„Luxemburg Leaks” und der Kampf der EU-Kommission gegen Steuerflucht: Ist der deutsche Mittelstand betroffen?

PrintMailRate-it
zuletzt aktualisiert am 4. April 2018

Die EU-Kommission, vertreten insbesondere durch die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, geht seit einiger Zeit entschieden gegen unfairen Steuerwettbewerb und Steuerver­mei­dung vor. Zuletzt hatte sie 7 EU-Mitgliedstaaten, namentlich Belgien, Zypern, Ungarn, Irland, Luxemburg, Malta und die Niederlande für ihre aggressive Steuerpolitik öffentlich kritisiert. Den Ländern wird vorgeworfen, den gerechten Wettbewerb im Binnenmarkt zugunsten von internat­ionalen Großkonzernen wie Apple und Amazon zu untergraben. Insbesondere Steuervorent­scheidungen – sog. „tax rulings” – sind dabei in jüngster Vergangenheit wiederholt auf ihre Europarechtskonformität hin untersucht worden. In dem Zusammenhang stellt sich v.a. die Frage, inwieweit deutsche Unternehmer und Unternehmen betroffen sind.

 

        

Steuerprivilegien für internationale Großkonzerne als illegale Staatshilfen

Ein internationales Journalisten-Netzwerk hatte enthüllt („Luxemburg Leaks”), dass Hunderte internationale Konzerne mit den Luxemburger Behörden Sondervereinbarungen getroffen und so in ihren Heimatländern Steuern in Milliardenhöhe gespart haben. Alle 28 EU-Staaten und somit auch Deutschland wurden darauf­hin aufgefordert, Informationen über ihre Absprachen mit Unternehmen zu veröffentlichen.

     

Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager erklärte, nötig sei ein vollständiger Überblick über diese „Deals” mit den jeweiligen nationalen Steuerbehörden. Damit solle festgestellt werden, ob der Wettbewerb im Binnenmarkt durch individuelle Steuervergünstigungen verfälscht werde.

 

Das Ausnutzen günstiger Steuergesetzgebung ist an sich nicht verboten. Daher werden nicht die Unter­nehmen, sondern die Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten von Brüssel ins Visier genommen. Der Hebel ist das europäische Wettbewerbsrecht. Es verbietet grundsätzlich, dass der Staat bestimmten Unternehmen unter die Arme greift und dadurch gegenüber anderen bevorzugt behandelt. Die Brüsseler Wettbewerbshüter müssen deshalb nachweisen, dass einzelne Unternehmen von den nationalen Behörden tatsächlich besser gestellt wurden als andere. Das verkompliziert die Prüfung.

 

Zuerst in das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit gelangte ein Steuervorentscheid der Luxemburger Behörden für die Luxemburger Tochtergesellschaft des Amazon-Konzerns (Amazon EU S.à.r.l.) aus dem Jahr 2003. Es geht um Verrechnungspreise, die für Transaktionen zwischen verschiedenen Einheiten des Konzerns zur Anwendung kommen. So konnte die Luxemburger Tochtergesellschaft Amazon EU S.à.r.l., in der ein wesentlicher Teil der in Europa erzielten Gewinne konzentriert wird, aufgrund einer im strittigen tax ruling festgelegten Methode eine steuerlich absetzbare Lizenzabgabe an eine andere Amazon-Einheit zahlen, die ebenfalls in Luxemburg ansässig ist, aber nicht der luxemburgischen Körperschaftsteuer unterliegt. Ungewöhnlich sei in dem Zusammenhang laut Kommission insbesondere, dass das tax ruling eine Deckelung der Steuerbemessungsgrundlage enthalte. Die Luxemburger Steuerbehörden hätten demnach zugestimmt, die Steuerbemessungsgrundlage auf einen bestimmten prozentualen Anteil des Umsatzes zu beschränken (dem Vernehmen nach auf max. 0,55 Prozent des Umsatzes), unabhängig von der Höhe der tatsächlich erzielten Gewinne. Im Ergebnis wird damit der größte Teil der europäischen Gewinne von Amazon zwar in Luxemburg verbucht, dort aber nicht besteuert.

 

Mit Beschluss vom 4. Oktober 2017 stellte die EU-Kommission fest, dass die Entscheidung der luxembur­gischen Steuerbehörden zu der von Amazon in Luxemburg zu zahlenden Körperschaftsteuer gegen die EU-Beihilfevorschriften verstoße. Somit habe Luxemburg Amazon unzulässige Steuervergünstigungen von rund 250 Mio. Euro gewährt. Die für unzulässig befundenen Beihilfen muss Luxemburg nun von dem Unternehmen zurückfordern.

 

Seit Sommer 2013 ermittelt die Kommission zudem auch zu den mit Steuervorbescheiden abgedeckten Steuerpraktiken von Starbucks und IKEA in den Niederlanden, zur Behandlung einer Finanztochter des italienischen Autoherstellers Fiat (Fiat Finance and Trade), eines Tochterunternehmens des ameri­kani­schen Mc Donald's Konzerns (Mc Donald's Europe Franchising) und des französischen Energieversorgers GDF Suez (heute „Engie”) in Luxemburg sowie zur Besteuerung des amerikanischen IT-Konzerns Apple in Irland.

 

So hat die EU-Kommission nach eingehenden Untersuchungen angeordnet, dass Luxemburg und die Niederlande die von Fiat bzw. Starbucks nicht entrichtete Steuer in Höhe von jeweils ca. 20 - 30 Mio. Euro einfordern müssen, um die von den beiden Gruppen in Anspruch genommenen unfairen Wettbewerbsvor­teile zu beseitigen. Der Beschluss der EU-Kommission in Sachen Fiat ist mittlerweile sowohl vom Großherzogtum als auch von Fiat Chrysler Finance Europe vor dem Gericht der Europäischen Union angefochten worden. Ein Urteil ist noch nicht ergangen.

 

Noch mehr Aufsehen erregte allerdings die Entscheidung der EU-Kommission im Apple-Fall, wonach Irland Apple unzulässige Steuervergünstigungen von bis zu 13 Mrd. Euro gewährt hat, aufgrund derer Apple über viele Jahre erheblich weniger Steuern zahlen musste als Wettbewerber. Nach den Feststellungen der Kommission zahlte Apple im Jahr 2003 einen effektiven Körperschaftsteuersatz von nur 1 Prozent auf sämtliche Gewinne, die es durch den Verkauf seiner Produkte außerhalb von Nord- und Südamerika erzielte und in Irland bündelte. Bis 2014 ging der Steuersatz weiter auf 0,005 Prozent zurück. Nahezu die gesamten von den beiden Unternehmen erwirtschafteten Gewinne wurden intern aus Irland heraus auf einen „Verwaltungssitz” („Head Office”) übertragen, der über keine eigenen Mitarbeiter verfügte, in keinem Land niedergelassen war und daher auch keinerlei Besteuerung unterlag. Irland wurde aufgefordert, die als rechtswidrige Beihilfe qualifizierte Mindersteuer von bis zu 13 Mrd. Euro zzgl. Zinsen zurückzufordern, um die durch sie verursachte Wettbewerbsverzerrung zu beseitigen.

 

Irland, das um seine steuerliche Standortattraktivität fürchtet, hat ebenso wie Apple Klage gegen die Europäische Kommission vor dem Gericht der Europäischen Union eingereicht. Beanstandet wird insbesondere, dass die Kommission mit ihrer Entscheidung unrechtmäßig in die staatliche Souveränität Irlands in ertragsteuerlichen Fragen eingegriffen habe. Zudem habe sie das irische Steuerrecht nicht richtig ausgelegt. Apple verfolgt das Ziel, dass das Gericht den Beschluss der EU-Kommission ganz oder zumindest teilweise für nichtig erklärt. Da Irland den Betrag von 13 Mrd. Euro an (vermeintlich) unrecht­mäßigen Beihilfen noch nicht von Apple zurückgefordert hat, hat die Europäische Kommission nunmehr ihrerseits den Europäischen Gerichtshof (EuGH) wegen unterlassener Umsetzung des Kommissions­beschlusses angerufen. Das Verfahren dürfte insgesamt mehrere Jahre dauern.

 

Grenzüberschreitender Austausch von Tax Rulings zwischen den Staaten

Der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der EU hat am 8. Dezember 2015 eine Änderung der EU-Amtshilferichtlinie beschlossen und somit eine Rechtsgrundlage für den automatischen Austausch von tax rulings zwischen den EU-Mitgliedstaaten geschaffen. Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ab dem 1. Januar 2017 Informationen zu allen neuen, geänderten oder erneuerten Vorbescheiden und Vorabver­ständigungen in grenzüberschreitenden Sachverhalten untereinander automatisch auszutauschen und auch der EU-Kommission zu übermitteln. Bis zum 1. Januar 2018 mussten die Mitgliedstaaten die Angaben außerdem auch für alle entsprechenden Steuervorbescheide, die sie seit Anfang 2012 erteilt haben, zur Verfügung stellen.

 

Im Verhältnis zu Drittstaaten ergibt sich die Rechtsgrundlage für Spontanauskünfte über tax rulings, die zu grenzüberschreitender Gewinnverkürzung oder -verlagerung führen können, aus den Auskunftsklauseln in den Doppelbesteuerungsabkommen in Verbindung mit Aktionspunkt 5 des OECD/G20 BEPS-Projektes zur Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken. Die OECD definiert tax rulings als „alle Empfehlungen, Auskünfte oder Zusicherungen einer Steuerbehörde gegenüber einem bestimmten Steuerpflichtigen oder einer Gruppe von Steuerpflichtigen [wie z.B. Konzernen] in Bezug auf dessen bzw. deren Steuersituation, auf die sich dieser Steuerpflichtige bzw. diese Gruppe von Steuerpflichtigen berufen kann”.

 

Betroffen sind jeweils sämtliche tax rulings mit grenzüberschreitender Wirkung, ohne Ausnahmen für kleine und mittelgroße Unternehmen. Der Informationsaustausch erfolgt mind. mit den unmittelbar betroffenen Staaten und dem Ansässigkeitsstaat der Konzernspitze. Ziel ist die Schaffung von Transparenz zur Aufdeckung einseitiger Begünstigungen bei der internationalen Unternehmensbesteuerung in einzelnen Staaten.

 

In Deutschland fallen nach Auffassung der Finanzverwaltung verbindliche Auskünfte, verbindliche Zusagen und Vorabzusagen über Verrechnungspreise unter die Informationsaustauschpflicht.

 

„Verbindliche Auskünfte” deutscher Finanzämter von der Initiative der EU-Kommission grundsätzlich nicht betroffen

Für deutsche Unternehmer und Unternehmen stellt sich nun die Frage, inwieweit sie von dem verstärkten Kampf der Kommission gegen privilegierende Steuervereinbarungen betroffen sind, v.a. ob es sich auch bei den in der Praxis häufig ausgestellten „verbindlichen Auskünften” der deutschen Steuerbehörden um eine illegale wettbewerbsverzerrende Staatshilfe zugunsten der beantragenden Unternehmen handelt, die ggf. rückwirkend aberkannt werden.

 

Das dürfte im Regelfall zu verneinen sein. Denn der Unterschied zwischen den in Deutschland verbreiteten verbindlichen Auskünften des Finanzamtes und den tax rulings einiger ausländischer Steuerbehörden ist, dass tax rulings im Ausland z.T. das Ergebnis einer Art Verhandlung mit der Finanzbehörde über die steuerliche Behandlung des anfragenden Unternehmens sind und somit einzelnen Konzernen selektive Privilegien verschaffen können. Im Gegensatz dazu dienen die in Deutschland erteilten „verbindlichen Auskünfte” ausschließlich der Klarstellung bestimmter, im Gesetz nicht ausdrücklich geregelter Sachverhalte im Interesse der Rechts- und Planungssicherheit der Unternehmen. Die verbindliche Auskunft ist ein im Gesetz klar kodifiziertes Institut, das jedem zugänglich ist. Es handelt sich gerade nicht um einen individuellen Deal zur Steuerreduktion zwischen einem einzelnen Steuerzahler und dem Finanzamt.

 

Eine Ausnahme könnte der durch die Presse bekannte Fall „Porsche-VW” darstellen, bei dem die zuständigen Finanzbehörden per verbindlicher Auskunft attestiert hatten, dass die Transaktion aufgrund der Ausnutzung eines Schlupflochs im Umwandlungssteuergesetz nicht als steuerpflichtiger Kauf, sondern als privilegierte Umstrukturierung zu werten sei, solange zugleich „ein” Unternehmensanteil übertragen wird. Ein solcher Sachverhalt könnte beihilferechtlich nun ebenfalls von den EU-Kommissaren näher überprüft werden.

 

Ungeachtet solcher Ausnahmefälle dürfte das Vorgehen der EU-Kommission gegen die tax rulings somit ohne Folge für deutsche Unternehmen sein, die in der Vergangenheit verbindliche Auskünfte der deutschen Finanzbehörden erhalten haben oder in Zukunft planen, solche zu beantragen. Denn solange Zusagen der Steuerbehörden nur dazu dienen, den Unternehmen zu erläutern, wie unklare steuerliche Sachverhalte zu behandeln sind, sind sie gängige, zulässige Praxis.

 

Unternehmen mit im EU-Ausland erhaltenen tax rulings könnten mittelbar in das Visier der EU-Initiative geraten

Etwas anderes gilt hingegen für deutsche Unternehmer und Unternehmen mit einer grenzüberschreitenden Gesellschaftsstruktur oder Geschäftstätigkeit, die von ausländischen Behörden Sondervereinbarungen in Form von tax rulings erhalten haben. Die rulings könnten in Zukunft unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten angegriffen werden, wenn mit ihnen individualisierte wettbewerbsverzerrende Steuer­vergünstigungen verbunden sind. Wir empfehlen betroffenen Unternehmen, die weitere Entwicklung sehr aufmerksam zu verfolgen und rechtzeitig entsprechende Beratung einzuholen. Hierbei ist bspw. zu untersuchen, ob das durch eine ausländische Behörde erhaltene tax ruling lediglich der Auslegung bestehender Gesetze dient (vergleichbar der verbindlichen Auskunft in Deutschland) oder eine individuelle begünstigende Vereinbarung zugunsten des einzelnen Steuerpflichtigen vorliegt.

 

Familienunternehmen, die sich in der Vergangenheit durch die auf der Basis von tax rulings erreichte geringe Besteuerungsquote ihrer Wettbewerber benachteiligt sahen, könnten vom Vorgehen der EU-Kommission profitieren. Damit steht zu hoffen, dass als Ergebnis der freie Wettbewerb über Preise, Qualität und Service künftig nicht mehr oder zumindest nur noch in geringerem Maße durch staatlich gefördertes Steuerdumping verzerrt wird.


Deutschland Weltweit Search Menu