Umsatzsteuer – Eine Steuer im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr

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veröffentlicht am 27. Mai 2022 | Lesedauer ca. 4 Minuten
 
 
Dr. Heidi Friedrich-Vache antwortet
 

  

Welche Entwicklungen lassen sich im globalen Warenverkehr feststellen?

Nach unserem Empfinden wächst das gesellschaftspolitische Bewusstsein für Klimaschutz und Nachhaltigkeit rapide. Das lässt sich auch im internationalen Warenverkehr feststellen: Es entstehen neue Produkte oder gar neue Wirtschaftszweige, z. B. in den Segmenten Erneuerbare Energien oder Recycling. Wir merken das durch verstärkte Anfragen von Unternehmen. Ebenfalls auffallend ist, dass aus branchenfremden Industriezweigen in den beiden Bereichen investiert und Innovationen gefördert werden  –  in Windparks, im Solarmarkt oder zur Elektromobilität.
 
Diese Veränderung ökonomischer Strukturen mit der Verschiebung der industriellen Leitbranchen und die ständige (Weiter-)Entwicklung von Wirtschaftssektoren, Technologien sowie Bezahlsystemen ist in den letzten Jahren doch beachtlich. Dem wirtschaftlichen Umfeld muss sich die Umsatzsteuer anpassen, effiziente und auch pragmatische Wege der Zuordnung von Umsätzen zu einem Land finden und damit die Sicherung des Steueraufkommens erreichen.
 
Zugleich bewegt sich viel regulatorisch, um v. a. die Ziele Klimaschutz und Nachhaltigkeit voranzubringen: Auf nationaler Ebene sind erst jüngst Schreiben der Finanzverwaltung zur umsatzsteuerlichen Bemessungs­grund­lage für die Nutzung von (Hybrid-)Elektrofahrzeugen und (Elektro-)Fahrrädern sowie für Dienst-(Elektro-)Fahr­rädern ergangen. Mag es auch nur ein kleiner Baustein sein, zeigt er doch die vielen neuen, innovativen Ge­schäfte, für die schnelle Guidance auch von Seiten der Finanzverwaltung zur Umsatzbesteuerung verlangt ist.
 
Flankierend wird bei den indirekten Steuern insbesondere die Einführung von Environmental Taxes (Umwelt­steuern) diskutiert, etwa im Bereich der CO2-Steuer, der Plastiksteuer (für international tätige Unternehmen, selbst wenn sie in Deutschland derzeit noch nicht umgesetzt ist) sowie der Carbon Border Adjustment. Die uneinheitliche Umsetzung der verschiedenen Steuern auf Transaktionsbasis sowie länderspezifische Aufzeich­nungs- und Erklärungspflichten werden erneut große Herausforderungen für Unternehmen sein, ebenso wie der Plan auf europäischer Ebene, die E-Rechnung nach italienischem Vorbild einzuführen. Das ist auch im deutschen Koalitionsvertrag zur Umsetzung in dieser Legislaturperiode vorgesehen, um den Warenverkehr weiter umsatzsteuerlich grenzüberschreitend zu beobachten.
 

Wie robust sind internationale Handelsbeziehungen vor dem Hintergrund des zunehmend angespannteren Klimas?

Internationale Handelsbeziehungen stehen vielfältig auf dem Prüfstand. Sie sind nicht robust, wenn man damit eine längere Halbwertszeit meint. Es bedarf enormer Durchsicht, Gespür und Agilität für Unternehmen. Etwa die Corona-Pandemie hat in vielen Branchen aufgezeigt, wie fragil Lieferketten sein können. Was zuvor un­wahrscheinlich  –  gar undenkbar  –  erschien, ist heute Realität: Lieferzeiten haben sich stark verlängert, Produktions- / Lagerstrukturen werden aktuell stark geändert und zu vielen Ländern ganze Liefer- bzw. Einfuhrwege, teils Direktvertriebe neu angedacht und implementiert. Das bedeutet umsatzsteuerlich, fast alle wesentlichen Geschäftsvorfälle neu zu beurteilen, ständig neue umsatzsteuerliche Erfassungen in weiteren Ländern bei Änderungen vorzusehen.
 
„Robust” ist heute wie folgt zu verstehen: stark und agil zu sein im ständigen Beobachten und Anpassen, ohne von der bisherigen stabilen Struktur zu verlieren. Gesetzgeber versuchen dabei, etwaige negative Folgen von Krisen durch steuerliche Instrumente abzumildern, den Handel und Verbrauch von bestimmten Waren sowie Dienstleistungen nicht zu gefährden  –  was gerade bei Umsatzsteueranpassungen häufig sehr gut gelingt. Bei­spielhaft sei nur genannt, dass in vielen Staaten Zölle und (Einfuhr-)Umsatzsteuer auf medizinisches Equip­ment oder Umsatzsteuersätze zuletzt vielzählig auf Elektrizität und Gas für den Privatbedarf oder für Strom­lieferungen allgemein (z.B. Elektrofahrzeuge) gesenkt wurden.
 

Sehen Sie grosse regionale Unterschiede?

Derzeit sehen wir selbstverständlich die sehr angespannten Handelsbeziehungen zu Russland. Wie sich die politische Lage und damit einhergehend die wirtschaftlichen Beziehungen in den nächsten Jahren entwickeln werden, ist nur schwer vorherzusehen. Erwähnt sei außerdem der Brexit. Allein der nach dem Ausstieg not­wendige, stark erhöhte, administrative Aufwand zur Erstellung von Formularen und Anträgen für Einfuhren nach UK, die Anpassungen im ERP-System und in den AGBs sowie die Zollbelastungen für bestimmte Produkte haben die Handelsbeziehungen stark belastet.
 
Hingegen rückt die Europäische Union immer stärker gesellschaftspolitisch und wirtschaftlich zusammen. Gerade im Bereich der Umsatzsteuer wird die Harmonisierung der Umsatzsteuer-Regime in den Mitglied­staaten vorangetrieben. So wurde mit der Einführung des sog. One-Stop-Shop-Verfahrens Mitte 2021 ein weiterer Meilenstein umgesetzt. Es ist nun möglich, für bestimmte Umsätze seine umsatzsteuerlichen Pflichten in der ganzen EU durch Abgabe von nur einer Erklärung in nur einem EU-Mitgliedstaat zu erfüllen. Das System soll sukzessive für alle denkbaren B2C- und B2B-Geschäftsvorfälle, Lieferungen und Dienstleistungen ausgeweitet werden.
 

Was sind die massgeblich steuerlichen Parameter im grenzüberschreitenden Zusammenspiel?

In den letzten Jahren sind die (umsatz-)steuerlichen Parameter für unsere Mandanten viel stärker bei ihrer Projektplanung in den Fokus gerückt. Entscheidend sind die entstehenden administrativen Kosten, der zeit­liche Aufwand und ggf. anfallende (behördenseitige) Gebühren sowie (Berater-)Kosten bei einem grenz­über­schreitenden Projekt. Diese Befolgungskosten stellen einen nicht unerheblichen Parameter für Unternehmer dar; sind sie bekannt, können sie eingepreist und mit ihnen umgegangen werden.
 
Mangels harmonisiertem Umsatzsteuerrecht  –  ebenso nicht gänzlich etwa in den Formalien in der EU  –  sind häufig verschiedene Rechnungslayouts, Deklarationspflichten, Fristigkeiten, oder rein technisch gesehen, unterschiedlichen Melde-Formate zu beachten. Die Vielzahl an Differenzierungen ist nicht mehr handhabbar für Unternehmen, was die EU-Kommission bereits erkannt hat und mit ihren Action Plans entgegenwirken möchte. Die Bewegung müssen wir zuversichtlich begleiten.
 

Warum wirken umsatzsteuerliche Fragestellungen aus Unternehmersicht häufig kompliziert?

Umsatzsteuerliche Fragestellungen schlagen recht häufig auf und lassen die Umsatzsteuer kompliziert wirken, weil sie als sog. „Verkehrsteuer” auf (fast) jeder Transaktion eines Unternehmens anfällt. Es entstehen somit aus Unternehmersicht schlicht mehr Berührungspunkte (samt „komplexen“ Fragestellungen) im daily business.
 

Welchen Rat geben Sie Ihren Mandanten angesichts der Komplexität?

Komplexität wird grob definiert mit vielen Komponenten, die auf verschiedene Weise miteinander interagieren können. Fragestellungen – komplexe oder umfangreiche – sollten daher abgeschichtet und modular in den Komponenten angegangen werden, mit Gesamtblick und zugleich Augenmaß an Auswirkungen, auch zum zeitlichen und finanziellen Aufwand für Unternehmen in Abwägung zu Risiken. Meist wirkt die Fragestellung durch Strukturierungen und Vorabüberlegungen zu einem Set-up und sinnigem Roll-out gleich nicht mehr so komplex. Wir arbeiten für unsere Mandanten mit offenem Brainstorming  –  meist bereits interdisziplinär in Besetzung mit Anwälten, Zollexperten usw. –, wozu uns unsere Erfahrung in grenzüberschreitenden Roll-outs sowie in der Betreuung von Unternehmen fast aller Branchen und Größen hilft. Mit unseren Auslandskollegen erfolgen zu Beginn Vor-Sondierungen; wir entwickeln als deutsche Kümmerer, was uns als Rödl & Partner auszeichnet, die Ideen zum Set-up, zu Gestaltungen und Beurteilungsumfängen, unterlegen alles mit einem durchdachten Projekt- und Zeitfahrplan.
 
Dieses Vorgehen funktioniert erfahrungsgemäß gerade bei internationalen Fragestellungen sehr gut. So ist es oft sinnvoller eine umsatzsteuerliche Beurteilung eines in mehreren Ländern relevanten Sachverhalts anhand der Priorisierung nach geplanten Umsätzen erst einmal nur für ein Land oder aus deutscher Sicht vorzu­nehmen, anstatt in allen Zielländern. In der Regel lassen sich nach diesem Master eine Struktur und der beste Umgang mit den Themen identifizieren.
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