Wegzug von Kapitalgesellschaften: Steuerliche Risiken der Gesellschaft

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veröffentlicht am 12. August 2020 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Eine Kapitalgesellschaft ist in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wenn sie ihren Satzungssitz (§ 11 AO) und/oder ihren Ort der Geschäfts­leitung (§ 10 AO) im Inland hat (§ 1 Abs. 1 KStG). Für einen steuerlichen Wegzug wird vorausgesetzt, dass beide An­knüpf­ungs­punkte in Deutsch­land aufgegeben werden. In allen Fällen droht den Steuer­pflichtigen häufig eine (teils) erhebliche Schluss­­be­steue­rung nicht realisierter Vermögens­zuwächse (stiller Reserven) ohne entsprechenden Liquiditäts­zufluss.



Verlegung Satzungssitz

Der Satzungssitz einer Kapitalgesellschaft ist der Ort, den die Satzung der Gesellschaft bestimmt. Er muss im Inland liegen (§ 4a GmbHG bzw. § 5 AktG) und kann nach geltendem deutschen Gesellschaftsrecht weder bei der Gründung noch zu einem späteren Zeitpunkt rechtsformwahrend ins Ausland verlegt werden. Das würde stets zu einer meist nicht gewünschten Auflösung und anschließenden Neugründung der Körper­schaft im Ausland führen. In der Praxis nimmt die Verlegung des Satzungs­sitzes daher eine geringere Bedeutung ein.


Verlegung Ort der Geschäftsleitung

Eine höhere Relevanz in der Praxis hat die Verlegung des Ortes der Geschäfts­leitung/des Verwaltungs­sitzes.

Die deutsche Finanzverwaltung nimmt regelmäßig an, dass sich der Ort der Geschäftsleitung dort befindet, von wo aus die Geschäfts­führung ihrer Tätigkeit nachkommt. Das können sowohl Büroräumlichkeiten sein als auch die Wohnräume des Geschäfts­führers. Durch die Anknüpfung an den Tätigkeitsort der Geschäftsführung kann es zu Verwerfungen zwischen dem offiziellen/angenommenen und dem tatsächlichen Geschäftsleitungsort kommen.


Steuerliche Entstrickung bei Überführung von Wirtschaftsgütern

Allerdings sind unter dem Schlagwort „Wegzug einer Gesellschaft” oftmals weniger die Verlegung des Satz­ungs­sitzes oder des Ortes der Geschäftsleitung zu verstehen, sondern vielmehr der Verlust des Besteuerungs­rechtes für das Vermögen einer Gesellschaft.

§ 4 Abs. 1 S. 3 EStG und § 12 KStG enthalten schon lange Zeit Regelungen zur sog. Entstrickung von Wirt­schaftsgütern. Mit zunehmender Digitalisierung und Flexibilisierung von Geschäftsmodellen, steigt der Stellenwert der Norm zunehmend.

Sind Wirtschaftsgüter dem Betriebsvermögen einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft zugeordnet, kann der Gewinn aus der Veräußerung der Wirtschaftsgüter vollumfänglich in Deutschland besteuert werden. Ist das Wirtschaftsgut jedoch nicht mehr einem deutschen Betriebsvermögen zuordenbar, unterliegt auch der Gewinn aus der Veräußerung nicht mehr der deutschen Besteuerung. Kommt es daher zu einer Änderung der Zuord­nung der Wirtschaftsgüter zur inländischen Betriebsstätte, erfolgt grundsätzlich eine sog. Exitbe­steuerung. D.h., in der Höhe der sog. stillen Reserven (Differenz zw. Verkehrswert und Buchwert) der Wirtschaftsgüter entsteht der Gesellschaft ein Gewinn, der grundsätzlich der laufenden Besteuerung unterliegt. In der Praxis gewinnen die Regelungen zunehmend an Relevanz.

Das gilt weniger für klassische Produktions­stätten. Mit Verlegung des Verwaltungssitzes (Ort der Geschäfts­leitung) aus Deutschland heraus, lassen produzierende Gesellschaften meist ihre deutschen Fertigungsstätten weiterhin im Inland. Damit begründen sie inländische Betriebsstätten, denen ein Gros der Wirtschaftsgüter wie Produktionsanlagen weiterhin zuordenbar sind. Jedoch kann es auch zu einer Entstrickung von Wirtschafts­gütern kommen, wenn etwa eine Abteilung für Forschung und Entwicklung ins Ausland verlagert wird.

Von deutlich höherer Relevanz sind die Vorschriften für Dienstleistungsunternehmen, deren Leistungen per se oftmals mobil und weltweit erbracht werden können. Der Wert der Unternehmen setzt sich zudem oftmals aus sog. immateriellen Wirtschaftsgütern (Kundenstamm, Software, gewerbliche Schutzrechte, Knowhow u.ä.) zusammen. Mit Verlegung der Tätigkeit bleibt im Inland oftmals kein Nexus zurück, dem die immateriellen Wirtschaftsgüter zugeordnet werden können. Es kommt zur Entstrickung.

Auch für Holdinggesellschaften sind die Regelungen zur Entstrickung/zum Wegzug von hoher Bedeutung. Das klassische Halten und Verwalten von Beteiligungen erfordert i.d.R. keinen wesentlichen Geschäftsbetrieb. Ändert sich die Geschäftsleitung insofern, als dass ein ausländischer Geschäftsführer ernannt wird, der nicht in Deutschland tätig ist oder erfolgt die tatsächliche Steuerung der Beteiligungen nicht aus Deutschland heraus, kommt es zu einer geänderten Zuordnung der Beteiligungen und somit zur Entstrickung.

Gerade bei immateriellen Wirtschaftsgütern und Beteiligungen ist daher eine räumliche Änderung der Personal­funktion über die Grenze stets auch unter dem Weg­zugs­gedanken zu untersuchen.


Wegzug innerhalb der EU vs. Wegzug in einen Drittstaat

Werden einzelne Wirtschaftsgüter vom inländischen Stammhaus in eine eigene ausländische EU-Betriebs­stätte verlagert, besteht die Möglichkeit, für die daraus resultierende Gewinnrealisierung (§ 4 Abs. 1 S. 3 EStG) gem. § 4g EStG einen Ausgleichs­posten zu bilden. Der wird die nächsten fünf Jahre aufgelöst, d.h. es wird ein Gewinnaufschub auf fünf Jahre gewährt.

Aktuell gilt das nur für unbeschränkt Steuerpflichtige und bei einer geänderten Zuordnung von einzelnen Wirtschaftsgütern zu einer eigenen ausländischen EU-Betriebs­stätte. Gemäß des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der europäischen ATAD-Richtlinie, soll jedoch die Anwendung des § 4g EStG für beschränkt Steuerpflichtige und auf EWR-Staaten ausgeweitet werden. Auch nach Inkrafttreten der Neu­regelung besteht jedoch weiterhin keine Möglichkeit eines Gewinnaufschubs für die Verlagerung von Wirt­schafts­gütern in einen Drittstaat.


Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung einer ausländischen Kapitalgesellschaft

Verlegt eine nach Drittstaatenrecht gegründete Kapitalgesellschaft (d.h. ausländischer Satzungssitz) ihren Ort der Geschäftsleitung aus Deutschland heraus in einen Drittstaat, führt das auf Gesellschafts­ebene zu einer Exit-Besteuerung gem. § 12 Abs. 3 KStG, sofern sie in keinem weiteren EU-Staat unbeschränkt steuerpflichtig ist. Sie scheidet aus der unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland und in der EU aus. Dafür kann es von Bedeutung sein, in welchem Land die ausländische Kapital­gesellschaft ihren Satzungs­sitz hat. Befindet sich der Satzungssitz in einem EU-/EWR-Staat, kann das eine unbeschränkte Körper­schaft­steuer­pflicht in einem EU-/EWR-Staat begründen und eine Exit-Besteuerung gem. § 12 Abs. 3 KStG unterbleibt. Bestimmt die Satzung der ausländischen Kapitalgesellschaft dagegen den Sitz der Körperschaft in einem Drittstaat, ist die Voraus­setzung nicht mehr erfüllt. Die Folge ist, dass die gesamten stillen Reserven des gesamten Betriebs­vermögens gem. § 11 KStG aufgedeckt und besteuert werden. Dabei ist unerheblich, ob alle oder einzelne Wirtschaftsgüter nach der Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung in einer deutschen Betriebsstätte steuerverstrickt bleiben oder nicht. Die Zuordnung der Wirtschaftsgüter ist aus dem Grund irrelevant, d.h. unabhängig davon, ob es sich um eine Holding-Gesellschaft handelt, ein Produktions­unternehmen weiterhin Fertigungs­stätten in Deutschland betreibt oder ein Dienst­leistungs­unternehmen sein gesamtes mobiles Betriebsvermögen mit ins Ausland nimmt, erfolgt eine Besteuerung der stillen Reserven des Betriebsvermögens in voller Höhe mit Körperschaft­steuer.


Fazit

Der Wegzug der Gesellschaft manifestiert sich nicht immer als der formale Wegzug. Vielfach erfolgt ein (teilweiser) Wegzug durch die Verlegung von Funktionen. Gerade der Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung sollte bei der unternehmerischen Tätigkeit die größte Aufmerksamkeit geschenkt werden, da sie nicht nur üblicher ist, sondern auch unbewusst erfolgen kann.

Die daraus resultierenden steuerlichen Konsequenzen müssen dahingehend differenziert werden, ob der Wegzug in einen EU-/EWR-Staat oder in einen Drittstaat erfolgt. Innerhalb der Unterscheidungen müssen jedoch weitere zahlreiche Faktoren für eine korrekte steuerliche Behandlung berücksichtigt werden. Dabei spielen v.a. Wirtschaftsgüter mit hohen stillen Reserven (z.B. Beteiligungen) im Betriebsvermögen eine wichtige Rolle, da sie eine eventuelle hohe Schlussbesteuerung ohne Liquiditätszufluss zur Folge haben. Bei Wegzug einer Kapitalgesellschaft innerhalb der EU-/EWR-Staaten kommt der Zuordnung der Wirtschaftsgüter zur inländischen Betriebsstätte oder zum ausländischen Stammhaus erhebliche Bedeutung zu.

Aus den Gründen ist es notwendig, vor dem steuerlichen Wegzug einer Kapitalgesellschaft die Rahmenbe­dingungen des Unternehmens genau zu erfassen und auf dieser Basis eine umfangreiche und ausführliche Planung vorzunehmen.

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