Digitalisierung in Vietnam

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zuletzt aktualisiert am 24. August 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Interview mit Lutz Koch und Michael Wekezer


Digitalisierung ist ein branchen- und gesellschaftsübergreifendes Thema. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Vietnam ein? Welche Branchen sind bereits auf der Erfolgsspur, welche hinken hinterher?

Der Digitalisierungsprozess in Vietnam ist in den letzten Jahren in fast allen Bereichen (d.h. öffentlicher Dienst, Verwaltungsverfahren, Geschäftsabläufe und alltägliche Handelsaktivitäten) schnell vorangeschritten. Unter­stützt wurde diese Entwicklung einerseits durch die Umsetzung des Aktionsplans der vietnamesischen Re­gierung zur Digitalisierung in Vietnam im Zeitraum von 2019 bis 2025 sowie durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. 2019 startete die Regierung im Rahmen dieses Aktionsplans das National Public Service Portal (NPSP), eine elektronische Plattform, die die Regierung mit Unternehmen und Bürgern vernetzt. Seit dem 1. Juli 2022 wurden fünfundzwanzig wesentliche öffentliche Dienstleistungen, darunter die Neuausstellung von Bür­ger­ausweisen (Personalausweisen), die Registrierung für einen dauerhaften oder vorübergehenden Aufenthalt, die Erst- oder Neuausstellung von Reisepässen usw. digitalisiert, was den starken Willen der Regierung zeigt, die digitale Transformation, insbesondere in der Verwaltung, weiter voranzutreiben. 

 
Eine von der vietnamesischen Industrie- und Handelskammer durchgeführte Umfrage über die digitale Trans­formation in vietnamesischen Unternehmen ergab, dass Unternehmen aller Branchen in Vietnam die Bedeu­tung der Digitalisierung erkannt haben und bereits Technologien zur Verbesserung des internen Managements, des Einkaufs, der Logistik, der Produktion, des Marketings und Finanztransaktionen einsetzen.


Wo sehen Sie Potenziale für deutschen oder europäischen Unternehmen in Vietnam?

Das noch recht neue Freihandelsabkommen zwischen Vietnam und der EU (EVFTA), welches im August 2021 in Kraft trat, schafft neue Möglichkeiten sowohl im Handel als auch bei Investments zwischen den EU-Staaten und Vietnam. Für deutsche und europäische Unternehmen entstehen dadurch nicht nur neue Potenziale, sondern auch ein erleichterter Zugang in den vietnamesischen Markt.

Darüber hinaus schaffen die jüngsten Änderungen des regulatorischen Rahmens für ausländische Investitionen (z.B. Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, Anwendung digitaler öffentlicher Dienstleistungen und Verwaltungsverfahren) eine vorteilhafte Ausgangslage und ein effizientes Umfeld für ausländische Investoren. Vietnam wirbt gezielt hochwertige ausländische Direktinvestitionen an. Diese Direktinvestitionen konzen­trierten sich in den letzten Jahren insbesondere auf das verarbeitende und produzierende Gewerbe.


Digitalisierung ruft auch immer Fragen zu Themen wie Cybersicherheit, Datenschutz, oder das Schaffen neuer Regeln und Standards für die digitale Wirtschaft auf den Plan. Wie sind Ihre Erfahrungen in Vietnam gibt es bereits Gesetze oder Vorschriften, die diese Themen speziell regulieren und Sicherheiten für Unternehmen schaffen?

In Vietnam regelt das Zivilgesetzbuch in Kombination mit dem Gesetz über Cyber-Informationssicherheit, dem Gesetz über Cybersicherheit sowie weiteren Vorschriften den Umgang mit Datenschutz und Cybersicherheit. Während Einzelpersonen und Organisationen grundsätzlich das Recht haben, ihre privaten Daten im Einklang mit den Gesetzen zu schützen, sind die zuständigen Behörden, ebenso wie Organisationen oder Einzel­per­sonen, die solche privaten Daten verarbeiten, für die Gewährleistung der Cybersicherheit dieser Informationen verantwortlich.

Darüber hinaus hat das Ministerium für öffentliche Sicherheit (Ministry of Public Security) eine eigene Abteilung eingerichtet, die sich mit Straftaten im Bereich der Cybersicherheit und anderen High-Tech Delikten befasst. Hier zeigt sich deutlich das Bemühen der vietnamesischen Regierung, den Schutz privater Daten von Einzelpersonen und Organisationen zu regulieren und zu verbessern.

Die bisher geltenden Vorschriften haben die Sicherheit und den Schutz von persönlichen Daten von Einzel­per­sonen und Organisationen schrittweise verbessert. So ist beispielsweise der unbefugte Handel mit bzw. der Austausch von persönlichen Daten nicht mehr so häufig wie in der Vergangenheit.

 
Da der Diebstahl personenbezogener Daten aber dennoch weiterhin vorkommt, plant das Ministerium für öffentliche Sicherheit zeitnah ein strengeres Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten. Da die ersten Entwürfe ähnliche Konzepte aufweisen, wie sie aus den Datenschutzgesetzen der EU bekannt sind, könnte die Gesetzgebung weitreichende Auswirkungen auf in Vietnam tätige Unternehmen haben.


Inwieweit hat die Corona-Pandemie die Entwicklung seit ihrem Beginn verändert?

Die Covid-19-Pandemie hat zahlreiche Lebensbereiche der vietnamesischen Gesellschaft als Ganzes und die Entwicklung der Digitalisierung im Besonderen stark beeinflusst.

Als sich die Covid-19-Pandemie auch in Vietnam zunehmend ausbreitete und Maßnahmen zu Kontaktbe­schränkung und Social Distancing eingeführt wurden, blieb Unternehmen kaum eine andere Wahl, als digitale Technologien in ihren täglichen Arbeitsabläufen zu integrieren. Beispielsweise in der internen Verwaltung, bei digitalen Bankgeschäften oder im Online-Marketing – innerhalb kürzester Zeit stieg daher der Prozentsatz der Unternehmen, die digitale Technologien einsetzten, sprunghaft an.

Auch die Tendenz, aus dem Home-Office zu arbeiten und Einkäufe aller Art online abzuwickeln, nahm drastisch zu. Darüber hinaus änderten sich die Gewohnheiten der Menschen im allgemeinen Zahlungsverkehr – Zahlungen wurden nicht mehr vorzugsweise mit Bargeld getätigt, sondern vor allem über Smartphone oder andere Smart-Devices (z. B. Geldtransfer über Momo, Shopee Pay) sowie mit klassischen Bankkarten.

Darüber hinaus ist Vietnam eine der Volkswirtschaften, die sich am schnellsten von der Covid-19-Pandemie erholt, und für die absehbare Zukunft wird ein erhebliches Wirtschaftswachstum prognostiziert.


Können Sie uns ein Praxisbeispiel guter Digitalisierung im geschäftlichen Alltag darlegen?

Ein praktisches Beispiel für die Digitalisierung in Vietnam ist der Transformationsprozess innerhalb der Steuer­behörden in den letzten Jahren. Beispielhaft seien hier insbesondere das zentralisierte Steuerverwaltungs­system, das System für die elektronische Steuererklärung, das elektronische Steuerrückerstattungssystem sowie das elektronischem Datenbank- und Verwaltungssystem für Rechnungen genannt. Die landesweite Einführung des zentralen Steuerverwaltungssystems wurde von der Generaldirektion für Steuern bereits im Jahr 2015 abgeschlossen.

Bis zum Jahr 2021 wurde das elektronische Steuererklärungssystem erfolgreich in allen 63 Provinzen und Städten sowie in allen Steuerabteilungen eingeführt Von insgesamt 841.018 Unternehmen haben bisher 838.787 die elektronische Steuererklärung eingereicht. Die Teilnahmequote entspricht somit 99,7 Prozent. Was die elektronische Steuerzahlung betrifft, so hat die nationale Steuerbehörde mit 55 Geschäftsbanken und allen 63 regionalen Steuerbehörden zusammengearbeitet, um das System einzuführen und die Unternehmen zu ermu­tigen, diesen Dienst zu nutzen. Bis zum August 2021 hatten sich 832.802 von insgesamt 841.018 Unternehmen bei der Steuerbehörde für die Nutzung dieses Dienstes registrieren lassen, was einer Quote von 99 Prozent entspricht.


Darüber hinaus hat die Steuerbehörde erfolgreich einen elektronischen Steuererstattungsservice eingeführt.

Seit Juli 2022 sind zudem alle in Vietnam tätigen Unternehmen verpflichtet, eine elektronische Rechnung zu verwenden, wenn sie Waren verkaufen oder Dienstleistungen an Kunden erbringen, einschließlich aller Export­aktivitäten. Alle offiziellen Rechnungen werden in einer einzigen Datenbank der Steuerbehörde syn­chronisiert und täglich aktualisiert. Die Steuerbehörde gewährt außerdem jedem Unternehmen das Recht, auf das Unter­nehmensprofil in der Datenbank zuzugreifen, so dass das Unternehmen alle eigenen Eingangs- und Ausgangs­rechnungen online verwalten kann. Die digitale Transformation hat nicht nur den Zeitaufwand und die Kosten für in Vietnam tätige Unternehmen reduziert, sondern auch für mehr Transparenz gesorgt.

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