Reform des EU-Medizinprodukterechts: Aktueller Stand und mögliche Auswirkungen für Hersteller und Händler

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Die Vorschriften für Arzneimittel und Medizinprodukte sind auf europäischer Ebene größtenteils harmonisiert. Geregelt sind v.a. Genehmigung, Registrierung, Herstellung, Kennzeichnung, Einstufung, Werbung, Qualität sowie der Vertrieb und die Überwachung der Produkte. Hierbei ist eine zunehmende Regelungsdichte zu verzeichnen, sowohl im Hinblick auf Sicherheits- und Qualitätsanforderungen als auch auf Vermarktungs- und Bewerbungsmodalitäten. Um Sanktionen und eine Unternehmenshaftung zu vermeiden bzw. das Risiko zu vermindern, müssen Unternehmen der Pharmabranche u.a. durch kontinuierliche und sachverständige Überprüfung und unternehmensinterne Regeln und Verfahren die Einhaltung all dieser Normen sicherstellen. 
 
 
Aufgrund der Vielzahl von Akteuren, die in der Pharmabranche im Rahmen der Produktentwicklung bis hin zur Herstellung und zum Vertrieb interagieren und kooperieren, kommt den vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der gegenseitigen Rechte und Pflichten sowie dem gewerblichen Rechtsschutz eine große Bedeutung zu. Angesichts der Investitionen, die Unternehmen in diesen Branchen in Forschung und Innovationen tätigen, spielt der effiziente und effektive Schutz des geistigen Eigentums eine wichtige Rolle. Auch unterliegen Pharmaunternehmen kartellrechtlichen Kontrollen, etwa bei ihrer Preis-, Lizenz- oder Lieferpolitik, sodass sie ihr Verhalten verstärkt auf die Vermeidung wettbewerbswidrigen Verhaltens überprüfen müssen.
 

Der Markt für Medizintechnologien: Vielfältigkeit, Innovationskraft und Wirtschaftsfaktor

Medizinprodukte sind nach der EU-weit einheitlich geltenden Legaldefinition Produkte mit medizinischer Zweckbestimmung, die vom Hersteller für die Anwendung beim Menschen bestimmt sind, wobei die Wirkung in Abgrenzung zu Arzneimitteln primär auf z.B. physikalischem Weg hervorgerufen wird. Diese sehr weite Definition hat zur Folge, dass eine große Bandbreite von medizintechnischen Produkten umfasst ist, bspw.:  
  • Einfache Pflaster und Verbandstoffe;
  • Kontaktlinsen, Brillengestelle, Zahnkronen;
  • Medizinische Software und ärztliche Instrumente;
  • Herzschrittmacher und künstliche Hüftgelenke;
  • In-vitro Diagnostika zur medizinischen Untersuchung von aus dem Körper stammenden Proben – sei es in Eigenanwendung durch den Laien (z.B. Schwangerschaftstest) oder auch bei der Anwendung im ärztlichen Bereich zur Diagnose und Therapie von Krankheiten bei Patienten.
 
Jährlich kommt eine Vielzahl von neuen Medizinprodukten auf den Markt. In der Tat wird die Branche für Medizintechnologien als besonders innovativ, dynamisch, wachstumsstark und zukunftsträchtig angesehen. So ist dem Branchenbericht „Medizintechnologien 2015” des Bundesverband für Medizintechnologie zu entnehmen, dass im Durchschnitt die forschenden MedTech-Unternehmen rund 9 Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung investieren. Die in Deutschland mittelständisch geprägte Medizintechnik-Branche ist zudem ein wichtiger Wirtschafts- und Arbeitsmarktfaktor: In der Gesundheitswirtschaft sind 6,2 Millionen Menschen tätig; weitere 4 Millionen Arbeitsplätze hängen von der Gesundheitswirtschaft ab (Quelle: Ergebnisbericht „Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung II”, Bundeswirtschaftsministerium, April 2015).
 

Reformprozess zur Überarbeitung des europäischen Medizinprodukterechts

Rechtssicherheit durch die Schaffung eines soliden, transparenten, berechenbaren und nachhaltigen Rechtsrahmens für Medizinprodukte ist eine zentrale Voraussetzung dafür, das Wachstum in dieser wirtschaftlich wichtigen Branche zu sichern und einen Standortvorteil in Europa zu schaffen. Da es sich um einen sensiblen Bereich handelt, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen ein hohes Sicherheits- und Gesundheitsschutzniveau gewährleisten. Andererseits ist auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Medizintechnologie eine dynamische und hoch innovative Branche ist, sodass rechtliche Vorschriften gleichzeitig auch innovationsfördernd wirken müssen. Der derzeitige EU-Rechtsrahmen für Medizinprodukte kann dies nicht leisten. Daher hat sich der EU-Gesetzgeber ein anspruchsvolles Reformvorhaben zum Ziel gesetzt: Die Europäische Kommission veröffentlichte am 26. September 2012 einen Vorschlag für eine Verordnung über Medizinprodukte sowie für eine Verordnung über In-vitro-Diagnostika (IVD). Diese werden derzeit im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament (das in erster Lesung über 600 Änderungsanträge beschlossen hat) verhandelt.
 
Ende und definitiver Inhalt dieser Verhandlungen sind derzeit nicht absehbar. Dennoch ist es ratsam, dass sich die in der Medizinproduktebranche tätigen Akteure, vom Hersteller über den Händler zum Anwender (Angehörige der Gesundheitsberufe), bereits jetzt mit diesem Reformvorhaben auseinandersetzen, um künftiges Handeln sowie Strategien und Produktvorhaben danach ausrichten zu können. Auch mag sich das ein oder andere Unternehmen überlegen, wie man sich konstruktiv in den Gesetzgebungsprozess „einmischen” kann, um sicherzustellen, dass diejenigen, die Gesetze vorschlagen, diskutieren und verabschieden, die notwendige Praxisrelevanz und Realität nicht aus den Augen verlieren. Zeit hierfür ist noch.
 

Wesentliche Elemente der Reform

Im Folgenden sollen daher einige der wichtigsten Inhalte der Reform kurz dargestellt werden. Zu begrüßen ist, dass das Medizinprodukterecht künftig durch EU-Verordnungen, die keiner weiteren Umsetzungsakte in den jeweiligen Mitgliedstaaten bedürfen, geregelt werden wird, was Kohärenz und Einheitlichkeit in der Interpretation und Umsetzung schaffen soll. Dies ist Grundvoraussetzung für einen reibungslosen Verkehr von Medizinprodukten in der EU. Ein Reformziel ist es, Regelungslücken zu schließen, indem der Anwendungsbereich des Medizinprodukterechts klar abgesteckt wird. So soll durch die Schaffung einer eindeutigen Legaldefinition für „Medizinprodukte” die Abgrenzung zu anderen Produktarten, wie z.B. Arzneimittel und Konsumgüter, besser ermöglicht werden. Da die rechtliche Einstufung eines Produkts über die für Herstellung und Vermarktung anwendbaren Regeln entscheidet, ist Bestimmtheit in Legaldefinitionen unverzichtbar. Klargestellt ist in der von der Kommission vorgeschlagenen Definition insbesondere, dass Medizinprodukte einen spezifischen medizinischen Zweck erfüllen müssen. Dieses Kriterium hatte zuvor bereits der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner „Brain Products”-Entscheidung vom 22. November 2012 (Rs C-219/11) festgelegt. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung dieses Kriteriums sicherlich hilfreich.
 
Lifestyle-Produkte, wie genetische Tests, die Informationen für die Zusammensetzung eines individuellen Ernährungsprogramms und die Art der körperlichen Aktivität zur normalen Regulation des Körpergewichts liefern, sind daher bspw. mangels medizinischer Zweckbestimmung keine Medizinprodukte. Zwar hat das Europäische Parlament in seiner ersten Lesung Änderungen beschlossen, die auf eine Erweiterung der Medizinproduktedefinition abzielen, aber angesichts der Rechtsunsicherheit, die damit einhergehen würde, bleibt zu hoffen, dass man im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zur ursprünglich von der Kommission vorgeschlagenen Definition zurückkehrt.
 
Die Verordnungsentwürfe sehen zudem neue Regelungen zum Verkehr mit Medizinprodukten bzw. IVD sowie zu den Verpflichtungen der jeweiligen Wirtschaftsakteure vor. Grundprinzip ist weiterhin, dass die rechtlichen Verpflichtungen der Hersteller der Risikoklasse ihrer Produkte angepasst sind. So müssen alle Hersteller in Eigenverantwortung sicherstellen, dass ihre Produkte den rechtlichen Anforderungen genügen und dafür ein Qualitätsmanagementsystem (QMS) unterhalten. Allerdings sind die Anforderungen für Medizinprodukte, die ein höheres Risiko in sich bergen, strenger als für Medizinprodukte niedriger Risikoklassen. Es versteht sich von selbst, dass einfache Mullbinden nicht denselben Anforderungen unterliegen können wie Medizinprodukte, die wie z.B. Herzschrittmacher in Patienten implantiert werden. Hochrisikoprodukte sollen nach den Vorschlägen daher künftig einer zusätzlichen Kontrolle unterliegen; dies nicht zuletzt auch als Antwort auf die zahlreichen Skandale, wie z.B. um instabilen Hüftgelenkersatz und undichte Lungenversiegelungssysteme.
 
Zudem sollen einige neue Konzepte eingeführt werden, die zum Teil dem Arzneimittelrecht entlehnt sind, wie z.B. die Figur der „sachkundigen Person”, um die Qualitätsanforderungen an den Herstellungsprozess von Medizinprodukten zu verbessern. Schließlich zielen die Reformvorschläge auf Verbesserungen bei der klinischen Bewertung, beim Vigilanz-System und der Marktüberwachung sowie bei der Rückverfolgbarkeit der Medizinprodukte ab. So sollen u.a. die Medizin-Produkte-Zulassungsstellen, die sog. „benannten Stellen”, effektiver überwacht werden und künftig bei den Herstellern unangekündigte Kontrollen durchführen. Als Antwort auf die Kritik am gegenwärtigen System sehen die Vorschläge zudem die Einrichtung eines EU-Portals vor, in dem Hersteller schwerwiegende Vorkommnisse und die getroffenen Korrekturmaßnahmen melden müssen. Es bleibt abzuwarten, in welcher Ausgestaltung diese Reformvorschläge letztendlich tatsächlich in Kraft treten werden.
 
zuletzt aktualisiert am 02.12.2015

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Dr. Barbara Klaus

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