Forschung und Entwicklung im Kartellrecht: Die neue EU-Gruppen­frei­stel­lungsver­ord­nung (FuE-GVO)

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veröffentlicht am 27. Februar 2023 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen ist in einer global vernetzten und arbeits­teiligen Welt selbstverständlich und unverzichtbar. Entsprechend vielfältig sind die Formen der Zusammenarbeit. Man denke nur an internationale Lieferketten, Vertriebs­partnerschaften in Form von Franchise- oder selektiven Vertriebssystemen oder an Ein­kaufsgemeinschaften. Von besonderer Bedeutung sind Kooperationen im Bereich Forschungs- und Entwicklung (FuE). Kooperationen von Unternehmen sind aber immer auch ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite bilden sie einen wesentlichen Motor für Innovation und Wachstum. Auf der anderen Seite können sie aber auch das Gegenteil bewirken, indem sie den Wettbewerb beeinträchtigen.




FuE-Kooperationen

Unternehmen können mit FuE-Kooperationen ganz unterschiedliche Ziele verfolgen, vom Outsourcing eigener FuE-Tätigkeiten über die gemeinsame Verbesserung bestehender Technologien und Produkte bis hin zur Erfor­schung, Entwicklung und Vermarktung völlig neuer Produkte und einer damit verbundenen Schaffung innova­tiver Märkte. Positive Auswirkungen auf den Wettbewerb sind nicht zwingend. Auch FuE-Kooperationen können den Wettbewerb in unerwünschter Weise beeinträchtigen. 


Fallbeispiel

Dazu ein einfaches Beispiel: Zwei Automobilzulieferer entwickeln gemeinsam ein neues Abgasreinigungssystem für LKWs. Sie vereinbaren, das Ergebnis nach Abschluss der Entwicklung gemeinsam zu verwerten, indem ein Unternehmen die Serienproduktion übernimmt und dafür von dem anderen Unternehmen eine ausschließliche Lizenz erhält. Damit ermöglichen und fördern sie einerseits die Vermarktung des gemeinsam entwickelten Produkts – schließen für die Vermarktung aber zugleich ihren Wettbewerb untereinander aus. 
 
Nach der FuE-GVO gilt es als unbedenklich, wenn die gemeinsame Verwertung einen Zeitraum von sieben Jahren nicht überschreitet. Das gilt jedenfalls dann, wenn die beteiligten Unternehmen keine Marktmacht besitzen (Obergrenze: gemeinsamer Marktanteil von max. 25 Prozent).


Die Freistellung vom Kartellverbot

Der europäische Gesetzgeber hat bestimmte Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen identifiziert, denen positive Wirkungen auf den Wettbewerb generell zugestanden werden, insbesondere 
  • vertikale Vertriebsvereinbarungen (z.B. Vertragshändlerverträge, selektive Vertriebssysteme), 
  • Technologietransferverträge (z.B. Lizenzverträge) 
  • und eben FuE-Kooperationen. 
 
Solche Vereinbarungen sind daher im Regelfall vom Verbot wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens (Art 101 Abs. 1 AEUV) ausgenommen. Die Voraussetzungen sind wiederum in den EU-Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) geregelt. Daneben kommen nur ausnahmsweise Einzelfreistellungen in Betracht (Art 101 Abs. 3 AEUV).

Die Gruppenfreistellungsverordnung Forschung & Entwicklung (FuE-GVO)

Ursprünglich sollte zum 1.1.2023 die neue Gruppenfreistellungsverordnung für FuE-Kooperationen (FuE-GVO) die geltende VO (EU) 1217/2010 turnusmäßig ablösen. Das wird nun voraussichtlich bis Mitte des Jahres 2023 der Fall sein. Zugleich sollen zur Erläuterung der kartellrechtlichen Bewertung horizontaler Vereinbarungen neue Leitlinien der EU-Kommission (die sog. Horizontal-Leitlinien) veröffentlicht werden, welche die bisherigen Leilinien ablösen und ergänzen werden. 
 
Die FuE-GVO stellt Vereinbarungen über gemeinsame FuE sowie Auftragsforschung unter bestimmten Voraus­setzungen vom kartellrechtlichen Verbot wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens frei. Das trifft zu, wenn sich die Kooperation in reiner FuE erschöpft, aber auch, wenn die Partner die erzielten FuE-Ergebnisse anschließ­end gemeinsam verwerten.
 
Kooperationen von nicht konkurrierenden Unternehmen gelten dabei im Regelfall als unkritisch. Bei FuE-Kooperationen unter Wettbewerbern gilt das nur, wenn sie einen gemeinsamen Marktanteil von max. 25 Prozent haben. 

Rechtsfolgen

Verletzungen der kartellrechtlichen Anforderungen an FuE-Kooperationen können schwerwiegende Konse­quen­zen haben: So ist im Regelfall die gesamte FuE-Vereinbarung unwirksam. Auch stehen empfindliche Buß­gelder im Raum, deren Obergrenze erst bei 10 Prozent des im Vorjahr erzielten Gesamtumsatzes endet. 

Was ist neu?

Die neue FuE-GVO wird voraussichtlich neue begriffliche und systematische Klarstellungen sowie einige wich­tige inhaltliche Anpassungen vorsehen. Erwähnung verdienen hier insbesondere die Regeln für innovative For­schung und Entwicklung. Gemeint sind damit FuE-Anstrengungen, die auf völlig neuartige Produkte oder Tech­nologien gerichtet sind oder auf allgemeinere Ziele, die noch nicht als Produkt oder als Technologie definiert werden können (sog. FuE-Pole).
 
Selbstverständlich können Kooperationen in diesen Bereichen äußerst förderlich sein, etwa weil Kompetenzen gebündelt, Synergien genutzt und Kosten eingespart werden. Aber es können eben auch schädliche Auswirk­ungen auf den Wettbewerb entstehen, nämlich wenn in einem innovativen Gebiet insgesamt nur wenige Unter­nehmen forschen. 
 
Wenn diese Unternehmen ihre parallele Forschung aufgeben, beenden sie ihren bisherigen Wettlauf um die Innovation. Anders gesagt, die Kooperation schränkt den Innovations-Wettbewerb ein oder schaltet ihn sogar gänzlich aus. Um das zu verhindern, sieht die neue FuE-GVO vor, dass FuE-Kooperationen in Bezug auf Innova­tionen in der Regel nur dann zulässig sein sollen, wenn mindestens noch drei weitere vergleichbare Forsch­ungs­projekte parallel verfolgt werden. Ist das nicht der Fall, sind solche Kooperationen nur ausnahmsweise zulässig (über eine Einzelfreistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV). 

Fazit

Auch nach dem Auslaufen der bisherigen FuE-GVO führt kein Weg daran vorbei, bei der Vereinbarung und Durch­führung von FuE-Kooperationen die maßgeblichen kartellrechtlichen Grenzen sehr sorgfältig im Auge zu behalten. Andernfalls drohen weiterhin schwerwiegende Rechtsfolgen bis hin zu empfindlichen Bußgeldern. 

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