Disruption im Wärmemarkt: Novellierung der AVBFernwärmeV erfordert schnelle Reaktion der Fernwärmeunternehmen

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​veröffentlicht am 6. Juli 2021


Der Novellierungsentwurf des Bundesrats sieht neben neuen Vorgaben zu Mess-, Abrechnungs- und Informationspflichten der Fernwärmelieferung auch verbraucherschutzrechtliche Änderungen vor, die die wirtschaftlichen Grundlagen der Fernwärmeversorgung erschüttern. Nimmt der Verordnungsgesetzgeber diesen Vorschlag an, müssen Fernwärmeversorger sehr kurzfristig die neuen Pflichten erfüllen und die Kosten über eine weitere Preisanpassungen umsetzen. Ein Handlungsbedarfs-Screening, kurzfristige Beschaffung der nachzurüstenden Mess- und Abrechnungstechnik sowie die Anpassung von Vertragsbedingungen und Preisen müssen deshalb bereits jetzt angegangen werden.
 
Der Bundesrat hat in seiner letzten Sitzung vom 25.06.2021 mit der Verordnung zur Umsetzung der Vorgaben zu Fernwärme und Fernkälte in der Richtlinie (EU) 2018/2002 (Energieeffizienzrichtlinie – EED) sowie in der Richtlinie (EU) 2018/2001 (Erneuerbare-Energien-Richtlinie – RED II) eine Novelle der Verordnung für Allgemeine Bedingungen zur Versorgung mit Fernwärme (AVBFernwärmeV) und deren Ergänzung durch die Verordnung über die Verbrauchserfassung und Abrechnung bei der Versorgung mit Fernwärme oder Fernkälte (FFVAV) in einer geänderten Fassung beschlossen.


Bärendienst für den Verbraucherschutz und Investitionsbremse für die Wärmewende

Dabei hat der Bundesrat auch einige Änderungsvorschläge angenommen, die die wirtschaftlichen Grundlagen der Fernwärmeversorgung erschüttern könnten:
Fernwärmekunden wird ein Leistungsanpassungsrecht eingeräumt, mit dem sie den Umfang der vertraglich vereinbarten Wärmebereitstellung im Extremfall auf 0 reduzieren können. Da der Verordnungsentwurf die Nachweisvoraussetzungen nicht benennt, ist hier erhebliche Rechtsunsicherheit vorprogrammiert. Jedenfalls kommt eine Reduzierung auf 0 einer Kündigung gleich.
Ein derartiges Sonderkündigungsrecht eröffnet der Entwurf weiterhin für den Fall, dass der Kunde auf erneuerbare Energien umstellen will.


Investitionen in Fernwärmeversorgungsanlagen können nach den steuerlich anerkannten Nutzungsdauern (AfA) zum Teil über einen Zeitraum von bis zu 50 Jahren abgeschrieben werden. Da die Wärme nur innerhalb eines Wärmenetzes abgesetzt werden kann, bestehen bei einem Kundenverlust keine alternativen Möglichkeiten einer Refinanzierung. Wird die Abnahmedichte eines Fernwärmenetzes durch Verlust einzelner Kunden reduziert, erhöhen sich die Netzverluste, sodass die verbleibenden Kunden einen erhöhten Refinanzierungsbeitrag leisten müssen und der Netzbetrieb schnell an wirtschaftliche und technische Grenzen stößt. Das erhöhte Investitionsrisiko aus dem Verordnungsentwurf steht im Widerspruch zu dem hohen Investitionsbedarf, der als Folge der klimatischen Veränderungen, klimapolitischen Zielen der Bundesregierung und stromwirtschaftlichen Umbrüchen (Stichwort: „Kohleausstieg”) besteht.


Mit dem Leistungsanpassungs- und Kündigungsrecht torpediert der Bundesrat jeden Investitionsanreiz in entsprechende Wärmeversorgungstechnik und verhindert damit die von der Politik bereits lange verschlafene Wärmewende.

Weiterhin sieht der Verordnungsentwurf ein Verbot der einseitigen Änderung von Preisänderungsklauseln durch öffentliche Bekanntgabe vor. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist es umstritten, ob die AVBFernwärmeV ein sog. „einseitiges Leistungsbestimmungsrecht” für Preise, Preisänderungsklauseln und sonstige Vertragsbedingungen enthält. Eine Klärung durch den BGH steht bislang aus. Insofern wäre es eine gesetzgeberische Aufgabe gewesen, hier Rechtssicherheit zu schaffen. Mit dem vorliegenden Entwurf wird aber das Gegenteil erreicht, da nur eine Form der einseitigen Änderung verboten wird. Die Grundfrage, ob überhaupt ein Änderungsrecht besteht und an welche Voraussetzungen dieses gebunden ist, bleibt dagegen ungelöst. Der Verordnungsentwurf erhöht damit die Rechtsunsicherheit und schafft weder für Verbraucher noch für Versorger eine Lösung.

 

Licht und Schatten für Fernwärmemessung, -Abrechnung- und -Information

Immerhin hat der Bundesrat im Kernbereich der Novelle, der europarechtlich initiierten Modernisierung der Mess-, Abrechnungs- und Informationsanforderungen für Wärmelieferungen, die schlimmsten Schnitzer des Verordnungsgebers bereinigt: Der in der Definition des Fernwärmebegriffs im Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) noch enthaltene Ausschluss der Contracting-Wärmeversorgung und die Verhinderung der sog. „Wärmedirektlieferung” wurde auf die bestehende Rechtsprechungs- und Gesetzeslage zurückgedreht. Dies hätte allerdings überhaupt keiner Regelung bedurft, sodass der Gesetzgeber wieder einmal für ein wirkungsloses Mehr an Gesetzesbürokratie gesorgt hat.

Damit bleiben in der FFVAV immer noch weitreichende Neuregelungen zur Fernablesung, Interoperabilität, Datenschutz und Digitalisierung im Wärmemesswesen. Insofern könnte die Novelle für mehr Wettbewerb und neue Marktchancen im Wärmemessbereich führen. Dabei ist aber wohl die noch nicht vergleichbar weit fortgeschrittene Novellierung der Heizkostenverordnung (HeizKostV) spannender, da sich hier im Bereich des sog. „Submetering” in einem oligopolistisch besetzten, ungleich größerem Markt die umfangreicheren Chancen bieten.

Auch die weiteren Neuerungen häufigerer und elektronischer Fernwärmeabrechnung sowie monatlicher Kosten-, Umwelt-, Verbrauchs-, Beschwerdeverfahrens- und Verbrauchsvergleichsinformationen führen zu erheblichen Mehrkosten im Bereich der Fernwärmemessung- und Abrechnung. Damit ist nach den aktuellen CO2-Preisanpassungen bereits die nächste Preisanpassungswelle im Fernwärmemarkt vorhersehbar. Auch diese Herausforderung löst die Novelle nicht, erhöht sie doch die Nachweisanforderungen, ohne einen rechtssicheren gesetzlichen Anpassungsanspruch zu schaffen. 

 

Sofortumsetzung oder erstmal wieder alles offen?

Das BMWi kann nach den verfahrensrechtlichen Vorgaben die Verordnungsfassung des Bundesrats nur annehmen oder ablehnen (§ 65 GGO). Da es sich jedoch bei der Sitzung vom 25.06.2021 um die letzte Sitzung des Bundesrats vor Ende der Legislaturperiode gehandelt hat, dürfte eine Rückverweisung an den Bundesrat oder ein Verzicht auf den Erlass in der bestehenden Fassung zu erheblichen Verzögerungen bis zum Frühjahr 2022 führen.


Nach unbestätigten Berichten aus informierten Kreisen wird das BMWi der Novelle aber zustimmen. Stimmt das BMWi dem Verordnungsentwurf des Bundesrates zu, so treten die Verordnungen unmittelbar nach dem formalen Akt der Ausfertigung und Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Danach wäre mit einem Inkrafttreten noch im Sommer 2021 zu rechnen, sodass die Pflichten aus der AVBFernwärmeV und FFVAV mangels Übergangsfristen unmittelbar umzusetzen wären.


Handlungsbedarfs-Screening, AGB-Revision, Benchmarking & Co. – was Fernwärmeversorger jetzt tun müssen

Fernwärmeversorgungsunternehmen müssen auf die Auswirkungen der Novelle mit einem Handlungsbedarfs-Screening, der Beschaffung der gegebenenfalls nachzurüstenden Mess- und Abrechnungstechnik, einer kostenorientierten Kalkulation der Fernwärmepreisanpassung, einer hierauf abgestimmten Anpassung der Fernwärmevertragsbedingungen und einer rechtlich geprüften Preisanpassungs- und Umstellungsstrategie reagieren.

Dabei gehört auch die Teilnahme an Preisbenchmark-Systemen zu den Instrumenten aus dem gestiegenen zivil- und kartellrechtlichen Preiskontrolldruck, der durch die Offenlegungsvorschriften der Novelle gerade für den Bereich der Mess- und Abrechnungspreise nochmals gestiegen ist.

Im Rödl & Partner Fernwärme Benchmarking wird jährlich ein aktuelles Thema, das für Fernwärmeversorger von besonderem Interesse ist, ausgearbeitet, ausgewertet und für alle Teilnehmer kostenfrei im Bericht des Fernwärme Benchmarkings als Sondermodul zur Verfügung gestellt.


Die Themen Mess- und Abrechnungskosten fließen deshalb im Rahmen des kommenden Sondermoduls in die Benchmarkingrunde 2021 ein. Hierfür entwickeln wir für diese Themenbereiche eigene Kennzahlen, durch welche die Versorger den eigenen Stand hinsichtlich der Umsetzung erkennen und daraus etwaige Nachholbedarfe und besondere vertrags- und kartellrechtliche Risiken ableiten können. Eine mögliche Kennzahl stellt beispielsweise der Digitalisierungsgrad der Teilnehmer dar, wobei insbesondere digitale/fernauslesbare Messstellen und der entsprechende Prozess im Unternehmen von Interesse sind. In diesem Zusammenhang kann auch ein Vergleich der verwendeten Zählersysteme erfolgen. Weiterhin sind der Status Quo der digitalen Kostenabrechnung und der Anteil erneuerbarer Energien im Wärmemix und der Primärenergiefaktor des Fernwärmeversorgers wichtige Kennzahlen. Durch die Richtlinien kommen, wie bereits erwähnt, hohe Investitionen in verschiedenen Bereichen auf die Fernwärmeversorger zu. Hierbei lässt sich durch eine Abfrage der geplanten Investitionskosten in Digitalisierung oder Erzeugung ableiten, ob die EU-Vorgaben bereits eingeplant wurden, oder inwieweit hier noch Nachholbedarf besteht. Gut erkennbar wird auch, ob der aktuelle Budgetrahmen einem anonymen Vergleich mit Mitbewerbern standhält.

 

Mittelfristig soll das Benchmarksystem dann auch als Grundlage zur Erfüllung der Informationspflichten der neuen FFVAV, insbesondere dem Vergleich des Kundenverbrauchs mit dem normierten oder durch Vergleichstests ermittelten Verbrauch eines Durchschnittskunden derselben Nutzerkategorie (§ 5 Abs. 3 Nr. 6 FFVAV) weiterentwickelt werden, sodass durch die Teilnahme am Fernwärmebenchmark ein Mehrfachnutzen für die teilnehmenden Fernwärmeversorgungsunternehmen entsteht.


Falls Sie neugierig geworden sind, laden wir Sie herzlich zur Teilnahme am kommenden Fernwärme Benchmark ein. Im Jahr 2021 startet die Erhebung der Daten des Jahres 2020 im Juli 2021 und läuft bis November 2021.


Möchten auch Sie mit Ihrem Fernwärmeunternehmen am kommenden Rödl & Partner Fernwärme Benchmarking teilnehmen, dann finden Sie hier mehr Informationen.

 

 

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