Nachhaltigkeit vs. Shareholder Value – ESG als Spannungsfeld für die Geschäfts­führung

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veröffentlicht am 13. September 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Unter Schlagworten wie Corporate Social Responsibility, Nachhaltigkeit oder ESG (Environmental Social Governance) kam in den letzten Jahren ein Gegenspieler zum klassischen Shareholder Value Prinzip ins Spiel, der immer mehr Einfluss gewinnt. Diese Werte und Ziele erlangen in vielerlei Hinsicht immer stärkere Bedeutung, finden Einfluss in die Legislative auf internationaler wie auch nationaler Ebene und erzielen auch in den Medien immer mehr Resonanz. Doch wer entscheidet am Ende über die Zielsetzungen eines Unternehmens?


In einem inhabergeführten Unternehmen kann der Inhaber zweifelsfrei selbst nach eigenem Ermessen ent­schei­den, inwieweit er die Geschäftsführung stärker an übergreifenden Allgemeininteressen ausrichten möchte und das eigene Gewinninteresse zurücktreten lässt.

Aber was gilt, wenn ein Unternehmen von einer Fremdgeschäftsführung geleitet wird? Welchen Entschei­dungs­spielraum haben Fremdgeschäftsführerinnen und -geschäftsführer oder Fremdvorstände, sich über das Share­holder-Value Prinzip hinwegzusetzen und das Gemeinwohl bzw. der Nachhaltigkeit den Vorrang einzuräumen?

Die Europäische Kommission sieht darin (u.a.) einen Grund für eine erweiterte Nachhaltigkeitsberichtser­stattung im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD): Anlegerinnen und Anleger hätten ein erhöhtes Informationsbedürfnis, da Nachhaltigkeitsaspekte Risiken für die Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens mitbringen können. Zum anderen besteht infolge der Krisen der letzten Jahren auch ein erhöhtes Informationsbedürfnis hinsichtlich der Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit in den Lieferketten als Risikofaktor. 


ESG als Geschäftsführungsaufgabe?

Die sehr abstrakte Überschrift „ESG“ besteht in der konkreten Anwendung in der Planung und Durchführung einer Vielzahl von mehr oder minder gewichtigen Einzelmaßnahmen, welche grundsätzlich als strategische Leitungsentscheidung im Aufgabenbereich der Geschäftsführung bzw. des Vorstands liegen.

Da die Geschäftsführung der sog. Legalitätspflicht unterliegt und damit stets an Recht und Gesetz gebunden ist, endet der Entscheidungsspielraum aller beteiligten Stakeholder jedenfalls dort, wo das Gesetz zwingende Leitlinien vorgibt (z.B. Klimaschutzgesetze).

Soweit jedoch kein zwingendes Recht besteht, handelt es sich in der Regel um klassische Geschäftsführungs­aufgaben, für die ein gewisser Ermessensspielraum besteht, wieviel sich das Unternehmen für mehr Nach­haltig­keit einsetzen möchte. Im Rahmen der altbekannten Business Judgement Rule, nach der die Entschei­dungs­grundlagen sauber ermittelt und Kosten, Nutzen und Risiken gegeneinander abgewogen werden müssen, wird man im Bereich ESG aber nicht (oder nicht nur) den monetären Nutzen ansetzen können, sondern v.a. auch ethische Maßstäbe einfließen lassen.

Weitere Faktoren sind der immaterielle mediale Nutzen und mögliche positive Werbeeffekte, die zum Teil sehr gezielt eingesetzt werden. Die erweiterten Pflichten im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung bewirken, dass viele Unternehmen sich dem Thema nun auch mehr oder weniger öffentlichkeitswirksam stellen müssen, was sie überhaupt im Bereich Nachhaltigkeit tun. Auf der anderen Seite stehen Risiken einer möglichen nega­ti­ven Presse, wenn ein Unternehmen eklatant gegen die vorherrschenden ethischen Ansprüche der Allge­mein­heit verstößt oder seine etwaigen öffentlichen Versprechungen zur Nachhaltigkeit nicht einhalten kann. Die „Skandalpresse“ und journalistisch tätige Personen greifen Fälle des Greenwashing inzwischen mit großer Freude auf.

Das verdeutlicht, dass Nachhaltigkeit kein Lippenbekenntnis sein darf, sondern ein Nachhaltigkeitskonzept Hand und Fuß haben muss und von der Geschäftsführung mit verschärfter Sorgfalt vorbereitet und kontrolliert werden muss, da das Thema durchaus Zündstoff enthalten kann. Das ist ein nicht zu vernachlässigender Faktor im Rahmen der Ermessensentscheidung.


Die Bedeutung der Corporate Governance

Im Rahmen der Planung und Umsetzung der einzelnen Maßnahmen muss die Geschäftsführung bzw. der Vorstand alle rechtlichen Rahmenbedingungen einhalten, die ihm gesetzt wurden, insbesondere in Satzung, Geschäftsordnung oder Anstellungsvertrag. Insbesondere stellt sich dann die Frage, ob eine Maßnahme z.B. unter einen festgesetzten Katalog zustimmungspflichtiger Rechtsgeschäfte fällt. Energetische Sanie­rungs­maßnahmen sind – auch wenn sie ökologisch und vielleicht sogar wirtschaftlich positive Effekte für das Unternehmen haben – nichts anderes als Investitionen oder bauliche Maßnahmen, die häufig von Zustim­mungskatalogen erfasst sind. Ausgaben müssen vielleicht vorher in der Budgetplanung angesetzt und frei­ge­ge­ben werden. Ein Sponsoring für soziale Zwecke muss vielleicht individuell genehmigt werden. Soweit das Leitungs­organ Zustimmungsvorbehalten unterliegt, ist es also in seiner Entscheidungsfreiheit gebunden und muss das für die Zustimmungserteilung zuständige Organ mit ins Boot holen.

Die Vorgaben in Gesetz und den Statuten der Gesellschaft legen somit auf Ebene der Corporate Governance fest, welchen Spielraum das geschäftsführende Organ hat, Entscheidungen „Pro Nachhaltigkeit“ im Unter­neh­men durchzusetzen.


Ethisch-politisch korrekt vs. rechtlich zulässig

Setzt sich die Geschäftsführung über den ihr gesetzten Handlungsrahmen hinweg, dann begeht sie eine Pflichtverletzung, welche nach klassischer Betrachtung häufig einen Schaden für das Unternehmen mit sich bringt, weil das Unternehmen – bei rechtmäßigem Verhalten der Geschäftsführung – diese (ethisch korrekten, aber wirtschaftlich nicht zwingend notwendigen) Ausgaben vielleicht gar nicht getätigt hätte. Aus „ESG-Konformität“ und „gutem Willen“ lässt sich vielleicht eine moralische Rechtfertigung ableiten, aber das ist keine Rechtfertigung im Rechtssinne.

Ob eine konkrete Einzelmaßnahme von einer allgemeinen und pauschal formulierten Grundsatzentscheidung hin zu mehr Nachhaltigkeit oder „ESG-Konformität“ gedeckt ist, ist bestenfalls noch Auslegungssache – im Zweifel dürfte das jedoch nicht als Freigabe reichen. Eine Verteidigung dahingehend, dass die Gesell­schafter­innen und Gesellschafter die Maßnahme vernünftigerweise doch unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten eh hätten freigegeben müssen, dürfte wohl nicht erfolgsversprechend sein, denn einen generellen Vorrang genießt die Nachhaltigkeit (noch) nicht. Im Streitfall ist die innere Motivation nicht nachweisbar.


Ermessensspielraum zur nachhaltigen Unternehmensführung

Nichtsdestotrotz: sollte eine Einzelmaßnahme unter keinen Zustimmungskatalog fallen, keine konträre Weisung existieren (bei der GmbH) oder die absoluten Betriebsgrundlagen so tiefgreifend verändern, dass eine aus­schließ­liche Gesellschafterzuständigkeit begründet wird, dann steht die Entscheidung im Ermessensspielraum der Geschäftsführung.

Dennoch kann bei einer GmbH die Gesellschafterversammlung eine Entscheidung kraft ihrer Grund­zu­stän­digkeit jederzeit an sich ziehen und durch Weisung die Richtung vorgegeben. Bei einer Kommanditgesellschaft steht den Kommanditisten dieses Recht nur zu, wenn es gesellschaftsvertraglich verankert ist. Bei der AG scheitert das hingegen an der Weisungsfreiheit des Vorstands, d.h. Aufsichtsrat oder Hauptversammlung steht dieses Recht zur Einflussnahme auf die Leitungsentscheidungen nicht zu.

Im Ergebnis wird man sagen können:

  • ESG ist Geschäftsführungsaufgabe, aber die Gesellschaftsstatuten wie Satzung, Geschäftsordnung und Gesellschaftsvertrag sind stets zu beachten.
  • Ein von der Geschäftsführung erstelltes Nachhaltigkeitskonzept sollte daher hinreichend detailliert sein und mit der übrigen Unternehmensplanung und dem Unternehmensbudget in Einklang gebracht werden.
  • Das Nachhaltigkeitskonzept sollte außerdem in den verschiedenen Einzelaspekten auf Zustimmungs­be­dürftigkeit untersucht und diese eingeholt werden (einzeln oder insgesamt).
  • Es steht dem Leitungsorgan frei, eine Entscheidung bzw. ein Konzept im Zweifelsfall vorsorglich dem Aufsichtsorgan oder gar der Gesellschafter-/Aktionärsebene vorzulegen und sich dadurch zu vergewissern, wie die anderen Organe hierzu stehen. Bei der GmbH entbindet ein freigebender oder anweisender Gesell­schaf­ter­be­schluss die Geschäftsführung in weiten Teilen von der Verantwortung.
  • Aus Sicht einer GmbH-Gesellschafterversammlung oder eines Aufsichtsrates einer Aktiengesellschaft sollte die neue Entwicklung Anlass bieten, bestehende Zustimmungskataloge auf den Prüfstand zu stellen, wieviel Entscheidungsspielraum Vorstand bzw. Geschäftsführung bleiben soll, um Mitspracherechte bei der strate­gischen Ausrichtung des Unternehmens auf Nachhaltigkeit zu verfestigen.

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