Berücksichtigung freiwilliger Initiativen im Rahmen der Lieferkettenregulierung

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veröffentlicht am 15. September 2022 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Der Umgang mit Menschen- und Umweltrechten in globalen Lieferketten ist in den vergangenen Jahren zunehmend in das Blickfeld staatlicher Regulierung gerückt. Eine Folge, die im Wesentlichen der Erkenntnis entspringt, dass selbst eine Adressierung auf Ebene der Vereinten Nationen in Form der Leitprinzipien für Wirtschaft und Men­schen­rech­te und komplementärer Ansätze wie den OECD-Leitsätzen für mul­ti­na­ti­onale Unternehmen über ihre Signalwirkung hinaus kaum geeignet sind das Problem effektiv zu lösen. Das Scheitern daraus abzuleitender freiwilliger Lieferketten-Com­pli­ance belegen stellvertretende Beispiele aus der Textilbranche. Eine Erkenntnis, die den nationalen Gesetzgeber nach Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte dazu veranlasst hat, verpflichtende Vorgaben zur Wahrung men­schen­recht­licher und umweltbezogener Standards in internationalen Lieferketten in Gestalt des Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (kurz: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz/LKSG) einzuführen.



Noch bevor das Gesetz am 1.1.2023 in Kraft tritt, kündigen sich bereits Änderungen beruhend auf unionsrecht­lichen Vorgaben an. Anlass ist der am 23.2.2022 von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf für eine Richtlinie über unternehmerische Nachhaltigkeitspflichten.

Ungeachtet dessen bestehen bereits heute zahlreiche freiwillige Initiativen, die menschenrechtliche und um­welt­be­zo­ge­ne Missstände in globalen Lieferketten aktiv adressieren. Das Spektrum solcher Initiativen ist viel­fältig, u.a. bestehen bloße Standards (z.B. ISO 26000), Brancheninitiativen (z.B. amfori BSCI), sog. Multi-Stakeholder-Initiativen (z.B. Fair Wear), Branchenbündnisse (z.B. das Bündnis für nachhaltige Textilien) sowie unternehmenseigene Verhaltenskodizes.


Die zunehmende Einführung verpflichtender Regelwerke zur Wahrung menschenrechtlicher und um­welt­­be­zo­ge­ner Sorgfaltspflichten wirft die Frage über die Bedeutung und Verortung solcher Initiativen im jeweiligen Re­ge­lungs­kon­text auf: Lassen sich die gesetzlichen Pflichten durch den Beitritt und die Umsetzung einer freiwilligen Initiative umsetzen? Welche Vorteile hat die Umsetzung freiwilliger Initiativen?


Die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen als gemeinsamer Fixpunkt staatlicher Regulierung und freiwilliger Initiativen

Unter der Wendung Wirtschaft und Menschenrechte diskutieren Zivilgesellschaft, Unternehmen und Politik seit geraumer Zeit über eine stärkere Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung in internationalen Lie­fer­ketten. Die Diskussion verläuft parallel zu ihrem mutmaßlichen Ausgangspunkt in Form der Globali­sierung. Das dahinterstehende Prinzip der globalen Arbeitsteilung unter Ausnutzung komparativer Kostenvorteile bedingt – zumindest der Theorie nach – eine globale Wohlfahrtsmaximierung. Dieses Prinzip wird hingegen durch­bro­chen, wenn geschaffene Werte allein am Ende der Lieferkette abgeschöpft werden, während am Beginn der Lieferketten externe Kosten z.B. durch menschenrechtswidrige Arbeitsbedingungen oder Um­welt­ver­schmut­zungen entstehen. Entsprechende Kosten finden in der unternehmerischen Kalkulation häufig keine Be­rück­sich­ti­gung und mindern die Wohlfahrt des (ausländischen) Produktionsstaates. Der zentrale Inhalt der Lie­fer­ket­ten­ge­set­zge­bung ist denn auch nach Wegen zu suchen, diese externen Kosten zu internalisieren d.h. Aus­gleichs­mechanismen zu schaffen oder sie bereits präventiv zu vermeiden.

Ansätze für eine verbindliche Regulierung unternehmerischer Verantwortung wie auch freiwillige Initiativen bestanden bereits vor der Jahrtausendwende. Als wegweisend gelten gleichwohl die (unverbindlichen) Leit­prin­zi­pien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2011. Sie bilden heute den gemeinsamen Fixpunkt staatlicher Regulierungsansätze wie auch freiwilliger Initiativen. Es liegt daher nahe entsprechenden Initiativen bei der Umsetzung der gesetzlichen Pflichten zu berücksichtigen.


Initiativen freiwilliger Selbstregulierung

Das Spektrum der Initiativen freiwilliger Selbstregulierung ist vielfältig. Bezugspunkt sind regelmäßig in­ter­na­ti­onale Standards, insbesondere die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen. Sie dienen gleichfalls als Bezugspunkt der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen. Für letztere be­ste­hen bereits zahlreiche sektorspezifische Leitwerke, die die allgemeinen Pflichten für bestimmte Branchen kon­kre­ti­sieren. Als solches dienen diese lediglich als Bezugspunkt, ohne dass sie einen konkreten Über­prü­fungs­me­chanismus (z.B. durch Audits) enthalten. Ähnliches gilt für die ISO 26000, deren Umsetzung – im Gegensatz zu vielen anderen ISO-Normen – nicht zertifiziert werden kann. Auch im Übrigen divergieren die Ansätze frei­williger Selbstregulierung, ohne dass einzelne Instrumente stets trennscharf nebeneinanderstehen. Ver­haltens­kodizes können nicht nur aus der Feder eines Unternehmens stammen, sondern auch Ausdruck eines be­stimmten Branchenverbands oder einer Multi-Stakeholder-Initiative sein. Sie sind folglich regelmäßig nur ein Bestandteil umfassender Sorgfaltspflichtenkonzepte solcher Initiativen. Ähnliches gilt für Umwelt- und Sozial­siegel, die entsprechendes Bemühen nach außen tragen sollen. Nimmt man insofern umfassende Initiativen wie z.B. amfori BSCI oder Fair Wear in den Blick ergeben sich regelmäßig Unterschiede im Bereich des materiellen Standards, welcher sich aus den menschenrechtlichen und/oder umweltbezogenen Schutzgütern und einem entsprechenden Sorgfaltspflichtenkonzept konstituiert. In Bezug genommen werden bestimmte Branchen, Produkte oder Rohstoffe. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein (objektiver) Überprüfungsmechanismus besteht. Schließlich ergeben sich Unterschiede im Rahmen der Einbindung von Stakeholdern und der or­ga­ni­sa­torischen Struktur (Governance). Sie reicht von einer allenfalls berücksichti­genden Einbindung im Rahmen unternehmenseigener Initiativen über eine Einbindung paralleler Interessengruppen im Rahmen von Bran­chen­initiativen bis hin zu einer paritätischen Einbindung einer Vielzahl von Stakeholdern in sog. Multi-Stakeholder-Initiativen.

Die Bedeutung freiwilliger Initiativen ist daher differenziert zu betrachten – nicht zuletzt, um den Eindruck bloßen Green- bzw. Bluewashings zu vermeiden. Neben dem jeweiligen Sorgfaltspflichtenkonzept und dem in Bezug genommenen Standard spielen daher auch die organisatorische Struktur und der Überprüfungs­­mecha­nismus der jeweiligen Initiative eine besondere Rolle.

Je nach Entwicklungs- und Organisationsgrad solcher Initiativen erweist es sich als vorteilhaft, dass sie bereits ausgereifte Konzepte zur Umsetzung branchenspezifischer Anforderungen unternehmerischer Sorg­falts­­pflich­ten enthalten – einschließlich umfangreicher Erfahrungswerte. Dazu wird der die Globalisierung prägende Gedanke des komparativen Kostenvorteils auch bei ihnen aufgegriffen, da sich die gemeinsame Umsetzung entsprechender Sorgfaltspflichten als kostengünstiger gegenüber einer individuellen Umsetzung erweist. Gerade für die im Rahmen des Entwurfs der EU-Kommission in den Anwendungsbereich (unmittelbar) ein­be­zo­genen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ein nicht von der Hand zu weisendes Argument – sind doch mit dem (umfassenden) Aufbau entsprechender Compliance-Strukturen nicht unerhebliche Kosten verbunden.


Berücksichtigung und Einbindung freiwilliger Selbstregulierungsinitiativen

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und der Entwurf der EU-Kommission zur Frage der Einbindung von freiwilligen Initiativen verhalten.


Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

Die Berücksichtigung freiwilliger Initiativen ist im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz kaum angelegt. Lediglich § 7 Abs. 2 Nr. 2 LkSG benennt als in Betracht zu ziehende Abhilfemaßnahme bei bereits eingetretenen Ver­let­zungen geschützter Rechtspositionen den Zusammenschluss mit anderen Unternehmen im Rahmen von Bran­cheninitiativen und Branchenstandards, um die Einflussmöglichkeit auf den Verursacher zu erhöhen. Auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gem. § 8 Abs. 1 Satz 6 LkSG können freiwillige Initiativen Berücksichtigung finden.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) weist darauf hin, dass Siegel, Zertifikate oder Audits soweit diese nachweisbar die gesetzlichen Sorgfaltsanforderungen erfüllen als wichtige Anhaltspunkte für die Erfüllung der Sorgfaltspflichten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes dienen können. Es ist zudem zu erwarten, dass weitere Hinweise durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) im Rahmen der nach § 20 LkSG zu erarbeitenden branchenübergreifenden oder branchenspezifischen Informationen, Hilfe­stellungen und Empfehlungen zur Einhaltung der Anforderungen des Lieferkettensorgfalts­pflichten­gesetzes erfolgen.

Wesentlich umfangreicher waren hingegen die Überlegungen in einem Eckpunktepapier für den Entwurf eines Lieferkettengesetzes aus dem Jahr 2020. Danach sollten Unternehmen, die einem staatlich anerkannten (Branchen-)Standard beitreten und diesen implementieren, ihre zivilrechtliche Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränken können. Voraussetzung für die Anerkennung war, dass der Standard die gesamte Lieferkette erfasst, sämtliche Kernelemente der Sorgfaltspflicht berücksichtigt und im Rahmen eines Multi-Stakeholder-Prozesses erarbeitet wurde. Bekanntlich ist die zivilrechtliche Haftung im Verlauf des Gesetz­gebungs­verfahrens auf deliktische Ansprüche nach allgemeinen Grundsätzen begrenzt worden, ohne dass auf die maßgebliche Frage des anwendbaren Rechts eingegangen wurde.


Offen ist allerdings, ob eine entsprechende Regelung zu Berücksichtigung freiwilliger Initiativen vor dem Hin­ter­­grund unionsrechtlicher Vorgaben zur Einführung einer zivilrechtlichen Haftung einschließlich ihrer Aus­ge­stal­tung als sog. Eingriffsnorm (dazu unten) in absehbarer Zeit doch noch eingeführt werden könnte. Bisher ist daher die Berücksichtigung freiwilliger Initiativen zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten des LkSG vor allem aus der Perspektive der Sorgfaltspflichten als solche als öffentlich-rechtlicher Natur zu betrachten.


Entwurf der EU-Kommission für eine Richtlinie über unternehmerische Nachhaltigkeitspflichten

Im Grundsatz verhält sich der Entwurf der EU-Kommission für eine Richtlinie über unternehmerische Nach­hal­tig­keits­pflich­ten gegenüber der Einbindung freiwilliger Initiativen ähnlich wie das Lie­fer­ketten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz. Eine umfassende Einbeziehung freiwilliger Initiativen enthält der Entwurf nicht.


Zu beachten ist, dass der EU-Entwurf von einem deutlich weiteren Geltungsbereich ausgeht und auch KMU erfasst werden, die in Branchen mit hohem Schadenspotenzial tätig sind (Art. 2 Abs. 1 b) des EU-Entwurfs). Zudem sind die Mitgliedsstaaten nach Art. 22 des EU-Entwurfs verpflichtet, eine zivilrechtliche Haftung ein­zu­führen und ihre Anwendbarkeit im nationalen Recht sicherzustellen.

Vor diesem Hintergrund sind die einführenden Erwägungen des EU-Entwurfs zu betonen:


„Diese Richtlinie ermöglicht die Zusammenarbeit von Unternehmen sowie die Nutzung von Branchen­­pro­grammen und von Multi-Stakeholder-Initiativen, um die Kosten für die Einhaltung dieser Richtlinie für die Unternehmen zu senken.“ (S. 22 des EU-Entwurfs)

Angesprochen wird die Einbindung freiwilliger Initiativen, vergleichbar mit der Regelung des Lieferkettensorg­falts­pflichtengesetzes im Zusammenhang mit der Erhöhung von Einflussmöglichkeiten eines Unternehmens gegenüber direkten und indirekten Geschäftspartnern (Erwägungsgrund 37 des EU-Entwurfs). Zudem ist zu erwarten, dass die EU-Kommission freiwillige Initiativen in Leitlinien i.S.d. Art. 13 des EU-Entwurfs be­rück­sich­tigt und diesen im Rahmen der nach Art. 14 des EU-Entwurfs zu ergreifenden Begleitmaßnahmen eine erhöhte Aufmerksamkeit zu Teil wird.


Ausblick und Hinweise

Eine umfassende Regelung zur Einbindung freiwilliger Initiativen besteht bisher weder im Lieferketten­sorg­falts­pflich­ten­ge­setz noch im EU-Entwurf für eine Richtlinie über unternehmerische Nachhaltigkeitspflichten. Beide Regelwerke betonen allerdings im Grundsatz die Einbindung freiwilliger Initiativen zur Umsetzung un­ter­neh­merischer Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten. Dafür spricht insbesondere, dass solche Initiativen z.B. aus der Textilbranche bereits auf einen hohen Erfahrungsschatz zurückgreifen können sowie der Umstand, dass eine Zusammenarbeit in einer bestimmten Branche komparative Kostenvorteile begünstigt.


Tatsächlich gibt es auf EU-Ebene bereits Regelwerke, die eine unmittelbare Einbindung freiwilliger Initiativen enthalten. Die sektorspezifischen Verordnungen betreffend den Handel mit sog. Konfliktmineralien und Holz und enthalten jeweils einen Mechanismus zur Anerkennung bestehender Initiativen zur Umsetzung bzw. Über­wachung der jeweiligen Sorgfaltspflichten. In beiden Fällen ist zudem garantiert, dass auch die entsprechenden Initiativen regelmäßig überprüft werden. Zudem stärkt die formelle Einbindung die Rechtssicherheit und das Vertrauen einzelner Marktteilnehmer in solche Initiativen.

Gerade für KMU könnte eine formelle Einbindung freiwilliger Initiativen bei der Umsetzung (zukünftiger) Sorg­falts­pflich­ten zu mehr Rechtssicherheit verhelfen. Aber auch ohne eine unmittelbare Berücksichtigung ist eine Erfüllung der Sorgfaltspflichten mittels freiwilliger Initiativen grundsätzlich möglich.

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