System der spanischen Gerichtsbarkeit in Zivil- und Handelssachen

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veröffentlicht am 4. Mai 2021 | Lesedauer ca. 6 Minuten




Internationale Zuständigkeit

Um Forderungen in Spanien vor Gericht geltend zu machen, muss zunächst geklärt werden, welches Gericht zuständig ist.


Bei Streitigkeiten mit Auslandsberührung zu anderen Mitgliedsstaaten der EU richtet sich im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Frage der internationalen und örtlichen Zuständigkeit zunächst nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel-Ia-Verordnung oder EuGVVO). Sie gilt seit 10. Januar 2015 und ersetzt die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel-I-Verordnung oder EuGVVO).


Die Brüssel Ia-Verordnung (EU-Verordnung Nr. 1215/2012; spanisch: „Reglamento Bruselas I-bis”) enthält zum Anwendungsbereich umfangreiche Vorschriften über die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten. Fehlt eine Gerichtsstandsvereinbarung im Vertrag, sind nach Artikel 2 Brüssel-I-Verordnung bzw. Artikel 4 Brüssel-Ia-Verordnung grundsätzlich die Gerichte des Wohnsitzstaates des Beklagten international zuständig. Für juristische Personen wie eine GmbH wird (mangels Wohnsitzes) auf den satzungsmäßigen Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung abgestellt.


Soweit EU-Verordnungen nicht anwendbar sind, richtet sich die internationale Zuständigkeitsfrage nach spanischem Recht nach den geltenden zwei- oder mehrseitigen internationalen Vereinbarungen sowie subsidiär nach dem spanischen autonomen internationalen Prozessrecht (art. 22 ff. LOPJ – spanisches Gerichtsverfassungsgesetz).


Aufbau der Zivilgerichtsbarkeit und sachliche Zuständigkeit

Die Grundlagen für den Aufbau wie auch für den Instanzenzug des spanischen Gerichtssystems werden durch das spanische Gerichtsverfassungsgesetz („Ley Orgánica del Poder Judicial”) und das spanische Zivilprozessgesetz („Ley de Enjuiciamiento Civil”) festgelegt.


Der Instanzenzug der spanischen Zivilgerichtsbarkeit gliedert sich vereinfacht wie folgt:

  • Friedensgericht („Juzgado de Paz”) – je eines in den Gemeinden ohne Gericht erster Instanz;
  • Gerichte erster Instanz („Juzgado de Primera Instancia”) – mind. eines pro Gerichtsbezirk („partido judicial”)/Handelsgericht („Juzgado de lo Mercantil”); mind. eines pro Provinz;
  • Provinzgerichte („Audiencia Provincial”) – je eines pro Provinz;
  • Obergerichte („Tribunal Superior de Justicia”) – je eines pro Autonome Gemeinschaft („Comunidad Autónoma”);
  • Oberster Gerichtshof („Tribunal Supremo”) – Sitz in Madrid.

Die Gerichte sind entweder als Einpersonen- (Juzgado) oder Kollegialgerichte (Audiencia bzw. Tribunal) organisiert.


Die sachlichen Zuständigkeiten der Zivil- und Handelsgerichte sind im Gerichtsverfassungs- und Zivilprozessgesetz geregelt. Zentrales Gericht ist dabei das sog. Gericht erster Instanz, das die generelle Eingangszuständigkeit in Zivil- und Handelssachen unabhängig vom Streitwert besitzt, sofern keine speziellen Zuständigkeiten anderer Gerichte bestehen. Seit dem Jahr 2003 sind an manchen Eingangsgerichten spezielle Insolvenzgerichte (Juzgado de lo Mercantil) eingerichtet worden. Zudem haben die Gerichte erster Instanz die Sonderzuständigkeit bei Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen.


Die Handelsgerichte in Alicante sind auch im Zusammenhang mit den europäischen Bestimmungen über die Gemeinschaftsmarke (vgl. Verordnung (EG) Nr. 40/94, abgelöst durch die Verordnung (EG) Nr. 207/2009) und über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (vgl. Verordnung (EG) Nr. 6/2002) zuständig und heißen dann Gemeinschaftsmarkengerichte („Juzgados de Marca Comunitaria”).


Prozesskosten

Zu den Prozesskosten zählen nach Art. 241 LEC alle direkten und indirekten verfahrensbezogenen Ausgaben. Darunter fallen insbesondere die Honorare der Prozessvertreter (Rechtsanwalt/Abogado sowie Prozessagent/Procurador), Sachverständige, Zeugenentschädigungen und Gerichtsgebühren.


Die Prozessvertretung vor Gericht übernimmt formal der am örtlichen Gericht zugelassene Prozessagent, der die Schriftsätze der Anwälte bei Gericht einreicht, Fristen kontrolliert und gerichtliche Verfügungen und Entscheidungen an den Anwalt weiterleitet. Die Honorare des Prozessagenten richten sich nach einer einheitlichen Gebührenordnung, wohingegen die anwaltlichen Honorare frei vereinbart werden können. Die ehemals geltenden „Honorarrichtlinien” der lokalen Anwaltskammern gelten in der Praxis nach wie vor als Richtwerte bei der Mandatierung. Erfolgshonorare sind seit 2008 teilweise zulässig, sofern sie aus einem garantierten Mindesthonorar und einer Erfolgsquote bestehen.


Die Gerichtsgebühren fallen in Spanien für die meisten Prozessarten und Verfahrensschritte an. Die Gebühr selbst setzt sich aus einem fixen und einem variablen Teil zusammen. Der fixe Betrag (cuota fija) richtet sich danach, vor welcher Gerichtsbarkeit der Prozess geführt wird und welche Prozessart zur Anwendung kommt. Der variable Betrag („cuota variable”) orientiert sich am Streitwert, zwischen 0,25 und 0,5 Prozent.


Kostenerstattungspflicht

Wer in Verfahren vor spanischen Gerichten die Verfahrenskosten zu tragen hat, regelt das spanische Zivilprozessgesetz in en Art. 394 bis 398 („Ley de Enjuiciamiento Civil”).


In Erkenntnisverfahren trägt die Partei die Kosten der ersten Instanz, deren Anträge vollständig zurückgewiesen wurden, es sei denn, der Fall wirft ernste faktische oder rechtliche Zweifel auf, die der Klärung bedürfen.


Wenn den Anträgen teilweise stattgegeben oder die Anträge teilweise zurückgewiesen wurden, trägt jede Partei die eigenen Kosten sowie die gemeinsamen Kosten je zur Hälfte, außer es gibt genügend Indizien, um die Kosten aufgrund leichtfertiger Prozessführung nur einer der Parteien aufzuerlegen.


Werden die Verfahrenskosten der unterliegenden Partei auferlegt, muss die Partei von dem Teil, der den Rechtsanwälten und weiteren Sachverständigen zusteht, die keiner Gebührenordnung unterliegen, maximal einen Betrag zahlen, der ein Drittel der Verfahrenskosten nicht übersteigt. Das gilt für jede Prozesspartei, zu deren Lasten die Kostenentscheidung ausfällt.


Durchschnittliche Verfahrensdauer

Auf die Frage, wieviel Zeit ein Gerichtsverfahren in Anspruch nimmt, gibt es keine allgemeinverbindliche Antwort. Statistiken über die durchschnittliche Dauer von Gerichtsverfahren in Spanien werden regelmäßig vom Consejo General del Poder Judicial (CGPJ) auf Spanisch und Englisch veröffentlicht (www.poderjudicial.es).


Für ein besseres Verständnis der abstrakten Zeiträume wird die durchschnittliche Verfahrensdauer am Beispiel des Zivilgerichtsverfahrens konkret dargestellt (Statistik vom Jahr 2017).


Die durchschnittliche Verfahrensdauer von Zivilsachen in den einzelnen Gerichten 1. Instanz lag bei 6,4 Monaten und schwankte zwischen 3,2 und 52,1 Monaten. Die durchschnittliche Verfahrensdauer der Handelsgerichte lag bei 17,1 Monaten und schwankte zwischen 2,4 und 49 Monaten.


In der 2. Instanz lag bei den Provinzgerichten die durchschnittliche Verfahrensdauer bei 6,6 Monaten und schwankte zwischen 1 und 9,6 Monaten. Bei den Obergerichten der Autonomen Gemeinschaften lag die durchschnittliche Verfahrensdauer bei 4,9 Monaten und schwankte zwischen 0,9 und 9,2 Monaten.


Die durchschnittliche Verfahrensdauer der möglichen 3. Instanz (Revision) lag bei 16,3 Monaten und schwankte zwischen 3,0 und 27,7 Monaten.


Einstweiliger Rechtsschutz

Das spanische Zivilprozessgesetz (Ley de Enjuiciamiento Civil) sieht einige Möglichkeiten vor, bereits vor oder bei Prozessbeginn auf Antrag die Rechtsposition einstweilen sichern zu lassen (Artikel 721 ff. span. Zivilprozessgesetz).


So zählt Artikel 727 Zivilprozessgesetz zehn verschiedene Möglichkeiten auf. Zusätzlich kann das Gericht weitere geeignete Maßnahmen erlassen. Zu den zehn genannten Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes („medidades cautelares”) gehört insbesondere der dingliche Arrest („embargo preventivo de bienes”) bestimmter Sachen, um die spätere Zwangsvollstreckung zu sichern. Aber auch etwa die Hinterlegung („depósito”) bestimmter Gegenstände oder von Geld kann angeordnet werden. Darüberhinaus kann das Gericht einstweilige Unterlassungsverfügungen oder Verfügungen zur Vornahme bestimmter Handlungen erlassen.


Damit ein spanisches Gericht die Maßnahmen dem Beklagten einstweilen auferlegt, müssen drei Voraussetzungen vorliegen:

  • Der Antragssteller muss belegen, dass die berechtigte Sorge besteht, dass eine Veränderung des bestehenden Zustands ohne die beantragte einstweilige Maßnahme die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert („peligro por la mora procesual”).
  • Der Antragssteller muss dem Gericht das Bestehen seines Anspruchs glaubhaft machen („aparencia de buen derecho”).
  • I.d.R. ist der Antragssteller zur Stellung einer Sicherheitsleistung („caución”) verpflichtet. Damit soll sichergestellt werden, dass dem Antragsgegner ggf. aufgrund unberechtigter einstweiliger Maßnahmen entstehende Schäden ersetzt werden. Der Antragssteller muss im Antrag die Stellung einer Sicherheitsleistung anbieten und angeben, welche Art von Sicherheit er stellen möchte.

Die Zuständigkeit des Gerichts für den Erlass einstweiliger Maßnahmen richtet sich nach der Zuständigkeit im Hauptsacheverfahren. Es ist also das Gericht zuständig, bei dem der Anspruch bereits geltend gemacht wird oder werden müsste.


Grundsätzlich findet vor Erlass von einstweiligen Maßnahmen eine mündliche Verhandlung statt. Gegen den richterlichen Beschluss, der die einstweiligen Maßnahmen erlässt, kann Berufung eingelegt werden, die allerdings keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Die Vollstreckung aus dem Beschluss wird von Amts wegen durchgeführt. Lehnt das Gericht den Erlass einstweiliger Maßnahmen ab, ist ebenfalls die Berufung zulässig.


Auf Antrag kann das Gericht vor Erlass der einstweiligen Maßnahmen von einer mündlichen Verhandlung absehen. Dafür muss der Antragsteller belegen, dass die Sache besonders eilbedürftig ist oder, dass eine vorherige mündliche Verhandlung den Erlass von einstweiligen Maßnahmen gefährden. Gegen einen Beschluss, mit dem einstweilige Maßnahmen ohne vorherige mündliche Verhandlung erlassen wurden, kann der Antragsgegner Widerspruch nach den Artikeln 739 ff. Zivilprozessgesetz einlegen.


Derjenige, gegen den einstweilige Maßnahmen verhangen wurden, kann bei Gericht beantragen, dass er anstelle der Vollstreckung der einstweiligen Maßnahmen eine Ersatzsicherheit („caución sustitutoria”) leistet.


Anerkennung und Vollstreckung europäischer Titel und ausländischer Schiedssprüche

Auf Verfahren, die am 10. Januar 2015 oder danach eingeleitet, förmlich errichtet oder eingetragen bzw. gebilligt oder geschlossen wurden/werden, finden die Vorschriften der EuGVVO in der Fassung der Brüssel-Ia-Verordnung Anwendung, sofern sie in den Anwendungsbereich der genannten Verordnung fallen.


Nach der Verordnung werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es dafür eines besonderen Verfahrens bedarf. Eine Überprüfung der Entscheidung im ersuchten Mitgliedsstaat findet dabei in der Sache nicht statt. Mit der Brüssel Ia-Verordnung wurde das Anerkennungsverfahren (Exequatur) abgeschafft.


Vollstreckungsmaßnahmen haben generell die Eintreibung von Geldbeträgen zum Ziel, können aber auch die Erfüllung einer sonstigen Verpflichtung zum Gegenstand haben (Handlungs- bzw. Unterlassungspflicht).


In grenzüberschreitenden Zivilsachen gilt, dass eine Entscheidung gemäß den innerstaatlichen Regeln und Verfahren des Staats vollstreckt werden muss, in dem die Vollstreckung erfolgt (üblicherweise der Staat, in dem sich der Schuldner und/oder sein Vermögen befindet). In der Praxis muss ein Vollstreckungstitel (z.B. ein Gerichtsurteil oder einen Vergleich) sowie eine Bescheinigung gemäß Art. 53 Brüssel Ia-Verordnung vorgelegt werden, um die Vollstreckung zu erreichen.


In Spanien richtet sich die Anerkennung und Erklärung der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Schiedsspruchs sodann nach dem New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche. Sofern der ausländische Schiedsspruch in Spanien anerkannt und für vollstreckbar erklärt wurde, folgt das Zwangsvollstreckungsverfahren selbst dem spanischen nationalen Recht.


Die Vorschriften zur spanischen Vollstreckung aus Zahlungstiteln finden sich im 3. Buch (Art. 517-747) des spanischen Zivilprozessgesetz („Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil; LEC”). Die Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung wird in Spanien bei einem gesonderten Vollstreckungsverfahren nach Art. 549 Abs. 1 LEC vor dem zuständigen Vollstreckungsgericht durchgeführt. Der Antrag ist an das zuständige spanische Gericht 1. Instanz (Juzgado de Primera Instancia) zu stellen (Artikel 47 Absatz 1 EuGVVO). Gegen die Entscheidung über den Antrag kann jede Partei einen Rechtsbehelf vor den spanischen Berufungsgerichten der Provinzen („Audiencia provincial”) einlegen (Artikel 49 EuGVVO). Gegen die Entscheidung über den Rechtsbehelf wiederum kann vor dem Obersten Gerichtshof Spaniens („Tribunal Supremo”) Revision eingelegt werden (Artikel 50 EuGVVO).


Zu beachten ist: Ausländische gerichtliche Entscheidungen, Schiedsentscheidungen und Prozessvergleiche können nach Art. 518 iVm Art. 523 Abs. 2 LEC nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Rechtskraft in Spanien vollstreckt werden.

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