Alleinvertrieb: EuGH stellt kartellrechtliche Anforderungen dar

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 11. August  2025 | Lesedauer ca. 3 Minuten

  

Allein- oder Exklusivvertriebssysteme sind weit verbreitet. Die exklusive Zuweisung von Gebieten oder Kunden an einzelne Händler ist für Hersteller häufig essenziell, um einen effektiven Vertrieb ihrer Waren zu gewährleisten. Der EuGH hat in einer aktuellen Entscheidung aufgezeigt, welche Folgen es haben kann, wenn Unternehmen ihr Alleinvertriebssystem nicht konsequent aufsetzen.​


Hintergrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 8. Mai 2025 (C-581/23Beevers Kaas) ist der Vertrieb von niederländischem Käse in Belgien. Eine in den Niederlanden ansässige Genossenschaft hatte für den Verkauf ihrer Produkte im Nachbarland ein belgisches Unternehmen als Alleinvertriebshändler eingesetzt. Dieser Zustand hielt über 20 Jahre an, bis eine niederländische Supermarktkette mit Filialen in Belgien den entsprechenden Käse von der Genossenschaft gekauft und in ihren belgischen Filialen angeboten hat. Die Konkurrenz aus dem Ausland missfiel dem belgischen Händler.

 

Welche kartellrechtlichen Voraussetzungen bestehen bei Alleinvertrieb? 

Doch zunächst zum kartellrechtlichen Hintergrund der Entscheidung: Ein Alleinvertriebssystem bedeutet, dass ein bestimmtes Gebiet oder bestimmte Kunden einem oder mehreren Händlern exklusiv zugewiesen werden. Alleinvertriebssysteme müssen den für sie geltenden kartellrechtlichen Schranken genügen. Bei Marktanteilen der beteiligten Parteien von 30 Prozent oder weniger kommt eine pauschale Freistellung nach der sogenannten Vertikal-GVO in Betracht. In der Umsetzung muss jedoch unter anderem folgendes beachtet werden: Nur der so genannte aktive Vertrieb in das exklusiv zugewiesene Gebiet oder an die exklusiv zugewiesenen Kunden kann anderen Händlern untersagt werden. Der passive Vertrieb muss allen Händlern stets erlaubt sein. Bei Marktanteilen über 30 Prozent muss eine Einzelfreistellung (Art. 101 Abs. 3 AEUV) vorgenommen werden. Dabei sind die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, was die Prüfung deutlich komplizierter macht.

 

Zurück zum belgischen Fall: Der Vertrieb in Belgien durch die niederländische Supermarktkette löste einen Rechtsstreit aus. Die niederländische Genossenschaft und Herstellerin des Käses hatte zwar der belgischen Händlerin vertraglich zugesagt, nicht selbst an belgische Händler zu verkaufen. In den Verträgen der anderen Abnehmer gab es jedoch kein Verbot, aktiv an belgische Abnehmer zu verkaufen. Der EuGH hatte deswegen zu klären, ob für die Freistellung nach der Vertikal-GVO der Anbieter allen anderen Abnehmern den Verkauf in exklusiv zugewiesene Gebiete verbieten muss.

 

Entscheidung des EuGH: Sämtliche Händler müssen verpflichtet werden 

Der EuGH bejaht das. Die Gewährung einer Exklusivität sei „zwangsläufig“ mit der Verpflichtung für den Anbieter verbunden, den Exklusivhändler vor aktiven Verkäufen anderer Abnehmer des Herstellers zu schützen. Die niederländische Käseherstellerin hätte also sämtlichen Abnehmern untersagen müssen, aktiv in das Exklusivgebiet des belgischen Alleinvertriebshändlers zu verkaufen. Nur dann könne gerichtlich gegen Händler vorgegangen werden, die sich diesem Verbot widersetzen. Der EuGH stellte außerdem klar, dass es für eine wirksame Gebietszuweisung nicht ausreiche, dass die anderen Händler faktisch nicht in das Exklusivgebiet vertrieben haben. Wesentlich sei, dass tatsächlich eine Vereinbarung zwischen Hersteller und Händler besteht.

 

Der EuGH machte außerdem deutlich, dass es keine Rolle spiele, welche Form diese Vereinbarung hat. Eine rein mündliche Verpflichtung der Händler würde also ausreichen. Allerdings fällt bei mündlichen Vereinbarungen im Streitfall der Nachweis sehr viel schwerer, dass tatsächlich sämtliche Abnehmer entsprechend verpflichtet wurden. Die Aufnahme in einen schriftlichen Vertrag ist deshalb dringend anzuraten. Das hat auch den Vorteil, dass alle für die Geschäftsbeziehung relevanten Regeln in einem Dokument enthalten sind. Insbesondere bei langjährigen Vertragsbeziehungen und womöglich wechselnden Ansprechpartnern schafft dies Klarheit und senkt das Konfliktpotenzial.

 

Fazit: Was bedeutet diese Entscheidung für Unternehmen? 

Unternehmen mit einem Alleinvertriebssystem können die Entscheidung des EuGH als Weckruf verstehen. Sie sollten ihre Vertriebsverträge und die Vertriebspraxis einer kritischen Überprüfung unterziehen. Dabei sollte folgenden Fragen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden: 

  • Enthalten alle relevanten Vertragsmuster die Verpflichtung, die Händlern exklusiv zugewiesenen Gebiete und Kunden nicht aktiv zu beliefern?
  • Haben sämtliche Händler einen schriftlichen Vertriebsvertrag mit einer solchen Verpflichtung unterschrieben?
  • Folgt das gesamte Vertriebssystem einem stimmigen Gesamtkonzept? Wurde dieses Konzept konsequent in allen relevanten Vertragsmustern umgesetzt?
  • Wurde das Vertriebssystem kartellrechtlich geprüft?

 

Das Urteil des EuGH zeigt, welche Folgen es haben kann, wenn ein Alleinvertriebssystem nicht konsequent aufgesetzt wird: Der Lieferant kann seine Alleinvertriebshändler nicht effizient vor dem aktiven Vertrieb anderer Händler in die Exklusivgebiete schützen. Hinzu kommt, dass die kartellrechtliche Freistellung nach der Vertikal-GVO für den gesamten Vertrag entfallen kann, was negative Auswirkungen auf die Wirksamkeit sonstiger wettbewerbsbeschränkender Klauseln haben kann. Ein erheblicher Verlust an Rechtssicherheit ist die Folge.

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