Arzneimittel-Vertrieb in den baltischen Staaten: Überblick über praktische und kosteneffiziente Lösungen

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veröffentlicht am 11. November 2020 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Jedes Unternehmen ist an geeigneten, rentablen, kosten- und zeiteffizienten Lösungen für seine Geschäftstätigkeit interessiert. Pharmaunternehmen wollen ihre Medika­mente auf allen Märkten mit weniger Aufwand und Kosten vermarkten. Wir geben im Folgenden einen Einblick in den baltischen Pharmamarkt und einen Überblick über nutzbringende Optionen für den weiteren Ausbau des Geschäfts.


Medikamente können durch das zentralisierte Zulassungsverfahren bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) registriert und damit in allen Ländern der Europäischen Union verkauft werden. Da das Verfahren jedoch sehr komplex, teuer und langwierig ist, machen sich Pharmaunternehmen oft dezentralisierte Verfahren zunutze und lassen ihre Produkte aus Analyse- und Effizienzgründen nur in wenigen oder manchmal sogar nur in einem Land genehmigen oder registrieren. Sollte das Produkt Erfolg haben, tendieren Pharmaunternehmen oder Zulassungsinhaber dazu, die Produkte unter Berücksichtigung landesspezifischer Bedingungen auch auf anderen Märkten in Verkehr zu bringen, um so Kosten zu sparen und die Verfahrensdauer zu minimieren.
   

  

Inverkehrbringen eines Arzneimittels zur individuell gewährten Behandlung („named-patient basis” treatment)

Es gibt eine Reihe von Optionen für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln auf dem jeweiligen Markt. Handelt es sich um ein neues, weniger populäres und wenig verbreitetes Medikament, bietet es sich an, das Produkt zur individuell gewährten Behandlung anzubieten, bei der Ärzte ein Arzneimittel vor der Zulassung direkt von den Herstellern beziehen. Das geschieht auf individueller Basis unter der direkten Verantwortung des Arztes. Das dazugehörige Verfahren ist v.a. in Litauen recht günstig und auf das pharmazeutische Geschäft ausgerichtet. Auch wenn das Vorgehen freilich einen gewissen administrativen Aufwand erfordert (z.B. das Produkt sollte vom Gesundheitsministerium oder einer Gesundheitseinrichtung als „wesentlich” anerkannt werden); ein Großhändler muss eine Genehmigung für den Vertrieb von nicht genehmigten Arzneimitteln besitzen. Dennoch ist das Verfahren in bestimmten Fällen vorteilhaft, wie im Folgenden näher dargelegt wird.


Litauen

Im Gegensatz zu Estland und in bestimmten Fällen zu Lettland, dürfen sich litauische Pharmaunternehmen direkt an die Ärzte und Gesundheitseinrichtungen wenden und den Nutzen sowie die Vorteile ihrer Produkte erläutern, ohne dass eine Behörde oder ein anderer Vermittler zwischengeschaltet wird. Dementsprechend kann der Arzt, der über alle notwendigen Informationen über das Produkt verfügt, einem bestimmten Patienten das entsprechende Medikament verschreiben. Die Apotheken hingegen wenden sich für die Bestellung solcher Arzneimittel direkt an die Vertreiber – ohne Zwischenhändler.


Lettland

Ähnlich wie in Litauen können Ärzte und Gesundheitseinrichtungen nach eigenem Ermessen entscheiden, welches Medikament im konkreten Einzelfall am vorteilhaftesten und geeignetsten für den Patienten ist. Der Vertreiber sollte jedoch eine Einfuhrgenehmigung beantragen, sobald der Antrag auf Verwendung des spezifischen Arzneimittels vorliegt. Die Einfuhrgenehmigung wird von der Staatlichen Arzneimittelbehörde erteilt. Das Verfahren dauert ca. –drei bis sieben Tage. Es kann jedoch je nachdem ob die Dokumentation mit den nationalen Anforderungen übereinstimmt und je nach Art des Produkts auf bis zu vier Monate verlängert werden. Für jedes spezifische Arzneimittel zur individuell gewährten Behandlung muss eine separate Einfuhrgenehmigung erteilt werden. Da die zuständige nationale Behörde involviert werden muss, dauert das Verfahren im Vergleich zu Litauen etwas länger und bringt zudem höhere Kosten mit sich. Andererseits ist zu beachten, dass die Ärzte und Gesundheitseinrichtungen eine wesentliche Rolle bei der Verschreibung eines bestimmten Arzneimittels spielen.


Estland

Die Vorschriften und Anforderungen unterscheiden sich in Estland erheblich. Daher ist Estland das am wenigsten attraktive baltische Land für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels zur individuell gewährten Behandlung. In Fällen, in denen der betreffende Wirkstoff in der Wirkstoffliste für nicht zugelassene Arzneimittel aufgeführt ist, muss der Großhändler mind. fünf Tage vor dem Import eine Einfuhrgenehmigung beantragen. Es gelten keine Import­mengen­beschränkungen. Das Verfahren dauert ca. sieben bis 14 Tage. Ist der betreffende Wirkstoff hingegen nicht in der Liste aufgeführt, ist die Genehmigung der Staatlichen Arzneimittelbehörde erforderlich. Daher muss der Arzt oder die Gesundheitseinrichtung der Behörde die Verschreibung und das entsprechende Antragsformular übermitteln. Sobald die Verwendung des Arzneimittels genehmigt wurde, kann der Großhändler eine Einfuhrgenehmigung beantragen. Das Verfahren dauert ca. –ein bis zwei Monate. Da die Staatliche Arzneimittelbehörde in Estland maßgeblich am Vertrieb und dem Großhandel von Arzneimitteln im Allgemeinen und solchen zur individuell gewährten Behandlung im speziellen beteiligt ist und in Anbetracht der Komplexität des Verfahrens und der damit verbundenen Kosten, ist es wohl vorteilhafter für interessierte Pharmaunternehmen, die Aufnahme des bestreffenden Wirkstoffs in die Liste der Wirkstoffe für nicht zugelassene Arzneimittel anzustreben.


Parallel-Import

Pharmazeutische Unternehmer, insbesondere die Hersteller, vermarkten viele ihrer Arzneimittel sowohl in den baltischen Staaten als auch in anderen EU- bzw. EWR- Mitgliedstaaten und besitzen für diese im jeweiligen Mitgliedstaat eine separate nationale Zulassung. Dritte, vom ursprünglichen Zulassungsinhaber bzw. Hersteller unabhängige Firmen, können auf die Möglichkeit des Parallelimports zurückgreifen, wenn sie solche Arzneimittel in einem anderen EU- bzw. EWR-Mitgliedstaat erwerben und in diese oder in einen der baltischen Staaten importieren, um sie dort – parallel zum ursprünglichen pharmazeutischen Unternehmer – ebenfalls in den Verkehr zu bringen. Das setzt jedoch voraus, dass die Drittunternehmen bei der zuständigen nationalen Behörde einen Zulassungsantrag für den Parallel-Import einreichen, auch wenn auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGHs ein vereinfachtes Zulassungsverfahren gilt, bei dem der Parallelimporteur nur einen geringen Teil der gesetzlich geforderten Unterlagen einreichen muss. Die Behörde führt innerhalb von fünf Arbeitstagen eine primäre Expertenprüfung der eingereichten Informationen durch und überprüft die Konformität mit den nationalen und EU-Vorschriften. Die zuständige Behörde kontaktiert und kommuniziert mit der Behörde des jeweiligen Landes, in denen das Arzneimittel zugelassen ist. Die Verfahrensdauer sollte etwa 30 Tage betragen, wobei es jedoch i.d.R. länger dauert, da die Korrespondenz zwischen den Behörden über die Vollständigkeit der Informationen und weitere erforderliche Maßnahmen oftmals zu Verzögerungen führt.


Gegenseitige Anerkennung

Sollte die Vermarktung eines Arzneimittels als zur individuell gewährten Behandlung oder der Parallel-Import im Einzelfall nicht in Frage kommen, kann auf das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung zurückgegriffen werden. Hierzu ist es freilich erforderlich, dass es bereits in einem anderen Mitgliedstaat (Referenzstaat) zugelassen ist. Die Zulassung kann dann in einem oder allen baltischen Staaten anerkannt werden. Hierzu ist es notwendig, dass der Antragsteller die der bestehenden nationalen Zulassung zugrundeliegende Dokumentation bei der zuständigen Behörde des Referenzstaates aktualisiert, damit ein Bewertungsbericht verfasst werden kann. Der wird innerhalb einer Frist von 90 Tagen nach Eingang der aktualisierten Zulassungsunterlagen erstellt. Nach einer Validierungsphase folgt dann das eigentliche Verfahren der gegenseitigen Anerkennung bei dem der jeweilige Mitgliedstaat bis zum Tag 90 des laufenden Verfahrens die Zulassung anerkennt. Danach muss der Antragsteller eine Übersetzung der Produktliteratur in die Sprache des jeweiligen Mitgliedstaates, in dem die Zulassung anerkannt wurde, einreichen. Die Zulassungsbehörde erstellt innerhalb einer Frist von max. 30 Tagen nach Erhalt der korrekten Übersetzungen den nationalen Zulassungsbescheid. In den baltischen Staaten ergeht der i.d.R. bereits nach 14 Tagen.


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Fazit

Obwohl in den baltischen Staaten im Vergleich zu anderen EU-Mitgliedsstaaten ähnliche rechtliche und administrative Anforderungen für die Vermarktung von Arzneimitteln gelten, haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Möglichkeit der Pharmaunternehmen, ihre Produkte gegenüber Ärzten und Gesundheitseinrichtungen aktiv vorstellen zu können, in Litauen, Lettland und Estland besondere geschäftliche Vorteile mit sich bringt. Darüber hinaus sind die Verwaltungsverfahren recht schnell und effizient. Wir haben die wesentlichen Informationen zum jeweiligen Verfahren, die im Baltikum verfügbar sind, zusammengefasst.

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