Whistleblowing in Italien

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veröffentlicht am 28. Juni 2022 | Lesedauer ca. 5 Minuten

 

  1. Wie ist der Stand der Umsetzung? »
  2. Welche gesetzlichen Grundlagen gelten aktuell? »
  3. Welche Rolle kommt dem Betriebsrat zu? »
  4. Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine Meldung abzugeben oder liegt es in seinem Belieben? »
  5. Muss der Hinweisgeber schon heute vorrangig firmenintern nach Abhilfe suchen? »
  6. Wann hat der Hinweisgeber selbst mit Sanktionen zu rechnen oder ist dieser generell geschützt? »
  7. Wie muss sich der Arbeitgeber gegenüber dem Verdächtigen verhalten? »
  8. Gibt es bereits die Pflicht ein Hinweisgebersystem und externe Meldebehörden ein­zu­richten? »

    

1. Wie ist der Stand der Umsetzung?

Wie bekannt ist, mussten die EU-Mitgliedstaaten bis zum 17. Dezember 2021 die Richtlinie (EU) 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das EU-Recht melden (sog. „Whistleblowing-Richtlinie”), umsetzen. Bislang hat Italien die gegenständliche Richtlinie jedoch nicht umgesetzt: Die Delegierung zur Umsetzung der Richtlinie, welche der Regierung durch das Gesetz Nr. 53 vom 22. April 2021 erteilt wurde, ist im vergangenen August abgelaufen, ohne dass die Regierung die entsprechenden Rechtsvorschriften erlassen hat. Das Vorsehen einer neuen (und analogen) Delegierung für die Regierung wurde in einen kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf aufgenommen, der vom Parlament noch nicht endgültig verabschiedet worden ist.

 

2. Welche Gesetzlichen Grundlagen gelten aktuell?

Im privaten Sektor wird Whistleblowing derzeit durch das Gesetz Nr. 179/2017 geregelt, mit dem Artikel 6 des Gesetzesdekrets Nr. 231/01 abgeändert wurde.
Mit diesem Artikel wurden spezifische Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern in Bezug auf Straftaten oder Unregelmäßigkeiten eingeführt, wobei der bereits im öffentlichen Sektor (durch das Gesetz Nr. 190/2012) vorgesehene Schutz von Hinweisgebern auch auf den privaten Sektor ausgedehnt wurde.
Die Schutzformen, die für den privaten Sektor vorgesehen sind, sind nun im Wesentlichen analog zu denen für Angestellte des öffentlichen Dienstes, aber die Aufnahme der Whistleblowing-Disziplin für den privaten Sektor in das Gesetzesdekret Nr. 231/2001 hat jedoch zur Folge, dass die Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern nur für Einrichtungen und Organisationen mit einem sog. Organisations-, Management- und Kontrollmodell gelten. 
Die Umsetzung des genannten Modells – zur Verhinderung der Begehung bestimmter Straftaten, die als „Vortaten” bezeichnet werden – ist derzeit fakultativ: Nur für den Fall, dass ein Unternehmen beschließt, solch ein Modell umzusetzen, muss es notwendigerweise ein angemessenes Whistleblowing-System einführen, dies einschließlich eines entsprechenden Hinweisgeberschutzes, der in dem betreffenden Modell vorgesehen und spezifiziert werden muss.

  

3. Welche Rolle kommt dem Betriebsrat zu?

Der „Betriebsrat” entspricht in Italien den „Rappresentanze Sindacali Unitarie” („RSU”, die von allen Arbeitnehmern des Unternehmens gewählt werden) und den „Rappresentanze Sindacali Aziendali” („RSA”, die von den einer bestimmten Gewerkschaftsorganisation zugehörigen Arbeitnehmern gewählt werden). RSUs und RSAs sind zwei gewerkschaftliche Vertretungsorgane für Arbeitnehmer im öffentlichen und privaten Sektor. Trotz ihres umfangreichen Rechte- und Aufgabenkatalogs sind derzeit keine Funktionen in Bezug auf Whistleblowing vorgesehen. 
 
Nach der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1937 ist es jedoch sehr wahrscheinlich, dass diesen Gewerkschaftsvertretern formell eine Rolle und ein entsprechender Schutz zuerkannt wird, zumindest um Hinweisgebern die Meldungserstattung zu erleichtern.

 

4. Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine Meldung abzugeben oder liegt es in seinem Belieben?

Nur öffentliche Bedienstete (Beamte und Personen, die im öffentlichen Dienst zuständig sind) sind – bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen – aufgrund der kombinierten Bestimmungen von Artikel 331 der italienischen Strafprozessordnung und der Artikel 361 und 362 des italienischen Strafgesetzbuchs tatsächlich verpflichtet, unverzüglich eine Anzeige/Mitteilung zu erstatten.
 
Für Arbeitnehmer im privaten Sektor gibt es formal keine solche Verpflichtung. Nach Ansicht vieler Autoren ist jedoch die allgemeine Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber nicht zu vergessen, aus der sich – durch Auslegung – eine Pflicht des Arbeitnehmers zu loyalem Verhalten und damit auch zur Meldung von Missständen ergibt, von denen er bei der Ausübung seiner Tätigkeit Kenntnis erlangt hat.
 

5. Muss der Hinweisgeber schon heute vorrangig firmenintern nach Abhilfe suchen?

Das Gesetz legt nicht ausdrücklich fest, ob der Hinweisgeber zunächst die vom Unternehmen möglicherweise zur Verfügung gestellten Meldekanäle nutzen muss oder nicht.
 
In jüngster Zeit gab es jedoch eine Reihe von Gerichtsurteilen, in denen die Anwendbarkeit des in den geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Schutzes zugunsten des Hinweisgebers mit der Begründung verneint wurde, dass die Meldung nicht ordnungsgemäß über die internen Meldekanäle des Unternehmens, sondern durch eine direkte Meldung an die Justizbehörden sowie an die Massenmedien erfolgt war.

 

6. Wann hat der Hinweisgeber selbst mit Sanktionen zu rechnen oder ist dieser generell geschützt?

Aktuell ist der Hinweisgeber nicht immer generell durch die Schutzmaßnahmen der Rechtsordnung geschützt.
Damit diese Schutzmaßnahmen (Garantien für die Vertraulichkeit seiner Identität und Verbot von Vergeltungsmaßnahmen ihm gegenüber) anwendbar sind, ist es insbesondere erforderlich, dass: 
  • die von einer Whistleblowing-Meldung betroffene Einrichtung oder Organisation freiwillig ein Organisations-, Verwaltungs- und Kontrollmodell gemäß dem Gesetzesdekret Nr. 231/2001 umgesetzt hat;
  • die Meldung nicht aus offensichtlichen persönlichen Zwecken erstattet wurde, sondern um die Integrität der Einrichtung zu schützen;
  • die Meldung die sog. „Vortaten”, die in Abschnitt III des Gesetzesdekrets Nr. 231/2001 aufgeführt sind, betrifft;
  • die Meldung gut begründet ist, d. h. sich auf präzise und übereinstimmende Fakten stützt, die ausreichen, um die erforderlichen Überprüfungen und Kontrollen durchzuführen, die Gültigkeit der gemeldeten Umstände zu überprüfen und die Urheber der rechtswidrigen Handlungen zu ermitteln; 
  • der Hinweisgeber von den gemeldeten Tatsachen „aufgrund der ausgeübten Funktion” Kenntnis erlangt hat, d. h. diese Tatsachen müssen dem Hinweisgeber unmittelbar bekannt geworden sein und dürfen nicht allgemein berichtet oder von anderen Personen an ihn herangetragen worden sein;
  • der Hinweisgeber für seine Meldung einen der von der betreffenden Einrichtung oder Organisation zur Verfügung gestellten Meldekanäle genutzt hat, die im Modell ausführlich angegeben sind.
 
Darüber hinaus sehen die aktuell geltenden Vorschriften vor, dass das Modell ein „Disziplinarsystem” enthalten muss, das Sanktionen gegen Hinweisgeber vorsieht, welche vorsätzlich oder grob fahrlässig Meldungen erstatten, die sich als unbegründet erweisen.
 
Diese Bestimmung steht bereits im Einklang mit Artikel 23 Absatz 2 der „Whistleblowing-Richtlinie”, wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen müssen, die „wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen” gegenüber Hinweisgeber vorsehen, die „wissentlich falsche Informationen gemeldet oder offengelegt haben”.

 

7. Wie muss sich der Arbeitgeber gegenüber dem Verdächtigen verhalten?

Sobald das Subjekt, welches für den Erhalt der Meldungen zuständig ist (in KMUs könnte dies auch der Arbeitgeber sein), eine Meldung erhalten hat, hat dieses unter Beachtung der Grundsätze der Vertraulichkeit und Unparteilichkeit alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Angaben des Arbeitnehmers zu überprüfen und festzustellen, ob sie der Wahrheit entsprechen oder nicht. Unter Ausschluss jeglichen Interessenkonflikts und unter Zuhilfenahme von Zeugenaussagen innerhalb oder außerhalb der Organisation sowie der Unterstützung durch verschiedenen Kontrollorgane beurteilt der Empfänger, welcher die Meldung entgegennimmt, das Vorliegen des vom Hinweisgeber angegebenen Verstoßes. 
 
Erweist sich die Meldung als begründet, ergreift der Empfänger der Meldung nicht nur alle nützlichen und notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Organisation und ihrer Mitarbeiter, sondern erstattet auch Anzeige bei der zuständigen Justizbehörde (falls erforderlich) und teilt dem Personalleiter oder dem Leiter des Bereichs, dem die für den Verstoß verantwortliche Person angehört, das Ergebnis der durchgeführten Kontrolle mit, so dass das erforderliche Disziplinarverfahren gegen Letztere eingeleitet werden kann, welches auch zur Entlassung aus wichtigem Grund führen könnte.

  

8. Gibt es bereits die Pflicht ein Hinweisgebersystem und externe Meldebehörden ein­zu­richten?

Wie unter Punkt 2 beschrieben, hat nur im Falle, dass ein Einrichtung (fakultativ) beschließt, ein Organisations-, Verwaltungs- und Kontrollmodell gemäß dem Gesetzesdekret Nr. 231/2001 einzuführen, notwendigerweise ein angemessenes Whistleblowing-System vorsehen zu werden und daher im Rahmen dieses Modells Folgendes einführt zu werden: einen oder mehrere Meldekanäle, die es Geschäftsführern, Leitenden Angestellten und Arbeitnehmern ermöglichen, unter Wahrung der Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers detaillierte Meldungen über rechtswidrige, gemäß dem Gesetzesdekret Nr. 231/2001 relevante und auf genauen und kohärenten Tatsachen beruhende Verhalten oder über Verstöße gegen das Organisationsmodell des Unternehmens, von denen sie aufgrund ihrer Funktionen Kenntnis erlangt haben, zu erstatten. 
 
Es muss mindestens ein Meldekanal vorhanden sein, der geeignet ist, die Vertraulichkeit der Hinweisgeberidentität durch informatische Modalitäten zu gewährleisten. 
 
Andererseits gibt es jedoch keine spezifische Bestimmung darüber, wer der Empfängern der Meldungen zu sein hat: In der Praxis ist es jedoch meist die Aufsichtsstelle („Organismo di Vigilanza”) oder eine anderes spezifisch ausgewähltes Subjekt, Komitat oder Struktur, z. B. der Verantwortliche der Compliance-Funktion; ein Komitat, das sich aus Personen zusammensetzt, die verschiedenen Funktionen angehören (z. B. Rechtsabteilung, Personalabteilung, Innenrevision, Compliance, eine Einrichtung oder eine externe Person mit erwiesener Professionalität), das für die erste Phase der Entgegennahme der Meldung und die Koordinierung mit der Einrichtung zuständig ist; oder in KMUs der Arbeitgeber.
 
Ein privates Unternehmen, das nicht über ein Organisationsmodell gemäß dem Gesetzesdekret Nr. 231/2001 verfügt, ist nicht verpflichtet, Whistleblowing-Kanäle einzurichten; dies schließt jedoch nicht die Möglichkeit aus, dass ein Unternehmen – insbesondere im Hinblick auf ein Konzernprojekt – freiwillig beschließen kann, eigene Whistleblowing-Kanäle einzurichten, dies auch ohne die Anwendung eines Organisationsmodells. 
 
Darüber hinaus sind für bestimmte Sektoren wie den Bankensektor, den Versicherungssektor und den Sektor der Finanzintermediäre spezielle Whistleblowing-Verfahren vorgesehen, die durch weitere Bestimmungen geregelt werden.
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