Investitionsschutzklagen gegen Russland: Vollstreckung in russisches Staatsvermögen auf Grundlage des Inves­ti­tions­schutzabkommens

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veröffentlicht am 13. Juni 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Vor dem Hintergrund des Angriffskriegs in der Ukraine stellen viele Unternehmen und westliche Investoren die Zukunft des eigenen Russlandgeschäfts zur Disposition. Als Gegenmaßnahme beabsichtigt Russland, ausländische Unternehmen aus „feindlichen Staaten“, die die Geschäftstätigkeit einstellen, unter Zwangsverwaltung zu stellen und die bestehenden Assets zu verwerten.
 
Das bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und Russland kann im Hinblick auf die geplanten russischen Enteignungsmaßnahmen durch die Ein­lei­tung eines Schiedsgerichtsverfahren Schutz bieten. Denkbar ist dabei die Vollstreck­ung in russisches Staatsvermögen in Deutschland.


Pläne Russlands zur Zwangsverwaltung und -verwertung von ausländischen Unter­nehmen

Russland plant ein Gesetz über die externe Verwaltung von ausländischen Unternehmen, das bei Investoren für große Verunsicherung sorgt. Anlass ist ein Mechanismus, der staatlichen Zugriff auf Unternehmen in aus­län­discher Inhaberschaft ermöglichen soll, wonach Unternehmen unter die Kontrolle der staatlichen Ent­wick­lungs­gesellschaft VEB.RF oder einer anderen russischen Organisation gestellt werden können. 
  
Nach dem Gesetzesentwurf (mehr dazu in unserem Beitrag Russland: Gesetzentwurf über externe Verwaltung von ausländischen Unternehmen) können u.a. folgende Gründe aus russischer Sicht die Zwangsverwaltung rechtfertigen:  
  • das Unternehmen wird zu mindestens 25 Prozent von natürlichen bzw. juristischen Personen aus „feindlichen Staaten“ geleitet, bzw. ein entsprechender Anteil am Stammkapital des Unternehmens lässt sich solchen Personen zurechnen;
  • die externe Verwaltung liegt im öffentlichen Interesse, das ist u.a. dann der Fall, wenn Unternehmen lebens­wichtige Güter herstellen, an wichtigen Produktionsketten beteiligt sind oder eine marktbeherrschende Stellung haben;
  • es erfolgt eine vollständige oder teilweise Einstellung der Unternehmenstätigkeit ohne wirtschaftliche Gründe, insbesondere bei Liquidation oder Insolvenz des Unternehmens. 

Die Kriterien sind denkbar weit und betreffen alle Investoren unmittelbar, die zuletzt vor dem Hintergrund europäischer und US-amerikanischer Sanktionen sowie in Anbetracht des öffentlichen Drucks einen Rückzug vom russischen Markt angestrebt haben.  

Der Gesetzesentwurf – der auch als russische Gegenmaßnahme gegen die westlichen Sanktionen verstanden werden kann – ist noch nicht final. Es zeigt sich aber aufgrund der geplanten Regelungsinhalte, dass mit der Übernahme der Leitungsbefugnisse ein weitgreifender staatlicher Eingriff in die Geschäftstätigkeit beabsichtigt ist. Mit der externen Verwaltung soll die Übertragung der Assets in treuhänderische Verwaltung verbunden sein. Faktisch droht damit eine Enteignung ausländischer Investoren.
   

Der deutsch-russische Investitionsförderungs- und -schutzvertrag 

In Folge des geplanten Gesetzes eröffnet sich für ausländische Investoren die investitionsschutzrechtliche Fragestellung nach einer angemessenen Gegenmaßnahme. Unmittelbarer Rechtsschutz gegen die Zwangs­ins­tru­mente ist nur vor inländischen (russischen) Gerichten möglich. Die inhaltliche Ausrichtung der Frage nach Rechtsschutzmöglichkeiten hat sich deshalb auf die Frage verschoben, welche Möglichkeiten Investoren haben, aus dem Ausland auf russische Maßnahmen zu reagieren.

Ein Lösungsansatz findet sich im Investitionsschutzabkommen zwischen Deutschland und Russland, das unter bestimmten Voraussetzungen die Pfändung russischen Auslandsvermögens in Deutschland erlaubt. Der zwischen Deutschland und Russland als Rechtnachfolger der Sowjetunion bestehende bilaterale Investitions­förderungs- und -schutzvertrag (IFV) vom 13. Juni 1989 ist seit dem 5. August 1991 – auch vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine – in Kraft. 

Als Kern des Investitionsschutzes stellt der IFV eines der wichtigsten Abkommen zwischen Deutschland und Russland dar und legt die Grundlagen im Hinblick auf die Förderung und den Schutz von Kapitalanlagen im jeweils anderen Land fest. 

Investorenklage als Gegenmaßnahme

Der Schutzstandard des Investitionsabkommens wird in Art. 1 Abs. 1 IFV genauer definiert und umfasst grund­sätzlich alle Arten von Vermögenswerten, die der Investor der einen Vertragspartei im Gebiet der anderen Vertragspartei gemäß deren Rechtsvorschriften anlegt, insbesondere das Eigentum und Anteilsrechte an Unternehmen sowie die Erträge aus gewerblicher Tätigkeit.

Aufgrund der weitgehenden Einschränkung der typischerweise mit dem Eigentum verbundenen Nutzungs- und Verwertungsrechte, müssen die geplanten russischen Zwangsmaßnahmen nach dem Maßstab der Enteig­nungs­vorschriften betrachtet werden. 

Mit dem Ziel eines möglichst weitgehenden Investorenschutzes, enthält das Investitionsschutzabkommen in Art. 4 f. IFV Regelungen zu Enteignung oder andere Maßnahmen gleicher Wirkung sowie zum freien Transfer von Erträgen. So darf gemäß Art. 4 Abs. 1 IFV eine derartige Maßnahme nur dann erfolgen, wenn sie im öffent­lichen Interesse und gegen Entschädigung erfolgt. Zwar muss gemäß Art. 4 Abs. 2 IFV die Rechtmäßigkeit der Enteignungshandlung vor einem russischen Gericht geklärt werden. Für Investoren interessant ist allerdings die vorgesehene Möglichkeit, ein Schiedsverfahren über „Umfang und Verfahren der Entschädigung“ gegen Russ­land einzuleiten. In verfahrensrechtlicher Hinsicht besteht damit für Investoren die Möglichkeit zur tradi­tio­nellen Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit, wie sie das deutsch-russische Investitionsschutzabkommen in dem Artikel 10 IFV kennt. Im Falle eines Obsiegens im Schiedsverfahren, kann der Schiedsspruch auch außer­halb Russlands gegen russisches Vermögen vollstreckt werden.

Bislang kein Präzedenzfall

Offen bleibt, ob vor dem Hintergrund des russischen Handelns und der hohen Dynamik der Ereignisse der ge­wünschte Investorenschutz erreicht werden kann. Der Ansatz, über das deutsch-russische Investitions­schutz­ab­kommen auf die russischen Enteignungspläne zu reagieren, erscheint dabei vielversprechend. Legt man frühere Verfahren, wie beispielsweise das Yukos-Schiedsverfahren zugrunde, müssen sich Investoren allerdings auf langwierige Verfahren über mehrere Instanzen einstellen.  

Ferner stellt sich in der Praxis die Frage nach der Möglichkeit des Rückgriffs auf Vermögenswerte der deutschen Tochterunternehmen russischer Staatskonzerne wie beispielsweise die Gazprom Germania GmbH, oder ob diese Fällen wiederum nach den Maßstäben des Investitionsschutzabkommens zu behandeln sind, wonach die Unternehmen und deren weit verzweigte Gesellschafter, im Falle von Gazprom beispielhaft die Gazprom Schweiz AG vor Zugriff geschützt sind.

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Informationen zu dem Schutzschirm der deutschen Regierung für vom Ukrainekrieg betroffene Unternehmen finden Sie in unserem Überblick.
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