRP sind durchschnittliche Analystenschätzungen („consensus estimates“) über zukünftige Gewinne (Net Incomes) von börsennotierten Unternehmen. In aller Regel werden Prognosezeiträume von drei Jahren herangezogen, da über diesen Zeithorizont hinaus gehende Schätzungen in aller Regel keine aus­rei­chen­de „coverage“ aufweisen. Die von Analysten prognostizierten Gewinne (ggf. unter Berücksichtigung von Ausschüttungsquoten) werden als Zähler in die Bewertungsgleichung eingesetzt. Der Nenner der Be­wer­tungs­glei­chung wird mit den Kapitalkostenparametern Basiszinssatz, Betafaktor und Wachstumsab­schlag befüllt. Der Basiszinssatz ist stichtagsgenau anhand der Svensson-Zinsstrukturkurve messbar. Der Betafaktor der einzelnen untersuchten Unternehmen ist ebenfalls messbar bzw. wird im Rahmen einer Ge­samt­markt­be­trach­tung mit 1,0 angesetzt. Zum Inflations- bzw. Wachstumsabschlag sind sachgerechte Annahmen zu treffen. Das Bewertungsergebnis ist gegeben und entspricht der Marktkapitalisierung (Equity Value) zum Unter­su­chungs­stich­tag.

Als letzte Variable und damit als Residualgröße verbleibt im Bewertungsmodell die Marktrisikoprämie. Die Auflösung der Bewertungsgleichung nach der Marktrisikoprämie führt im Ergebnis zur impliziten Marktrisiko­prämie, die, gegeben alle anderen Inputparameter, zu der am Untersuchungsstichtag beobachtbaren Markt­ka­pi­ta­li­sierung (Equity Value) führt. In der Praxis erfolgt dies iterativ in Microsoft Excel.

Zur Ermittlung der iMRP werden in der Praxis verschiedene Modelle verwendet, die sich insbesondere im An­satz des bewertungsrelevanten Zuflusses (Zähler) unterscheiden. Dazu gehören im Wesentlichen das Divi­den­den­dis­kon­tierungs­mo­dell, das Residualgewinnmodell und das Ertragswertmodell. Rödl & Partner verwendet zur Ermittlung der impliziten Marktrisikoprämie das nachstehend dargestellte Ertragswertmodell nach IDW S 1. Ertragswert- und Discounted Cash Flow-Verfahren führen bei gleichen Annahmen zu identischen Ergebnissen.

Formel: Bewertungsmodell zur Ermittlung der impliziten Marktrisikoprämie vor persönlichen Steuern


Pro und contra der impliziten Marktrisikoprämie

Auf der Grundlage des CAPM werden erwartete (zukünftige) Kapitalkosten ermittelt. Bei der historischen Marktrisikoprämie muss unterstellt werden, dass die über lange historische Zeiträume gemessenen Renditen ein geeigneter Schätzer für die Zukunft darstellen. Bei der iMRP handelt es sich dagegen um eine erwartete (d.h. zukunftsorientierte) Marktrisikoprämie im Sinne des CAPM. Aus modelltheoretischer Perspektive ist sie deshalb der historischen Marktrisikoprämie vorzuziehen.

Nicht unproblematisch ist jedoch die Datengrundlage zur Ermittlung der iMRP. Während die historische Markt­ri­si­ko­prä­mie auf tatsächlich realisierten – und damit objektiv „vorhandenen“ – Marktrenditen basiert, werden der iMRP subjektive Analystenschätzungen zugrunde gelegt. Verschiedene Studien haben belegt, dass Ana­lysten im Durchschnitt zu optimistische Prognosen treffen, insbesondere das zweite und dritte Prognosejahr betreffend. Dies führt c.p. zu verzerrten und tendenziell zu hohen impliziten Marktrisikoprämien.

Kritiker der iMRP führen zudem an, dass verschiedene Bewertungsmodelle (z.B. Ertragswertverfahren, Dividend Discount Model, Cash Flow-Verfahren) zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.


Die Messung der impliziten Marktrisikoprämie in Krisenzeiten

In Krisenzeiten unterliegen die Aktienmärkte regelmäßig einer hohen Volatilität. Das hat einen erheblichen Ein­fluss auf die Messung der impliziten Marktrisikoprämie. Beispielhaft sind der Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 und der Ausbruch des Ukraine-Konflikts im Februar 2022 zu nennen, die jeweils kurzfristig zu einem deutlichen Rückgang der Börsenkurse und damit der Marktkapitalisierungen geführt haben.

Analysten reagieren jedoch nur mit einem gewissen Zeitversatz auf die neuen makroökonomischen Rahmen­be­dingungen und passen ihre Erwartungen entsprechend verspätet „nach unten“ an. Die Folge ist, dass sinkende Marktkapitalisierungen (Bewertungsergebnis) zunächst zu steigenden impliziten Marktrisikoprämien (Nenner des Bewertungskalküls) führen, da die Analystenschätzungen (Zähler des Bewertungskalküls) einen Zeitversatz aufweisen.


Die iMRP nach Ausbruch des Ukraine-Konflikts

Zur Illustration des oben beschriebenen Effekts haben wir untersucht, welche impliziten Marktrisikoprämien sich für verschiedene Aktienmärkte nach Ausbruch des Ukraine-Konflikts ergaben und wie sich diese im weiteren Verlauf bis zum Dezember 2023 verhalten haben. Hierzu haben wir implizite Marktrisikoprämien für den DAX (lokaler Aktienindex), den S&P EUROPE 350 (europäischer Aktienindex) und den S&P Global 1200 (globaler Aktienindex) berechnet.

Es wird ersichtlich, dass die impliziten Marktrisikoprämien zwischen März 2022 und Dezember 2022 deutlich erhöht waren und fast durchweg oberhalb der vom FAUB seit dem 22. Oktober 2019 zur Verwendung in Unternehmensbewertungen empfohlenen MRP-Bandbreite von 6,0 Prozent bis 8,0 Prozent vor persönlichen Steuern lagen. Erst im Kalenderjahr 2023, in der Folge einer Beruhigung der Aktienmärkte und nachdem Analysten ihre Erwartungen angepasst hatten, lagen die impliziten Marktrisikoprämien wieder im Bereich der vom FAUB empfohlenen MRP-Bandbreite.

Entsprechend stellte der FAUB in einem fachlichen Hinweis am 20. März 2022 fest, dass Kapitalmarktdaten langfristig zu beurteilen sind. Kurzfristige Ausschläge und mögliche Übertreibungen der Kapitalmärkte sind als momentaner und nicht zwingend langfristiger Stimmungsindikator einzuordnen. Die erhöhte Unsicherheit aufgrund des Ukraine-Krieges ist in der Planung zu berücksichtigen und nicht durch pauschal erhöhte Risikoprämien abzubilden.

Grafik: Implizite Marktrisikoprämien im Zeitraum März 2022 bis Dezember 2023


Quelle: iMRP Rödl & Partner


Fazit

Der FAUB begründet seine Empfehlung zur Bandbreite der für Unternehmensbewertungen zu verwendenden Marktrisikoprämie mit einem pluralistischen Ansatz. Dieser sieht neben einer historischen Betrachtung auch eine zukunftsorientierte Analyse vor. Letztere erfolgt über die Ermittlung der impliziten Marktrisikoprämie (iMRP) auf der Grundlage von Analystenschätzungen.

Die iMRP ist aufgrund ihres Zukunftsbezugs modelltheoretisch vorzugswürdig, in volatilen Aktienmärkten und Krisenzeiten jedoch anfällig für Verzerrungen. Anpassungen der Analystenschätzungen an eine veränderte makroökonomische Situation erfolgen regelmäßig mit einem gewissen Zeitversatz. Dies führt unter Umständen zu verzerrten Ergebnissen bei der Messung der impliziten Marktrisikoprämie. In Krisenzeiten und volatilen Aktienmärkten gemessene implizite Marktrisikoprämien sind deshalb nicht unreflektiert zu verwenden, sondern einer kritischen Würdigung zu unterziehen, ggf. unter Betrachtung längerer Zeitreihen.

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