Der EuGH hat entschieden – Freier und kostenloser Zugang zu europäisch harmonisierten technischen Normen

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​veröffentlicht am 2. Mai 2024




Der EuGH entfacht eine grundlegende Frage erneut: Müssen technische Normen für alle Bürger frei und kostenlos zugänglich sein? 


Mit seinem Urteil vom 5.3.2024 (Rs. C-588/21) hat der EuGH entschieden, dass jedenfalls europäisch harmonisierte Normen, die Standards für Produkte festlegen, Bestandteil des EU-Rechts sind und somit frei und kostenlos zugänglich sein müssen.

Nicht entschieden ist dagegen die bislang ungeklärte Frage, ob auch nationale technische Normen (z. B. DIN-Normen) ebenfalls kostenlos und frei zugänglich sein müssen. Denn der EuGH hat dies nur für europäisch harmonisierte Normen bejaht. 


Kurz erklärt:​

Was sind harmonisierte technische Normen? 
Der Begriff „harmonisierte Norm” wurde von der Europäischen Kommission im Rahmen der Neuen Konzeption (New Approach) festgelegt. Darunter fallen alle Normen, die von der Europäischen Kommission und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) an eine anerkannte europäische Normungsorganisation in Auftrag gegeben wurden und im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht sind. Man spricht in diesem Zusammenhang von Europäischen Normen (EN). 
Umsetzung: Alle europäischen harmonisierten Normen müssen als nationale Normen umgesetzt werden (z.  B. DIN EN in Deutschland). Widersprüchliche nationale Normen müssen innerhalb eines bestimmten Zeitraums zurückgezogen werden.​


Zum Hintergrund und zur Bedeutung von nationalen DIN-Normen

In Deutschland gibt es das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN) als eine der maßgeblichen Plattformen für Normung und Standardisierung. Zwischen dem Institut und der Bunderepublik Deutschland besteht eine vertraglich geregelte Zusammenarbeit. Hierdurch wurde das Deutsche Institut für Normung e. V. (DIN) als einzige nationale Normungsorganisation anerkannt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Normen „Gesetzesstatus” hätten. Grundsätzlich ist die Anwendung von DIN-Normen freiwillig und nicht bindend. Anders ist es, wenn die Anwendung in Verträgen vereinbart ist oder ein Gesetz die Einhaltung von DIN-Normen selbst vorschreibt. Dann ist die Einhaltung im Ergebnis rechtlich relevant. Die Einhaltung von DIN-Normen ist aber häufig empfehlenswert. Denn DIN-Normen geben die sog. allgemein anerkannten Regeln der Technik wieder. Das hat zur Folge, dass z. B. im Rahmen eines Haftungsprozesses die Beachtung von DIN-Normen zur (widerlegbaren) Vermutung führt, dass man sich richtig verhalten hat oder - in anderen Fällen - dass man z. B. mangelfrei geleistet hat oder man seinen Verkehrssicherungspflichten nachgekommen ist. 

In Gesetzen und Verordnungen wird immer häufiger auf technische Regelwerke verwiesen. Dies sowohl im Planungs- und Baubereich als auch im Regelwerk für den Betrieb von Anlagen und Gebäuden. Im Ergebnis ist also die Kenntnis von Inhalten und Zielen von DIN-Normen von hoher praktischer Bedeutung. Letztlich auch, um einen rechtssicheren Betrieb von Gebäuden und Anlagen sicherzustellen.

Dennoch sind alle diese Normen nicht frei verfügbar und nicht kostenlos, sondern müssen käuflich erworben werden. Hier stellt sich seit jeher die Frage, ob dies sachgerecht ist und dem Sinn und Zweck sowie der zunehmenden Bedeutung der technischen Normen entspricht. Zum einen finanzieren sich das Deutsche Institut für Normung e. V. und auch andere Verbände mit dem Verkauf der schriftlich fixierten Normen. Dadurch wird sichergestellt, dass geeignete Fachleute für die jeweiligen Themen die Normen erarbeiten und weiterentwickeln. Dies rechtfertigt das privatwirtschaftliche System der kostenpflichtigen Normungsarbeit. Auf der anderen Seite widerspricht der nicht freie Zugang dem Sinn und Zweck der Normungsarbeit. Denn nur der freie und offene Zugang kann eine weite Verbreitung, ein gleichwertiges und einheitliches Sicherheitsniveau sowie Transparenz sicherstellen. Insofern könnte man aus Gründen des öffentlichen Interesses und der Transparenz einen kostenlosen und frei zugänglichen Zugang zu den Normen auch auf nationaler Ebene fordern. 

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH hat die Frage nun jedenfalls auf europäischer Ebene im Zusammenhang mit harmonisierten technischen Normen entschieden. Im streitigen Fall ging es darum, ob technische Spezifikationen, die von einer europäischen Normungsorganisation für die EU-Kommission erstellt wurden und die Sicherheit von Spielzeug betreffen, frei und kostenlos zugänglich sein müssen. Nach der Entscheidung des EuGH sind harmonisierte technische Normen, die europaweit Standards für Produkte festlegen und amtlich veröffentlicht werden, Bestandteil des EU-Rechts und müssen damit frei und kostenlos verfügbar sein. Aus der Transparenzverordnung besteht ein Anspruch auf Zugang zu diesen Normen. Der Zugang kann zwar verweigert werden, jedoch greifen die in der Verordnung genannten Ausnahmen nicht aufgrund des „überwiegenden öffentlichen Interesses an der Verbreitung”. Denn eine harmonisierte technische Norm bestimmt im Besonderen, welche Rechte und Pflichten der Einzelne hat. Die Kenntnis der technischen Norm ist erforderlich, um zu prüfen und in einem Rechtsstreit belegen zu können, ob eine Leistung, ein Produkt den normierten Anforderungen genügt. Dies folgt aus den europäischen Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und der Transparenz.

Ausblick​

Die Auswirkungen der Entscheidung des EuGH auf das nationale bzw. das europäische System der technischen Normung, wie insbesondere der Normung von DIN, sind erheblich. Wie die nationalen Gerichte mit dieser Frage umgehen, ist aktuell nicht abschätzbar! 




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