Kapitalkosten in der Unternehmensbewertung – Gegenüberstellung der Standards in der DACH-Region

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veröffentlicht am 20. Februar 2024 | Lesedauer ca. 7 Minuten


Die Ermittlung der Kapitalkosten in der Unternehmensbewertung unterscheidet sich im deutschen IDW S1, österreichischem KFS/BW 1 und der schweizerischen Fach­mit­tei­lung „Unternehmensbewertung“ teilweise erheblich. Nachfolgend werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten je Kapitalkostenparameter auf Basis der Be­wer­tungs­stan­dards der Nachbarländer aufgezeigt sowie auf die gelebte Bewertungspraxis eingegangen. Dabei wird auch die Berücksichtigung von Zuschlägen bei den Ka­pi­tal­kos­ten für Länderrisken und Unternehmensgröße thematisiert.



Drei Länder – Drei Bewertungsstandards

In Deutschland, Österreich und der Schweiz haben die jeweiligen Berufsstandsvertretungen der Wirt­schafts­prü­fer eigene Bewertungsstandards entwickelt. Der deutsche Bewertungsstandard IDW S1 i.d.F. 2008 („Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“) des Instituts der Wirtschaftsprüfer und der österreichische KFS/BW 1 i.d.F. 2014 („Fachgutachten zur Unternehmensbewertung“) der Kammer der Steuer­be­ra­ter und Wirtschaftsprüfer sind für die jeweiligen Vertreter des Berufstandes verpflichtend anzuwenden. Hingegen empfiehlt EXPERTsuisse als schweizerische Berufsstandsvertretung lediglich die Anwendung der Fachmitteilung „Unternehmensbewertung“ bei Bewertungen ab dem 1. Juli 2022.

Die Bewertungsstandards bilden das Grundgerüst in den jeweiligen Ländern und werden durch weitere Äußer­ungen der Standardsetzer ergänzt. In Deutschland werden Fragen und Antworten zur praktischen Anwendung des IDW S1 in der Bewertungspraxis veröffentlicht. In Österreich ergänzen mittweile sieben Empfehlungen des Fachsenats den KFS/BW 1. Daneben sind in beiden Ländern Besonderheiten in der Beteiligungsbewertung zu berücksichtigen (siehe IDW RS HFA 10 und AFRAC 24). In der Schweiz wurde Anfang 2023 von EXPERTsuisse eine kommentierte Fassung der Fachmitteilung „Unternehmensbewertung“ mit Hintergründen zu den Empfehlungen sowie ergänzende Informationen veröffentlicht.


Bewertungsverfahren und Kapitalkosten

Das anzuwendende Bewertungsverfahren determiniert die Ableitung der Kapitalkosten. Folgende Kapitalkosten sind je Bewertungsverfahren anzuwenden:


Quelle: eigene Darstellung

Die in der Tabelle aufgeführten Verfahren sind in allen drei Ländern zulässig. Während in Deutschland das Ertragswertverfahren verbreitet ist, zeichnet sich in der Schweiz eine Präferenz für das DCF-WACC-Verfahren ab.

Bei der Ermittlung der Kapitalkosten muss zunächst berücksichtigt werden, ob die Bewertung vor oder nach persönlichen Steuern erfolgt. Vor dem Hintergrund, dass die Bewertung nach persönlichen Steuern in der schweizerischen Bewertungspraxis keine Rolle spielt und in Deutschland und Österreich zahlreiche Aus­nah­men bestehen, wird nachfolgend nur auf die Ermittlung der Kapitalkosten vor persönlichen Steuern ein­ge­gan­gen.

In Deutschland und Österreich sind die Kapitalkosten auf Basis von Marktdaten unter Anwendung des Capital Asset Pricing Modells (CAPM) abzuleiten. Zwar enthält der österreichische Bewertungsstandard KFS/BW 1 eine Öffnungsklausel für andere Kapitalkostenkonzepte, in der Bewertungspraxis spielen diese jedoch keine Rolle. Unter der Fachmitteilung „Unternehmensbewertung“ können die Kapitalkosten grundsätzlich markt­da­ten­ge­stützt ermittelt sowie subjektiv geschätzt werden. Die Kommentierung zur Fachmitteilung „Un­ter­nehmens­be­wer­tung“ legt dem Bewerter jedoch indirekt die Verwendung der marktdatengestützten Ermittlung unter Anwendung des CAPM nahe. Nachfolgend wird daher ausschließlich die Ermittlung der Kapitalkosten nach CAPM dargestellt.


Eigenkapitalkosten

Bei den Eigenkapitalkosten sind neben dem risikolosen Zinssatz (Basiszinssatz), die Marktrisikoprämie sowie der Beta-Faktor zu bestimmen.

Erste Unterschiede bestehen bereits bei der Bestimmung des Basiszinssatzes. Während unter dem IDW S1 der Basiszinssatz stets nach der Svensson-Methode zu bestimmen ist, kann in Österreich und der Schweiz neben der Svensson-Methode auch vereinfachend auf die Spot-Rate einer 30-jährigen Bundesanleihe zurückgegriffen werden. Weiter wird in Deutschland zur Glättung von kurzfristigen Marktschwankungen sowie möglicher Schätzfehler ein gerundeter 3-Monatsdurchschnitt für die Bestimmung des Basiszinssatzes herangezogen. Dagegen ist in Österreich und der Schweiz der stichtagsgenaue Basiszinssatz zu berücksichtigen. Ein weiterer Unterschied resultiert aus den unterschiedlichen Währungsräumen. In der Schweiz sind für die Ableitung des Basiszinssatzes Schweizer Bundesanleihen heranzuziehen; hingegen werden in Deutschland und Österreich deutsche Bundesanleihen für die Bestimmung verwendet.

Hinsichtlich der Bestimmung der Marktrisikoprämie veröffentlichen die Standardsetzer in Deutschland und Österreich Empfehlungen. Beide Standardsetzer stützen ihre Empfehlungen auf Analysen zur Marktrendite, wählen bei der konkreten Empfehlung jedoch unterschiedliche Ansätze. Der Fachausschuss Un­ter­nehmens­be­wer­tung (FAUB) des IDW verfolgt einen pluralistischen Ansatz und veröffentlicht eine empfohlene Bandbreite für die Marktrisikoprämie (aktuell: 6-8 Prozent vor persönlichen Steuern). Die Festlegung innerhalb der Bandbreite überlässt der FAUB dem Bewerter. Der Ansatz der Arbeitsgruppe Unternehmensbewertung der KSW unterscheidet sich dahingehend, dass eine empfohlene Bandbreite für die Marktrendite (aktuell 7,5-9 Prozent) veröffentlicht wird. Die Marktrisikoprämie ergibt sich durch Abzug des Basiszinssatzes von der Marktrendite. Nach KFS/BW 1 Empfehlung 7 soll die Festlegung innerhalb der Bandbreite unter Berücksichtigung von impliziten Kapitalkostenstudien erfolgen. In einem Anwendungshinweis vom 5. Oktober 2022 wird ausgeführt, dass es vor dem Hintergrund der gestiegenen langfristigen Inflationserwartungen sachgerecht sein kann, von der Obergrenze der empfohlenen Bandbreite abzuweichen. Der österreichische Standardsetzer räumt dem Bewerter damit die Möglichkeit ein, auf langfristig gestiegene Inflationserwartungen im Rahmen der Bewertung zu reagieren. Vergleichbare Empfehlungen hinsichtlich Bestimmung der Marktrisikoprämie gibt es in der Schweiz nicht. In der Kommentierung zur Fachmitteilung „Unternehmensbewertung“ wird auf historische Studien zu Kapitalmarktrenditen von Schweizer Aktien verwiesen. Demnach sind für die Schweiz Marktrenditen von 6-8 Prozent erwartbar, wobei in der schweizerischen Bewertungspraxis überwiegend eine Marktrendite von 7-8 Prozent angewendet wird. Durch die Ausführungen in der Kommentierung ergibt sich für Bewerter implizit eine Empfehlung von EXPERTsuisse für die Bestimmung der Marktrisikoprämie.

Im Vergleich zum deutschen IDW S1 finden sich in den Bewertungsstandards der Nachbarländer viele Äußer­ungen zum Beta-Faktor. In Österreich und der Schweiz ist bei börsennotierten Unternehmen der un­ter­neh­mens­­in­di­vi­duelle Beta-Faktor heranzuziehen. Sofern dieser nicht aussagekräftig ist oder das Unternehmen nicht börsennotiert ist, ist der Beta-Faktor von Vergleichsunternehmen heranzuziehen (Peer-Group-Beta). Alternativ kommt die Anwendung eines Branchen-Betas in Betracht. Der KFS/BW 1 und die Fachmitteilung „Unter­nehmensbewertung“ unterscheiden sich dahingehend, dass unter dem KFS/BW 1 das Peer-Group-Beta und Branchen-Beta gleichrangig sind. In der Schweiz ist das Branchen-Beta jedoch nachrangig und sollte nur herangezogen werden, wenn das Peer-Group-Beta zu keinen belastbaren Ergebnissen führt. Hinsichtlich der Anpassungsformeln machen die österreichischen und schweizerischen Bewertungsstandards keine Vorgaben, wenngleich sich in der Kommentierung zur Fachmitteilung „Unternehmensbewertung“ eine Tendenz zu risiko­behafteten Tax Shields erkennen lässt. Zur Berücksichtigung des Debt-Betas machen beide Be­wertungs­stan­dards hingegen Angaben. Unter beiden Standards ist die Berücksichtigung eines Debt-Betas notwendig, sofern das Fremdkapital risikobehaftet ist. In ergänzenden Erläuterungen wird in beiden Ländern ausgeführt, dass bei vollständig besicherten Krediten und automatischen Zinsanpassungen bei Verschlechterung der wirtschaft­lichen Lage ein Debt-Beta von null angenommen werden kann. Der deutsche IDW S1 macht hingegen keine Angaben zum Debt-Beta, nähere Informationen werden im IDW Bewertungshinweis 5.011 („Be­rück­sich­ti­gung des Verschuldungsgrades bei der Bewertung von Unternehmen“) genannt. Auf diesen Bewertungshinweis gehen wir detailliert hier ein. Ansonsten ist das Peer-Group-Beta in der deutschen Bewertungspraxis verbreitet.

Unter allen Bewertungsstandards sind die verschuldeten Eigenkapitalkosten grundsätzlich periodenspezifisch, d.h. unter Berücksichtigung der in der jeweiligen Periode vorliegenden Verschuldung, zu bestimmen. Die Kommentierung zur Fachmitteilung „Unternehmensbewertung“ führt aus, dass die periodenspezifische Ka­pi­tal­kos­ten­be­stimmung in der Schweizer Bewertungspraxis wenig verbreitet ist, jedoch aus Konsistenzgründen angeraten ist.

Bei der Bestimmung des Verschuldungsgrades oder der Gewichtung im WACC-Ansatz sind unter allen Stan­dards die Marktwerte für Eigen- und Fremdkapital heranzuziehen.


Fremdkapitalkosten

Bei den Fremdkapitalkosten sind unter allen drei Bewertungsstandards die erwarteten Fremdkapitalkosten heranzuziehen. Diese sind zum Bewertungsstichtag zu bestimmen und können von den vertraglichen Zinsen der bestehenden zinstragenden Verbindlichkeiten abweichen. Wobei die österreichische KSW in ihrer Empfehlung 3 ausdrücklich ausführt, dass in den erwarteten Fremdkapitalkosten nur systematische Risiken zu berücksichtigen sind. In der Folge ist daher beim Adjusted Present Value-Verfahren (APV-Verfahren) ein Wertabschlag für unsystematische Risiken im Credit Spread zu berücksichtigen. Bei der Bestimmung der gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten ist die steuerliche Abzugsfähigkeit von Fremdkapital ent­sprechend zu berücksichtigen. Die Gewichtung der Kapitalkosten beim WACC-Ansatz erfolgt ebenfalls zu Marktwerten.


Kapitalkostenzuschläge


Quelle: eigene Darstellung


Fungibilität/mangelnde Diversifikation/Size-Premium/Länderrisiken

Die Berücksichtigung von Zuschlägen in den Kapitalkosten werden in der Literatur und Bewertungspraxis in allen drei Ländern intensiv diskutiert. Eine hohe praktische Relevanz haben dabei Länderrisiken. Jedoch werden auch Zuschläge für die Unternehmensgröße (Size Premium) oder Illiquidität thematisiert. Die deutschen und österreichischen Bewertungsstandards machen keine ausdrücklichen Angaben zur Berücksichtigung von Zuschlägen in den Kapitalkosten. Im Gegensatz zu Österreich hat sich der deutsche FAUB jedoch in einer Verlautbarung aus 2012 zumindest zur Berücksichtigung von Länderrisiken geäußert. Auch wenn der FAUB grundsätzlich die Berücksichtigung von Länderrisiken in den finanziellen Überschüssen empfiehlt, kommt alternativ aus Gründen der Vereinfachung eine Berücksichtigung in den Kapitalkosten als Zuschlag zu den nach CAPM ermittelten Kapitalkosten in Betracht. Der FAUB sieht dabei die Renditeaufschläge von Staatsanleihen im Vergleich zu (quasi-) sicheren Staatsanleihen als einen geeigneten Indikator für Länderrisiken.

Der Ansatz von weiteren Kapitalkostenzuschlägen ist in Deutschland bei der Bestimmung von objektivierten Unternehmenswerten nicht zulässig.

In subjektiven Bewertungen sind je nach Bewertungsanlass und Bewertungsobjekt Zuschläge in den Kapitalkosten verbreiteter.

In Österreich gibt es keine vergleichbaren Äußerungen der Standardsetzer. Da sich der KFS/BW 1 auch anderen Kapitalmarktmodellen außer dem CAPM öffnet, könnte zunächst vermutet werden, dass eine Berücksichtigung von Länderrisiken oder Size Premium in den Kapitalkosten zulässig ist. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung des KFS/BW 1 ist davon jedoch abzuraten. Der KFS/BW 1 i.d.F. 2006 sah noch die Möglichkeit zur Anpassung der nach CAPM ermittelten Risikoprämie durch den Bewerter vor. In der aktuell gültigen Fassung von 2014 fehlt diese Möglichkeit vollständig, sodass auch ohne ausdrückliche Verlautbarung davon auszugehen ist, dass Zuschläge aller Art in den Kapitalkosten unter dem KFS/BW 1 nicht zulässig sind. Die Abbildung von Risiken sollte unter dem KFS/BW 1 daher in den finanziellen Überschüssen erfolgen.

Während die deutschen und österreichischen Standards restriktiv bei der Berücksichtigung von Zuschlägen sind, zeigen sich die schweizerischen Standardsetzer offen dafür. Unter der Fachmitteilung „Un­ter­nehmens­be­wer­tung“ können sowohl Länderrisiken als auch Size Premiums in den Kapitalkosten berücksichtigt werden. Gleichzeitig macht die Kommentierung deutlich, dass mit Zuschlägen zurückhaltend umgegangen werden muss und insbesondere bei objektivierten Bewertungen detailliert zu begründen sind. Sofern Zuschläge vor­ge­nommen werden, sollte auf die in der Literatur verbreitete Methode des „modified CAPM“ zurückgegriffen werden. Für die Berücksichtigung von Länderrisikoprämien in den Kapitalkosten spricht sich die Kommen­tierung für den Ansatz von Prof. Damodaran aus. Bei der Berücksichtigung des Size Premiums wird auf umfassende Studien, die auf Prof. Peek zurückgehen, verwiesen.

Folgende Tabelle stellt die Kapitalkostenparameter zusammenfassend gegenüber:

Quelle: eigene Darstellung


Fazit

Während der deutsche und österreichische Standard eine größere Nähe aufweisen, orientiert sich der junge Schweizer Bewertungsstandard stärker an der anglo-amerikanischen Bewertungspraxis. Diese lässt dem Bewerter mehr Freiraum in der Ableitung der Kapitalkosten. Vor dem Hintergrund des damit einhergehenden Konfliktpotenzials ist unseres Erachtens auch in der Schweiz eine fundierte marktdatengestützte Ka­pi­tal­kosten­er­he­bung notwendig. Zudem nehmen die nachvollziehbare Begründung und Dokumentation der gewählten Parameter in der Schweiz eine hervorgehobene Stellung ein. Die länderspezifischen Besonderheiten setzen umfangreiche Kenntnisse in der praktischen Anwendung voraus. Dabei sind nicht nur die rahmen­ge­ben­den Bewertungsstandards, sondern auch die übrigen Äußerungen und Empfehlungen der Standardsetzer sowie Diskussionen in der einschlägigen Literatur im Kontext des Bewertungsobjektes und des Bewertungsanlasses zu beachten.

Nach Verlautbarungen des FAUB wird der deutsche Bewertungsstandard IDW S1 derzeit grundlegend über­ar­bei­tet. Mit Blick auf die nahe Zukunft wird sich zeigen, ob die bestehenden Gemeinsamkeiten oder Un­ter­schie­de zu den Nachbarländern zunehmen.

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