Krisen-Compliance: Strafrechtliche Haftung in Krisensituationen vermeiden

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veröffentlicht am 22. Juli 2020 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Krisensituationen sind immer Sondersituationen. Und Sonder­situationen erfordern regelmäßig die Veränderung des Blickwinkels. Nicht zuletzt wegen der besonderen Herausforderungen, die sich aus der Unter­nehmens­führung in der Krise zwangsläufig ergeben. In Krisensituation drohen nicht nur zivilrechtliche Haftungsrisiken, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen für die Unternehmensleiter.
 
Gefühlt lauert dabei ein schier undurchdringliches Minenfeld, das Unternehmensleiter nur bedingt in Krisensituationen umschiffen können. Um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir im nachfolgenden Beitrag einen Überblick über die häufigsten strafrechtlichen Risiken in einer Unternehmenskrise dargestellt.


 


Das Krisenstrafrecht gewinnt im Alltags­bewusstsein stetig an Bedeutung. Und mittlerweile wird darüber längst nicht mehr nur in den Verhandlungssälen der Gerichte, sondern in den größten Zeitungen des Landes diskutiert. Dieselskandal, „Cum-Ex” und aktuell der Vorwurf der Bilanzmanipulation im „WireCard-Verfahren” sind nur einige prominente Beispiele. Dabei müssen es nicht immer die „großen Player” sein, die mit der Staats­anwaltschaft in Konflikt geraten. Das (menschlich, verständliche) Bestreben, sein Unternehmen trotz der ange­spannten wirtschaftlichen Lage weiterzuführen, endet nicht selten in einem strafrechtlichen Konflikt. Dem „Krisenstrafrecht” ist daher nicht so leicht zu entgehen. Hintergrund ist insbesondere, dass die Staatsanwalt­schaft von den Insolvenzgerichten automatisch informiert werden muss, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen wird. Die übermittelten Insolvenzakten enthalten oft wertvolle Anhaltspunkte für die weiteren Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörde.

Der Beitrag gibt einen kurzen Überblick, was „Krisenstrafrecht” eigentlich ist und wie eine deutliche Risiko­minimierung betrieben werden kann.


Auf den Zeitpunkt kommt es an – Insolvenzverschleppung

Das prominenteste Risiko ist das der Insolvenzverschleppung. Wenn eine juristische Person, z.B. eine GmbH oder AG, zahlungsunfähig oder überschuldet ist, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Er muss ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, eingereicht werden. Die Verletzung der Insolvenz­antragspflicht ist strafbewehrt. Spannend – und oft in der Praxis unterschätzt – ist die „nicht richtige Antrag­stellung”. Wir sehen es immer wieder, dass Insolvenzanträge ohne professionelle Begleitung gestellt werden, was letztlich dazu führt, dass manche Angaben in den Antragsunterlagen schlichtweg falsch sind. Das kann unter Umständen zum Vorwurf der nicht richtigen Antragstellung führen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie gilt folgendes:
Zwar ist die Insolvenzantragspflicht unter bestimmten Voraussetzungen nach dem aktuellen „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht”, kurz COVIDInsAG suspendiert. Das bedeutet aber nur, dass trotz Vorliegen eines Insolvenzgrundes die Insolvenz­antragspflicht bis zum 30. September 2020 ausgesetzt ist. Mit dem Gesetz – und das wird vielfach unterschätzt – werden nicht die objektiven Insolvenztatbestände (Zahlungs­unfähig­keit, drohende Zahlungs­unfähig­keit und Überschuldung) beseitigt. Sie bleiben grundsätzlich bestehen, was dazu führt, dass das strafrechtliche Risiko bezüglich der Insolvenzantragstellung sinkt, nicht aber die Risiken wegen der übrigen strafrechtlichen Risiken.


Der Bankrott – Das unbekannte Wesen

Mit dem Bankrottparagraphen werden zahlreiche Verhaltensweisen in Verbindung mit dem Zusammenbruch eines Unternehmens geahndet. § 283 StGB formuliert zwei Tatbestände: Der erste betrifft die Vornahme bestimmter Tathandlungen (§ 283 Abs. 1 Nr. 1 bis 8 StGB) wie z.B. Vermögen beiseiteschaffen oder zerstören oder Handelsbücher nicht ordentlich zu führen. Voraussetzung ist, dass das während einer wirtschaftlichen Krise erfolgt, also während das Unternehmen überschuldet bzw. zahlungsunfähig ist oder die Zahlungsun­fähig­keit zumindest droht. Nur wenn eine solche Feststellung nicht möglich ist, entfällt der objektive Tatbestand. Der zweite Tatbestand berücksichtigt diejenigen Fälle, in denen der Betroffene durch seine (Bankrott-) Handlung die unternehmerische Krise erst herbeiführt. Der Unterschied in den beiden Begehungsmöglich­keiten liegt in dem Zeitpunkt der Tathandlung.

Als Kontrollfrage kann helfen: Findet die Tathandlung bereits in der Krise statt oder wird die Krise durch die Handlung erst verursacht?

Spannend ist insoweit, dass die Strafbarkeit – wie bei vielen Delikten – von einer sog. objektiven Strafbar­keitsbedingung abhängt, das heißt die Tat ist nur dann strafbar, wenn der Täter seine Zahlungen eingestellt hat oder über das Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abge­wiesen worden ist. Bei Zahlungsschwierigkeiten und Zahlungseinstellungen ist daher Vorsicht geboten.


Niemand soll bevorzugt werden – Die Gläubigerbegünstigung

Bei einer Gläubigerbegünstigung benachteiligt der zahlungsunfähige Schuldner seine Gläubiger zugunsten eines oder mehrerer anderer Gläubiger. Die Gläubigerbegünstigung enthält im Vergleich zum Bankrott einen geminderten Strafrahmen für den Fall, dass der Täter zwar die Insolvenzmasse verringert, dabei aber an einen Gläubiger leistet, der auch einen entsprechenden Anspruch besitzt. Denn das geschützte Rechtsgut ist das Vermögensinteresse der anderen Gläubiger im Hinblick auf eine ordnungsgemäße Verteilung der Insolvenz­masse (Gläubiger­gleich­behandlungs­grundsatz). Die Gläubigerbegünstigung ist ein sog. echtes Sonderdelikt. Das bedeutet, Täter kann nur sein, der zum Tatzeitpunkt selber Schuldner oder eine für ihn i.S.v. § 14 StGB handelnde Person ist. I.d.R. fallen Unternehmensleiter und die zweite Variante, sobald ein Unternehmen in die Krise abgleitet.


Niemand soll bevorzugt werden II –  Die Schuldnerbegünstigung

Die Schuldnerbegünstigung ist eine Vermögensverschiebung zum Nachteil des Vermögens des Schuldners durch einen Dritten zugunsten des Schuldners oder mit dessen Einwilligung.

Durch die Vorschrift wird die Strafbarkeit der Insolvenzdelikte zum Schutz der Vermögensinteressen der Gesamtgläubiger auch auf Außenstehende erstreckt, die mit Einwilligung des Schuldners oder zu dessen Gunsten die Insolvenzmasse mindern. Es handelt sich um kein Sonderdelikt, d.h. Täter kann vielmehr jeder mit Ausnahme des Schuldners und der ihm nach § 14 StGB gleichgestellten Personen sein. Insbesondere kommt auch ein Gläubiger oder der Insolvenzverwalter in Betracht.


Sowohl bei der Schuldner-, als auch Gläubigerbegünstigung kommt es darauf an, dass die objektive Strafbar­keitsbedingung (Zahlungseinstellung oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Abweisung mangels Masse) erfüllt sind.


Wer die Musik bestellt muss sie auch bezahlen (können) – Der Eingehungsbetrug

Ein sehr großes Risiko stellt in Krisenzeiten der sog. Eingehungsbetrug dar. Er ist eine besondere Er­schei­nungs­­form des Betrugs, bei der der Täter die Absicht vortäuscht, die ihm aus einem Vertrag erwachsenden Verpflichtungen zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit erfüllen zu können und/oder zu wollen. Nimmt ein Unternehmen z.B. Waren oder Dienstleistungen entgegen ohne vorher geklärt zu haben, ob die daraus resultierende For­derung des Gläubigers auch bedient werden kann, besteht bereits das Risiko einer Strafbarkeit. Gerade in Krisenzeiten verändert sich im laufenden operativen Geschäft der Fokus. Die Gedanken der Unternehmens­leitung sind im Krisenmodus, sodass zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes oft schnelle (Fehl-)Entscheidungen getroffen werden. Dazu gehören u.a. auch Warenbestellungen, die ausgelöst werden, um „weitermachen zu können”. Erfolgt jedoch die Fortsetzung der Geschäfte der Gesellschaft trotz möglicherweise bereits eingetretener Insolvenzgründe, liegt in den dann folgenden Warenbestellungen der Gesellschaft tatbestandlich ein Betrug vor, weil nicht gesichert ist, dass die bezogenen Waren auch bezahlt werden.


Die Sozialversicherung, das unbekannte Wesen – Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt

Wird das Geld im Unternehmen knapp, werden in der Geschäftsleitung Überlegungen angestellt, wo gespart werden kann. Meistens werden in solchen Fällen die Sozialversicherungsbeiträge identifiziert. Das Problem: Auch die Solidargemeinschaft der Versicherten soll nach dem Gesetzgeber geschützt werden. Das bedeutet, dass die Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen strafbewehrt ist. Nur in gewissen Ausnahmefällen ist auch die ausbleibende Zahlung der Arbeitgeberanteile unter Strafe gestellt (§ 266a Abs. 2 StGB). Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass es um den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung geht. Denn dieser Anteil wird vom Arbeitgeber lediglich treuhänderisch verwahrt. Geschütztes Rechtsgut ist jedoch nicht etwa das Interesse des Arbeitnehmers, seinen Lohn zu bekommen, sondern das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherung der Sozialversicherung. Demnach hängt – wie in der aktuellen Gesetzesfassung ausdrücklich geregelt – die Strafbarkeit auch nicht davon ab, ob überhaupt Arbeitslohn gezahlt wurde. Auch ein Einverständnis des Arbeitnehmers, seine Anteile nicht an die Sozialversicherung weiterzuleiten, ändert an der Strafbarkeit grundsätzlich nichts.


Täuschung und Tarnen – Gründungsschwindel und Geschäftslagetäuschung

Das Krisenstrafrecht ist in der Unternehmensführung ein kritischer Faktor, weil sich die unterschiedlichen Strafbarkeiten nicht aus einem einzigen Gesetz ergeben. So schützt das GmbH-Gesetz u.a. vor Gründungs­schwindeleien und Geschäftslagetäuschungen (§ 82 GmbHG). Der Paragraph enthält eine Reihe von Einzel­tatbeständen, denen gemeinsam ist, dass inhaltlich unzutreffende Angaben in öffentlichen Mitteilungen gemacht werden, z.B. bei Eintragungen im Handelsregister o.ä. Die einzelnen Tatbestände unterscheiden sich sowohl in Bezug auf den tauglichen Täter als auch bei dem Anlass der Information. Da die Regelungen an anderweitig geregelte Pflichten des GmbHG anknüpfen, handelt es sich um sog. Blanketttatbestände, in die die jeweils in Bezug genommenen Regelungen einzubeziehen sind. Ähnliche Vorschriften sind §§ 399, 400 AktG.


Melden macht frei – Verletzung der Verlustanzeigepflicht

Eine oft unterschätze Vorschrift im Zusammenhang mit der Krise stellt § 84 Abs. 1 GmbHG dar. Dort ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit desjenigen normiert, der es schuldhaft unterlässt, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen. Ein solcher Tatbestand sichert als echtes Unter­lassungsdelikt die zivilrechtliche Verlustanzeigepflicht nach § 49 III GmbHG strafrechtlich ab. Die praktische Bedeutung ist eher gering, da die Staatsanwaltschaft i.d.R. keine Kenntnis von den internen Vorgängen in der Gesellschaft erlangt. Gleichwohl sollte die Verlustanzeigepflicht – insbesondere mit Blick auf die zivilrecht­lichen Folgen – nicht außer Acht gelassen werden.


Fazit

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich das Krisenstrafrecht durch verschiedene Rechts­gebiete zieht und die Normenflut nicht immer dazu führt, dass in der konkreten Krisensituation der richtige Fokus gesetzt wird. Als Merkposten kann jedoch abgespeichert werden: Bestandteil des objektiven Tat­bestandes ist bei den meisten Krisenstraftaten das Vorliegen der sog. Insolvenzreife, d.h. das Vorliegen der Insolvenzgründe. Die Geschäftsleitung kann daher ihre strafrechtliche Verantwortung ausschließen, respektive das Risiko deutlich reduzieren, wenn im Zeitpunkt der strafbedrohten Handlung zwar ein Liquiditätsengpass aber keine Insolvenzreife vorlag. Die Beurteilung bedarf einer insolvenzspezifischen Bewertung der wirt­schaft­lichen Verhältnisse des Unternehmens. Selbst wenn im Zeitpunkt der strafbedrohten Handlung die Insolvenz­reife vorliegen sollte, so kann dennoch ein etwaiger Vorsatz der Geschäftsleitung in Bezug auf das objektive Tatbestandsmerkmal zumindest durch die Einholung einer Legal-Opinion entkräftet werden. Ferner ist es angezeigt, stets die finanzielle Entwicklung der Gesellschaft im Auge zu behalten.

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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