§ 2b UStG: Zwingende Anwendung ab dem 1. Januar 2023 – oder doch nicht?

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veröffentlicht am 7. Dezember 2022 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Die Neuregelung der Umsatzbesteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) durch die Einführung des § 2b UStG bringt zahlreiche wesentliche Änderungen mit sich. Aufgrund dessen hat der Gesetzgeber gemäß § 27 Abs. 22/22a UStG einmalig eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2022 gewährt, damit sich die jPdöR auf die Anwendung der neuen Vorschrift vorbereiten und wesentliche Fragen zur Umsetzung geklärt werden können. Damit ist § 2b UStG ab dem 1. Januar 2023 zwingend anzuwenden – oder gibt es doch noch einmal einen Aufschub in letzter Minute?



Was bisher geschah

Eine große Anzahl von Abgrenzungs- und Anwendungsfragen ist bis heute ungeklärt geblieben. Trotz des Übergangszeitraums bis zum 1. Januar 2023 konnten nicht alle Fragen, die sich durch die Anwendung des § 2b UStG ergeben, beantwortet werden.
 
Eine Vielzahl von Auslegungsfragen wurden seit Herbst 2019 durch BMF-Schreiben beantwortet. Die Erwar­tungen, dass weitere Klarstellungen folgen, wurden eher enttäuscht als erfüllt. Zwar gibt es Versuche der Finanzministerien kritische Fragen aufzubereiten und den jPdöR damit Hilfestellungen an die Hand zu geben, jedoch entsteht das Gefühl, dass sich aufgrund der verschiedenen Ansichten der Bundesländer mehr und mehr ein Flickenteppich der umsatzsteuerlichen Beurteilungen in Deutschland bildet.
 
So verhält es sich auch in der Primärgesetzgebung. Die Regelungen, die Dritte von der Leistungserbringung tatsächlich ausschließen könnten (dazu zählen beispielsweise die SGBs sowie landesrechtliche Regelungen, die die Aufgaben der Städte, Kreise etc. regeln) wurden so gut wie gar nicht angepasst. Das erfolgte nur in Einzelfällen und meistens auf Bundesebene. Dies führt unter den Gesichtspunkten des § 2b UStG dazu, dass der fiktive Wettbewerb in vielen Fällen nun eine Steuerbarkeit zur Folge hat, obwohl ein realer Wettbewerb überhaupt nicht in Sicht ist. Somit entsteht (wenn das auch durch Steuerbefreiungen nicht immer eine Zahllast nach sich zieht) ein hoher organisatorischer Aufwand, was das Anmelden von umsatzsteuerbaren Sachverhalten nach sich zieht.
 
Die freundliche Formulierung des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG wurde mit Schreiben des BMF vom 14. November 2019 in die Bedeutungslosigkeit geschickt. Bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG besteht nur die Vermutung, dass keine größeren Wettbewerbsverzerrungen vorliegen. Dementsprechend muss auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eine gesonderte Prüfung möglicher Wettbewerbsverzerrung durchgeführt werden. Da diese Leistungen jedoch grundsätzlich schon durch § 2b Abs. 1 Satz 2 und § 2b Abs. 3 Nr. 1 UStG aus der Steuerbarkeit herausgenommen werden, wurde die Anwendbarkeit des § 2b Abs. 3 Nr. 2 UStG so weit reduziert, dass es kaum denkbare Fälle gibt, in denen dieser Anwendung finden könnte.

 

Aktuelle Entwicklungen

Vorsteuerabzug der jPdöR

Zum Vorsteuerabzug der jPdöR und dessen möglichen Vereinfachungen wurde viel im Voraus spekuliert. Vor kurzem wurde der Entwurf eines BMF-Schreibens veröffentlicht, das den Vorsteuerabzug bei den jPdöR aufgrund der Eigenart in Bezug auf die Unternehmereigenschaft vereinfachen soll.

 
Als erste Hauptaussage wird klargestellt, dass für den Vorsteuerabzug von jPdöR vorrangig die allgemeinen Regelungen anzuwenden sind. Es ist also bei Eingangsleistungen zwischen dem unternehmerischen und nichtunternehmerischen Bereich der jPdöR zu unterscheiden. Ein Vorsteuerabzug ist grundsätzlich nur für Eingangsleistungen möglich, die dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen sind. Eine direkte Zuordnung ist vorrangig wahrzunehmen.

Bei gemischt genutzten Aufwendungen ist eine Aufteilung auf den unternehmerisch genutzten Teil und den nichtunternehmerisch genutzten Teil vorzunehmen. Die Grundsätze nach § 15 Abs. 4 UStG sind bei der Zuordnung analog anzuwenden.

Bei Lieferungen ist auch die 10-Prozent-Grenze aus dem § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG zu beachten, die einen Vor­steuerabzug ausschließt, wenn die Lieferung, die Einfuhr oder der innergemeinschaftliche Erwerb zu weniger als 10 Prozent für das Unternehmen (unternehmerischen Bereich) genutzt wird. Nicht anzuwenden ist das für sonstige Leistungen!

 

Besondere Regelungen

Da eine Aufteilung der Vorsteuern nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Zurechnung aufgrund der Besonder­heiten von jPdöR vielfach nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand erfolgen kann und jPdöR grundsätzlich anders als privatrechtliche Unternehmer nicht profitorientiert arbeiten, ist eine Vereinfachung der Geltend­ma­chung von Vorsteuern vorgesehen. Diese können nachrangig zu den oben genannten Grundsätzen ange­wendet werden, wenn die Ermittlung der Verwendungsverhältnisse nach den allgemeinen Grundsätzen mit hohem Aufwand und besonderen Schwierigkeiten verbunden ist.

 
Zur Vereinfachung der Geltendmachung von Vorsteuern darf ein Einnahmeschlüssel für teilunternehmerisch verwendete Leistungsbezüge gebildet werden. Dieser ergibt sich durch folgende Berechnung:

 


Als Einnahmen sind Beträge ohne Umsatzsteuer, also die Nettobeträge zugrunde zu legen. Dabei ist darauf zu achten, dass grundsätzlich zwei Schlüssel zu bilden sind:

  • Schlüssel zum Zuordnen in den unternehmerischen Bereich zur Ermittlung der abzugsfähigen Vorsteuer (Hintergrund 10-Prozent-Grenze s.o.)
  • Schlüssel zum Zuordnen, ob innerhalb des unternehmerischen Bereichs zu steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen genutzt (Ermittlung der tatsächlich abziehbaren Vorsteuer)

 
Es werden außerdem Ausführungen zum Verkauf von Gegenständen, die dem teilweisen Vorsteuerabzug unterlagen, sowie weitere Vereinfachungsregelungen für jPdöR mit geringem unternehmerischem Bereich und die Anwendbarkeit für Organisationseinheiten von Bund und Ländern gem. § 18 Abs. 4f UStG getroffen.

Den Entwurf zum BMF Schreiben finden Sie hier.

 

Verlängerung des Optionszeitraums?

Am Abend des 15. November 2022 wurden erste Stimmen laut, dass der Optionszeitraum, der bereits bis zum 31. Dezember 2022 verlängert wurde und bis dahin auch als „unantastbar“ galt, nochmals um zwei Jahre verlängert werden soll. Nach einer anfänglichen Meldung des Deutschen Städtetages verdichten sich laufend die Mitteilungen und Informationen.

 

Mittlerweile hat der Bundestag mit dem Beschluss über das Jahressteuergesetz 2022 die Verlängerung der Option auf Anwendung des alten Rechts auf den Weg gebracht. Hiernach ist vorgesehen, dass die Verlängerung automatisch erfolgt, sofern die juristische Person des öffentlichen Rechts nicht aktiv die Option widerruft. Sollte der Entwurf tatsächlich so angenommen werden (siehe Fahrplan unten), würde das eine Beibehaltung des bisherigen Rechts bis zum 31. Dezember 2024 ermöglichen.
 
Die Umsatzbesteuerung würde also bis zum 1. Januar 2025 an den körperschaftsteuerlichen Begriff des Be­triebs gewerblicher Art anknüpfen und Beistandsleistungen als auch die Vermögensverwaltung müssten wei­terhin bis zur verpflichtenden Anwendung des § 2b UStG nicht der Umsatzbesteuerung unterworfen werden. Hiervon können sämtliche juristische Personen des öffentlichen Rechts (z.B. Kommunen, Landkreise, Kirchen, Bundesländer, Bund, Zweckverbände, AöR, etc.) partizipieren.

Umgesetzt werden soll die Verlängerung im Jahressteuergesetz 2022, dessen Fahrplan wie folgt aussieht:

  1. Beschlussempfehlungen des Finanzausschusses: 30. November 2022

    In der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses am 30.11.2022 ist die Verlängerung des Optionszeitraums enthalten. Die Verlängerung der Übergangsregelung zu § 2b UStG wurde im Änderungsantrag 26 behandelt.

    In diesem sprechen sich die SPD, das Bündnis 90/Die Grünen und die FDP für die Verlängerung aus.

    Die Fraktion der CDU/CSU hingegen lehnen die Verlängerung der Übergangsregelung zu § 2b UStG aufgrund europarechtlicher Risiken ab. Die AfD lehnte die Verlängerung ebenfalls ab.

    DIE LINKE enthielt sich zu der Verlängerung.
  2. Beschluss Bundestag: 2. Dezember 2022

    Der Bundestag hat am 2. Dezember 2022 das Jahressteuergesetz verabschiedet. Abweichend zum Regierungsentwurf wurde auch in diesem die Verlängerung des Optionszeitraums aufgenommen.
  3. Beschluss Bundesrat: 16. Dezember 2022

    Nach unseren aktuellen Informationen werden sich, bei dem Beschluss des Bundesrates über das Jahressteuergesetz, keine weiteren wesentlichen Einwendungen gegen die Verlängerung des Optionszeitraums ergeben.

 

Bis zum tatsächlichen Beschluss im Bundesrat verbleibt es rechtlich bei der zwingenden Anwendung ab dem 1. Januar 2023.


Gesetzesbegründung

Interessant sind die momentan vorliegenden Begründungen zur Verlängerung:

  • Bereits bestehende Belastungen und der Ukrainekrieg: Verständlich ist sicherlich die Belastung der öffentlichen Verwaltungen: „Auch aktuell sind die Kommunen stark belastet, nicht zuletzt mit der Bewälti­gung der Kosten für die Unterbringung, der infolge des Ukraine-Krieges geflüchteten Menschen. Das knappe fachkundige Personal, die Energiekrise wie auch die anstehenden Grundsteuerreformen verschärfen diese Situation zusätzlich. Hieran wird sich auch im Jahr 2023 nichts ändern. Die begrenzten personellen Ressour­cen und Sachmittel müssen auf diese Aufgaben konzentriert werden und stehen für andere Bereiche nur noch sehr eingeschränkt zur Verfügung.”
  • Unsicherheiten bei der Anwendung des § 2b UStG: Auch bestehen in einer „nennenswerten Zahl von Fällen noch offene Fragen, die bei den Verantwortlichen zu großer Verunsicherung führen und insgesamt Zweifel daran nähren, dass ab dem 1. Januar 2023 flächendeckend eine zutreffende Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand sichergestellt werden kann.” Hier bleibt zu hoffen, dass, wenn die Verlängerung kommt, das BMF die vielen offenen Fragen und teilweise auch unterschiedlichen Auslegungen einzelner Landesfi­nanzverwaltungen einvernehmlich klärt und damit für eine gewisse Rechtssicherheit sorgt.
  • Keine Beeinträchtigung des Wettbewerbs: Darüber hinaus: „Eine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs durch die erneute Verlängerung der Übergangsregelung ist unter Zugrundelegung der Erfah­rungen der letzten zwei Jahre auch weiterhin nicht zu befürchten.”

Letzteres wirft bei den jPdöR Fragen auf, da der § 2b UStG eine Prüfung des Wettbewerbs vorsieht und diese sehr eng ausgelegt wird. So reicht bis dato ein theoretischer Mitbewerber aus, um mindestens einen Dekla­rationsaufwand zu verursachen. Wenn also bisher keine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs vorliegt (also nicht in die „private Marktwirtschaft“ eingegriffen wird), warum sollte das in zwei Jahren der Fall sein?

 

Was ist zu tun?

In jedem Fall heißt es nun erst einmal die Vorbereitungen auf die verpflichtende Anwendung des § 2b UStG fortzuführen. Es handelt sich bis dato nur um Überlegungen und eine tatsächliche Bestätigung einer noch­maligen Fristverlängerung erfolgt erst mit Verabschiedung des Jahressteuergesetzes.
 
Je nach Fortschritt des Umstellungsprozesses, aber auch unter dem Blickwinkel möglicher Versteuerungen und Mehrbelastungen ist daher zu überlegen, ob dann von der Option weiter Gebrauch gemacht werden soll. Die einzelne juristische Person des öffentlichen Rechts hat alle Möglichkeiten. Sie kann die Option u.E. auch rückwirkend widerrufen, soweit die Umsatzsteuerveranlagungen noch änderbar sind. Hierbei sind u.U. auch kommunalrechtliche Regelungen zu beachten, denn die öffentlichen Verwaltungen sind angehalten, mit ihren Mitteln sparsam umzugehen.
 
Nichtsdestotrotz sollten die aktuellen Entwicklungen bezüglich der Verlängerung des § 2b UStG im Blick behalten werden. Bereits erfolgte Vertragsumstellungen etc. sind im Blick zu behalten, da durch einen Ausweis der Umsatzsteuer bei der Verlängerung des Optionszeitraums ggf. „Strafsteuern“ im Rahmen von § 14c UStG anfallen können.
 
Wie die Entwicklung des § 2b UStG zeigt, gibt es immer wieder neue Informationen, die juristische Personen des öffentlichen Rechts beachten müssen. Dennoch sind die bisher getätigten Vorarbeiten und Vorbereitungen essenziell wichtig für die Umstellung auf die Neuregelung der Umsatzbesteuerung.


Schlussanträge der Generalanwältin Rechtssache C‑612/21

Weitere spannende Entwicklungen bezüglich des § 2b UStG ergeben sich durch die Rechtssache C-612/21. In den Schlussanträgen wird die allgemeine Unternehmereigenschaft der jPdöR infrage gestellt. Außerdem wird die Beschränkung, dass durch privatrechtliche Verträge keine Einschränkung der Unternehmereigenschaft vorliegen kann, angegriffen. Ob den Ausführungen gefolgt wird, bleibt abzuwarten. Sollte das der Fall sein, ist es jedoch möglich, dass die Auslegung des § 2b UStG grundlegend zu überdenken wäre.

 

Möglichkeit der Ist-Versteuerung

Praxisrelevant dürfte außerdem die Möglichkeit sein, die sogenannte „Ist-Besteuerung“ in Anspruch zu nehmen. Die Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG) scheint bei verschiedensten jPdöR sinnvoll, da die meisten Buchhaltungen zufluss- und abflussbasiert geführt werden.

 
Aus diesem Grund wird angestrebt, dem § 20 UStG eine vierte Nummer hinzuzufügen, der den jPdöR unab­hängig von einer Umsatzgrenze erlaubt, die Ist-Besteuerung anzuwenden. Diesem Vorhaben hat die Bundes­regierung bereits zugestimmt. Der Ist-Besteuerung ist damit zuversichtlich entgegenzuschauen.

 

Fazit

Grundsätzlich endet die Optionsfrist (bei Redaktionsschluss) zum 1. Januar 2023, sodass ab dann eine zwingende Anwendung des § 2b UStG erfolgen müsste. Bezüglich der Auslegung des § 2b UStG und der Möglichkeiten der Steuergestaltung im Rahmen der Rechtsänderung bleibt es jedoch so oder so spannend.

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