Digitalisierung der Prozessführung im Gerichtswesen

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veröffentlicht am 24. März 2021 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Die Corona-Pandemie hat in nahezu sämtlichen Sektoren erhebliche Spuren hinter­lassen und eine Digitalisierungswelle ausgelöst. So auch im Bereich der Prozess­führung. Das ist ein Grund auf einen wesentlichen Unterschied zwischen Schieds­verfahren und Verfahren vor den ordentlichen Gerichten zu achten.


Klassischerweise sind die baltischen und skandinavischen Länder Vorreiter der Digitalisierung. So wird Norwegen im Bereich der Digitalisierung ebenso zu den führenden Nationen wie Schweden. Estland ist ein solch starker Vorreiter, dass sich das Land gern E-Estonia nennt. Die Prozessführung vor staatlichen Gerichten in Dänemark wurde bereits vor geraumer Zeit digitalisiert. Doch auch in Deutschland war durch die Pandemie festzustellen, dass ein Wandel hin zur digitalen Prozessführung bereits eingetreten ist.


Die Digitalisierung des Gerichtswesens schreitet auch in Deutschland voran

Auch in Deutschland schreitet die Digitalisierung des Gerichtswesens stark voran. Hessen hatte bereits 2007 den elektronischen Rechtsverkehr eröffnet. Die Stuttgarter Nachrichten berichtete am 23. Februar 2021 von der fortschreitenden Digitalisierung der Gerichte in Baden-Württemberg. Etwa 1.200 Richterinnen und Richter seien in der Lage, mit der neuen Technik nunmehr digitale Gerichtsverhandlungen zu führen. Sachsen verlautbarte bereits vor der Corona-Pandemie, am 20. Januar 2020, dass zur elektronischen Aktenführung übergegangen würde, und ein Pilotprojekt aufgesetzt sei. Ab dem 1. Januar 2026 sind Gerichte und Staatsanwaltschaften zur elektronischen Aktenführung verpflichtet. In Bayern wird für die Führung von Zivilverfahren bereits seit geraumer Zeit die Möglichkeit der Videokonferenz genutzt. Das wird künftig auch in anderen Verfahren gelten. Bayerns Gerichte sollen aber noch digitaler werden. Der bayerische Rundfunk verlautbarte am 22. Dezember 2020, dass künftig an jedem bayerischen Gericht Video-Konferenzanlagen zur Verfügung stehen werden.


Videoverhandlungen sind grundsätzlich zulässig

Nach der Vorschrift des § 128a ZPO ist eine Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung bereits seit geraumer Zeit grundsätzlich zulässig. Diskutiert wurde allerdings immer wieder die Beachtung des Öffentlich­keitsgrundsatzes, der einen zentralen Bestandteil des Rechtsstaates darstellt. Er besagt, dass grundsätzlich freier Zugang zu Gerichtsverhandlungen gewährleistet sein muss, und zwar für jedermann. Das bedeutet zwar nicht, dass Gerichte dafür zu sorgen haben, dass alle Zuschauer, die Interesse an einem Prozess habe, tatsächlich teilnehmen können, und deswegen ganze Hallen anzumieten sind, um dem Andrang großer Mengen an Interessenten nachkommen zu können. Aber es bedeutet, dass nicht willkürlich ein kleiner Raum gewählt werden darf, um die potenzielle Zuschaueranzahl zu verringern.

Bei Videoverhandlungen wird der Öffentlichkeitsgrundsatz in der Praxis dadurch gewahrt, dass in einem Gerichtssaal ein Bildschirm aufgestellt wird. Noch gibt es in Deutschland keinen „Gerichtspodcast”, der die aktuellen Verhandlungen im Internet streamt. Denkbar ist jedoch, dass eines Tages auch Gerichtsverhand­lungen vor deutschen Gerichten im Internet gestreamt werden. Denn der europäische Gerichtshof für Menschenrechte macht das bei öffentlichen Verhandlungen bereits seit über zehn Jahren. Nach Anhörungen wird ein auf seiner Internetseite abrufbares Webcast mit der jeweiligen Anhörung ins Netz eingestellt.


Digital geführte Zivilprozesse sind bereits heute an der Tagesordnung

Seit der Corona-Pandemie, und insbesondere während der Lockdowns, wurde in Deutschland (flächenüber­greifend über die Bundesländer) eine Vielzahl von Gerichtsverfahren digital in Form von Videokonferenzen durchgeführt. Der dadurch dokumentierte Trend zur Digitalisierung von Gerichtsverfahren dürfe unumkehrbar sein und auch nach der Pandemie weiter zunehmen.

Doch Videoverhandlungen sind nur ein Teil der Digitalisierung. Ab dem 1. Januar 2022 wird die Vorschrift des § 130d ZPO gelten. Schriftsätze in Verfahren vor den Gerichten werden in elektronischer Form einzureichen sein. Nur dann, wenn aus technischen Gründen eine Einreichung der Schriftstücke nicht in elektronischer Form vorübergehend möglich ist, darf das Dokument in klassischer Weise eingereicht werden. Jede Verhinderung zur Einreichung in elektronischer Form muss glaubhaft gemacht werden, sollte die unterlassene elektronische Einreichung zulässig sein.


Digitale Prozessführung bietet Vorteile

Oftmals wird erst bei Liquiditätsengpässen zur Prozessführung gegriffen. So beobachten wir, das im Laufe der Pandemie, die von uns für unsere Mandanten zu führenden Prozesse stetig zugenommen haben. Doch das Zuwarten bis zum Eintritt eines Liquiditätsengpasses ist nicht von Vorteil. Denn jede Partei und jeder Partei­vertreter hat auf den zeitlichen Ablauf eines Prozessverfahrens nur eingeschränkt Zugriff.

Spätestens die Corona-Pandemie hat allen vor Augen geführt, dass auch die Führung von Rechtsstreitigkeiten sich verzögern kann. Denn zumindest bis zum ersten Lockdown war die Führung einer mündlichen Verhandlung vor den ordentlichen Gerichten in Deutschland ganz klar die Ausnahme und fern ab davon, die Regel zu sein. Die Führung von Prozessen kam ins Stocken, viele Termine wurden aufgehoben und verschoben. Bereits eingetretene Liquiditätsengpässe wurden stärker.

Es ist damit zu rechnen, dass die nunmehr erfolgende weitergehende Digitalisierung zur Beschleunigung von Gerichtsverfahren führen wird. Denn nicht nur erst die immer weiter genutzte Möglichkeit der digitalen Prozessführung bei einer Videokonferenz wird eine Zeitersparnis bedeuten, sondern auch schon die elektro­nische Aktenführung an sich. Z.B. werden Zeitverluste aufgrund der Zurverfügungstellung der Akten an Prozessvertreter nicht weiter eintreten, und bereits aufgrund des Entfalls des physischen Bewegens der Akte wird eine Beschleunigung des Aktenumlaufes eintreten. Auch wenn die digitale Prozessführung zur Beschleunigung von Verfahren führen wird, wird sie nicht zur Beseitigung bereits eingetretener Liquiditäts­engpässe führen.


Videoverhandlungen vor Schiedsgerichten finden häufiger statt

Im Gegenzug zu Verfahren vor den ordentlichen Gerichten wurden bereits anhängige Schiedsverfahren von der Pandemie nicht so stark betroffen und verzögert wie Verfahren vor den ordentlichen Gerichten.

Videoverhandlungen und Vernehmung von Zeugen per Video sind insbesondere in internationalen Schieds­verfahren häufiger vorzufinden als bei Verfahren vor den ordentlichen Gerichten. Damit haben Schieds­verfahren einen zeitlichen Vorteil gegenüber von Verfahren vor den ordentlichen Gerichten.

Da liegt z.B. daran, dass in Schiedsverfahren regelmäßig als einer der ersten Schritte eine Verfahrenskonferenz abgehalten wird, in dem rein technische Fragen wie die der Videokonferenz und des Ortes der tatsächlichen Durchführung einer Anhörung im Schiedsverfahren erörtert und festgelegt werden.

Ein weiterer Grund für die schnellere Findung einer das Verfahren beendenden Entscheidung in Schieds­verfahren ist, dass die Schiedsordnungen regelmäßig keine Möglichkeit der Berufung gegen das Schiedsurteil vorsehen. Lediglich bei der Vollstreckung des Schiedsspruches kommt es ab und dann zu einer Verhandlung vor einem ordentlichen Gericht. Dabei ist zu beachten, dass allerdings nur eine sehr begrenzte Anzahl von Rechtsverletzungen durch den Schiedsspruch gerügt werden kann, so bspw. die Verletzung rechtlichen Gehörs, oder die Verletzung grundsätzlicher Regelungen des Staates, in dem das Urteil zu vollstrecken ist („ordre public”).


Schiedsverfahren sind nicht öffentlich

Die Grundlage der Zulässigkeit von Schiedsverfahren in Zivilverfahren bildet der international anerkannte Grundsatz der Vertragsautonomie. Danach dürfen alle Teilnehmer des Rechtsverkehrs ihre Verträge so abschließen und regeln, wie sie selbst es für gut erachten, soweit sie dadurch nicht in Rechte Dritter eingreifen. Das gilt auch für den Mechanismus, nach dem zwischen den Parteien entstehende oder bereits bestehende Streitigkeiten zu klären sind. Grundsätzlich kann das auch ohne Inanspruchnahme der staatlichen Gerichtsbarkeit erfolgen.

Und eben deswegen, weil die Schiedsgerichtsbarkeit den Parteien nicht vom Staat vorgeben ist, bleibt es den Parteien unbenommen, ihre Streitigkeiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszutragen und auch deren Entscheidung geheim bleiben zu lassen. Denn der Grundsatz der Öffentlichkeit in Verfahren vor ordentlichen Gerichten soll nur sicherstellen, dass der Staat keine Geheimprozesse führen kann. Nicht Sinn ist es, die Neugier der Öffentlichkeit zu befriedigen oder aber einem Informationsanspruch der Öffentlichkeit nachzu­kommen. Sinn ist lediglich die Schaffung der Transparenz der Handlungen der Staatsmacht.


Parteien, die ihre Streitigkeiten vertraulich austragen wollen, sind gut beraten, diese in einem Schiedsverfahren auszutragen

Schiedsverfahren sind wie eben ausgeführt nicht öffentlich. Das ist ein Ausfluss des Grundsatzes der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens. Die Teilnahme von Vertretern der Presse an einer Schiedsverhandlung kommt also grundsätzlich nicht in Betracht.

Die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit z.B. hat den Grundsatz der Vertraulichkeit des Verfahren in § 44 ihrer Schiedsordnung konstituiert. Danach haben alle Beteiligten die Vertraulichkeit zu beachten. Anderes gilt nur, wenn die Parteien ausdrücklich etwas anderes vereinbart haben.


Die Möglichkeit der Durchführung von Verhandlungen bei Schiedsverfahren durch Videokonferenz oder gar durch einfache Telefonkonferenz ist ein Ausfluss der Parteiautonomie – und ist kein Widerspruch zum Grundsatz der Vertraulichkeit. Eine Nichtbeachtung der Vertraulichkeit kann zu Schadensersatzansprüchen führen.

Ein Streaming von Verhandlungen eines Schiedsgerichts wie es vielleicht künftig bei Verhandlungen von ordentlichen Gerichten geschehen kann, und wie das vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits heute getan wird, wird also bei Schiedsgerichtsverfahren auch künftig nur dann in Betracht kommen, wenn alle Parteien dem ausdrücklich zustimmen.


Fazit

Die Digitalisierung hat längst in die Prozessführung stattgefunden, sowohl in die vor staatlichen Gerichten als auch in die vor Schiedsgerichten. Die Tatsache ist zu beachten, und sie kann auch Einfluss auf die Entschei­dung nehmen, für welchen Streitbeilegungsmechanismus sich Vertragsparteien entscheiden. Geschwindigkeit und Vertraulichkeit sind Punkte, die u.U. für die Vereinbarung der Führung eines Schiedsverfahrens sprechen können.

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