Die deutsche Justiz im Wettbewerb – können Commercial Courts die Vorzüge von Schiedsverfahren aufwiegen?

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veröffentlicht am 17. Februar 2023 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Am 16. Januar 2023 hat das Bundesministerium der Justiz ein Eckpunktepapier zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts veröffentlicht. Hintergrund ist, dass sich die Ampelkoalition im Koalitionsver­trag darauf verständigt hat, englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten zu ermöglichen.


Das auch um dem Attraktivitätsverlust der Kammern für Handelssachen und dem stetigen Rückgang der Fall­zahlen entgegenzuwirken, denn jedes Verfahren vor den ordentlichen Gerichten löst grundsätzlich auch Ge­richts­gebühren nach dem Gerichtskostengesetz („GKG“) aus, welche sich regulär nach dem Streitwert richten, meist dem Betrag, der als Forderung oder Schadenersatz geltend gemacht wird. In Handels- und Wirtschafts­streitigkeiten geht es in der Regel um hohe Summen, weshalb eine Abwanderung solcher Verfahren von ordent­lichen Gerichten hin zu Schiedsgerichten auch unmittelbar wirtschaftliche Auswirkungen hat, denn bei den Gerichtsgebühren handelt es sich schlussendlich um Verwaltungseinnahmen.
 
Insoweit ist es nicht überraschend, dass hier dem Trend entgegengesteuert werden soll und auch die Justiz sich den internationalen Bedürfnissen anpassen möchte und die bereits vorhandenen Ressourcen hierfür anbieten möchte. So existiert bereits seit Januar 2018 am Landgericht Frankfurt am Main die „Chamber for International Commercial Disputes“, welche in handelsrechtlichen Streitigkeiten angerufen werden kann und vor welcher die mündliche Verhandlung in englischer Sprache möglich ist. Inzwischen gibt es auch Commercial Courts in Stuttgart und Mannheim, welche beim jeweiligen Landgericht angesiedelt sind und mit einem entsprechend ansprechendem Internetauftritt um Verfahren vor dem Commercial Court werben.
 
 

Was macht die deutschen ordentlichen Gerichte so unattraktiv?

Bisher stößt die Geltendmachung von Ansprüchen in internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten vor den ordent­lichen Gerichten in Deutschland meist auf eine Vielzahl von Unannehmlichkeiten. Das Gerichtsverfassungs­gesetz sieht grundsätzlich vor, dass die Gerichtssprache deutsch ist. Auch die Klageschrift und die Entschei­dung müssen in deutscher Sprache abgefasst sein. Zwar besteht bereits jetzt die Möglichkeit auf das Erforder­nis der Hinzuziehung eines Dolmetschers zu verzichten und in fremder Sprache zu verhandeln, wenn sämtliche beteiligten erklären, der fremden Sprache mächtig zu sein, jedoch wird diese Zustimmung erst nach Klageerhe­bung herbeigeführt, bietet der anderen Partei somit keine Gewissheit, dass die Zustimmung erteilt wird und macht gleichwohl die Klageerhebung in deutscher Sprache erforderlich. Hinzu kommt, dass nach § 142 Absatz 3 der deutschen Zivilprozessordnung („ZPO“) grundsätzlich das Gericht anordnen kann, dass von in fremder Sprache abgefassten Urkunden eine beglaubigte Übersetzung eines – für Sprachübertragungen der betreffen­den Art in einem Land nach den landesrechtlichen Vorschriften ermächtigen – Übersetzer vorgelegt wird. Erfolgt die Vorlage trotz Anordnung nicht, hat das möglicherweise zur Folge, dass die Urkunde als nicht vorge­legt gilt und auch der Prozessgegner kann hier gegebenenfalls Verfahrensfehler geltend machen. Gerade in internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten ist der Regelfall häufig, dass etwaige Korrespondenz zwischen den Parteien sowie die meist sehr umfangreichen Verträge nicht in deutscher Sprache oder bilingual abgefasst sind, was zu erheblichen Übersetzungskosten führt.
 
Gerade der Umstand, dass die Korrespondenzsprache zwischen den Parteien in der Regel nicht deutsch ist, macht die Prozessführung vor den ordentlichen Gerichten in Deutschland, deren Verfahrenskosten ansonsten sehr transparent sind und auch eine zuverlässige Beschränkung für die erstattungsfähigen gegnerischen Rechts­anwaltskosten im Falle des Unterliegens bieten, zu einer schwer kalkulierbaren Angelegenheit. Hinzu kommt ein zusätzliches Risiko, welches durch die übersetzten Dokumente entsteht, da sprachliche Nuancen im Rahmen der Übersetzung gegebenenfalls nur unzureichend wiedergegeben werden können und somit einen zusätzlichen Angriffspunkt für den Prozessgegner eröffnen.
 
Hier kommen in der Regel die Vorzüge von Schiedsverfahren zu tragen. Einer der zentralen Aspekte für die Vereinbarung der Klärung von Streitigkeiten im Rahmen eines Schiedsverfahrens ist und bleibt die Vertraulich­keit des Schiedsverfahrens, während im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten der Grundsatz der Öffent­lich­keit der Verhandlung herrscht, also das jeder man an der mündlichen Verhandlung teilnehmen kann und auch die Urteilsverkündigung öffentlich ist. Bisher können die Gerichte die Öffentlichkeit für die Verhandlung (oder für einen Teil davon) nur in besonderen Fällen ausschließen.
 
Bei der Vereinbarung sogenannten Schiedsgerichtsklauseln können die Parteien vorab bestimmen, wie sich das Schiedsgericht zusammensetzt, also wie viele Schiedsrichter es haben soll und wie diese ausgewählt werden, wo der Schiedsort ist, welche Schiedsordnung Anwendung findet und in welcher Sprache das Verfahren ge­führt wird, was insbesondere mit Blick auf die andernfalls anfallenden Übersetzungskosten oftmals zu einer zeitlichen und finanziellen Ersparnis für die Parteien führt, auch mit Blick auf den Aufwand für die Überprüfung der jeweils übersetzten Schriftstücke.
 
Davon abgesehen, bietet das Schiedsverfahren im Regelfall bei einem beschleunigten Verfahren die Möglich­keit in verhältnismäßig kurzer Zeit, im Regelfall dann etwas länger als sechs Monate, ein Schiedsspruch über die streitige Rechtsfrage zu erhalten, während die ordentliche Gerichtsbarkeit einen Instanzenzug über wenigs­tens zwei Instanzen mit einer Dauer von in der Regel wenigsten ca. eineinhalb Jahren vorsieht.
 
Der weitere große Vorteil von Schiedsverfahren ist, dass Schiedsurteile – anders als die Entscheidungen or­dent­licher Gerichte – aufgrund des New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, welches von 168 Vertragsstaaten ratifiziert wurde, in diesen Vertragsstaaten auch wechselseitig für vollstreckbar erklärt werden können. Das auch in Ländern, in welchen deutsche Urteile oder wechselseitig Urteil ordentlicher Gerichte aus diesen Ländern nach dem jeweiligen Landesrecht oder auch deutschem Recht nicht für vollstreckbar erklärt werden könnten.
 

Der Plan zur – teilweisen – Novellierung des deutschen Zivilprozesses (in englischer Sprache)

Das Eckpunktepapier des Bundesministeriums der Justiz sieht vor, dass künftig bestimmte Handelsstreitig­keiten auch an ausgewählten Landgerichten umfassend in der englischen Sprache geführt werden können. Auch die gerichtliche Entscheidung soll dann in der englischen Sprache abgefasst sein. Das soll dann auch für ein sich anschließendes Berufungsverfahren vor dem zuständigen Oberlandesgericht bzw. der hierfür eingerich­teten speziellen Senate gelten, bis hin zum Bundesgerichtshof. Auch Kooperationen zwischen den Bundeslän­dern für gemeinsame englischsprachige Kammern sollen möglich sein.
 
Es soll weiter die Möglichkeit für die Länder bestehen erstinstanzliche Spezialsenate bei den Oberlandesge­richten einrichten zu dürfen („Commercial Courts“) und diesen die Zuständigkeit für große Handelssachen zuzuweisen. Die Direktanrufung der Commercial Courts soll möglich sein. Weiter sollen auch andere, in Schieds­verfahren übliche Instrumente, wie beispielsweise die Erstellung eines Wortprotokolls in diesen Ver­fahren möglich sein und auch dem wesentlichen Aspekt der Vertraulichkeit soll Rechnung getragen werden, indem der Anwendungsbereich des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen („GeschGehG“) erweitert wird, wobei sich die Kosten des Verfahrens vor dem Commercial Court an den gesetzlichen Gebühren nach dem Gerichtskostengesetz orientieren sollen.
 

Ausblick

Ob im Bereich internationaler Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten ein Verfahren vor einem Commercial Court eines ordentlichen deutschen Gerichts eine Alternative zu einem klassischen Schiedsverfahren mit all seinen Vorzügen darstellt, wird sich noch zeigen. Hier wird im Lichte der konkreten Umstände des Einzelfalles und dem Vertrags- bzw. Streitgegenstand zu beurteilen sein, welches Verfahren vorzugswürdiger ist. Hierbei wird auch ein wesentlicher Aspekt sein, welche Verfahrensordnung im konkreten Fall möglicherweise vorzugs­würdiger ist, denn während Schiedsgerichtsverfahren in der Regel von den Parteien bestimmt werden und die Schiedsrichter in ihrer Möglichkeit auf die Parteien einzuwirken beschränkt sind, hat das ordentliche Gericht erheblich weitreichendere Möglichkeiten und im Gegensatz zu einem Schiedsgericht auch die Möglichkeit diese durchzusetzen, beispielsweise wenn es um die Einvernahme von Zeugen geht.
 
Gleichwohl ist das Bestreben der deutschen Justiz, die Möglichkeit zu eröffnen auch in englischer Sprache internationale handels- und wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten der Entscheidung vor einem deutschen or­dentlichen Gericht zuzuführen grundsätzlich zu begrüßen. Insbesondere in internationalen Angelegenheiten, wenn keine der Parteien der deutschen Sprache mächtig ist oder die Vertragssprache nicht deutsch ist, ist das eine sinnvolle Ergänzung der Möglichkeiten zur Wahrung der eigenen Rechte. Nicht zu verwechseln ist die Möglichkeit das Verfahren vor einem deutschen ordentlichen Gericht in englischer Sprache zu führen mit dem Verzicht auf die sonstigen prozessualen Erfordernisse. Diese werden hierdurch nicht aushebelt, so insbeson­dere nicht den vor Landes- und Oberlandesgerichten geltenden Anwaltszwang, also die Vertretung durch einen in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt.
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