Fit for 55 ist Gesetz: Was bedeutet die Reform des Europäischen Emissionshandels für Wärmeversorger?

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​veröffentlicht am 17. Mai 2023

 

Auf den European Green Deal und das Europäische Klimaschutzgesetz aufbauend, wurde die Strategie „Fit for 55“ am 14. Juli 2021 von der Europäischen Kommission vorgelegt. Mithilfe dieser konkretisiert die EU-Kommission das im Europäischen Klimaschutzgesetz festgelegte Ziel der Klimaneutralität bis 2050 durch Festlegung verbindlicher Zwischenziele bis zum Jahr 2030. Die am 18.04.2023 vom Europäischen Parlament angenommenen Änderungen der Europäischen Emissionshandelsrichtlinie (2003/87/EG) (nachfolgend “EU-Emissionshandels-Richtlinie" oder “EU-ETS-RL”) sind ein wesentlicher Teil des Pakets „Fit for 55“. Der Richtlinientext muss nun noch vom Rat der Europäischen Union formell genehmigt werden, damit er in Kraft treten kann. Da Richtlinien nur gegenüber den Mitgliedstaaten wirken und in der Regel keine unmittelbare Wirkung gegenüber den betroffenen EU-Bürgern und Unternehmen haben, muss die EU-Emissionshandels-Richtlinie danach noch in nationales Recht umgesetzt werden.

 

Um die Emissionsreduktionsziele der EU für 2030 zu erreichen, müssen die Emissionen der Sektoren, die unter das bestehende Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS I) fallen, im Vergleich zu 2005 um 62 Prozent reduziert werden. Hierzu werden bestehende Anreizmechanismen überarbeitet (z. B. kostenlose Zuteilung) und neue eingeführt, wie z. B. die Pönalisierung besonders energieineffizienter Anlagen. Darüber hinaus werden bislang nicht erfasste Wirtschaftszweige neu in den Emissionshandel aufgenommen, wie die Seefahrt und die Sektoren Gebäude und Verkehr. Für letztere wird ein gänzlich neues Emissionshandelssystem (EU-ETS II) eingeführt.

 

Sowohl die Verschärfung des EU-ETS I als auch die Einführung des EU-ETS II hat Auswirkungen auf Wärmeversorger. Diese sollten ihre Erzeugungsstrategie sowie ihre Preissysteme angesichts der Verschärfungen prüfen.

 

Neuerungen für Anlagenbetreiber, welche unter das bestehende EU-ETS I fallen

 

Durch die nun angenommene Reform wird die unionsweite Menge der Zertifikate um 90 Millionen im Jahr 2024 gesenkt (sog. “Rebasing”) und im Jahr 2026 um 27 Millionen (Art. 9 EU-ETS-RL). Darüber hinaus wird die Gesamtmenge der vergebenen Zertifikate jährlich um den linearen Reduktionsfaktor gesenkt, welcher bisher für die 4. Handelsperiode (2021 bis 2030) zu 2,2 Prozent pro Jahr festgelegt war. Neu soll von 2024 bis 2027 ein linearer Faktor von 4,3 Prozent pro Jahr, ab 2028 einer von 4,4 Prozent pro Jahr angewendet werden, wie Abbildung 1 verdeutlicht. Mit dem Rebasing soll eine Rückwirkung der Erhöhung des Reduktionsfaktors für die Emissionsziele seit 2021 erreicht werden.

 

In Zukunft soll die freie Zuteilung für KWK- und nicht-KWK-Wärmeerzeugungsanlagen gleichgestellt werden. Bislang erfolgte für KWK-Wärmeerzeuger eine jährliche Reduktion der freien Zuteilung mit dem linearen Reduktionsfaktor. Hierzu wurde die Definition des Stromerzeugerbegriffs nach Art. 3 lit. u sowie die Zuteilung selbst betreffende Regelung in Art. 10a Abs. 3 und 4 aus dem Entwurf der EU-ETS-RL gestrichen.

 

Die Umsetzung der durch ein Energieaudit oder ein zertifiziertes Energiemanagementsystem identifizierten Empfehlungen zur Erhöhung der Energieeffizienz soll durch die beschlossenen Maßnahmen zusätzlich angereizt werden (Art. 10a EU-ETS-RL). In Zukunft droht Anlagenbetreibern, welche die identifizierten oder gleichwertige Energieeffizienzmaßnahmen nicht umsetzen, unter Umständen eine Kürzung ihrer kostenlosen Zuteilung um 20 Prozent.

 

Eine Pönalisierung in Höhe von ebenfalls 20 Prozent erfahren Anlagenbetreiber, deren Treibhausgasemissionswerte über dem 80. Perzentil der Emissionswerte für die einschlägigen Produkt-Benchmarks liegen, sofern sie nicht bis zum 01. Mai 2024 für jede dieser Anlagen einen Plan zur Klimaneutralität erstellt haben. Für Wärmeversorger, die zu diesen Kategorien zählen, ist es wichtig jetzt zu handeln, um nicht von der Kürzung der Zertifikate getroffen zu werden.

 

Die Ermittlungsvorschrift für die Produkt-Benchmarks nach Art. 10a (b) und (c) EU-ETS-RL wird ebenfalls angepasst. Durch die Erweiterung des Reduktionskorridors von 1,6 Prozent auf 2,5 Prozent jährlich, sinkt der Benchmarkwert für das Produkt Wärme für die 2. Phase der 4. Handelsperiode ab 2026 voraussichtlich von aktuell ca. 170 kg/MWh auf ca. 112 kg/MWh, und somit um ca. 25 Prozent stärker als nach der bisherigen Regelung. Somit sinkt die freie Zuteilung von 2025 auf 2026 noch einmal merklich.

 

Die vorgestellten Änderungen führen zu einer deutlichen Reduktion der kostenlosen Zuteilung in der 2. Phase der 4. Handelsperiode ab 2026 sowie der schnelleren Verknappung verfügbarer Zertifikate. Hierdurch ist von weiter steigenden Preisen für Emissionszertifikate auszugehen, welche aktuell zwischen 80 und 100 €/t notieren. Diese Verschärfung des EU-ETS I soll Anreize zu Investitionen in effizientere Anlagen schaffen.

 

Ein Teil der Zertifikate wird bis 2030 versteigert, um einen Modernisierungsfonds zu finanzieren. Dieser soll gewisse Mitgliedsstaaten bei der Verbesserung der Energieeffizienz und der Modernisierung der Energiesysteme unterstützen (Artikel 10 EU-ETS-RL).

 

Neues Emissionshandelssystem für den Gebäude- und den Straßenverkehrssektor sowie für andere Sektoren (EU-ETS II)

 

Wie angekündigt, werden mit der Reform der Gebäude- und Straßenverkehrssektor sowie andere Sektoren in den Europäischen Emissionshandel aufgenommen, was im neuen Kapitel IVa der EU-Emissionshandelsrichtlinie geregelt wird. Dieses EU-ETS II soll ab 2027 in Kraft treten. Im in Artikel 30k EU-ETS-RL definierten Fall außerordentlich hoher Erdgas- oder Erdölpreise ist eine Verschiebung des Starttermins auf 2028 vorgesehen. Das EU-ETS II sieht bis 2030 einen Zertifikat-Höchstpreis von 45 €/t vor.

 

Bei den betroffenen Tätigkeiten handelt es sich nach Anhang III EU-ETS-RL unter anderem um KWK- und Wärmeerzeugungsanlagen, sofern sie Wärme für Haushalte, gewerbliche Zwecke oder Fernwärmenetze erzeugen und nicht in den Anwendungsbereich des EU-ETS I fallen. Hiermit sind folglich auch Tätigkeiten abgedeckt, deren Emissionen in Deutschland aktuell mittels des nationalen Emissionshandelssystems (nEHS) bepreist werden, welches durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) geregelt ist.

 

Aufgrund der sehr hohen Zahl von Kleinemittenten im Gebäude- und Straßenverkehrssektor ist es nicht möglich, die Regulierung unmittelbar auf die Emittenten anzuwenden, wie dies bei ortsfesten Anlagen der Fall ist. Ähnlich wie im nEHS soll das EU-ETS II daher in der Lieferkette weiter vorgelagert ansetzen. Daher soll die Compliance-Pflicht, der nicht unter das EU-ETS I fallenden Tätigkeiten, in den steuerrechtlich freien Verkehr greifen. Die Mitgliedsstaaten sind dazu angehalten, die jeweilige nationale Umsetzung des EU-ETS II bis 2025 zu beschließen, damit die beaufsichtigten Unternehmen frühzeitig die erforderlichen Genehmigungen beantragen können.

 

Die unionsweite Menge der Zertifikate für das EU-ETS II, die ab 2027 vergeben werden, wird ab 2024 jährlich um einen linearen Kürzungsfaktor von 5,10 Prozent gesenkt. Ab 2028 beträgt der lineare Kürzungsfaktor 5,38 Prozent (Artikel 30c). Der Referenzwert für das Jahr 2024 wird durch die Anwendung der EU-Lasteinteilungsverordnung (2018/842/EU) festgelegt.

 

Aus den Einnahmen des EU-ETS II soll ein Klima-Sozialfonds finanziert werden, um die am stärksten betroffenen finanziell schwächeren Gruppen zu unterstützen. Hierzu zählen insbesondere von Energie- oder Verkehrsarmut betroffene Haushalte. Durch den Fonds sollen beispielsweise Investitionen in effizientere Gebäude oder emissionssparende Mobilität gefördert werden. Ein weiterer Teil der Einnahmen aus dem EU-ETS II fließt in einen Innovationsfonds, um Investitionen in klimafreundliche Technologien, wie erneuerbare Energien, Energiespeicherung oder die umweltverträgliche CO₂-Abscheidung und -Nutzung zu fördern.

 

Novellierung der Emissionsberichterstattungsverordnung im nationalen Emissionshandelssystem

 

Die Emissionsberichterstattungsverordnung legt im Rahmen des nationalen Emissionshandelssystems konkrete Vorgaben hinsichtlich der Überwachung, Ermittlung und Berichterstattung der Brennstoffemissionen fest. Bereits am 21.12.2022 wurde im Zuge der Reform des nEHS die Emissionsberichterstattungsverordnung 2030 (EBeV 2030) beschlossen. Hiermit wird die Verpflichtung zur Berichtserstattung von Brennstoffemissionen ab 2024 auf alle in Anhang 1 des BEHG genannten Brennstoffe erweitert. Hierzu gehören insbesondere auch Kohlen und Rest-/ Abfallstoffe.

 

Betreiber von bisher nicht vom nationalen Emissionshandel erfassten Anlagen, wie beispielsweise Reststoffverbrennungsanlagen müssen in Zukunft auch die Kosten für Emissionszertifikate in ihren Kalkulationen berücksichtigen. Zur Abfederung der Auswirkungen auf das wirtschaftliche Ergebnis sind Kostenwälzungsmechanismen auf Abfallverursacher oder Wärmeabnehmer mögliche Varianten, die im Einzelfall geprüft werden sollten.

 

Überschneidungen und Unterschiede zwischen nEHS/ BEHG und EU-ETS II

 

Das durch das EU-ETS II vorgesehene Wirkungsprinzip ist dem durch das nationale Emissionshandelssystem vorgeschriebenen sehr ähnlich, jedoch nicht deckungsgleich. Insbesondere mit der Ausweitung des nEHS auf nicht energiesteuerpflichtige Brennstoffe wurde der Wirkungsbereich des nEHS über den im EU-ETS II vorgesehenen hinaus ausgedehnt.

 

Ferner liegt der im EU-ETS II vorgesehene Höchstpreis von 45 €/t unterhalb des im BEHG vorgesehenen Preispfades, welcher für 2026 die Einführung eines Handelssystems mit einem Preiskorridor zwischen 55 und 65 €/t mit anschließendem Übergang in einen freien Markt vorsieht. Grundsätzlich lässt das Europarecht im Bereich des Umweltrechts eine Verschärfung nationaler Schutzstandards gegenüber den europarechtlichen Vorgaben zu (Art. 176 EG). Insofern bleibt abzuwarten, ob und inwieweit der deutsche Gesetzgeber eine Absenkung strengerer Vorgaben des nEHS an die neuen Vorgaben des EU-ETS II vornehmen wird.

 

Ausblick auf den Europäischen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM)

 

Ab dem Jahr 2026 wird der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus eingeführt, um die Verlagerung von CO₂-Emissionen ins Ausland (sog. Carbon Leakage) zu verhindern. Importeure werden verpflichtet, jährlich die Gesamtmenge der in die EU eingeführten Waren und der damit verbundenen Emissionen zu melden. Das Ziel ist ein Angleichen des CO₂-Preises zwischen einheimischen und importierten Produkten sowie der schrittweise Übergang vom System kostenloser Zuteilungen zum CBAM. Da dies insbesondere für den Import energieintensiver Produkte wie beispielsweise Zement, Stahl, Eisen und Raffinerieerzeugnisse gilt, sind die Auswirkungen des CBAM für Wärmeversorger jedoch voraussichtlich vernachlässigbar.

 

Handlungsbedarf für Wärmeversorger

 

Für Wärmeversorger ist es wichtig, die aufgezeigten Entwicklungen im Blick zu behalten. Sowohl die Verknappung der gesamten Zertifikatmenge als auch die schnellere Reduktion der freien Zuteilung werden zu Preissteigerungen auf dem Markt für Zertifikate führen. Bei unveränderter Erzeugungsstruktur kommen auf Versorger durch die verringerte Zuteilung auch die Kosten für die Beschaffung der zusätzlichen Zertifikate zu. Die Teilnahme am Terminhandel für Emissionszertifikate kann eine Strategie darstellen, um Emissionskosten besser planbar zu machen. Dies ist bei der Planung der Wirtschaftlichkeit zu berücksichtigen.

 

Versorger, welche in ihren Fernwärmepreissystemen nicht explizit auf die maßgeblichen Berechnungsfaktoren verweisen, können ihre gestiegenen Kosten nicht in gleichem Maße durch ihr Preissystem weitergeben. Dies muss jetzt in der Wirtschaftlichkeitsplanung und dem Preissystem berücksichtigt werden. Versorger, welche eine Emissionspreisgleitformel anwenden, sollten diese dahingehend prüfen, ob die Reform des EU-ETS durch ihre Preisgleitformel in Zukunft noch hinreichend abgedeckt wird.

 

Die Umsetzung der Effizienzmaßnahmen aus einem Energieaudit bzw. einem zertifizierten Energiemanagementsystem wird neu durch eine Pönalisierung der Nichtdurchführung angereizt. Ferner gilt nun neu die Verpflichtung für besonders ineffiziente Anlagen, einen Plan zur Klimaneutralität zu erstellen, welcher bis zum 01. Mai 2024 vorliegen muss, um keine Kürzung der freien Zuteilung zu erfahren. Hierdurch wird weiterhin ein Anreiz zur Investition in effizientere Anlagen geschaffen, um weiterhin von der kostenlosen Zuteilung zu profitieren. Darüber hinaus werden Wärmeversorger nach den aktuellen Entwürfen zur Novellierung des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG) ohnehin Transformationspläne zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung benötigen.

 

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