Das französische Gesetz über die Sorgfaltspflicht („Devoir de vigilance”) vom 27. März 2017 – Erfahrungen und Empfehlungen

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veröffentlicht am 15. September 2022 | Lesedauer ca. 7 Minuten


Der Anwendungsbereich des französischen Gesetzes über die Sorgfaltspflicht („Devoir de vigilance”) ist bewusst weit gefasst, damit viele Situationen in den Bereich fallen. Das Gesetz schreibt einen fünfteiligen Vigilanzplan vor, der in Unternehmen umgesetzt werden muss, die bestimmte Schwellenwerte erreichen.



Das Gesetz schreibt vor, dass diese Unternehmen einen „Vigilanzplan” aufstellen müssen, um schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Gesundheit und Sicherheit von Personen und der Umwelt zu verhindern, die sich aus den Tätigkeiten des Unternehmens und der von ihm kontrollierten Unter­nehmen sowie aus den Tätigkeiten von Subunternehmern oder Lieferanten ergeben, mit denen es eine Ge­schäfts­­beziehung unterhält, wenn diese Tätigkeiten mit dieser Beziehung zusammenhängen”.


Der Plan sollte die folgenden Maßnahmen umfassen:

  • Kartierung von Risiken zu deren Identifizierung, Analyse und Priorisierung;
  • Verfahren zur regelmäßigen Bewertung der Situation von Tochtergesellschaften, Unterauftragnehmern oder Lieferanten, mit denen eine Geschäftsbeziehung besteht;
  • Geeignete Maßnahmen zur Minderung von Risiken oder zur Vermeidung von ernsthaftem Schaden;
  • Ein Mechanismus zur Warnung und Sammlung von Berichten über die Existenz oder das Auftreten von Risiken, der in Absprache mit den Gewerkschaften, die das Unternehmen vertreten, eingerichtet wird; 
    • Ein System zur Überwachung der durchgeführten Maßnahmen und zur Bewertung ihrer Wirksamkeit.


Mit dem Gesetz wird die Verpflichtung eingeführt, den Vigilanzplan sowie einen Bericht über seine Umsetzung in dem jährlich vorzulegenden Managementbericht zu veröffentlichen. Ein Unternehmen, das den gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachkommt, kann im Falle eines Schadens, der durch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht entstanden ist, nach dem allgemeines Recht zivilrechtlich haftbar gemacht werden. Darüber hinaus sieht das Gesetz einen Mechanismus vor, das Unternehmen formell dazu auffordern, die im Gesetz festgelegten Ver­pflichtungen zu erfüllen.

Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes hat die Assemblée Nationale einen Bericht zur Bewertung des Gesetzes vorgelegt.


Allgemeine Kritik am Gesetz

In den 5 Jahren, die seit der der Einrichtung der Sorgfaltspflicht in Frankreich vergangen sind, hat die Assemblée National mehrere Kritikpunkte angemerkt.


Erstens wird bedauert, dass die gesetzlichen Bestimmungen unklar sind, insbesondere aufgrund der Über­schneidung des Konzepts des Sorgfaltspflichtgesetzes mit den durch das Gesetz Sapin 2 (Antikorruptions­gesetz) eingeführten Bestimmungen. Das Gesetz der Sorgfaltspflicht ist im Einklang mit den anderen Compliance-Verpflichtungen zu verstehen und umzusetzen, einschließlich derer, die durch das Gesetz Sapin 2 eingeführt wurden.

Zweitens wird die Heterogenität zwischen den Unternehmen bei der Umsetzung des Vigilanzplans kritisiert.

  • Die Risikokartierung scheint für die Unternehmen eine komplexe Aufgabe zu sein, und viele Unternehmen erstellen keine Karte im engeren Sinne des Wortes, sondern verweisen einfach auf bestehende Verfahren und Strategien oder listen Risiken und Probleme auf, ohne eine entsprechende Methodik anzuwenden. Im Bericht wird das Fehlen einer angemessenen Kartierung mit einer detaillierten Methodik beklagt. Es er­scheint daher notwendig, die Einrichtung von Initiativen mehrerer Interessengruppen auf sektoraler oder regionaler Ebene zu fördern, um den Unternehmen eine präzisere Methodik an die Hand zu geben und so die Aufgabe der Risikokartierung zu verdeutlichen. Darüber hinaus scheint die Einrichtung einer Behörde, die für die Anwendung der Sorgfaltspflicht zuständig ist, ähnlich wie die französische Antikorruptionsbehörde, not­wendig, um den Unternehmen den Schlüssel zur Umsetzung des Sorgfaltspflichtgesetzes an die Hand zu geben.
  • Was den gesetzlich vorgeschriebenen Warnmechanismus betrifft, so muss geklärt werden, wie er umgesetzt werden muss, auch in Anbetracht des neu erlassenen Gesetzes zur Umsetzung der EU-Hinweisgeber­­­richt­linie, die Personen schützt die Verstöße gegen das Unionsrecht melden.
  • Die Vigilanzpläne sind manchmal nicht sehr detailliert, um die Unternehmen nicht rechtlichen und Repu­ta­tions­risiken auszusetzen, wenn die darin enthaltenen Elemente ungenau sind. In diesem Sinne ziehen es die Unternehmen vor, nicht zu ehrgeizig zu sein, keine Initiativen einzubeziehen, die möglicherweise nicht um­gesetzt werden, und sensible Details zu vermeiden.
  • Die Durchführung geeigneter Maßnahmen zur Risikominderung oder zur Verhinderung ernsthafter Schäden ist ein Bereich, in dem sich die Unternehmen verbessern können. Die Vigilanzpläne müssen ge­eig­ne­te Maßnahmen zur Risikominderung oder zur Vermeidung von ernsthaftem Schaden enthalten. Es ist nicht möglich, nur deklarative Maßnahmen oder moralische Verpflichtungen vorzusehen. Die meisten Unter­neh­men, die dem Gesetz unterliegen, beschränken sich auf deklarative Bestimmungen oder Verweise auf die verschiedenen Verfahren und Kodizes des Konzerns. Die meisten Bewertungs- und Minderungsmaßnahmen ähneln zu sehr der Berichterstattung über bestehende Maßnahmen.
  • Außerdem ist der Austausch mit NGOs (Non-Governmental Organisations), obwohl sie das Gesetz initiiert haben, widersprüchlich. Infolgedessen ist es schwierig, die Politik der Risikominderung im Alltag allein durch die Unternehmen umzusetzen, ohne konstruktives Feedback von den NGOs. Es besteht die Gefahr, dass das Gesetz zu einer rechtlichen Verpflichtung wird, die nur auf dem Papier besteht und an Wirkung verliert.
  • Schließlich bedauert der Bericht, dass den Unternehmen, durch die Überwachungsverpflichtungen in Ver­bindung mit den Verpflichtungen zur Korruptionsbekämpfung und den außerfinanziellen Leistungen, Kosten entstehen. Tatsächlich ist es so, dass Unternehmen nicht über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen, um Risiken, Strategien und Verfahren zu erfassen und Folgenabschätzungen durchzuführen, daher greifen sie auf externe Dienstleister zurück (in der Regel Beratungsunternehmen oder Anwaltskanzleien).


Ein erweiterter Anwendungsbereich

  • Die durch das Gesetz festgelegte Verpflichtung zur Wachsamkeit ist besonders weit gefasst, sie betrifft schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Gesundheit und Sicherheit von Personen sowie der Umwelt. Außerdem wird die gesamte Handelskette in die Definition des Gesetzes ein­be­zogen, da der Begriff "etablierte Handelsbeziehung" in einem weiten Sinne verstanden wird.
  • Dieser erweiterte Anwendungsbereich schafft eine gewisse Unklarheit für die Unternehmen. Sie wissen nicht immer, wie sie diesen Überwachungsplan aufstellen und wo sie anfangen sollen.
  • Auch die Zielsetzung des Gesetzes wird von den Unternehmen nicht verstanden. Seine Vagheit des Gesetzes und der extrem weite Anwendungsbereich werden daher stark kritisiert.
  • Frankreich hat darauf verzichtet, die Grundsätze und internationalen Übereinkommen aufzulisten, die in den Anwendungsbereich des Überwachungsgesetzes fallen. Andere europäische Länder, wie z. B. Deutschland, haben sich für eine Auflistung der im Überwachungsgesetz enthaltenen Texte entschieden. Dieser breitere Anwendungsbereich bringt in der Anfangsphase der Umsetzung des Gesetzes zwangsläufig nur begrenzte Klarheit.
  • Das Gesetz sieht keine wirkliche Sanktionsregelung vor und lässt dem Richter einen großen Ermessens­spiel­raum.
  • Dieser breite Anwendungsbereich gibt auch Anlass zu positiven Anmerkungen. Er ermöglicht es nämlich, die von den Rechtsvorschriften betroffenen Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen und möglichen Verstößen wirksam vorzubeugen. Die Risiken sind miteinander verknüpft und können nicht individualisiert werden. Außerdem gibt es Zusammenhänge zwischen Umwelt- und menschlichen Risiken, und das Gesetz in seiner jetzigen Fassung ermöglicht eine kontinuierliche Identifizierung von Risiken. Das Gesetz erfordert einen strukturellen Wandel in der Unternehmenstätigkeit und ein verantwortungsvolleres Geschäftsgebaren.
  • Das französische Gesetz über die Sorgfaltspflicht beschränkt die Anwendung des Gesetzes weder auf die Aktivitäten von Tochtergesellschaften noch auf die ersten Reihen von Zulieferern, sondern schließt Unter­nehmen, mit denen eine Geschäftsbeziehung besteht, umfassend ein. Diese Bereitschaft wurde bereits durch den Rana Plaza-Skandal im Jahr 2013 deutlich. Bei einer strengen Definition würden indirekte Unter­auftrag­nehmer nicht in den Geltungsbereich des Gesetzes fallen, doch im Fall des Rana-Plaza-Einsturzes waren indirekte Unterauftragnehmer in den Fall verwickelt. 
  • Die breite Einbeziehung der Wertschöpfungskette auftraggebender Unternehmen in den Anwendungsbereich des Gesetzes erscheint notwendig, um die Anwendung dieses Gesetzes wirksam zu machen und den Risiken wirklich entgegenzuwirken. Sie wird nämlich verhindern, dass Unternehmen versuchen, die Verpflichtungen des Gesetzes zu umgehen, indem sie erklären, dass ihre Geschäftsbeziehung nicht direkt ist. Die Assemblée Nationale unterstützt diesen Punkt und ermutigt die Europäische Union, die europäische Richtlinie über die Sorgfaltspflicht in diesem Sinne zu regeln.


Unzureichende Einbeziehung von Interessengruppen (NGO, Verbände und Gewerkschaften) 

Das Gesetz über die Vigilanzpflicht verlangt von den Unternehmen, die Beteiligten in die Entwicklung des Vigilanzplans einzubeziehen. In der Praxis ist diese Beteiligung jedoch nicht eindeutig vorgeschrieben, und die Unternehmen begnügen sich damit, die Beteiligten (NGO, Verbände, Gewerkschaften und insbesondere Arbeit­nehmervertreter) zu informieren.

Diese Konsultation ermöglicht vor allem eine bessere Definition des Anwendungsbereichs der Vigilanz und verringert das Risiko von Rechtsstreitigkeiten, bei denen die Beteiligten die Relevanz des Plans in Frage stellen könnten. Durch ihre Einbeziehung in die Ausarbeitung des Plans vermeiden die Unternehmen zahlreiche Kon­flikte, da der Plan von den Interessengruppen validiert wurde. Der Ausschluss von Stakeholdern ist ein echtes Problem für die Unternehmen, da sie die Meinung dieser Personen, die in der Regel die ersten sind, die Scha­den erleiden oder Risiken ausgesetzt sind, nicht berücksichtigen können. Die Einbeziehung der Stake­holder durch die Bereitstellung von Informationen allein reicht keineswegs aus. Es ist notwendig, dass die Unter­nehmen in diesem Bereich Fortschritte machen und einen Dialog und eine echte Konsultation einleiten. Die Ausarbeitung des Plans muss in Form einer Ko-Konstruktion erfolgen.


Viele Unternehmen sind von dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen

Die Unternehmensform

Einige Unternehmensformen sind von dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen. Obwohl in der Formulierung „alle Unternehmen“ steht, schränkt die Einbindung in den Abschnitt des Handelsgesetzbuchs, der sich mit Aktiengesellschaften befasst, den Anwendungsbereich auf Aktiengesellschaften ein. Die Verweise im Handelsgesetzbuch bedeuten, dass es sowohl für Europäische Gesellschaften und Kommanditgesell­schaf­ten mit Aktienanteil als auch für vereinfachte Aktiengesellschaften gilt. In der Praxis ist die Anwendung auf vereinfachte Aktiengesellschaften jedoch problematisch und viele vereinfachte Aktiengesellschaften sind sich nicht bewusst, dass sie dem Gesetz über die Wachsamkeit unterliegen.

Die Assemblée Nationale spricht sich dafür aus, die Sorgfaltspflicht auf alle Unternehmen, unabhängig von ihrer Rechtsform, anzuwenden, sobald sie die Haftungsschwellen überschreiten.


Das Kriterium der Anzahl der Beschäftigten

Die Anwendung des französischen Gesetzes über die "Sorgfaltspflicht" in Unternehmen unterliegt einem Schwellen­wert für die Anzahl der Beschäftigten. Dieser liegt bei 5.000 Beschäftigten innerhalb des Unter­nehmens und seiner direkten und indirekten Tochtergesellschaften in Frankreich und bei 10.000 Beschäftigten weltweit.


Diese Schwellenwerte verringern den Umfang der Überwachungspflicht erheblich. Die Herabsetzung des Schwellenwerts für die Zahl der Beschäftigten ist in der Tat notwendig, da die Risiken für Mensch, Gesellschaft und Umwelt nicht von der Größe des Unternehmens abhängen und auch sehr kleine und mittlere Unternehmen Risiken ausgesetzt sein können. In Deutschland z.B. ist die Schwelle für die Anwendung viel niedriger (3.000 Beschäftigte, die 2024 auf 1.000 Beschäftigte gesenkt werden sollen).

Die Assemblée Nationale schlägt eine breitere Anwendung des Gesetzes über die Sorgfaltspflicht vor, ins­be­sondere durch eine Senkung der Schwelle für die Zahl der Beschäftigten. Man könnte auch ein neues Kriterium in Betracht ziehen, nämlich das des Umsatzes, das das wirtschaftliche Gewicht der Unternehmen besser wider­spiegeln würde, so dass die Verpflichtungen des Gesetzes für eine größere Anzahl von Unternehmen gelten würden.


Vorschlag der Gründung einer Verwaltungsbehörde

Die Frage der Überwachung, Kontrolle und Sanktionierung der Nichteinhaltung von Gesetzen ist komplex. Das Gesetz über die Wachsamkeitspflicht sah eine Sanktion vor (Zahlung einer zivilrechtlichen Geldstrafe von bis zu 10 Millionen Euro), die jedoch vom Verfassungsrat im Namen des Grundsatzes der Rechtmäßigkeit von Straf­taten und Sanktionen sanktioniert wurde.

Die Kontrolle über Einhaltung des Gesetzes erfolgt derzeit über zwei Mechanismen im Handelsgesetzbuch. Einerseits gibt es einen Mechanismus der förmlichen Aufforderung zur Einhaltung der Überwachungspflichten, der den Richter dazu veranlassen kann, das Unternehmen zur Einhaltung seiner Verpflichtungen anzuhalten, gegebenenfalls unter Androhung von Strafen. Andererseits haftet der Urheber im Falle der Nichterfüllung der Überwachungspflicht und der Richter kann ihn gegebenenfalls verpflichten, den Schaden zu ersetzen, der durch die Erfüllung dieser Pflichten hätte vermieden werden können.

Die Folgen beider Verfahren sind relativ gering, da bislang nur sehr wenige Verfügungen erlassen und sehr wenige Entscheidungen getroffen wurden. Dennoch ist die Verwaltung mit einem Mangel an Kenntnissen über die Anwendung des Gesetzes und an Folgemaßnahmen konfrontiert. Darüber hinaus haben die Unternehmen einen echten Bedarf an Unterstützung bei der wirksamen Umsetzung der Überwachungspflicht.

Folglich wäre die Einrichtung einer Behörde oder eines Verwaltungsdienstes notwendig, der für die Über­wachung, Begleitung, Kontrolle und Sanktionierung des Gesetzes zuständig ist. Über die Form muss noch dis­ku­tiert werden, insbesondere über das Interesse an der Einrichtung einer unabhängigen Verwaltungs­behörde, eines staatlichen Dienstes oder einer Beobachtungsstelle für Forschung. Diese Behörde würde mögliche Gerichts­verfahren nicht verhindern, sondern eine Beratungs- und Kontrollinstanz ermöglichen, die Referenz­standards und Verfahrenshilfen erlässt, damit die Überwachungspflicht wirklich wirksam wird. 

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