Smartphone entsperren unter Zwang – BGH-Entscheidung betrifft auch Steuerstrafverfahren

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 14. August 2025 | Lesedauer ca. 3 Minuten
 

In einem aktuellen Beschluss​​1 hat der BGH das zwangsweise Entsperren eines Smartphones mittels Fingerabdruck durch die Polizei während einer Durchsuchung als rechtmäßig angesehen. Konkret musste der Beschuldigte auf Anordnung der Polizei, d.h. gegen seinen Willen, während der Durchsuchung seinen Zeigefinger auf den Fingerabdrucksensor seines Smartphones legen. Die Polizei versprach sich hierdurch Zugang zu den Daten des Beschuldigten, gegen den u.a. wegen des Herstellens und Besitzes kinderpornographischer Schriften ermittelt wurde.​

 

 

Selbstbelastungsfreiheit

Das Vorgehen der Polizei im vorgenannten Fall mutet genauso pragmatisch an, wie es strafrechtlich problematisch ist. Schließlich gewährt der Zugang zu einem Smartphone regelmäßig umfassende Einblicke in das Leben eines Menschen. Insbesondere ist ohne größere Mühen ersichtlich, welcher Inhalte konsumiert und mit wem korrespondiert wird. Im Grundsatz gilt jedoch die Selbstbelastungsfreiheit. Beschuldigte in Strafverfahren haben das Recht, zum Tatvorwurf zu schweigen. Sie müssen sich weder durch verbale Aussagen selbst belasten noch durch physische Handlungen an der Strafverfolgung mitwirken. Im Widerspruch dazu erlangte Daten dürfen grundsätzlich in Strafverfahren daher auch nicht verwertet werden.


Auffassung des BGH​

 Der BGH geht in der vorgenannten Entscheidung dagegen nicht von einem solchen Verwertungsverbot aus. Bereits die Beweismittelgewinnung sei rechtmäßig gewesen. Zwar stelle der Zugang zu den gespeicherten Daten einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht des Beschuldigten auf informationelle Selbstbestimmung dar; es existiere in der Strafprozessordnung (StPO) aber insbesondere eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für Ermittlungsbehörden. Der BGH verweist diesbezüglich einerseits allgemein auf die Vorschriften über Durchsuchung (§§ 102, 105 Abs. 1 StPO) und Beschlagnahme (§§ 94 ff. StPO) sowie andererseits konkret auf die sog. erkennungsdienstlichen Maßnahmen bei Beschuldigten (§ 81b StPO). Nach § 81b StPO dürfen Ermittlungsbehörden Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufnehmen sowie Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vornehmen. Voraussetzung ist lediglich, dass dies „zum Zwecke der Durch​führung des Strafverfahrens notwendig“ ist.​


Kritik an der BGH-Auffassung​

Die Sichtweise des BGH wird allenthalben kritisiert und teilweise sogar als verfassungswidrig eingestuft. Bemängelt wird vor allem, dass die Voraussetzungen für einen, wie der BGH selbst erkennt, derart intensiven Eingriff in die Beschuldigtenrechte zu gering bzw. unbestimmt sind. Die vorgenannte „Notwendigkeit für die Zwecke des Strafverfahrens“ gemäß § 81b Abs. 1 StPO dürfte nahezu immer bestehen. Weiterhin erlaubt § 81b Abs. 1 StPO zwar den Zwang zum „Fingerauflegen“, aber vorrangig, um Fingerabdrücke zu gewinnen. Diese ermöglichen wiederum schlicht die Identifikation einer Person. Das Entsperren eines Smartphones ermöglicht dagegen häufig den Einblick in das komplette Leben einer Person. Es ist daher höchst zweifelhaft, ob es sich bei dem biometrischen Entsperren um eine „ähnliche Maßnahme“ im Sinne des § 81b Abs. 1 StPO handelt. Besonders widersprüchlich mutet dabei im Übrigen auch an, dass die Polizei hiernach zwar nicht die Preisgabe des Entsperrungs-Codes, wohl aber das Präsentieren des Fingers – und bei Face-ID womöglich auch des Gesichts – erzwingen darf.


Bedeutung für Steuerstrafverfahren

​Ungeachtet aller Kritik: Die Entscheidung des BGH hat nicht nur Bedeutung für polizeiliche Maßnahmen, sondern wird sich insbesondere auch auf Steuerstrafverfahren auswirken. Nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO) sind die Beamtinnen und Beamten der Steuerfahndung Ermittlungspersonen der Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzämter – und damit der Staatsanwaltschaft. Sie haben danach grundsätzlich die gleichen Befugnisse wie Polizeibeamtinnen und -beamte. Die Steuerfahndung nimmt zwar üblicherweise keine Fingerabdrücke; die Inhalte von Smartphones sind für sie aber ebenfalls besonders interessant. Die Praxis zeigt, dass bei Durchsuchungen der Steuerfahndung reflexhaft auch die Smartphones der beschuldigten Personen beschlagnahmt werden. Weil die Straftat Steuerhinterziehung Vorsatz erfordert, wird insbesondere nach Anhaltspunkten für bewusstes bzw. gewolltes Handeln, z.B. in E-Mail- oder Chatverläufen,​​​ gesucht. Die BGH-Rechtsprechung dürfte in zahlreichen Verfahren mitunter langwierige Entschlüsselungen der Smartphones durch die IT-Abteilungen der Steuerfahndung obsolet machen.​


Bewertung und Ausblick ​

​Die Gewinnung und Verwertung der Smartphonedaten von Beschuldigten in Strafverfahren wecken seit jeher Begehrlichkeiten der Ermittlungsbehörden. Diesem Umstand hat nun spätestens der vorgenannte BGH-Beschluss Rechnung getragen. Solange der Beschluss nicht durch das Bundesverfassungsgericht „gekippt“ wird, werden Polizei wie auch Steuerfahndung bereitwillig danach handeln. Positiv hervorzuheben ist, dass der BGH den Zwang zum Entsperren bislang offenbar nur in der Durchsuchungs- bzw. Beschlagnahmesituation zulässt – und damit zumindest eine richterliche Anordnung voraussetzt. Aus Verteidigerperspektive kann Nutzerinnen und Nutzern jedoch eigentlich – wenn auch lebensfremd – nur geraten werden, zum Entsperren des Smartphones nicht auf biometrische Merkmale, sondern auf den „guten alten“ Entsperrungs-Code zurückzugreifen. In jedem Fall gilt für Betroffene aber wie üblich: Schweigen, Rechtsanwältin/Rechtsanwalt anrufen.​


1 BGH Beschluss vom 13.3.2025 – 2 StR 232/24.​

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