Geopolitische Entwicklungen bestimmen den Handel

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veröffentlicht am 27. Mai 2022 | Lesedauer ca. 3 Minuten
 

Wenige Länder haben wirtschaftlich und sozial so stark von der Globalisierung der letzten Jahrzehnte profitiert wie Deutschland. Die enge globale Vernetzung der deutschen Wirtschaft, die sich an stets hohen Ex- und Importquoten sowie weltweiten Investitionen zeigte, ist ein konstitutiver Bestandteil der sozio-ökonomischen Ordnung Deutschlands und wird von der Bundesregierung weiterhin als wichtiges Ziel außenwirtschaftspolitischen Handelns angesehen.

Prof. Dr. Thomas Jäger (Universität zu Köln) kommentiert

Prof. Dr. Thomas Jäger (geboren: 1960) ist deutscher Politikwissenschaftler. Seit 1999 ist er Inhaber des Lehrstuhls für internationale Politik und Außenpolitik an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und Herausgeber der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik.
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Die weltweite Vernetzung ist jedoch in den letzten Jahren unter heftigen Druck geraten, weil Krisen und Ge­gen­kräfte auf sie einwirkten. Die Finanzkrise legte offen, dass eine unzureichend kontrollierte Vernetzung globale Schockwellen auslösen kann, wenn an einer Stelle Fehlhandeln zum Einsturz führt. Die Staats­schul­denkrise setzte die Eindämmung deutscher Exporte auf die internationale Tagesordnung. Die Pandemie förderte den Gedanken der Resilienz und damit die Verlagerung von Produktionsstätten. Sie unterbrach zugleich  –  was bis dato andauert  –  die globalen Lieferketten und führte zu Problemen in Produktion und Handel. Der Krieg gegen die Ukraine löste weitgehende Sanktionen und Embargos aus, deren Wirkungen auf Russland gegenwärtig ebenso wenig endgültig abgeschätzt werden können wie die Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft.
 
Alle Krisen zeigten in unterschiedlichen Dimensionen auf, dass die Wirkungen politischer und geopolitischer Disruptionen bei der Ausgestaltung der Globalisierung in der Phase zuvor nicht ausreichend beachtet wurden. Die Staaten und Unternehmen waren häufig nur unzureichend vorbereitet. Das führte im ersten Schritt zu erheblichen Kosten und löste danach die Gefahr aus, im Gegenhandeln über das Ziel hinauszuschießen. Deshalb muss die Bundesregierung aktuell mit einem 360-Grad-Blick darauf achten, dass die Schluss­fol­ge­rungen aus diesen Krisen nicht dazu führen, die Kräfte zu unterstützen, die auf die Zurückdrängung der Globalisierung gerichtet sind. Denn hinter der gegenwärtigen geopolitischen Auseinandersetzung um die Bedeutung von Einflusssphären steht auch die Suche nach regionalen Wirtschaftszonen. Das würde den wirtschaftlichen Handlungsradius und die Interessen der deutschen Unternehmen insgesamt schädigen. Dass die aktuellen Sanktionen darauf gerichtet sind, regionale Einflusszonen abzuwehren und dabei gleichzeitig wirtschaftlichen Austausch unterbinden, ist ein Paradoxon, das sich in der Zeit auflösen soll. Das und die übrigen Wirkungen der Krisen bringen es mit sich, dass Unternehmen stärker als in den letzten Jahren politische Entwicklungen berücksichtigen müssen – und das heißt im guten Fall, dass sie sie voraussehen und in ihr Handeln einpassen müssen. In vielen Bereichen wird es sich um die Anpassung von Programmen und Strategien handeln, weil die politischen Vorgaben schwer zu durchbrechen oder zu ignorieren sind.
 
Konkret wird das derzeit an der Energiepolitik der Bundesregierung deutlich, die insbesondere von der deutschen Industrie einen raschen Anpassungsprozess unter großer Unsicherheit erwartet. Sie bezieht sich nicht nur auf Bezugsquellen, sondern auch auf die Produktionskosten und Preisgestaltung. Komplexe Systeme, wie es die verschiedenen Segmente der globalisierten Wirtschaft darstellen, verhindern dabei eine bis in die einzelne Wirkung der neuen Energiepolitik durchblickende Vorausschau.
 
Der sich schon lange abzeichnende Mangel an Facharbeitskräften in Deutschland stellt eine andere Aufgabe, nämlich Deutschland als Einwanderungsland für Fachkräfte attraktiv darzustellen. Die hohe Bedeutung des Zusammenspiels von Nation-Branding und anziehenden Arbeitschancen ist bekannt. Umgesetzt wurde sie bisher nur in einem bescheidenen Maß, sodass sich daraus ein akutes Problem entwickelt hat.
 
Das sind nur zwei Beispiele für die gestiegene Bedeutung politischer und geopolitischer Entwicklungen für die konkreten Chancen deutscher Unternehmen in einer Globalisierung, die in den nächsten Jahren weiter unter Druck bleiben wird. Die nächsten Katastrophen lassen sich nicht voraussehen. Hier können Staat und Gesellschaft vor allem wachsam und auf alles gefasst sein. 2019 hatte niemand die Doppelkrise von Pandemie und Krieg in Europa erwartet. So weiß auch niemand, was als nächstes kommt.
 
Absehen lassen sich jedoch einige Entwicklungen im geopolitischen Konfliktfeld. So werden die Spannungen mit Russland intensiv bleiben, solange die Regierung ihr Ziel weiterverfolgt, Europa zu ihrem Einflussgebiet zu erklären. Russland wird weiter die Zerschlagung von Nato und EU anstreben, weshalb heftige Disruptionen in der EU nicht auszuschließen sind. Nationalpopulistische Tendenzen sind weiterhin vorhanden. Radikali­sierungstendenzen aus unterschiedlichen Quellen sind zu beobachten. China und die USA können ihren Wettbewerb um internationale Dominanz jederzeit intensivieren. Die lange gehegte Vorstellung, dass sich Deutschland aus diesem Konflikt heraushalten könnte, ist spätestens seit dem Angriff Russlands zerstoben.
 
Unternehmen und ihre Arbeitnehmer zahlen derzeit den Aufschlag für die geopolitische Unaufmerksamkeit der Regierung in zwei Jahrzehnten. Sie suggerierte Beruhigung und steckte an. Geopolitische Fragen hatten bei Unternehmensentscheidungen bisher untergeordnete Bedeutung. Das hat sich geändert. Die Globalisierung wird nicht aufgehoben, aber sie lässt sich in Zukunft nur unter Einschluss intensiver geopolitischer Konkurrenz gestalten. Das wird auch auf Unternehmensentscheidungen Einfluss nehmen.

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