Auslieferung 2.0: „Zeitgemäße“ grenzüberschreitende Strafverfolgung mit dem neuen Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG)

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 2. Oktober 2025 | Lesedauer ca. 4 Minuten

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Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 29. September 2025 einen Referentenentwurf zur Neuregelung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG-E) vorgestellt. Der Entwurf verspricht ein lange gefordertes Update für ein Gesetz, das bislang eher durch Komplexität, Lücken und europarechtliche Flickschusterei als durch Effizienz und klare Rechtsschutzmöglichkeiten für Betroffene von sich reden machte.

 


Ein Gesetz aus der Zeit vor der Digitalisierung

Das IRG wurde ursprünglich 1982 eingeführt; einer Zeit, in der internationale Strafverfolgung noch per Fax und diplomatischem Kurier organisiert wurde. Heute hingegen liegen Verfahrensprobleme (zumindest meistens) weniger in der kurzfristigen Übermittlung von Europäischen Haftbefehlen oder Rechtshilfeersuchen. Die bisherige Rechtslage ist vielmehr geprägt von unübersichtlichen bzw. unklaren Regelungen sowie vor allem mangelndem Rechtsschutz für Betroffene. Wer sich als betroffene Person gegen internationale Fahndungsmaßnahmen wehren will bzw. muss, steht bislang häufig schutzlos da. Dies veranschaulicht folgendes Beispiel: 

Ein deutscher Staatsbürger wird in Italien verdächtigt, Teil eines groß angelegten „Umsatzsteuerkarussells“ zu sein. Die italienischen Behörden beantragen einen Europäischen Haftbefehl, der in Deutschland vollstreckt werden soll. Der Betroffene erfährt davon erst, als er bei einer Routinekontrolle am Flughafen festgenommen wird. Eine vorherige Anhörung oder Möglichkeit zur Stellungnahme hatte er nicht. In Deutschland prüft das zuständige Oberlandesgericht bislang lediglich die formalen Voraussetzungen des Haftbefehls – eine inhaltliche Kontrolle der italienischen Ermittlungen oder eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit findet nicht statt. Dem Betroffenen droht die Auslieferung, selbst wenn er glaubhaft machen kann, dass er z.B. mit dem Steuerhinterziehungsvorwurf nichts zu tun hat und die italienischen Behörden ihn mit einer anderen Person verwechselt haben.

Mehr Rechtsschutz gegen Auslieferung

Der IRG-E setzt unter anderem genau hier an. Es strukturiert das Gesetz neu und soll klare Zuständigkeiten schaffen. Zudem führt es einen eigenen Rechtsbehelf gegen internationale Fahndungsmaßnahmen bei den Oberlandesgerichten ein und stärkt die Position der Betroffenen durch einen Anspruch auf mündliche Anhörung und Akteneinsicht im Auslieferungsverfahren. Ein weiterer Schritt hin zu mehr rechtsstaatlicher Kontrolle soll die Möglichkeit sein, die Zulässigkeitsentscheidung dem Bundesgerichtshof – und nicht wie bisher nach Rechtswegerschöpfung in mitunter langwierigen Verfahren: dem Bundesverfassungsgericht – vorzulegen.

Der IRG-E sieht insbesondere einen eigenständigen Rechtsbehelf zur Durchsetzung des sog. Doppelbestrafungsverbots vor – auch gegenüber Drittstaaten. Damit soll sichergestellt werden, dass betroffene Personen nicht mehrfach für dieselbe Tat verfolgt werden. Wird etwa eine Person in Deutschland wegen Steuerhinterziehung verurteilt und wird wenige Monate später durch die Staatsanwaltschaft eines Drittstaats ein eigenes Ermittlungsverfahren wegen desselben Tatbestands eingeleitet, droht nach geltendem Recht die Auslieferung auf der Grundlage lediglich einer Bewilligungsentscheidung mit eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle. Der IRG-E soll es Personen ermöglichen, die zur internationalen Fahndung ausgeschrieben sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren läuft, gerichtlich feststellen zu lassen, dass das Doppelbestrafungsverbot greift. Damit wird erstmals ein justiziabler Anspruch auf Prüfung und Durchsetzung dieses Grundsatzes geschaffen.

Mehr Praxistauglichkeit, mehr Risiken 

Der IRG-E soll aber selbstverständlich nicht nur Betroffene schützen. Vielmehr soll insbesondere die Zusammenarbeit von Ermittlungsbehörden bei der grenzüberschreitenden Strafverfolgung intensiviert, erleichtert und verbessert werden. Der IRG-E sieht dazu erstmals ausdrückliche Regelungen für die polizeiliche Rechtshilfe mit Drittstaaten vor. Dies betrifft insbesondere Fahndungsmaßnahmen und andere Formen der polizeilichen Zusammenarbeit.

 

Weiterhin zielt das IRG-E auf die Digitalisierung und Automatisierung der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der EU ab. Konkret geht es um die den automatisierten Austausch von Ermittlungsdaten, Fahndungsinformationen und Vollstreckungsentscheidungen über zentrale Plattformen (z. B. e-CODEX). Die elektronische Kommunikation zwischen Justizbehörden der Mitgliedstaaten soll zudem verbindlich sein. Ermöglichen bzw. erleichtern und beschleunigen sollen dies standardisierte Datenformate und Schnittstellen. Auch gegenüber Drittstaaten soll der Informationsaustausch erleichtert werden – allerdings unter dem Vorbehalt völkerrechtlicher Vereinbarungen und datenschutzrechtlicher Prüfung.

 

Durch die vorgenannten Maßnahmen bestehen – ungeachtet der technischen und organisatorischen Herausforderungen – strafprozessuale Risiken für Betroffene. So erfahren Betroffene typischerweise nichts von der Datenübermittlung, solange keine konkrete Maßnahme (z. B. Festnahme) erfolgt ist. Dies schränkt die Möglichkeit des effektiven Rechtsschutzes gegen Art und Umfang der Weitergabe oder Verwendung der Daten jedoch vor allem mit Blick auf die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Datenschutzkonformität erheblich ein.

 

Fa​zit und Ausblick 

Der IRG-E, der als solcher bereits in der vergangenen Legislaturperiode angedacht war, ist mit Blick auf das reichlich „angestaubte“ IRG sicher überfällig. Aus Perspektive der Strafverteidigung sind die geplanten Rechtsschutzmöglichkeiten, da teilweise endlich überhaupt vorhanden, begrüßenswert, auch wenn die Einlegungs- und Begründungsfrist mit nur einer Woche (§ 84 Abs. 2 IRG-E) denkbar kurz geraten ist. Es bleibt zu hoffen, dass hier im noch andauernden Gesetzgebungsverfahren noch nachgelegt wird. Bis zum 25. Oktober 2025 läuft jedenfalls die Verbändeanhörung für den IRG-E. Der weitere Gesetzgebungsprozess dürfte sich bis ins Frühjahr 2026 ziehen.​​​

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