„Mentalitätswandel staatlicher Akteure gewünscht“ – Beitrag von Christian Rödl in der Börsen-Zeitung

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​​​veröffentlicht am 10. Juni 2025​ | Lesedauer ca. 3 Minuten​

​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​Quelle: Börsen-Zeitung

 

Seit dem 6. Mai 2025 hat Deutschland eine neue Regierung. Ihr Programm für eine Gesundung des Standortes Deutschland ist im Koalitionsvertrag festgehalten. Die Erwartungen von Familienunternehmen an die Politik gehen über das bloße Papier weit hinaus. Schwarz-Rot muss jetzt „liefern“ und in der praktischen Umsetzung beweisen, dass die Koalitionspartner eine hinreichende gemeinsame Basis in der Steuer- und Wirtschaftspolitik gefunden haben.

 
  


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Familienunternehmen wissen: Die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit des gesamten Landes. Um Deutschland aus Stagnation und Strukturkrise herauszuführen, bedarf es jetzt einer klaren Priorisierung. Jegliches staatliche Handeln muss vorrangig auf dieses Ziel ausgerichtet werden. 

Lichtblicke, aber auch Schatten​​

Liest man mit dieser Brille den Koalitionsvertrag, gibt es zwar Lichtblicke, aber auch viel Schatten. Immerhin scheint kurzfristig der massive Hilferuf der Wirtschaft bei den Koalitionären angekommen zu sein. Entbürokratisierung und Digitalisierung, Senkung der Energiekosten, Steuerentlastungen für die Wirtschaft werden versprochen. Was fehlt, ist der Mut zu richtungsweisenden und zügigen Reformen.
 
Bestes Beispiel ist die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes. Eine Steuersenkung ist ein starkes Signal im internationalen Standortwettbewerb. Voraussetzung ist, dass sie deutlich und zeitnah erfolgt. Der Einstieg erst 2028 und eine Entlastung in fünf jährlichen Mini-Schritten von nur einem Prozentpunkt lässt die erhofften Effekte verpuffen. Damit lässt sich weder die sofortige finanzielle Entlastung der Unternehmen noch der notwendige Investitionsschub in Deutschland auslösen und keine zügige Verbesserung des Steuerstandortes für Investoren darstellen. Die neue Bundesregierung ist aufgerufen, mit einer durchgreifenden Konsolidierung der Staatsausgaben die haushalterischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Begrenzung der Unternehmenssteuerbelastung auf 25% auch tatsächlich und früher und schneller umsetzbar wird.
 
Familienunternehmen werden sehr genau verfolgen, wie die angekündigte Verbesserung der Thesaurierungsbegünstigung (§ 34a EStG) und des Optionsmodells zur Körperschaftsteuer (§ 1a KStG) verwirklicht werden. Es sind bekannte „Pain Points“, die eine großflächige Anwendung bisher verhindern: in § 34a EStG ein überhöhter Nachversteuerungssatz und die festgeschriebene Verwendungsreihenfolge bei Entnahmen, die zu einem Lock-in-Effekt bereits tarifversteuerter Gewinnanteile führt, im Optionsmodell vor allem die abschreckende Behandlung des Sonderbetriebsvermögens.
 
 
„Um Deutschland aus Stagnation und Strukturkrise herauszuführen, bedarf es jetzt einer klaren Priorisierung.  Jegliches staatliche Handeln muss vorrangig auf dieses Ziel ausgerichtet werden.“
  
 
Nach mehreren vergeblichen Anläufen in den vergangenen Jahren muss die Politik diese Hindernisse pragmatisch aus dem Weg räumen, dann könnte dieses Koalitionsvorhaben durchaus einen beachtlichen Entlastungseffekt für betroffene Familienunternehmen auslösen.
 
Was Familienunternehmen deutlich entlastet, ist der angekündigte Bürokratieabbau. Gespannt wird daher das Sofortpaket der Bundesregierung erwartet. Die Revision der Lieferkettenregulierung im nationalen und EU-Bereich ist ein zentrales Versprechen, auf das vor allem mittelständische Unternehmen hoffen. Die neue Bundesregierung muss den Kampf wider die Bürokratie auch bei der gesetzgeberischen Umsetzung ihrer Koalitionsvereinbarung beachten.
 

Brüssel ist keine Rechtfertigung​

Der Bericht der Expertenkommission Vereinfachte Unternehmenssteuer kann als Ideensammlung für sinnvolle Maßnahmen dienen, die zügig umsetzbar sind. Die Europäische Union (EU) als wesentlichen Bürokratietreiber für Unternehmen muss die neue Bundesregierung verstärkt in den Blick nehmen, sich viel früher in die Debatten- und Entscheidungsprozesse der EU einbringen und unser wirtschaftliches und politisches Gewicht gezielt nutzen, um EU-Überregulierungen und Bürokratieauswüchse zurückzudrängen. „Brüssel“ darf nicht länger als Rechtfertigung für zusätzliche Belastungen der Wirtschaft dienen.
 
Viel zu wenig Beachtung findet die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme, eine der schwierigsten und drängendsten Herausforderungen für die Politik. Hohe Lohnnebenkosten gehören schon jetzt zu den Nachteilen des Standortes Deutschland. Ohne tiefgreifende Reformen steuern Renten-, gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung auf eine gigantische Finanzierungslücke und ungebremste Beitragsanstiege zu. Unternehmen brauchen aber eine Begrenzung der Arbeitskosten und für ihre Arbeitnehmer mehr netto vom brutto, um die Leistungsbereitschaft aufrechtzuerhalten. 
 
Die mobile junge Generation schließlich wird nur motiviert werden können, ihre Arbeitskraft und ihr wirtschaftliches Engagement in Deutschland zu entfalten, wenn Leistungen der sozialen Sicherheit auch für sie noch erreichbar und generationengerecht finanziert sein werden. Hier hätte es dringend eines geeinten eigenen Konzeptes der Koalitionsparteien bedurft. Die vereinbarte Kommission lässt befürchten, dass die Problemlösung ins inhaltlich und zeitlich Ungewisse verschoben wird. Wünschenswert wären vor allem die Einbeziehung zumutbarer Leistungsbegrenzungen, Hebung von Effizienzreserven im System und Limitierung der finanziellen Belastungen für die Wirtschaft. Vorhersehbar schmerzhafte Entscheidungen müssen gemeinsam getroffen, getragen, offen kommuniziert und zügig umgesetzt werden.
 
Wenn Familienunternehmen einen Wunsch an die Regierung für die nächsten vier Jahre frei hätten, wäre es dies: ein Mentalitätswandel staatlicher Akteure.  Es braucht ein positives Verständnis für die Bedürfnisse von Unternehmen und Vertrauen und Kooperation mit den Unternehmen. Wenn es wieder mehr Freiraum für unternehmerische Initiative gibt und Politik und Verwaltungen sich als „Ermöglicher“ für wirtschaftliche Entwicklung verstehen, könnte das große Potenzial, das trotz aller Herausforderungen noch immer in unserer Wirtschaft und unserem Land und seinen Menschen steckt, wieder zur Entfaltung gebracht werden.
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