Ein Side Letter kann nicht alles regeln

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veröffentlicht am 20. November 2019 | Lesedauer ca. 5 Minuten


„Side Letter“ werden häufig in der Endphase von schwierigen Verhandlungen (z.B. im M&A- oder Immobilienkontext) als Rettungswerkzeuge eingesetzt, um heikle oder streng vertrauliche Angelegenheiten in die Haupttransaktion einzubeziehen. Die be­sonderen Umstände, unter denen die vertraglichen Dokumente normalerweise abge­fasst werden, sowie ihr anscheinend unwichtiges Format, können aber zu verschiede­nen Probleme führen. Dabei ist Vorsicht und Sachlichkeit geboten. Der vorliegende Beitrag geht dabei spezifischer auf die Rechtslage in Spanien ein.



Exkurs: Ein historischer Side Letter

Im Spätsommer 1938 verhandelten in München Vertreter des Vereinigten Königsreichs, Frankreichs, Italiens und Deutschlands, um eine „last-minute"-Übereinkunft zu erreichen, die die damalige Sudetenkrise ent­schär­fen und den sich annähernden Zweiten Weltkrieg vermeiden sollte. Nach den weltweit verfolgten Verhand­lungen, kam am 30. September 1938 das sog. „Münchner Abkommen" zustande – jener „Hauptvertrag", der „Frieden für unsere Zeit" hätte bringen sollen, wie der Prime Minister Sir Neville Chamberlain bei seiner Ankunft in London ankündigte. Dass das Abkommen nach weniger als einem Jahr völlig scheiterte, ist allge­mein bekannt. Jedoch weniger bekannt ist, dass noch am Tag der offiziellen Unterzeichnung des Abkommens zwischen den vier beteiligten Ländern, zwei davon (das Vereinigte Königreich und Deutschland) ein separates Dokument unterschrieben, in dem sich beide Länder verpflichteten, niemals Krieg gegeneinander zu führen. Das Blatt Papier, das Herr Neville an jenem Tag vor der Menschenmenge in London demonstrativ in der Luft schwang, war eben dieser Side Letter.

 

Viele der Elemente, die einen Side Letter zum Scheitern führen können, lagen im oben beschriebenen, historischen Beispiel vor:

  • voreilige Abfassung;
  • ungenaue Beschreibung der jeweiligen Rechte und Pflichten;
  • ausdrücklicher oder stillschweigender Verweis auf weitere Verhandlungen.

Zudem kommt es in der Praxis häufig vor, dass Side Letter nicht nur wegen Vertraulichkeits- oder Geheim­haltungs­sorgen der Parteien genutzt werden, sondern bspw. auch, um sich miteinander über die Verheim­lichung von Sachverhalten vor Dritten (manchmal vor weiteren Parteien des Hauptvertrags) zu einigen. Unter den Umständen des Einzelfalls könnte das Folgen für die Gültigkeit des Hauptvertrags haben.

 

Side Letter in der spanischen Praxis

Wie in den meisten Ländern der sog. „Kontinentalen Rechtstradition", haben sich während der letzten 20 bis 30 Jahre zahlreiche angloamerikanische Transaktionsinstitute in der spanischen Praxis im Vertrags- und Gesellschaftsrecht allmählich etabliert. Viele der Begriffe wie „representations and guarantees", „restrictive covenants", „collateral", „waiver" „term sheet", „due diligence", „drag-along and tag-along rights", etc. werden den jüngeren Juristen seit Jahren in den spanischen Jurafakultäten als natürlicher Teil ihrer Ausbildung im Privatrecht vorgestellt.


Hinter den meisten Begriffen steht nur die englische Bezeichnung von Regelungen oder vertraglichen Dokumenten, die mit dem spanischen Recht problemlos vereinbar sind. Das trifft auch auf den sog. „Side Letter" zu. Nach spanischem Recht gilt er als eine schuldrechtliche Zusatzvereinbarung, die eine besondere Abrede beinhaltet, die aus verschiedenen Gründen im Hauptvertrag nicht aufgenommen werden darf oder soll.


Im spanischen Vertragsrecht gilt allgemein die Regel der Vertragsfreiheit der Parteien (Artikel 1.255 des spanischen Bürgerlichen Gesetzbuches), solange das Vereinbarte nicht gegen das Gesetz, die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstößt. Somit wird ein Side Letter als gültige und wirksame vertragliche Vereinbarung betrachtet, wenn die grundsätzlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Vertrags gegeben sind – und zwar: Willenseinigung der Parteien, Gegenstand und Rechtsgrund des Vertrags.


Die die bisher zu Side Letter existierende spanische Rechtsprechung  musste v.a. zwei Arten von Problemen lösen:


(a) die juristisch bindende Wirkung der in einem Side Letter enthaltenen Willenserklärungen und

(b) ob ein bestimmter Side Letter eine vorherige Einigung ganz oder nur teilweise ersetzen oder nur ergänzen sollte.


Bei diesen Fällen handelte es sich um Fragen der Vertragsauslegung, die als solche mit den für jeden Vertrag geltenden Auslegungsregeln des spanischen Bürgerlichen Gesetzbuches (Artikel 1.281 ff.) geprüft wurden.


Eine besondere Bedeutung in der spanischen Praxis hat die Verwendung von Side Lettern bei der Gründung von Investitionsfonds bzw. bei der Erweiterung ihrer Mitgliedschaft, v.a. wenn ein neuer (und wichtiger) Anteilseigner besondere Bedingungen als Voraussetzung für seinen Beitritt zum Fonds erfordert.


Im Allgemeinen werden Side Letters heutzutage in Spanien sowohl bei Immobilien- wie auch bei M&A- und gesellschaftsrechtlichen Transaktionen unter sehr ähnlichen Bedingungen und zu denselben Zwecken wie in den angloamerikanischen und kontinentalrechtlichen Ländern verwendet. Folglich sind die Probleme, die ihre Anwendung erzeugt und die Herangehensweise die bei ihrer Benutzung geboten ist, auch sehr ähnlich.

 

Typische Ziele eines Side Letters

In der Praxis werden Side Letter am häufigsten bei Immobilien- und M&A-Transaktionen, sowie im Zusammenhang mit Gesellschaftervereinbarungen verwendet. Die Ziele, die normalerweise die Parteien zur Unterzeichnung eines Side Letter führen, sind folgende:


(a)Aufnahme von Nebenabreden, die wegen ihres besonderen Inhalts zwischen den Parteien des Side Letter streng vertraulich bleiben müssen. Einige wichtige Beispiele aus der Praxis:

  • Gesellschaftervereinbarungen zwischen mehreren Gesellschaftern, wenn einige von ihnen besondere Interessen bzw. Beziehungen innerhalb der gemeinsamen Gesellschaft haben, die eine getrennte Behandlung in einem Side Letter empfehlenswert machen;
  • Wenn bei einem Unternehmensverkauf die Parteien sich über die Verteilung von den aus der veräußerten Gesellschaft sich ergebenden Eventualverbindlichkeiten geeinigt haben, wäre es normalerweise unvorteilhaft, dass die Abrede, in der sowohl die verschiedenen Risiken als auch die dazugehörigen Haftungsvereinbarungen beschrieben werden, Dritten (insbesondere den möglichen Gläubigern) bekannt werden. Das kann mittels eines Side Letters vermieden werden, v.a. wenn der Hauptvertrag notariell beurkundet werden muss.

(b)Vereinbarungen die erst nach dem Abschluss des Hauptvertrages erreicht wurden, wenn es aus irgendeinem Grund nicht mehr möglich ist, die Unterschrift aller Parteien des Hauptvertrags zu erhalten.

In der Vergangenheit wurden Side Letter oft mit der Verfolgung von dubiosen oder rechtlich unzulässigen Zwecken, v.a. im Zusammenhang mit Immobilien- oder M&A Transaktionen, verbunden. Die erhebliche Verstärkung der Gesetzgebung zur Geldwäschebekämpfung und Steuerhinterziehung, sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene, hat dieses Verhalten praktisch beseitigt. Rechtlich gesehen war diese besondere Art von Side Lettern sowieso nichtig und unwirksam, da bei ihnen kein zulässiger Rechtsgrund vorlag.


Einige praktische Empfehlungen

Bei der vertraglichen Gestaltung von Side Lettern in Spanien empfiehlt sich folgendes praktisches Vorgehen zu beachten:

  • Es muss ein spezifisches und zulässiges Ziel mit dem Side Letter bezweckt werden, das nicht im Hauptvertrag aufgenommen werden kann (d.h. der Side Letter ist nur als letztes Mittel zu benutzen);
  • Unter keinen Umständen darf ein Side Letter als Mittel oder Beweis für rechtswidriges Verhalten verwendet werden (z.B. um ein Unternehmenskäufer dazu zu führen, einen höheren Kaufpreis zu bezahlen, oder etwaige Verbindlichkeiten des Unternehmens vor ihm zu verschleiern, oder einen höheren Wert einer veräußerten Immobilie vor den Steuerbehörden zu verbergen). Im äußersten Fall kann ein Side Letter die Nichtigkeit des Hauptvertrages begründen. Insbesondere sollte sich in diesem Zusammenhang nicht auf etwaige im Side Letter gegenseitig übernommenen Vertraulichkeitsvereinbarungen verlassen werden
  • Die am Side Letter beteiligten Parteien müssen sorgfältig ausgewählt werden (nur diejenige Parteien, die Leistungen erbringen müssen  oder geltend machen können, sollten am Side Letter teilnehmen);
  • Obwohl Side Letter normalerweise nicht notariell beurkundet werden, gibt es grundsätzlich kein Hindernis dafür, da notarielle Urkunden zwischen den Parteien vertraulich bleiben müssen. Ein praktischer Vorteil der notariellen Beurkundung liegt darin, dass somit das Original des Side Letter bei dem Notararchiv bleibt, sodass die berechtigten Parteien zukünftig bei Bedarf  weitere Kopien beantragen können;
  • Inhaltlich müssen Side Letter klar und genau beschriebene juristische Rechte und Verpflichtungen enthalten. Vage Absichtserklärungen sind zu vermeiden;
  • Side Letter (insbesondere im Falle eines Rechtstreits) sind häufig wertvolle Werkzeuge für die Auslegung eines strittigen Hauptvertrages. Sollte sich aus einem Side Letter ergeben (was nicht selten der Fall ist) dass die im Hauptvertrag abgegebenen Willenserklärungen einer oder mehreren Parteien nicht ihrer wahren Absicht oder nicht ihrer wahren Kenntnis des Sachverhaltes entsprach, könnte das zur Nichtigkeit des Hauptvertrages, samt Schadensersatz führen. 

 

Fazit

Nur ein gewissenhaft und sorgfältig abgefasster Side Letter sollte genutzt werden. Zweifel an dessen Gültigkeit können den Hauptvertrag berühren. Der Side Letter kann auch als eine vielsagende Auslegungshilfe des Hauptvertrages gelten. Nur klar und genau beschriebene Verpflichtungen können nachträglich vor Gericht geltend gemacht werden. Auf gar keinen Fall sollte sich im Zusammenhang von vertraglichen Verhandlungen auf ein in einem Side Letter enthaltenes rechtswidriges Verhalten eingelassen werden und noch weniger, mit der Erwartung, dass die Vertraulichkeit des Side Letters die fragliche Handlung abdecken wird.

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