Trade Unions: Arbeitnehmervertretung auf indisch

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veröffentlicht am 25. November 2020 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Der Aufbau einer Produktion in Indien erfordert i.d.R. die Einstellung und Beschäfti­gung von Arbeitern in nennenswerter Zahl. Das indische Arbeitsrecht gilt (noch) als komplex und arbeit­nehmer­freundlich, wobei zahlreiche Gesetze und Vorschriften meist jedoch nur auf Arbeiter (sog. „workmen”) anwendbar und für andere Beschäfti­gte nicht anwendbar oder zumindest abdingbar sind. Gewerkschaften – sog. Trade Unions – sind heute in Indien im Privatsektor daher ganz überwiegen nur in produ­zierenden Unternehmen zu finden. Der Artikel soll einen kurzen Überblick über indi­sche Gewerkschaften geben und die wesentlichen Aspekte beleuchten, die es für den ausländischen Investor und Arbeitgeber im Umgang mit der Arbeitnehmervertretung zu beachten gilt.


Zunächst gilt es festzustellen, dass in Indien keine einheitlichen Regelungen zu den Gewerkschaften exis­tieren. Das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen, ihr beizutreten und Tarifverhandlungen zu führen, ist in der indischen Verfassung und in Gesetzen wie dem Industrial Disputes Act von 1947 („IDA”), dem Trade Union Act von 1926 und dem Industrial Employment (Standing Orders) Act von 1946 verankert.


Trade Union Act, 1926 („TU Act”)

Der  Begriff „Trade Union” umfasst jeden Zusammenschluss, ob befristet oder unbefristet, der in erster Linie zu folgenden Zwecken gegründet wird:

  • um die Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern oder zwischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmern oder zwischen Arbeitgebern und Arbeitgebern zu regeln oder
  • um Einschränkungen für die Ausübung einer Handels- oder Geschäftstätigkeit aufzuerlegen;  das jeden Zusammenschluss von zwei oder mehr Gewerkschaften mit ein.


Daher umfassen die Trade Unions in Indien nicht nur Arbeitnehmervertretungen, sondern auch Arbeitgeberver­bände.

Um als Gewerkschaft unter dem TU Act registriert werden zu können, muss die Gewerkschaft entweder mind. 100 Arbeitnehmer eines Unternehmens oder 10 Prozent der Arbeitnehmer eines Wirtschaftszweigs als Mit­glieder haben. Im letzteren Fall gilt weiter, dass mind. sieben Mitglieder zur Zeit der Registrierung in einem Unternehmen angestellt sein müssen.

Die Registrierung einer Gewerkschaft ist nicht obligatorisch, jedoch haben nur registrierte Gewerkschaften bestimmte Rechte und Pflichten. Dennoch streben Gewerkschaften üblicherweise eine Registrierung unter dem TU Act an, um die Vorzüge einer registrierten Gewerkschaft unter dem IDA genießen zu können. Nach Sec. 2 (gg) des IDA werden nämlich nur registrierte Gewerkschaften als „Trade Union” unter dem Gesetz definiert. Auf der anderen Seite können auch nicht registrierte Gewerkschaften Streiks gemäß den in Sec. 22 und 23 des IDA ordnungsgemäß anmelden – sie haben jedoch keinen Anspruch auf die Immunitäten gemäß dem TU Act.

Die Tatsache, dass eine Registrierung nicht obligatorisch ist, macht es insbesondere für Arbeitgeber schwierig, nicht organisierte Gewerkschaften zunächst anzuerkennen und dementsprechend mit ihnen zu verhandeln.


Anerkennung

Die Registrierung von Gewerkschaften gemäß dem TU Act bedeutet nicht automatisch, dass eine bestimmte Gewerkschaft den vom Arbeitgeber gewährten Anerkennungsstatus erlangt hat. Es existiert in Indien derzeit kein Gesetz, dass auf nationaler Ebene die Anerkennung von Gewerkschaften regelt. Sofern es in den ver­schiedenen indischen Bundesstaaten keine spezifischen gesetzlichen Bestimmungen zur Anerkennung von Gewerkschaften gibt, ist das im Allgemeinen eine Frage der Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Gewerk­schaft. Einige Industrie-intensive indische Bundesstaaten wie Maharashtra, Westbengalen und Odisha haben gesetzliche Bestimmungen erlassen, die Regeln und Grundsätze für die Anerkennung von Gewerk­schaften mit jeweils eigenen Kriterien festlegen.

So regelt z.B. das Maharashtra Recognition of Trade Unions and Prevention of Unfair Labour Practices Act Fragen im Zusammenhang mit der Anerkennung von Gewerkschaften, die nicht ausdrücklich über das TU Act abgedeckt sind.

In Betrieben, die sich nicht auf bundesstaatliche Anerkennungsregeln berufen können, liegt es im Ermessen der Unternehmensleitung, den einzigen Verhandlungspartner der Arbeitnehmer anzuerkennen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass ein solches Vorrecht der Betriebsleitung von den rivalisierenden Gewerk­schaften angefochten werden kann. Falls die Entscheidung der Betriebsleitung ungerecht oder willkürlich erscheint, kann sie als unangemessene, unfaire Arbeitspraxis vor Gerichten ausgelegt werden.


Herausforderungen aus der Praxis

Zersplitterte Gewerkschafts­landschaft

In Indien können Gewerkschaften auf nationaler Ebene, auf regionalen Ebene oder auf reiner Unternehmens- oder Betriebsebene gebildet werden. Die Bildung regionaler Gewerkschaften kann sich auch auf ein einzelnes Industriegebiet oder Industriecluster beziehen. Das führt zu einer massiven Zersplitterung  von Gewerk­schaften. Für Unternehmen, die einen neuen Standort in Indien suchen, sollte auch ein rechtzeitiger Dialog mit der geographisch und sachlich zuständigen Gewerkschaft aufgenommen werden. Die Ergebnisse sollten dann in die Standortwahl mit einfließen. Wenn ein Unternehmen mehrere Produktionsstandorte in Indien hat und ausschließlich aufgrund der unterschiedlichen Gewerkschaftslandschaft  eine indienweite Ungleich­behand­lung der Arbeitnehmer zulässt, wird das langfristig den Betriebsfrieden nachhaltig beeinträchtigen. Das kann auch sein, wenn die unterschiedlichen Produktionsstandorte rechtlich und wirtschaftlich unabhängig voneinander sind.


Parteinahe und lokale Gewerkschaften

Gewerkschaften sind mehrheitlich parteinah. Das umfasst nicht nur linksgerichtete, sondern das gesamte, sehr bunte Parteienspektrum Indiens. Sie verfügen über eine sehr gute Organisations- und Kommunikationsstruktur und haben i.d.R. eine Vielzahl von Geschäftsstellen in Indien.

Parteiunabhängige Gewerkschaften verfügen hingegen über eine große Finanzkraft, jedoch nicht über eine ortsübergreifende Struktur. Sie machen ihren Einfluss meist in einzelnen Unternehmen geltend. Ihre starke strukturelle Unabhängigkeit muss nicht immer von Vorteil sein.


Tarifverhandlungen

Da es in Indien kein Gesetz gibt, das den Prozess der Tarifverhandlungen beschreibt, kann die praktische Durchführung desselben kompliziert sein. I.d.R. lassen sich Tarifverhandlungen jedoch in drei Abschnitte unterteilen:

  • Die Charta of Demands (Forderungen),
  • das Verhandeln (The Negotiation)
  • und den Tarifvertrag (the Collective Agreement).


Der Aufruf zu Tarifverhandlungen kann entweder proaktiv vom Arbeitgeber oder von einer Gewerkschaft aus­gehen. Gewöhnlich stellt jedoch eine Gewerkschaft dem Arbeitgeber eine Charta of Demands mit Forderungen in Bezug auf Löhne, Arbeitszeiten usw., um den Tarifverhandlungsprozess einzuleiten. Im Falle eines Betriebs mit Arbeitnehmern, die Mitglieder in mehreren verschiedenen Gewerkschaften sind, können sie eine gemein­same Charta of Demands vorlegen.

Mit der Einreichung der Charta of Demands wird der Verhandlungsprozess eingeleitet. Die Dauer des Verhand­lungsprozesses hängt von Fall zu Fall ab und kann sich sogar über Jahre erstrecken. Falls die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden, schließen der Arbeitgeber und die Gewerkschaft einen Tarifvertrag ab. Der Vertrag gilt nur zwischen dem jeweiligen Arbeitgeber und den bei dem Arbeitgeber beschäftigten Mitgliedern der Gewerkschaft.


Unser Praxistipp

Der Umgang mit Gewerkschaften in Indien ist nicht einfach. Für den richtigen Umgang mit den Gewerkschaften bedarf es adäquater Inhouse Kompetenz und externer Beratung/Betreuung. Sie sollten immer eine solche Doppelbesetzung bei Verhandlungen wahren, um im Falle einer Eskalation, eine „good Cop-bad Cop” Strategie fahren zu können.

Selbstbewusstes Auftreten ist wichtig im Umgang mit den Gewerkschaften, um sich nicht in eine Abhängigkeit zu bewegen. Jedoch kann ein inadäquates selbstbewusstes Auftreten zu großen Schwierigkeiten führen.

Wichtig ist auch, dass die arbeitsrechtlichen Vorschriften penibel eingehalten werden. Non-Compliances im Bereich des indischen Arbeitsrechts kann Ihre Verhandlungsposition deutlich schwächen. Sofern Sie das Vertrauen der eigenen Arbeitnehmer genießen, können externe Gewerkschaften nur geringen oder keinen Schaden anrichten.


Der Hoffnungsschimmer: Reformen durch Industrial Relations Code, 2020

Am 28. September 2020 haben drei neue Arbeits­gesetz­bücher (Industrial Relations Code, Occupational Safety, Health and Working Conditions Codeund Code on Social Security) die Zustimmung des Präsidenten von Indien erhalten. Zusammen mit dem 2019 veröffentlichten Code of Wages werden somit in naher Zukunft vier neue Arbeitsgesetzbücher in Kraft treten und das Land macht damit einen großen Schritt in Richtung Kodifizierung und Modernisierung des Arbeitsrechts.

Mit dem Industrial Relations Code, 2020 („IR Code”) werden insg. drei Gesetze zusammengefasst, der Industrial Dispute Act, 1957, der Trade Unions Act, 1926 und der Industrial Employment (Standing Orders) Act, 1946. Neben einer Anpassung der Definition der „worker”, „employer” und „unfair labour practice” wurden auch wichtige Änderungen bezüglich der Gewerkschaften vorgenommen. So wurde z.B. auch als Streik­möglichkeit aufgenommen, dass 50 Prozent oder mehr der Arbeiter gemeinsam Casual Leave nehmen. Darüber muss nun ein Streik immer mit einer 14-tägigen Frist angekündigt werden. Ferner wurde erklärt, dass falls in einem Unternehmen Tarifmehrheit besteht, die Gewerkschaft, die 51 Prozent oder mehr der Arbeiter als Mitglieder hat, die verhandelnde Tarifvertragspartei sein soll. Falls keine Gewerkschaft 51 Prozent oder mehr der Arbeiter vertritt, soll der Arbeitgeber einen „negotiating council” mit mind. 20 Prozent der Gesamt­arbeit­nehmer errichten, der die Tarifverhandlungen entsprechend aufnimmt.


Fazit

Das indische Recht regelt insg. verhältnis­mäßig wenig zu den Rechten und Pflichten der Gewerkschaften. Die vorhandenen Regelungen sind zudem unübersichtlich. In der Praxis ist es daher für jeden Arbeitgeber sehr wichtig, bestehende Gewerkschaften zu identifizieren und die Beziehung der Gewerkschaften von Anfang an sicher zu gestalten. Dabei kann entscheidend sein, sich schon vor der Standortniederlassung mit den dortigen Gewerkschaften zu befassen.

Mit den neuen kodifizierten Arbeitsgesetzbüchern geht Indien zwar einen Schritt in die richtige Richtung. Es fehlt jedoch weiterhin an klaren Regelungen der Rechte und Pflichten von Gewerkschaften, wie z.B. bzgl. des Rechts, als solche anerkannt zu werden.

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