„Mogelpackungen“ im Lauterkeitsrecht – BGH entscheidet zu L’Oréal-Waschgel

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 13. Juni 2024 | Lesedauer ca. 3 Minuten

  

Am 29. Mai 2024 hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entschieden, dass der Vertrieb von nur mit zwei Dritteln befüllten Produktverpackungen irreführend ist und gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstößt sofern nicht die Aufmachung der Verpackung das Vortäuschen einer größeren Füllmenge zuver­lässig verhindert oder die gegebene Füllm​enge auf technischen Erfordernissen beruht – und das auch im Online-Handel (I ZR 43/23). 


Klage gegen Herrenwaschgel von L‘Oréal

In dem Fall ging es um das Herrenwaschgel „Hydra Energy“ von L’Oréal. Dieses befindet sich in einer auf dem Kopf stehenden Tube, wobei der untere, durchsichtige Bereich zwar transparent ist und den Blick auf ihren Inhalt freigibt, der obere, nicht mehr gefüllte Bereich, jedoch silbern eingefärbt und nicht transparent ist.
L’Oréal bewarb das besagte Waschgel auf seiner Webseite. Der Verbraucherschutzverband sah hierin einen Verstoß gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und erhob Klage gegen die Bewerbung der Waschgeltube.

Beurteilung einer irreführenden „Mogelpackung“

Der BGH prüfte daraufhin, ob in der Bewerbung der Waschgeltube eine unlautere Handlung in Form einer Irreführung über die Füllmenge einer Verpackung nach § 5 UWG liegt. Eine Irreführung sei gegeben, wenn die Verpackung eines Produkts in keinem Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht.

Dies sei wiederum in der Regel der Fall, wenn die Verpackung nur zu zwei Dritteln gefüllt sei, es sei denn, die Aufmachung der Verpackung verhindere zuverlässig die Vortäuschung einer größeren Füllmenge oder die angegebene Füllmenge beruhe auf technischen Erfordernissen.

Entscheidend sei, welche Vorstellungen der Verbraucher aufgrund der äußeren Gestaltung von dem Inhalt der jeweiligen Verpackung habe und ob diese Vorstellung von dem tatsächlichen Inhalt der Verpackung abweiche. Der Verbraucher erwarte in der Regel zwar nicht die kleinstmögliche Verpackung. Angesichts der zunehmenden Fokussierung auf Ressourcenschonung und Abfallvermeidung müsse ein Verbraucher jedoch nicht erwarten, dass unnötig viel Verpackungsmaterial verwendet wird. Lediglich bei bestimmten Produkten gelte hiervon eine Ausnahme, z. B. bei Pralinenverpackungen oder Parfümflaschen.

Eine sogenannte „Mogelpackung“ werde regelmäßig angenommen, wenn das Füllvolumen weniger als 70 Pro­zent des Verpackungsvolumens betrage.

Liege im Einzelfall eine Abweichung zwischen der Erwartung und dem tatsächlichen Inhalt der Verpackung vor, sei zu prüfen, ob diese Abweichung aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen erforderlich sei. Weiterhin sei zu prüfen, ob der Hersteller die Fehlvorstellung durch deutliche, erläuternde Hinweise neutralisiert habe.

Diese Grundsätze würden unabhängig von dem konkret beanstandeten Werbemedium, hier der Online-Werbung, gelten. Der Schutzzweck des Gesetzes (Schutz von Verbrauchern vor Fehlannahmen über die Füll­menge von Verpackungen) ist, so der BGH, unabhängig vom Vertriebsweg betroffen. Die Ver­braucher­er­wartung knüpfe an die Verpackungsgestaltung an und nicht an den Vertriebsweg. Ob der Verbraucher die Mogelpackung in einem stationären Geschäft oder in einem Online-Shop antreffe, rechtfertige daher keine unterschiedliche Behandlung.

Irreführende Waschgeltube?

Unter Zugrundelegung dieser Kriterien hat der BGH im vorliegenden Fall entschieden, dass die Verkehrskreise erwarten, dass die Waschgeltube als Produkt des täglichen Bedarfs in einem angemessenen Verhältnis zu der in ihr enthaltenen Produktmenge stehe. Der Verbraucher gehe davon aus, dass solche Packungen zu mehr als zwei Dritteln gefüllt seien. Da die Tuben jedoch nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt seien, werde eine Fehl­vor­stel­lung hervorgerufen.

Es sei auch weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Verpackungsgröße technisch notwendig sei.​ Schließlich verhindere auch die äußere Gestaltung der Waschgeltube nicht die Fehlvorstellung der Verbraucher. Die bloße Kennzeichnung der Füllmenge auf der Rückseite (100 ml) reiche nicht aus, um eine Irreführung auszuschließen. Das Verbot der „Mogelpackung“ beruhe gerade auf der Erfahrung, dass der Verbraucher auf eine genaue An­gabe der tatsächlichen Füllmenge nicht achte oder diese nicht richtig einordnen könne.

Die beanstandete Waschgeltube sei deshal​b im Ergebnis, so der BGH, geeignet, über den Umstand ihrer tatsächlichen Befüllung irrezuführen. Der Verbraucher erwarte, dass die Verpackung eines Produkts in einem angemessenen Verhältnis zur enthaltenen Menge stehe. Ein angemessenes Verhältnis sei aber nicht mehr gegeben, wenn die Verpackung nur zu zwei Dritteln gefüllt sei.
 

Checkliste zur Vermeidung von „Mogelpackungen“
Um unzulässige „Mogelpackungen“ zu vermeiden, sollten Hersteller und Händler von Konsumgütern (wie z.B. Kosmetikprodukten, aber insbesondere auch Lebensmitteln) demnach Folgendes beachten:
​–​ Bei Produkten des täglichen Bedarfs sollten Verpackungen zu mehr als zwei Dritteln befüllt sein, um nicht als „Mogelpackung“ zu gelten.
​​–​ Verpackungen, die nur zu zwei Dritteln oder weniger befüllt sind, sind ausnahmsweise zulässig, wenn
   ​– ​​​​​​diese (geringe) Füllmenge technisch notwendig ist oder
  ​– die Füllmenge durch eine Gestaltung der Verpackung deutlich wird (z. B. durchsichtige Verpackung) oder
  – ein deutlicher und aufklärender Hinweis über die Füllmenge auf der Verpackung angebracht ist. Die bloße Füllmengenkennzeichnung auf der Rückseite genügt dabei nicht.
​​– Weitere Ausnahmen können u. U. für bestimmte Produktkategorien gelten, bei denen der Verkehr daran gewöhnt ist, dass die Verpackungsgröße regelmäßig außer Verhältnis zum Inhalt steht. Der BGH hat hierfür beispielsweise Pralinen und Parfums genannt. Das spricht dafür, dass auch ähnliche Produkte ausgenommen sind.
​Zu beachten ist, dass die oben stehenden Grundsätze auch dann gelten, wenn ein Produkt nur im Internet beworben wird.

 
Darüber hinaus ist zu beachten, dass das mögliche Missverhältnis in der Größenrelation auch im Ver­pack­ungs­recht unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit – Vermeidung von Verpackungsabfall – eine Rolle spielt. Welche Vorgaben für Mindestmaße bzw. die Minimierung von Verpackungen derzeit existieren und was die EU-Verpackungsverordnung (PPWR) vorsieht, erfahren Sie in unserem in Kürze erscheinenden Beitrag „Mogel­pack­ungen im Verpackungsrecht und Ausnahmen für Marken- und Designrechte“.
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