OLG Hamburg: Schutz fiktiver Romanfiguren trotz Erkennbarkeit realer Vorbilder

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 9. April​ 2025 | Lesedauer ca. 4 Minuten​
 

Die bloße Erkennbarkeit eines Betroffenen als Vorbild einer fiktiven Figur in einem Roman stellt per se keine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts dar. Vielmehr bedarf es einer Abwägung mit der Kunstfreiheit, bei der die Schwere der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Grad der Fiktionalisierung zu berücksichtigen sind. Dies entschied das OLG Hamburg im Eilverfahren mit Beschluss vom 18.3.2025 (Az. 7 W 23/25).​

Berliner Galerist wehrt sich gegen Roman „Innerstädtischer Tod“

In dem zugrundeliegenden Fall ging es um den Roman „Innerstädtischer Tod“ von Christoph Peters. Das Buch handelt u. a. von zwei Galeristen „Konrad Raspe“ und „Eva-Kristin Raspe“, deren Galerie sich in einer ehemaligen Kirche in Berlin befindet.

Das Galeristen-Ehepaar König nahm den Verlag, bei dem der Roman erschien, auf Unterlassung in Anspruch. Sie sind der Ansicht, dass sie erkennbar die realen Vorbilder der Roman-Galeristen seien und durch die Darstellung im Roman ihre Persönlichkeitsrechte verletzt würden.


Kunstfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht​

Der Roman wird als Werk der Literatur von der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geschützt. Dieses Grundrecht stehe vorliegend in einem Spannungsverhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Betroffenen, so das OLG Hamburg.

Eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrecht durch ein Kunstwerk komme überhaupt nur in Betracht, wenn der Betroffene in diesem Werk erkennbar sei. Daran bestünden vorliegend keine Zweifel. Die Königs betreiben ihre Galerie in einer ehemaligen Kirche in Berlin und gegen Herrn König hat es in der Presse Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe gegeben. Da dies der Darstellung im Roman entspreche sowie die Galeristen sowohl in der fiktiven als auch in der realen Galerie dieselben drei Kunstwerke besäßen, sei eine Erkennbarkeit gegeben.

Die bloße Erkennbarkeit eines Betroffenen als Vorbild einer fiktiven Figur führe jedoch nicht stets zu einer Persönlichkeitsrechtsverletzung („Esra“-Entscheidung des BVerfG, 1 BvR 1783/05). Es müsse im Einzelfall geprüft werden, ob eine Beeinträchtigung vorliege, die so schwerwiegend sei, dass die Kunstfreiheit zurückzutreten habe.

Die Kunstfreiheit umfasse auch das Recht, reale Personen als Inspiration für fiktive Figuren zu nutzen. Eine Einschränkung dieser Freiheit sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Darstellung der fiktiven Figur die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person in erheblichem Maße beeinträchtige. Maßgeblich sei dabei, in welchem Maß der Leser den Romaninhalt auf die wirkliche Person beziehe und wie intensiv die Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung in diesem Fall sei. 

Dass das Werk vorliegend keinen Anspruch erhebe, ausschließlich reale Fakten darzustellen, ergebe sich schon an der Bezeichnung als „Roman“. Auch durch den dort vorangestellten Disclaimer, das Werk verbinde tatsächliche Vorkommnisse mit künstlerisch gestalteten, fiktiven Schilderungen, werde dem Leser vermittelt, dass nicht nur Fakten geschildert würden. Insbesondere die Gesamtanmutung des Romans führe aber zu diesem Verständnis: In dem Roman träten mehrere Charaktere auf, die unterschiedlich miteinander verflochten seien, wobei ständig zwischen Perspektive, Weltansicht und Tonfall zahlreicher Haupt- und Nebenfiguren gewechselt werde. Auch werde der Roman nicht ausschließlich aus Sicht eines Ich-Erzählers geschildert.

Bestimmte Kunstformen, wie der Roman oder das Theaterstück, würden häufig an die Realität anknüpfen, davon ausgehend aber eine neue ästhetische Wirklichkeit schaffen. Ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweise, sei zunächst einmal als Fiktion anzusehen, das keinen „Faktizitätsanspruch“ erhebe. Diese Vermutung für die Fiktionalität eines Romans gelte auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Vorbilder erkennbar seien.

Zu beachten sei auch die Wechselwirkung zwischen künstlerischer Schaffung einer Fiktion und Persönlichkeitsrechtsverletzung. Je stärker der Autor eine Romanfigur von ihrem Urbild löse und zu einer Kunstfigur verselbstständige, umso mehr werde ihm eine „kunstspezifische Betrachtung“ zugutekommen. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen würden, desto schwerer wiege hingegen die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts.
Vorliegend gebe es neben den Merkmalen, die zu einer Erkennbarkeit der realen Vorbilder führe, auch einige Aspekte, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen würden.

So sei die im Roman geschilderte Affaire der Galeristin mit einem Künstler erkennbar fiktiv, da der Künstler eine (erkennbar) fiktive Figur sei. Hinsichtlich der im Roman geschilderten Vorwürfe sexueller Übergriffe durch den Galeristen bleibe im Roman letztlich offen, ob und wieweit diese tatsächlich begründet seien. Insgesamt würden die möglichen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Königs deshalb nicht den Schutz der Kunstfreiheit überwiegen.

​Stärkung der Kunstfreiheit im Eilverfahren

Die Entscheidung des OLG Hamburg stärkt die Stellung von Autoren, sei es von Romanen, von Theaterskripten oder von Drehbüchern. Sie zeigt, dass für diese Künstler Spielraum besteht, reale Personen als Inspiration für ihre Werke zu nutzen, wenn sie diese ausreichend in ein fiktives, künstlerisches Geschehen einbetten. Dies gilt jedoch nur, solange die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen nicht unangemessen beeinträchtigt werden.

Da es sich bei der Entscheidung des OLG Hamburg um einen Beschluss im Rahmen eines Eilverfahrens handelt, besteht die Möglichkeit, den Streit im Hauptsacheverfahren entscheiden zu lassen. Der Klägervertreter erwägt es mit der Begründung, ein jahrelanges Hauptsacheverfahren sei unzumutbar, sogar, direkt vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Eine endgültige Entscheidung bleibt deshalb abzuwarten.​

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