Deutsche Gerichte können Intra-EU Investitions­schieds­verfahren gegen EU-Mitgliedstaaten stoppen

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veröffentlicht am 21. August 2023 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Mitgliedstaaten der EU können bereits vor Beginn eines Intra-EU Investitions­schieds­verfahrens dessen Unzulässigkeit vor deutschen Gerichten feststellen lassen. Das ent­schied der Bundesgerichtshof (BGH) am 27. Juli 2023 in drei Rechtssachen (Akten­zeichen I ZB 43/22, I ZB 74/22 und I ZB 75/22).

  
Konkret bezogen sich die Anträge der klagenden EU-Mitgliedstaaten auf solche Verfahren, die Investoren aus anderen EU-Mitgliedstaaten vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) eingeleitet haben. Grundlage der Schiedsverfahren war der Energiecharta-Vertrag, der Investitionen im Energiesektor schützen soll und hierfür in Art. 26 die Möglichkeit vorsieht, ein Schiedsverfahren einzuleiten. Die nun vom BGH entschiedenen Verfahren standen vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidungen Achmea (2018) und Komstroy (2021), nach denen Schiedsklauseln in bi- und multilateralen Investitionsverträgen im Intra-EU-Kontext unionsrechtswidrig sind.
 

Sachverhalt

Antragstellerin in dem Verfahren I ZB 43/22 ist die Bundesrepublik Deutschland. Nachdem diese ihre Gesetz­gebung im Bereich der Wind- und Solarenergie geändert hatte, sahen die irisch-deutschen Antragsgegner hier­durch Investitionen in einem dreistelligen Millionenbetrag geschädigt und reichten eine Schiedsklage bei der ICSID auf Grundlage des Energiecharta-Vertrags ein. Gegen dieses Schiedsverfahren wehrte sich Deutschland und begehrte vor den staatlichen Gerichten, die Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens festzustellen. Die Vor­instanz, das KG Berlin, hielt den Antrag Deutschlands gemäß § 1032 Abs. 2 ZPO für unstatthaft, da es sich bei dem ICSID-Übereinkommen um ein in sich geschlossenes Rechtssystem handele und daher selbst über seine Zuständigkeit entscheide. Hieran ändere auch die Rechtsprechung des EuGH nichts.


Anders entschied vorinstanzlich das OLG Köln in den niederländisch-deutschen Parallelverfahren I ZB 74/22 und I ZB 75/22, in denen sich die Niederlande und Betreiber von dort belegenen Kohlekraftwerken gegenüber­standen. Die Niederlande hatte beschlossen, bis 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen. Hierdurch sahen die Betreiber Investitionen in ein dort belegenes Kohlekraftwerk in Höhe eines dreistelligen Millionen­betrags, bzw. eines einstelligen Milliardenbetrags geschädigt. Die Vorinstanz gab den Anträgen der Niederlande statt. Zwar unterlägen ICSID-Verfahren grundsätzlich nicht der Kontrolle staatlicher Gerichte. Ob eine wirksame Schiedsvereinbarung gemäß Art. 26 Energiecharta-Vertrag vorliege, müsse jedoch nach vorrangigem Unions­recht beurteilt werden.


Der BGH entschied nun, dass ein Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO ab Registrierung eines ICSID-Schiedsver­fahrens zwar grundsätzlich wegen der eigenen Kompetenz des Schiedsgerichts gemäß Art. 41 Abs. 1 ICSID-Übereinkommen, über seine Zuständigkeit zu entscheiden, nicht statthaft ist. Eine Ausnahme gelte jedoch, wie hier, bei Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahren. Denn hier genießt das Unionsrecht Anwendungsvorrang. Unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes ist der Antrag nach § 1032 Abs. 2 ZPO zulässig. Hauptargument hierfür ist, dass laut der Rechtsprechung des EuGH aus unionsrechtlichen Gründen eine nachgelagerte Kontrolle vor den staatlichen Gerichten zwingend erforderlich ist, auch wenn dies dem Regelungsgehalt des ICSID-Übereinkommens widerspricht.


Im Kern dreht es sich bei den unionsrechtlichen Gründen um folgendes: Das ICSID-Schiedsgericht ist kein „Gericht eines Mitgliedstaats" im Sinne des Art. 267 AEUV. Somit ist das ICSID-Schiedsgericht nicht zur Vorlage von Auslegungsfragen an den EuGH berechtigt. Daher kann nur durch die Möglichkeit der staatsgerichtlichen Nachkontrolle gewährleistet werden, dass unionsrechtliche Auslegungsfragen dem EuGH vorgelegt werden können.


Inhaltlich entschied der BGH, dass die in Rede stehenden Schiedsverfahren mangels wirksamer Schiedsverein­barung unzulässig seien. Denn die Schiedsklausel im Energiecharta-Vertrag verstoße, laut EuGH, im Falle von Intra-EU-Investor-Staat-Schiedsverfahren gegen Unionsrecht.

  

Praxistipps

EU-Investoren sollten bei Investitionen in anderen EU-Mitgliedstaaten im Energiesektor in ihrer Risikoanalyse folgendes berücksichtigen: 
  • EU-Mitgliedstaaten, in denen Investitionen mit deutschrechtlichem Bezug platziert werden sollen, haben die Möglichkeit, die Frage der Zulässigkeit einer Schiedsvereinbarung bereits vorab von deutschen staatlichen Gerichten klären zu lassen 
  • Diese Möglichkeit steht damit insbesondere mit Bezug zu den Investitionsstandorten in den EU-Mitglied­staaten Spanien, Portugal, Italien und Frankreich offen. 
  • Soweit ein deutsches staatliches Gericht die Unzulässigkeit eines Investitionsschiedsverfahrens feststellt, verhindert die Bindungswirkung dieser Entscheidung auch die spätere Vollstreckbarerklärung eines ICSID-Schiedsspruchs innerhalb der EU.
  • Die Vollstreckung von ICSID-Schiedssprüchen außerhalb der EU wird durch die Entscheidung nicht berührt
  • Der für die EU jedenfalls übergangsweise noch gültige Energiecharta-Vertrag selbst sieht im Übrigen die Möglichkeit des Rechtsschutzes für Investoren vor staatlichen Gerichten vor.
  • Vertragliche Investitionsstreitbeilegungsklauseln sollten daher besonders sorgfältig gestaltet werden
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