Umsatzsteuerliche Organschaft: Der Knall durch die jüngsten Urteile des EuGH – keine Mehr­wert­steuer­gruppe, aber Ende der nicht-steuerbaren Innenumsätze?

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zuletzt aktualisiert am 5. April 2023 | Lesedauer ca. 9 Minuten


Der EuGH hat am 1. Dezember 2022 seine lang erwarteten Entscheidungen in den Rechts­sachen C-141/20 (Norddeutsche Diakonie) und C-269/20 (S/FA T) zu den Rechtsfolgen der deutschen umsatzsteuerlichen Organschaft veröffentlicht. In den Urteilen bestätigt der EuGH zum einen zwar – wohl zur Erleichterung aller – die deutsche Regelung zur umsatzsteuerlichen Organschaft in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und zur Bestimmung und Auswahl des deutschen Organträgers als der Steuerschuldner (Rs. C-141/20 und C-269/20), zum anderen sieht er aber die tatbestandliche Voraus­setzung einer Über- und Unterordnung (im Bereich der finanziellen Eingliederung durch sog. Stimmrechte) als unionsrechtswidrig an (Rs. C-141/20). Drittens – und dies ist am gewichtigsten – sieht der EuGH Organgesellschaften als Teil einer umsatz­steu­er­lichen Organschaft nicht per se als „nicht selbständig“ an, sondern hält es für mög­lich, dass selbständig tätige Organgesellschaften im Organkreis steuerbare Umsätze ausführen können (so in Rs. C-141/20). Letztere, am Ende des Urteils in drei Rand­num­mern wiedergegebene Auffassung des EuGH zur Selbständigkeit hätte weitreichende Konsequenzen für die Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.


 
In diesem Zusammenhang dürfen wir auf die zwischenzeitlich Ende März 2023 veröffentlichten Nachfolge­ent­scheidungen des BFH verweisen, deren umsatzsteuerliche Implikationen wir in unserem Artikel „BFH zur umsatzsteuerlichen Organschaft in Deutschland: Nach den Urteilen des EuGH zur Mehrwertsteuergruppe ist vor seinen weiteren Urteilen oder doch nicht?“ näher beleuchten. 
 

Urteile des EuGH in den Rechtssachen C-141/20 und C-269/20

In den letzten Jahren gab es kaum eine Entscheidung des EuGH, die mit mehr Spannung erwartet wurde. Die Entscheidungen des EuGH in den in den Rechtssachen C-141/20 und C-269/20 haben die (deutsche) umsatz­steu­er­li­chen Organschaft und explizit – und dies ist beachtlich – deren Rechtsfolgen zum Gegenstand. Da das komplette Konstrukt der deutschen umsatzsteuerlichen Organschaft mit der verfahrensrechtlichen Bestim­mung des Steuerpflichtigen und damit Steuerschuldners einer „Mehrwertsteuergruppe“ in Frage stand – wir verweisen hier auf unseren Artikel zu den jüngsten Entwicklungen zur sog. Mehrwertsteuergruppe – wurden mit Blick auf die enormen fiskalischen Auswirkungen in Deutschland, die potentiellen Rückabwicklungsfälle in der Praxis und diesbezügliche Rechtsunsicherheit bereits jegliche Urteilszenarien in Erwägung gezogen. Die Span­nung wurde noch durch die im Januar 2022 veröffentlichten Schlussanträge der Generalanwältin Medina verstärkt, die sehr klar eine Neuregelung des nationalen deutschen Rechts als notwendig ansah und darüber hinaus auch weitere Aspekte der Konsequenzen einer Mehrwertsteuergruppe; etwa dass innerhalb der Gruppe auch steuerbare Innenumsätze vorliegen sollen. 
 
Der EuGH hat nun am 1. Dezember 2022 seine lang erwarteten Entscheidungen in den Rechtssachen C-141/20 (Norddeutsche Diakonie) und C-269/20 (S/FA T) zur Auslegung des Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der Sechsten EG-Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr Art. 11 MwStSystRL, 2006/112/EU) veröffentlicht und hierdurch – mit einer unerwarteten Nuance – völlig unerwartet die umsatzsteuerliche Organschaft auf den Kopf gestellt. Die Urteile haben die deutschen Vorlagefragen des BFH (vgl. vom 7.5.2020, V R 40/19 mit EuGH, Rs. C-269/20 und vom 11.12.2019, XI R 16/18 mit EuGH, Rs. C-141/20) zum Gegenstand, zu denen der EuGH wie folgt Stellung genom­men hat: 
 

Mehrwertsteuergruppe versus deutsche Begrifflichkeit der umsatzsteuerlichen Organschaft?

Der BFH hat dem EuGH konkret folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (vgl. vom 7.5.2020, V R 40/19 mit EuGH, Rs. C-269/20 und vom 11.12.2019, XI R 16/18 mit EuGH, Rs. C-141/20): Ist Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der Sechsten EG-Richtlinie (nunmehr Art. 11 MwStSystRL) dahingehend auszulegen, dass es einem EU-Mit­glied­staat gestattet ist, anstelle der Mehrwertsteuergruppe (des Organkreises) ein Mitglied der Mehr­wert­steuer­gruppe (den Organträger) zum Steuerpflichtigen zu bestimmen? Es ging also um die Frage, wer Umsatz­steuer­schuld­ner bzw. Steuerpflichtiger einer Gruppe/eines Organkreises ist, der die Umsatzsteuer zu erklären und abzuführen hat. 
 
Der EuGH hat in seinen beiden Urteilen nun jeweils (fast wortgleich) entschieden, dass Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der Sechsten EG-Richtlinie (nunmehr Art. 11 MwStSystRL) es einem Mitgliedstaat „nicht verwehrt, nicht die Mehrwertsteuergruppe selbst, sondern ein Mitglied dieser Gruppe, nämlich ihren Organträger zum einzigen Steuerpflichtigen für Mehrwertsteuerzwecke zu bestimmen, wenn dieser Organträger in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern dieser Gruppe durchzusetzen, und unter der Voraussetzung, dass diese Bestimmung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt“.
 
Grundsätzlich betrachtet der EuGH die Mehrwertsteuergruppe als solche zwar als den (neuen) Steuer­pflich­ti­gen für Zwecke der Umsatzbesteuerung. Gleichwohl ist laut EuGH die deutsche Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, wonach der aus den bestehenden Gruppenmitgliedern bisher im deutschen (Verfahrens-)Recht vor­ge­se­hene und bestimmte Organträger als einziger Steuerpflichtiger einer umsatzsteuerlichen Organschaft anzu­se­hen ist, nicht unionsrechtswidrig; dies ist positiv und führte im ersten Lesen der Urteile zu Erleichterung. Somit ist der „große Paukenschlag“ mit Blick auf die Rechtsfolgen der umsatzsteuerlichen Organschaft in diesem Punkt ausgeblieben – die deutsche Regelung ist unionsrechtskonform und hinsichtlich der Rechtsfolge „Ein­glie­derung in den Organträger als bestehendem Unternehmen“ kein Reformbedarf angezeigt.
 

Über- und Unterordnungsverhältnis notwendig?

Laut EuGH-Vorlage des BFH XI. Senats (vgl. vom 11.12.2019, XI R 16/18 mit EuGH, Rs. C-141/20 ) war es zudem fraglich, ob es einem EU-Mitgliedstaat wie Deutschland gestattet ist, eine Person als nicht selbstständig anzu­sehen, wenn sie in der Weise finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers (Organträgers) eingegliedert ist, dass der Organträger seinen Willen bei der Person durchsetzen und dadurch eine abweichende Willensbildung bei der Person verhindern kann. Für das nationale Recht ist nämlich für die Annahme einer umsatzsteuerlichen Organschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG – jedenfalls nach Auffassung des V. Senats des BFH und der deutschen Finanzverwaltung in den letzten Jahren – erforderlich, dass ein sog. Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen dem Organträger und der/den Organgesellschaft(en) als „untergeordneter Person“ besteht, während unionsrechtlich eine Mehrwertsteuergruppe nach Art. 11 MwStSystRL bereits bei „enger Verbindung“ (auch damit wohl „gleichrangig“) zwischen den Gruppen­mit­glie­dern entsteht. Unionsrechtlich war damit zweifelhaft, ob man den deutschen Organträger tatsächlich im Rah­men der finanziellen und organisatorischen Eingliederung danach bestimmt, dass ein Unternehmen gegenüber einem anderen/mehreren anderen seinen Willen durchsetzen können muss, also eine Eingliederung mit Durchgriffsrechten erforderlich ist.
 
Der EuGH erwähnt in seinem Urteil in der Rechtssache C-141/20 klar, dass Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der Sechsten EG-Richtlinie (nunmehr Art. 11 MwStSystRL) „einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Möglichkeit einer Einheit, mit dem Unternehmen des Organträgers eine Mehrwertsteuergruppe zu bilden, an die Bedingung knüpft, dass der Organträger zusätzlich zu einer Mehrheitsbeteiligung an dieser Einheit über eine Stimm­rechts­mehr­heit bei ihr verfügt“. Konkret führt der EuGH aus, dass ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Gruppenmitgliedern zwar eine sog. „enge Verbindung“ – wie nach dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der Sechsten EG-Richtlinie (nunmehr Art. 11 MwStSystRL) notwendig – darstellen kann, aber keinesfalls Voraus­set­zung für eine solche enge Verbindung ist. Das im deutschen Recht notwendige Über- und Unter­ord­nungs­ver­hält­nis bzw. insbesondere im Bereich der finanziellen Eingliederung das Merkmal der „Eingliederung mit Durch­griffsrechten“ wäre insoweit unionsrechtswidrig. 
 
Vor allem das Erfordernis der Stimmenmehrheit, das im Rahmen des Erfordernisses der finanziellen Ein­glie­de­rung im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG zusätzlich zu dem Erfordernis der Mehrheitsbeteiligung auf­ge­stellt wird, kann nach Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der Sechsten EG-Richtlinie grundsätzlich nicht verlangt werden und ist als unionsrechtswidrig anzusehen. 
 
Die deutsche Interpretation des Merkmals „Eingliederung“ i.S. eines Über- und Unterordnungsverhältnisses ist unionsrechtlich wohl nicht haltbar, d.h. auch z.B. (nur) Schwestergesellschaften können wohl eine taugliche umsatzsteuerliche Organschaft bilden. Ebenfalls ist der Wegfall der Stimmrechtsmehrheit mit Blick auf den Einbezug von Personengesellschaften, vor allem vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-868/19 – M-GmbH zu begrüßen, wonach Personengesellschaften unabhängig von ihrer Aus­ge­stal­tung, wie z.B. die kapitalistisch strukturierte Personengesellschaft (vgl. hierzu noch Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE) unionsrechtlich als taugliche Organgesellschaften zu werten sind. 
 

Innenumsätze – Leistungserbringungen, Kostenweiterbelastungen und Konzern­um­la­gen – im umsatzsteuerlichen Organkreis? 

Im Rahmen seiner vierten Vorlagefrage wollte der BFH wissen, ob es einem EU-Mitgliedstaat gestattet ist, „Einheiten“ im Wege der Typisierung als nicht selbständig anzusehen, wenn sie finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in den Organträger einer Mehrwertsteuergruppe eingegliedert sind. Hier werden die Aussagen des EuGH etwas kryptisch, scheinen jedoch die deutsche Organschaft als solche fundamental auf den Kopf zu stellen. 
 
Nach Aussage des EuGH sieht Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der Sechsten EG-Richtlinie (nunmehr Art. 11 MwStSystRL) vor, dass Einheiten, die eine Mehrwertsteuergruppe bilden können, durch gegenseitige finanzielle, wirt­schaft­liche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sein müssen. Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der Sechsten EG-Richtlinie (nunmehr Art. 11 MwStSystRL) sieht jedoch nicht vor, dass das Bestehen dieser Be­zie­hungen dazu führt, dass ein Mitglied dieser Gruppe, eine nicht selbständige, wirtschaftliche Tätigkeit ausüben muss. Es soll sich aus der Vorschrift somit nicht ergeben, dass ein Mitglied einer Mehrwertsteuergruppe auf­grund seiner bloßen Zugehörigkeit zu dieser Mehrwertsteuergruppe keine selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 4 UAbs. 1 der Sechsten EG-Richtlinie mehr ausübe.
 
Dies stellt das komplette deutsche Verständnis der umsatzsteuerlichen Organschaft in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in Frage, da die Norm schon rein systematisch im Gesetz als Negativabgrenzung des Tatbestandsmerkmals „Selbständigkeit“ als eine Voraussetzung zur Begründung der (umsatzsteuerlichen) Unternehmereigenschaft bildet. Bislang war es völlig klar, dass die Bildung einer umsatzsteuerlichen Organschaft zum einen zur Ein­glie­derung in das Unternehmen des Organträgers und zum anderen – und damit denklogisch einhergehend – zum Verlust der Selbständigkeit der eingegliederten Organgesellschaft im Sinne der umsatzsteuerlichen Unter­neh­mereigenschaft im Hinblick auf die Steuerschuldnerschaft führt (auch verfahrensrechtlich, wer aus dem Organkreis/aus der Mehrwertsteuergruppe mit einem Umsatzsteuersignal bei der Finanzbehörde erfasst wird). 
 
Der EuGH schreibt nun explizit, dass jedes Gruppenmitglied, trotz Einbezug in eine Mehrwertsteuergruppe, zusätzlich zu prüfen habe, ob es weiterhin selbständig tätig ist, d.h. ob das Gruppenmitglied seine Tätigkeiten im eigenen Namen, auf eigene Rechnung, auf eigenes wirtschaftliches Risiko und in eigener Verantwortung ausübt. Diese Kriterien sind aus einer anderen EuGH-Rechtsprechung zu einer natürlichen Person als Auf­sichts­ratsmitglied (Rechtssache IO) und damit Einordnung als Unternehmer oder eben als Nichtunternehmer herangezogen. 
 
Die eindeutigen Kriterien „im eigenen Namen, auf eigene Rechnung“, „auf eigenes wirtschaftliches Risiko“ bedeuten u.E. aber nicht im Rückschluss, dass dann doch Fälle der Unselbständigkeit bestünden, wenn gerade etwa ein Über-/Unterordnungsverhältnis gegeben wäre. Denn auch heute schon in bestehender Auffassung der Finanzverwaltung und des BFH – des V. Senats und XI. Senats – ist bei dem „Verlieren der Selbständigkeit“ als Rechtsfolge einer Organgesellschaft im Organkreis immer noch per se von einem Handeln im eigenen Namen auf eigene Rechnung der Organgesellschaften nach außen hin auszugehen. An diesem Verständnis hat sich nichts geändert für den Eigenhandel einer Organgesellschaft, auch wenn sie bisher dem Organträger unter­geordnet war und damit umsatzsteuerlich „unselbständig“ galt. 
 
Sofern ein Mitglied der Mehrwertsteuergruppe nach separater und zusätzlicher Prüfung des Merkmals der „Selbständigkeit“ noch selbständig handelt, können die von diesem Mitglied erbrachten Leistungen der Mehrwertsteuer unterliegen. 
 
Damit fällt es für die Praxis schwer, sich Fälle vorzustellen, in denen eine solche Unselbständigkeit vorliegen soll, wie sie der EuGH nun gegebenenfalls in manchen Ausnahmefällen noch sehen könnte; grundsätzlich sieht er wohl die Selbständigkeit der Organgesellschaften im Organkreis. Und das ist ganz klar ein Knall für die deutsche Auffassung – der vom Ergebnis zu dem führt, was die Generalanwältin Medina in ihren Schluss­an­trä­gen aufgeworfen hat: Steuerbare Umsätze (grundsätzlich bei Entgeltlichkeit) innerhalb des Organkreises/der Mehrwertsteuergruppe und eben keine nicht steuerbaren Innenumsätze. 
 
Es wird also wohl unterschieden zwischen diejenigen Mitgliedern einer Mehrwertsteuergruppe, die zu einer Unternehmereinheit verschmelzen, die letztlich zu sog. nicht steuerbaren Innenumsätzen zwischen den Grup­pen­mit­gliedern innerhalb der Organschaft führt und zwischen denjenigen Mitgliedern einer Mehr­wert­steu­er­gruppe, die noch selbständig tätig sind und deren Leistungen wohl der Umsatzsteuer unterliegen. Die letzteren Mitgliedern partizipieren von der Mehrwertsteuergruppe dann nur mit Blick auf verfahrensrechtliche Ver­ein­fachungen, z.B. bei Abgabe von Umsatzsteuererklärungen. Die Organschaft würde hier auf einen rein ad­mi­nis­trativen Konsolidierungskreis eingeschränkt. 
 

Auswirkungen und Hinweise für die Praxis

Das Urteil des EuGH der Rechtssache C-141/20 ist mit Blick auf die Vorlagefragen differenziert zu bewerten: Während die Antwort des EuGH auf Vorlagefrage eins als Erleichterung für die deutsche Praxis, Recht­spre­chung und Finanzverwaltung, auch den Gesetzgeber zu sehen ist und hier auf der Rechtsfolgenseite Klarheit geschaffen hat, ergibt sich nun mit den Antworten auf die Vorlagefragen drei und vier des BFH fundamentaler Änderungsbedarf: 
 
Mit Blick auf die Unionsrechtswidrigkeit des Über- und Unterordnungsverhältnisses und hier besonders des Erfordernis einer Stimmrechtsmehrheit im Rahmen der finanziellen Eingliederung sind bereits bestehende Organkreise auf ihre Struktur hinsichtlich Anteils- und Stimmrechtsmehrheiten genau zu beurteilen. Bei fehlender Parität zwischen Anteils- und Stimmrechtsmehrheit kann es zu einem Ausscheiden bzw. Einbezug weiterer Organgesellschaften in den Organkreis kommen. Ein genaues Monitoring der Organ-Struktur ist heute empfehlenswert; auf ggf. „vorbeugend“ gesellschaftsrechtliche Anpassungen wäre zum gegenwärtigen Zeit­punkt wohl noch verzichtbar – da die Finanzverwaltung, sollte sie dieser Rechtsprechung des EuGH folgen, sicher/hoffentlich Übergangsregelungen vorsehen wird für die noch offenen Fälle und Veranlagungen. Je­den­falls sollten bei derzeit – aufgrund explizit z.B. zur Vermeidung einer Organschaft aufgesetzter Struktur – noch nicht bestehenden Organkreisen im Rahmen von Konzernverbünden Anteils- und Stimmrechtsmehrheiten gesichtet werden, um frühzeitig Handlungsbedarf zu erkennen. 
 
Mit Blick auf die o.g. fundamentalen Änderungen im Verständnis der umsatzsteuerlichen Organschaft in Vor­la­ge­frage vier empfehlen wir derzeit noch die erste Einschätzung des BFH abzuwarten, der das Urteil des EuGH entsprechend umzusetzen hat. Eine erneute Vorlage an den EuGH ist perspektivisch wohl zu erwarten, da die oben erwähnte Differenzierung, die man aus den Passagen des Urteils herauslesen mag, nicht klar sind – also ob es nur einen reinen Konsolidierungskreis gibt als Konsequenz der Organschaft oder daneben noch einen solchen, in dem nicht steuerbare Innenumsätze bestehen können. Letzteres machte bisher gerade den wirt­schaftlichen Gehalt des Konstrukts der umsatzsteuerlichen Organschaft aus, da vor allem bei nicht/teils nicht vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen, die also unecht steuerbefreite Ausgangsumsätze erbringen (etwa Banken und Finanzdienstleister, Immobilienunternehmen, Krankenhäuser uvm.), in einem Konzernverbund deren Umlagen nicht mit Vorsteuer belastet sind, da Eingangs(innen-)umsätze bisher in Deutschland als nicht steuerbar gelten. 
 
Gleichwohl wären auch schon heute in der Praxis in Branchen, in denen ein Vorsteuerabzug bei angenommener selbständiger Erbringung steuerbarer Innenumsätze nicht möglich wäre, vorsorglich Organgesellschaften auf ihre umsatzsteuerliche Selbständigkeit hin zu prüfen. Eine Selbständigkeit i.S.d. Rechtsprechung des EuGH könnte argumentierbar u.a. in bestimmten Kommissionsstrukturen, aber auch bei Abschluss von Gewinn- und Beherrschungsverträgen wohl weniger gegeben sein. Somit wären nach einer genauen Analyse der möglichen Auswirkungen (u.a. unter Einbezug von Umsatzsteuer- und Vorsteuer in der Gruppe) einzelfallspezifische um­satz­steuerliche bzw. gesellschaftsrechtliche Anpassungen vorzunehmen; jedoch abschätzbar und vor­her­seh­bar, ob so etwas und wie weit vorantizipierend so etwas vorzubereiten ist, ist dies derzeit keinesfalls. 
 
Wir empfehlen den Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten bereits heute grob vor­beu­gend zu eruieren, vor allem im Hinblick auf die Umlagen/Weiterbelastungen von Kosten im Konzern­ver­bund/ Organkreis und Leistungsbeziehungen, bei Check, welche Ergebnisse (z.B. bei Umsatzsteuer-Zahllasten) in der Vergangenheit bestanden haben, um sich ein Bild betragsmäßig zu verschaffen. Klar muss der BFH nun diesen Fall in Nachfolgeentscheidung zum EuGH beurteilen; dies müssen wir abwarten, auch wie in Nachfolge das BMF und der Gesetzgeber reagieren wird. Denn würde tatsächlich nur ein Konsolidierungskreis bestehen bleiben, wäre das seit langem bestehende Plädoyer für ein Antrags-/Feststellungsverfahren, wann man noch die umsatzsteuerliche Organschaft überhaupt „will“, immens verstärkt.
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