Kartellrecht auf dem Vormarsch: Zahlreiche Änderungen im Jahr 2023

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veröffentlicht am 7. Dezember 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Das Kartellrecht bleibt ein wichtiges Thema für Unternehmen. Im Jahr 2023 wird es erneut eine Reihe von Änderungen und Neuregelungen im deutschen und EU-Kartell­recht geben, auf die sich auch mittelständische Unternehmen einstellen müssen. Betroffen sind unterschiedlichste Branchen und Unternehmensbereiche. Die Neu­re­ge­lungen betreffen insbesondere den Vertrieb und andere „Vertikalvereinba­rungen“, den Informationsaustausch und Kooperationen mit Wettbewerbern, die Marktmacht der großen Digitalplattformen sowie schärfere Regelungen und stärkere Ein­griffs­be­fug­nisse für das Bundeskartellamt im Rahmen einer 11. GWB-Novelle.



Wir geben nachfolgend einen kurzen Überblick zu den wichtigsten Neuregelungen und ihrer Bedeutung für Unternehmen:


Vertikal-GVO: Ende des Übergangszeitraums

Die neue Gruppenfreistellungsverordnung zu vertikalen Vereinbarungen (VO (EU) 2022/270; „Vertikal-GVO“) mitsamt den dazugehörigen Vertikalleitlinien sind bereits am 1. Juni 2022 in Kraft getreten. Unternehmen wurde aber ein Übergangszeitraum gewährt, in dem bestehende Vereinbarungen, die nach der alten Vertikal-GVO zulässig waren, vorübergehend weiterhin freigestellt blieben. Dieser Übergangszeitraum läuft zum 31. Mai 2023 aus. Danach müssen sowohl neue als auch bestehende Vertriebsverträge und andere Vereinbarungen in der Vertriebs-/Produktionskette den Anforderungen der neuen Vertikal-GVO genügen.

Relevante Änderungen oder Klarstellungen hat es in der Vertikal-GVO zu verschiedenen Aspekten gegeben, unter anderem zum zweigleisigen Vertrieb, zum Exklusiv-/Alleinvertrieb, zum selektiven Vertrieb, zu Doppel­preissystemen, zu Mindestwerbepreisen, zu Wettbewerbsverboten und zu den höchst praxisrelevanten Beschränkungen des Internetvertriebs.

Falls noch nicht geschehen, sollten Unternehmen ihre bestehenden Vertriebsverträge und anderen vertikalen Vereinbarungen zeitnah überprüfen. Zum einen riskieren Unternehmen andernfalls, dass bestehende Verträge unwirksam werden. Zum anderen gibt die neue Vertikal-GVO auch neue Gestaltungsspielräume, zum Beispiel beim Exklusivvertrieb oder bei Doppelpreissystemen. Diese Gestaltungsspielräume würden möglicherweise ungenutzt bleiben.


Horizontale Gruppenfreistellungsverordnungen und Leitlinien

2023 werden sowohl die bisherigen horizontalen Gruppenfreistellungsverordnungen zu F&E-Vereinbarungen („F&E-GVO“) bzw. zu Spezialisierungsvereinbarungen („Spezialisierungs-GVO“) als auch die sog. Horizontal­leitlinien der EU-Kommission überarbeitet. Die beiden Gruppenfreistellungsverordnungen sollten bis zum 31. Dezember 2022 gelten. Da die Überarbeitung der Nachfolgeregelungen nicht abgeschlossen wurde, be­ab­sich­tigt die EU-Kommission nun, die Geltungsdauer der bestehenden Regelungen bis zum 30. Juni 2023 zu ver­läng­ern. Voraussichtlich zum 1. Juli 2023 treten die Nachfolgeregelungen in Kraft.

Die Horizontalleitlinien sind für alle Formen der Zusammenarbeit von Wettbewerbern besonders relevant. Sie enthalten für die Praxis sehr wichtige Anhaltspunkte zur kartellrechtlichen Beurteilung des Informations­austauschs zwischen Wettbewerbern, aber auch von verschiedenen Kooperationen zwischen Wettbewerbern, wie zum Beispiel Einkaufskooperationen, Vermarktungsvereinbarungen, Produktionsvereinbarungen oder Standardisierungen. Mit besonderer Spannung werden die Ausführungen zur kartellrechtlichen Beurteilung von Nachhaltigkeitsvereinbarungen erwartet. Unternehmen werden danach künftig hoffentlich mehr Klarheit haben, unter welchen Voraussetzungen sie mit Wettbewerbern kooperieren dürfen, um Nachhaltigkeitsziele zu verwirklichen.

Unternehmen sollten nach Bekanntwerden der finalen Dokumente ihre Kooperationen mit Wettbewerbern und ihre Maßnahmen zur kartellrechtlichen Compliance auf Übereinstimmung mit den neuen Regelungen zum horizontalen Kartellrecht überprüfen.


DMA: Regulierung von großen Digitalplattformen

Große digitale Plattformanbieter mit Systemrelevanz (sog. „Gatekeeper“) unterfallen unter bestimmten Vor­aus­setzungen künftig dem Digital Markets Act (DMA) der EU, der ab dem 2. Mai 2023 gilt. Der DMA regelt unter anderem, dass Gatekeeper, die die (hohen) gesetzlichen Schwellenwerte erfüllen, zukünftig verschiedene Verhaltenspflichten befolgen müssen. Sie werden unter anderem bei der Verwendung von personenbezogenen Daten oder der Bündelung eigener Dienstleistungen beschränkt. Außerdem ist es ihnen untersagt, bestimmte eigene Produkte und Dienstleistungen zu bevorzugen. Für die Praxis relevant ist zudem, dass Gatekeeper Geschäftskunden nicht daran hindern dürfen, dieselben Produkte zu abweichenden Konditionen auf anderen Online-Vertriebskanälen anzubieten.

Unternehmen, die die Plattformen von (möglichen) Gatekeepern nutzen, werden sich künftig besser gegen Behinderungen und Benachteiligungen durch vermeintlich übermächtige Plattformanbieter wehren können. Neben der Beschwerde bei einer Kartellbehörde steht auch der ordentliche Gerichtsweg mit gewissen ge­setz­lichen Erleichterungen offen.


11. GWB-Novelle: Verschärfung des Kartellrechts

2023 wird es im Rahmen einer 11. GWB-Novelle erneut zu Änderungen im GWB kommen. Der im September 2022 veröffentlichte Referentenentwurf stärkt die Stellung des Bundeskartellamts und weitet dessen Ein­griffs­be­fug­nisse erheblich aus. Das bringt zusätzliche Risiken für die Unternehmen mit sich, die insbesondere bei der kartellrechtlichen Compliance berücksichtigt werden sollten. Hervorzuheben sind drei Bereiche:


Erstens soll nach dem Entwurf das Instrument der Sektoruntersuchung beschleunigt und mit weitreichenden Eingriffsbefugnissen des Bundeskartellamts im Anschluss an eine Sektoruntersuchung erweitert werden. Dem Bundeskartellamt sollen künftig im Anschluss an Sektoruntersuchungen verschiedene Abhilfemaßnahmen und als „Ultima Ratio“ sogar eine missbrauchsunabhängige Entflechtung zur Verfügung stehen. Ergänzt wird das durch die Möglichkeit, Unternehmen per Verfügung erweiterten Fusionskontrollpflichten zu unterwerfen.

Zweitens soll die Vorteilsabschöpfung nach Kartellrechtsverstößen vereinfacht werden. Es soll eine gesetzliche Vermutung geben, dass der abschöpfbare wirtschaftliche Vorteil aus einem Kartellrechtsverstoß mindestens 1 Prozent des Umsatzes mit kartellbefangenen Produkten im Inland beträgt (Obergrenze: 10 Prozent des Ge­samt­um­satzes im Vorjahr). Für Unternehmen kann ein Kartellrechtsverstoß so (noch) teurer werden. Die Ab­schreck­ungs­wir­kung der Neuregelung wird zudem dadurch erhöht, dass eine Abschöpfung verschuldensunabhängig möglich sein soll.


Drittens will die 11. GWB-Novelle das GWB so anpassen, dass eine Durchsetzung der Regelungen des DMA (siehe oben) vor deutschen Gerichten möglich ist und dass das Bundeskartellamt die EU-Kommission bei der Durchsetzung des DMA unterstützen kann.


Fazit

Die Neuregelungen im Kartellrecht im Jahr 2023 sind aus unterschiedlichen Perspektiven interessant: Zum einen können sie den Handlungsspielraum von Unternehmen erweitern, sei es bei Vertriebsvereinbarungen, bei Wettbewerberkontakten und -kooperationen oder bei der Wahrung der eigenen Rechte gegenüber großen Di­gi­tal­platt­for­men. Zum anderen führen sie zu zusätzlichen Risiken bei den Unternehmen. Solche können Un­ter­neh­men vermeiden, indem sie die Vereinbarkeit der eigenen Verträge und Verhaltensweisen mit den Neu­re­ge­lungen rechtzeitig überprüfen und die Mitarbeiter entsprechend instruieren.

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