Obsoleszenz-Verpflichtungen – ein hohes Risiko für Hersteller und Verkäufer?

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veröffentlicht am 7. Juni 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Themen wie Nachhaltigkeit, Einsparung von Ressourcen und Energieeffizienz sind aktueller denn je. Während unter anderem die Ökodesign-Richtlinie vorwiegend Konsum- und Verbraucherprodukte in den Blick nimmt, beschäftigt sich dieser Artikel mit möglichen Obsoleszenz-Verpflichtungen betreffend Investitionsgüter im B2B-Bereich. Besteht eine Verpflichtung des Herstellers bzw. Verkäufers zur Nachlieferung von Ersatzteilen über den Gewährleistungszeitraum hinaus? Muss er ggf. über die Nichtverfügbarkeit von Ersatzteilen aufklären? – Die Pflichten des Herstellers bzw. Verkäufers auf den ersten Blick und bei genauerer Betrachtung: 
 

 

Das Szenario

Ein Maschinenhersteller stellt eine Produktlinie ein. Das Produkt wurde im B2B Bereich in den vergangenen Jahren in hoher Stückzahl verkauft und die Lebensdauer der verkauften Produkte reicht noch über 1-2 Jahr­zehnte. Bei einem wichtigen Teil dieses Produkts handelt es sich um ein Verschleißteil, das der Hersteller und Verkäufer des Produkts nicht mehr auf Lager hat und das er auch nicht mehr auf dem Markt beschaffen kann. Das Teil unterliegt einem unregelmäßigen Austauschzyklus muss aber im Laufe der Lebensdauer des Produkts je nach Häufigkeit der Nutzung in der Regel 2-3 mal gewechselt werden. Das Nachfolgemodell des abgekündig­ten Produkts kommt ohne dieses Teil aus. Die Neuanschaffung des Nachfolgemodell dieses Pro­dukts verur­sacht aber neben den Anschaffungskosten auch weitere Kosten insbesondere für die Software- und Hardware-Integration.

Für den Hersteller und Verkäufer stellt sich nun die Frage:
  • Schweigen und sich mit dem Begehren des Käufers auf Austausch bzw. Reparatur erst auseinandersetzen, wenn er sich meldet?

oder

  • Von sich aus aktiv werden und dem Käufer mitteilen, dass das Verschleißteil nicht mehr vorhanden ist und auch nicht mehr beschafft werden kann?

Einerseits besteht die Sorge, durch eine Mitteilung an die Käufer mächtig viel Staub aufzuwirbeln und sich einer Vielzahl von Anfragen und Forderungen stellen zu müssen.

 

Andererseits drohen dem Käufer bei einem Ausfall des Teils erhebliche Schäden durch Produktionsausfall und zwar über den Zeitraum hinaus, den der Austausch des Teils normalerweise in Anspruch genommen hätte. 


Nachlieferungs-, Aktualisierungs- und Reparaturpflichten 

 

In der juristischen Fachliteratur ist es umstritten, ob es für technische und chemische Produkte eine allge­meine Nachlieferungs-, Aktualisierungs- oder Reparaturpflicht gibt. Die Frage, wie lange und unter welchen Umständen Ersatzteile bevorratet werden müssen, stellt sich insbesondere bei der Einstellung einer Produkt­linie durch den Hersteller.

 

Teilweise wird vertreten, dass sich der Hersteller/Verkäufer auch noch nach Vertragsabwicklung für eine gewis­se Dauer lieferbereit halten muss. Hiernach soll der Hersteller/Verkäufer verpflichtet sein, für einen angemes­sen­en, an der üblichen Lebensdauer seiner Produkte orientierten Zeitraum, die Ersatzteilversorgung der Käufer sicherzustellen.

 

Aus dem Gesetz ergibt sich eine generelle Verpflichtung zur Bevorratung abgesehen vom Gewährleistungsfall nicht. Daher ist auf die allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben zurückzugreifen oder der geschlossene Vertrag auszulegen.

 

Eine Pflicht zur Bevorratung wird damit begründet, dass der Hersteller/Verkäufer den Käufer durch das Vorent­halten von Ersatzteilen daran hindert, den Liefergegenstand für einen angemessenen Zeitraum zu nutzen. Denn diesen Nutzungszeitraum hat der Käufer bereits vollständig bezahlt – der Nutzungszeitraum korreliert mit der Höhe des Kaufpreises.

 

Das OLG Frankfurt a.M. vertritt in einer Entscheidung vom 18. Februar 2019 (13 U 186/17) eine andere Auffas­sung. Das Gericht führt aus, dass sich weder im deutschen Recht noch im EU-Verbraucherrecht eine Norm fin­det, die eine Verpflichtung des Herstellers oder Importeurs gegenüber dem Endverbraucher begründet, für die gesamte Lebensdauer der Ware Ersatzteile vorzuhalten. Eine solcher Anspruch lasse sich auch nicht ohne Weiteres aus einer bestehenden Vertrauensbeziehung oder aus § 242 BGB ableiten.


Rücksichts- und Informationspflichten

 

Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben können den Hersteller/Verkäufer außerdem Rücksichts- und Informationspflichten treffen. Die Unmöglichkeit der Beschaffung eines notwendigen Verschleißteils ist ein Umstand, der sich unmittelbar auf den Geschäftsbetrieb der betroffenen Unternehmen auswirken kann. Aus diesem Grund kann es notwendig sein, die Käufer zu informieren, um diese in die Lage zu versetzen, sich recht­zeitig um einen Ersatz des Geräts zu kümmern und keine Produktionsausfälle und Folgeschäden zu riskieren.

Mögliche Rechtsfolgen


Für den Fall, dass eine Verpflichtung zur Nachlieferung von Ersatzteilen bejaht würde, wäre nach dem be­schrieb­enen Szenario die Lieferung des Verschleißteils unmöglich. Das bedeutet, dass eine Liefer- bzw. Be­schaf­fungspflicht für dieses Teil entfällt. Der Kaufpreis für das Produkt ist längst bezahlt und eine Rückfor­derung aus dem Gewährleistungsrecht scheitert an der Verjährung dieser Ansprüche.

 

Denkbar bleiben Schadensersatzansprüche des Käufers wegen der Verletzung nachvertraglicher Neben­pflich­ten. Mögliche Schadenspositionen könnten hier ein Ersatzverlangen für die verkürzte Nutzungsdauer des Ge­rätes, ein Ersatzverlangen für Neubeschaffungs- und Implementierungskosten oder auch ein Ersatzverlangen für Schäden durch Produktionsausfall/Anlagenstillstand sein.

 

Für einen solchen Anspruch wäre es erforderlich, dass dem Hersteller/Verkäufer eine Pflichtverletzung nach­zu­weisen ist. Neben einer Reparatur- und Beschaffungspflicht als solcher, kommen vor allem Versäumnisse im Zusammenhang mit dem proaktiven Obsoleszenzmanagement in Betracht. Hierzu zählt es, die Zulieferermärkte im Hinblick auf sich abzeichnende Obsoleszenzen zu beobachten und darauf zu reagieren. Solche Pflichten finden ihre Grenzen wiederum bei der Unzumutbarkeit. Unter diesem Gesichtspunkt wäre u.a. zu prüfen, ob es dem Hersteller/Verkäufer zu dem Zeitpunkt, als sich eine Unmöglichkeit der Beschaffung abzeichnete und das auch erkennbar war, noch möglich und zumutbar war, entsprechend zu reagieren und Teile zu bestellen und zu bevorraten oder, falls es nicht mehr möglich war, die Käufer darüber entsprechend zu informieren, um die Schäden möglichst gering zu halten.

 

Fazit

Eine Haftung des Herstellers/Verkäufers kann in dem beschriebenen Szenario nicht ausgeschlossen werden. Auch wenn eine erfolgreiche Inanspruchnahme auf direkte Beschaffung des Ersatzteils bzw. Reparatur eher unwahrscheinlich ist, kann das Ergebnis für eine erfolgreiche Inanspruchnahme aus unterlassenen Informa­tions- und Rücksichtnahmepflichten – sei es ein mangelhaftes oder fehlendes Obsoleszenz­manage­ment, sei es die unterlassene Information über die Nichtverfügbarkeit des Verschleißteils auf dem Markt – anders ausfallen.

 

Aus diesem Grund sollte sorgfältig erwogen werden, die betroffenen Käufer über den Umstand, dass das Verschleiß-Element derzeit nicht beschafft werden kann, zu informieren.

 

Letztlich wird eine Einzelfallbetrachtung anzustellen sein, bei der die Schadensminderungspflicht des Her­stellers/Verkäufers gegen das Risiko der durch eine solche Information ausgelösten Reaktionen abzuwägen ist. 


Praxistipp
Empfehlenswert kann es sein, eine Regelung in den AGB des Herstellers/Verkäufers aufzunehmen, dass in solchen Fällen rechtzeitig auf den Umstand der Einstellung der Produktion hingewiesen wird und gleichzeitig erklärt wird, sich noch über einen gewissen Zeitraum (beispielsweise 12 oder 18 Monate) zur Lieferung von Ersatzteilen zu einem wirtschaftlich vertretbaren Preis bereit zu erklären.
Alternativ wäre es auch denkbar, im Rahmen des internen Obsoleszenzmanagements vorzusehen, dass den Käufern im Falle einer Produktabkündigung angeboten wird, sich mit Ersatzteilen entsprechend einzudecken (Last-Time-Buys).
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