Ausbruch des Coronavirus: Ein Fall höherer Gewalt?

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veröffentlicht am 20. Februar 2020 | Lesedauer ca. 3 Minuten

 

Der Ausbruch des Coronavirus (Covid-19) in China und insbesondere dessen Inten­sität und schnelle Verbreitung hat zu weitreichenden staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus geführt. So wurden die staatlichen Feiertage zum Neujahrsfest bis zum 2. Februar 2020 verlängert. In vielen Pro­vinzen und Städten wurde zusätzlich verfügt, dass alle Be­triebe, die nicht relevant für die chinesische Volkswirt­schaft oder Lebensgrundlage der Bevölkerung sind, bis zum 9. Februar oder sogar darüber hinaus ge­schlossen bleiben sollen.

 

 

Aber auch danach kam und kommt es durch eine Vielzahl von Maßnahmen und Auflagen, die die Epidemie eindämmen sollen, für Menschen und Unternehmen zu erheb­lichen Störungen des Geschäftsablaufs, die zu Produktionsausfällen oder zu einer Störung und Unterbrechung der Liefer­ketten führen. In dem Zusammen­­hang stellt sich die Frage, ob sich die betroffenen Unter­nehmen auf Grund des Ausbruchs des Covid-19 auf einen Fall der Höheren Gewalt („Force Majeure”) be­rufen können.
 

 

 

Vorliegen Höherer Gewalt

Ob sich eine Vertragspartei auf einen Fall Höherer Gewalt berufen kann, richtet sich zunächst nach den ver­traglichen Regelungen. Force Majeure-Klauseln sind mittler­­weile Standard in – internationalen – Lieferver­trägen. In der Regel umfasst die vertragliche Definition der Höheren Gewalt auch Fälle von Epidemien (meist als Krankheiten oder Seuchen bezeichnet). Der Vertrag sollte zusätzlich auch die Rechtsfolgen sowie Verhaltenspflichten bei einem Fall der Höheren Gewalt regeln (siehe hierzu weiter unten im Artikel1).

Ergänzend oder im Fall, dass der Vertrag keine Regelung zur Höheren Gewalt vorsieht, ist auf die gesetzlichen Bestimmungen zurückzugreifen. Das anwendbare Recht ergibt sich dabei aus einer in der Regel im Vertrag vorgesehenen Rechtswahl­klausel oder wenn diese nicht vorliegt, nach den Regeln des Internationalen Privatrechts. Meist wird es bei der Rechtswahlbestimmung auf die typischen Leistungs­pflichten oder den engsten Bezug des Vertrages zu einer bestimmten Rechtsordnung ankommen. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass bei der Anwendung einer lokalen Rechtsordnung auch das sogenannte UN-Kaufrecht zur Anwendung kommen kann [The United Nations Convention for Contracts on International Sale of Goods (CISG)]. Sind Lieferketten innerhalb von China betroffen, kommt grundsätzlich lediglich chinesisches Recht zur An­wendung, auf das sich die nachführenden Ausführungen beschränken.

 
Nach den Bestimmungen der Allgemeinen Prinzipien des Zivilrechts sowie des Vertrags­gesetzes der VR China wird Höhere Gewalt als folgendes definiert: Das Vorliegen von unvorhersehbaren, unvermeid­baren und unüber­windbaren objektiven Be­dingungen.
 
Aufgrund der nicht präzisierten Begriffe ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Erfüllung vertraglicher Pflich­ten tatsächlich durch derartige objek­tive Umstände teilweise oder in Gänze unmöglich ist.
 
Insoweit kann aber auch auf eine gerichtliche Auslegung Höherer Gewalt zurückgegriffen werden. Da für den Covid-19 noch keine Gerichtsentscheidung vorliegt, kann insoweit auf ältere gerichtliche Aus­legungen mit Bezug zum SARS-Virus zurückge­griffen werden. Hier wurde das Vorliegen von Höherer Gewalt in den meisten Fällen von den chinesischen Gerichten angenommen. In einem im Zusammenhang mit der SARS-Epidemie erlassenen Rundschreiben hatte das Oberste Gericht hierzu geregelt, dass alle Streitigkeiten, die sich aus der Nichter­füllung eines Vertrags als direkte Folge von administrativen Maßnahmen der Regierung und der zu­ständigen Behörden zur Verhütung und Kontrolle von SARS oder aufgrund der Aus­wirkungen von SARS ergeben, gemäß den gesetzlichen Be­stimmungen als ein Fall Höherer Gewalt zu behandeln sind. Zwar wurde das Rundschreiben zwischen­zeitlich wieder aufgehoben. Allerdings hat die Legislativ­kommission des Stän­digen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses der VR China in einer Fragestunde am 10. Februar 2020 bestätigt, dass die Auswirkungen des Coronavirus einen Fall Höherer Gewalt darstellen. Auch wenn diese Auf­fassung rechtlich – noch – nicht bindend ist, ist zu er­­warten, dass sich chine­sische Gerichte hieran orientieren werden.

1 Rechtsfolgen des Vor­liegens Höherer Gewalt sind, dass eine Partei den Vertrag kündigen kann bzw. die Par­tei, die sich auf Höhere Gewalt beruft, ganz oder teil­­weise von ihren vertraglichen Pflichten, deren Erfüllung durch das Vorliegen Höherer Gewalt un­­möglich geworden ist, befreit wird.
 

Berufung auf Höhere Gewalt

Nach den obigen Ausführungen ist dementsprechend in jedem Einzel­fall zu prüfen, ob sich ein Unternehmen durch den Aus­bruch des Covid-19 auf Höhere Gewalt berufen kann.

Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass der Einwand der Höheren Gewalt zunächst nur die mittelbar be­teiligten Vertragsparteien betrifft, d.h. den Lieferanten, der nicht liefern kann, und dessen Vertragspartner. Kann letzterer seinen eigenen Pflichten als Lieferant nicht nachkommen, da der Vor­lieferant aufgrund Höherer Gewalt nicht liefern kann, stellt dies lediglich einen mittelbaren Fall der Höheren Gewalt dar. In der Regel ist dieser Fall weder vertraglich noch gesetzlich geregelt. Ohne eine entsprechende vertrag­liche Regelung, dass sich der Lieferant Vormaterialien oder -produkte von einem Vorlieferanten beschaffen muss, trägt dieser in der Regel das Risiko, dass er sich diese Vormaterialien oder -produkte auch recht­­zeitig beschaffen kann.

Weiter ist zu beachten, dass sich ein Unternehmen nur auf eine Befreiung von Vertragspflichten berufen kann, die tatsächlich von Höherer Gewalt betroffen sind. Hierzu trägt der Lieferant die Darlegungs- und Beweislast, d.h. er muss im Zweifel beweisen, dass die Lieferung nicht möglich war, weil z.B. die Produktion aufgrund behördlicher Anordnung geschlossen werden musste oder der Transport der Ware aufgrund von Stornierungen durch Logistikunternehmen unmöglich geworden ist. Hierbei wird es auch darauf ankommen, ob es dem be­­troffenen Lieferanten möglich gewesen wäre, seinen Pflichten durch das Aus­­­weichen auf andere Maßnahmen zu erfüllen (z.B. Wechsel von See- auf Luftfracht, Ausweichen auf eine andere Zollabfertigung usw.).

Hilfe bei dem Nachweis, dass ein Fall der Höheren Gewalt vorliegt, bietet die Beantra­gung eines Force Majeure-Zer­tifikats beim China Council for Promotion of International Trade (CCPIT). Das CCPIT hat am 30. Januar 2020 eine Online-Plattform eingerichtet auf dem betroffene Unternehmen einen An­trag auf Erteilung des Force Majeure-Zeugnisses beantragen können. Allerdings ist auch hier zu beachten, dass ein betroffener Lieferant das Vor­­liegen der Höheren Gewalt dokumentieren muss. Dies bein­haltet zum einen das Vorlegen der relevanten Vertrags­unterlagen sowie die Dokumentation über die Lieferung und die Umstände, die die Lieferung unmöglich machen oder ver­zögern.

Schließlich muss beachten werden, dass das Vor­liegens eines Falles Höherer Gewalt der anderen Vertrags­­partei rechtzeitig angezeigt und alles unternommen werden muss, um einen weiteren Schaden zu ver­hindern oder zu ver­größern.
 

Handlungsempfehlungen

1. Prüfung relevanter Verträge

Zunächst sollte geprüft werden, ob es in den relevanten Verträgen eine Klausel zu Höherer Gewalt gibt und wenn ja, ob der Covid-19-Virus darunter subsu­miert werden kann. Wichtig ist auch, ob und welche Folgen die Klausel regelt und ob sie gewisse Fristen oder Handlungspflichten enthält.

 

2. Prüfung des Gesetzes

Als Ergänzung zu einer vertrag­lichen Regelung oder falls es keine Force Majeure-Klausel im ent­sprechenden Vertrag gibt, kann auf das Gesetz zurückge­griffen werden. Artikel 117 des Chinesischen Vertragsgesetzes definiert Höhere Gewalt als Situation, die objektiv betrachtet unvorhersehbar, unvermeidbar und unüber­windbar ist. Welche Fälle genau darunter­fallen, ist im Einzelfall zu entscheiden, wobei die wohl bereits erwähnte SARS-Recht­sprechung herangezogen werden kann.

 

3. Kontaktaufnahme mit dem Vertragspartner und Dokumentation

Empfehlenswert ist, die betroffenen Vertragspartner frühzeitig schriftlich zu kontaktieren. Dies gilt nach Artikel 118 des Chinesischen Vertragsgesetzes als Voraus­setzung, um sich auf Höhere Gewalt berufen zu können.

 

4. Ergreifen von Maßnahmen zur Schadensminderung

Im Zusammenhang mit der Kontaktaufnahme der betroffenen Vertragspartner sollten außerdem Maßnahmen besprochen und umgesetzt werden, um den Schaden und Verluste so gering wie möglich zu halten. Der Pro­zess der Kontaktaufnahme sowie die Planung und Umsetzung der Maßnahmen sollten genau doku­mentiert werden.

 

5. Sammeln von Zertifikaten/Nachweisen

Parallel zu den obigen Schritten sollten betroffene Unternehmen nicht nur sämtliche Regelungen und Ver­öffentlichungen der lokalen und staatlichen Behörden sammeln, sondern auch die Möglich­keit nutzen, ein sog. Force Majeure-Zertifikat zu beantragen, beispielsweise beim CCPIT » oder auch bei anderen Stellen (z.B. chinesische Wirtschafts­verbände). Ein solcher Antrag muss gewisse Dokumente und Belege enthalten und gilt ledig­lich als Indiz dafür, dass es sich um Höhere Gewalt handelt. Letztlich ist trotz Vorliegen eines solchen Zertifikates eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.   

 

6. Alternative: Wegfall der Geschäftsgrundlage

Des Weiteren sollten Unternehmen hilfsweise einen sog. „Wegfall der Geschäftsgrundlage” prüfen, der auch vorliegen kann, wenn Höhere Gewalt nicht zur Anwendung kommt. Die Rechtsfolgen eines Wegfalls der Geschäfts­grundlage sind, ähnlich wie im Fall Höherer Gewalt, die mögliche Vertrags­­auflösung oder -anpassung.​

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