Neue Regelung bei Streitigkeiten mit ausländischen Gesellschaften – Zuständigkeit italienischer Insolvenzgerichte bei Scheinverlegung des Gesellschaftssitzes ins Ausland

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Von Gennaro Sposato und Giorgia Simonetti, Rödl & Partner Rom
 
Bei der Frage der Zuständigkeit italienischer Gerichte bei Sachverhalten mit Auslandsberührung hat es in Italien einige interessante Neuigkeiten gegeben, die von Unternehmen mit Geschäftsbeziehungen in Italien beachtet werden müssen.
 
Für grenzüberschreitende Streitigkeiten ist kürzlich eine Neuerung im Rahmen der gerichtlichen Zuständigkeit verabschiedet worden. Das am 21. Februar 2014 in Kraft getretene Gesetz Nr. 9 / 2014, das das Gesetzesdekret Nr. 145 / 2013 „Destinazione Italia” (Zielort Italien) umsetzt und verschiedene Maßnahmen zum Gegenstand hat, die die Attraktivität des Standorts Italien erhöhen sollen, bestimmt bei Streitigkeiten, bei welchen eine der Parteien eine ausländische Gesellschaft jedweder Art ist, die ausschließliche Zuständigkeit der Handelsgerichte (Tribunali per le Imprese) in den Städten Bari, Bozen, Cagliari, Catania, Genua, Mailand, Trient, Neapel, Rom, Turin und Venedig.
 
Diese neue ausschließliche Zuständigkeit, die seit dem 22. Februar 2014 gilt, betrifft aber nur Streitigkeiten über Marken- und Patentrechte, Wettbewerbs- und Kartellrechte, öffentliche Vergaberechte sowie gesellschaftsrechtliche Sachverhalte. Für Gerichtsverfahren, in welchen es um andere Sachverhalte geht, gelten weiterhin die allgemein geltenden Zuständigkeitskriterien.
 
Mit dieser Bestimmung ist die Zuständigkeit der mit Gesetzesdekret Nr. 1 vom 24. Januar 2012 eingerichteten Handelsgerichte ausgedehnt worden, da diese bis dato lediglich für Streitigkeiten in den obigen Materien zuständig waren, sofern eine Partei in ihrer Eigenschaft als italienische Niederlassung eines ausländischen Unternehmens am Rechtsstreit teilgenommen hat. Jetzt gilt die Zuständigkeit hingegen für alle Streitigkeiten in den genannten Materien, vorausgesetzt eine ausländische Gesellschaft (und somit eine Gesellschaft mit Rechtssitz außerhalb Italiens) ist Partei des Verfahrens. Zuständig sind aber in diesem Fall, wie gesagt, ausschließlich die Handelsgerichte in einer der oben genannten Städte und dies je nach örtlicher Zuständigkeit. Ein Streitverfahren, welches nach den ursprünglichen Zuständigkeitskriterien territorial unter den Verantwortungsbereich des Gerichts in Bologna fiel, wird nun aufgrund der neuen Normen in Genua entschieden.
 
Mit dieser Maßnahme – die in einem Paket mit weiteren Normen verabschiedet worden ist – verfolgt die italienische Regierung insbesondere den Zweck, den Standort Italien für ausländische Unternehmen und Investoren attraktiver werden zu lassen. Künftige Streitigkeiten sollen schneller und kostengünstiger entschieden werden durch regelrechte Gerichtscluster, die besondere Kompetenzen in den oben genannten Materien entwickeln sollen und die vor allem auch geographisch einfacher zu erreichen sind.
 
Mit Bezug zur örtlichen Zuständigkeit des italienischen Insolvenzgerichts bei insolventen Gesellschaften, die ihren Sitz zum Schein ins Ausland verlegen, aber effektiv noch in Italien tätig sind, hat der italienische Kassationshof jüngst ein interessantes Urteil erlassen.
 
Gemäß Urteil Nr. 1508 / 14 der Ersten Sektion für Zivilrecht des Italienischen Kassationshofes vom 31. Oktober 2013 entfällt die Zuständigkeit des italienischen Insolvenzrichters nurdann, wenn der Gesellschaftssitz sich im Ausland befindet und auch die effektive Tätigkeit der Gesellschaft nicht mehr in Italien ausgeübt wird.
 
Hingegen ist bei Vorliegen von unumstrittenen, ausgiebigen und unmissverständlichen Indizien dafür, dass unabhängig vom Ort des Gesellschaftssitzes das Unternehmensgewerbe tatsächlich noch auf dem italienischen Gebiet ausgeübt wird, weiterhin die örtliche Zuständigkeit der italienischen Gerichte gegeben. Anhaltspunkte für die Feststellung dieser Indizien sind gemäß der höchstrichterlichen Rechtsprechung unter anderem (i) das absolute Ausbleiben einer tatsächlichen Verlegung der unternehmerischen Tätigkeit, (ii) die Angabe eines Postfaches als neuer Gesellschaftssitz oder auch (iii) die Ernennung eines einfachen Angestellten als neuer Geschäftsführer der Gesellschaft.
 
Die Kammer des italienischen Kassationshofes hat das Urteil unter anderem damit begründet, dass die Verlegung des Gesellschaftssitzes im Einzelfall nur zum Zwecke der Vermeidung der Haftung der Gesellschaft im Rahmen eines italienischen Insolvenzverfahrens beschlossen worden war, und somit lediglich zum Schein vollzogen wurde. Gemäß derselben Rechtsprechung wurde entschieden, dass sogar die Änderung der Gesellschaftsbezeichnung im Rahmen der Verlegung im Ausland nicht ausreichend ist, um eine Unterbrechung der Fortdauer der Gesellschaft anzunehmen, wenn weitere Indizien den Schluss zulassen, dass keine gleichzeitige Verlegung des Betriebs stattgefunden hat. In diesem Sinne lässt die Löschung aus dem italienischen Handelsregister nicht automatisch darauf schließen, dass die Gesellschaft in Italien nicht mehr tätig ist, bzw., dass der Betrieb im Inland unterbrochen wurde und im Ausland weitergeführt wird.
 

Fazit

Ist ein ausländisches Unternehmen Partei eines Rechtsstreits vor den italienischen Gerichten über Materien des Handelsrechts, des Marken- und Patentrechts, Wettbewerbsrechts, des öffentlichen Vergaberechts und Gesellschaftsrechts, ist die ausschließliche funktionale Zuständigkeit des Handelsgerichts in einer der oben genannten Sitze gegeben.
 
Diese Neuheit wird in Zukunft bei der Beratung sowohl von italienischen als auch von ausländischen Mandanten relevant, und muss insbesondere bei der Anrufung des Gerichts beachtet werden, damit der Rechtsweg vor den richtigen gerichtlichen Stellen beschritten wird, aber auch bei der Erstellung der vertraglichen Regelungen zwischen den Parteien.
 
Im Falle einer Gesellschaft, die ihren Sitz von Italien ins Ausland verlegt und die Löschung aus dem italienischen Handelsregister beantragt, wird vermutet, dass diese Verlegung nur zum Schein vorgenommen wurde, wenn dieselbe Gesellschaft ihren Betrieb weiterhin ausschließlich oder vorwiegend auf dem italienischen Staatsgebiet ausübt. Wird diese Vermutung nicht widerlegt, ist für das Insolvenzverfahren dieser Gesellschaft die Zuständigkeit der italienischen Gerichte gegeben.
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