Vision, Ziele und Mission: Malaysias New Industrial Development Plan 2030

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veröffentlicht am 20. September 2023 | Lesedauer ca. 5 Minuten

     

Seit der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1957 hat Malaysia bemerkenswerte Erfolge bei der Umwandlung von einer auf den Export von Primärgütern basierenden Wirtschaft in ein Industrieland mit mittlerem Einkommen erzielt. Mit der Einführung umfassender Industriestrategien in Form so genannter Industrial Master Plans („IMP“) ab 1986 ist es dem verarbeitenden Gewerbe des Landes gelungen, in der globalen industriellen Wertschöpfungskette allmählich aufzusteigen. 

    

  

   

     

Gegenwärtig ist die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Malaysias offensichtlich: Der Sektor (einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen) erwirtschaftet fast ein Viertel des nationalen BIP sowie fast 85 Prozent aller malaysischen Exporte, und bietet rund 17 Prozent der Bevölkerung Arbeitsplätze. Was den internationalen Handel betrifft, so haben die Industrieexporte Malaysias die jüngsten Ziele des IMP3 (2006-2020) deutlich übertroffen, nämlich um 569 Mrd. RM (rund 113,5 Mrd. EUR). Dazu beigetragen haben vor allem Malaysias wohlbekannte Stärken in den Bereichen Elektrik und Elektronik (E&E), Erdölprodukte, Flüssigerdgas, Palmöl und landwirtschaftliche Produkte auf Palmölbasis, Maschinen, Ausrüstung und Teile.
  
Trotz dieser insgesamt positiven Entwicklung hat die neue malaysische Regierung unter Premierminister Anwar Ibrahim einige maßgebliche Mängel und Engpässe identifiziert, die dringend angegangen werden müssen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und die Lebensbedingungen der Rakyat (d. h. der Bevölkerung) weiter zu verbessern. Zu diesen Herausforderungen gehören:
  • ein unzureichendes Niveau der wirtschaftlichen Komplexität, 
  • die Stagnation der Arbeitsproduktivität, 
  • ein Missverhältnis zwischen Qualifikationen und Arbeitsplatzanforderungen, 
  • eine unzureichende Nutzung der 16 Freihandelsabkommen Malaysias durch die Unternehmen sowie unbe­ab­sich­tigte Nebeneffekte nichttarifärer Maßnahmen,
  • zunehmender Wettbewerb um ausländische Direktinvestitionen (insbesondere von anderen ASEAN-Mitgliedern),
  • Ungleichheiten im verarbeitenden Gewerbe zwischen verschiedenen Bundesstaaten,
  • unzureichende Finanzierung für neue Unternehmungen und
  • die allgemeine Notwendigkeit, den Ease of Doing Business im Lande zu erleichtern.
  
Darüber hinaus haben sich drei globale Megatrends herauskristallisiert, die Malaysia zwingen, seine wirt­schaftlichen Prioritäten zu überdenken und seine industriellen Kapazitäten so schnell wie möglich zu verbessern: das Streben nach Widerstandsfähigkeit aufgrund geopolitischer Verschiebungen, Teilhabe an der digitalen Transformation und die Ausrichtung der industriellen Aktivitäten des Landes auf globale ESG-Anforderungen.
 
Vor diesem Hintergrund hat Premierminister Anwar Ibrahim am 1. September 2023 offiziell Malaysias New Industrial Master Plan 2030 („NIMP 2030“) vorgestellt, der das übergreifende Ziel verfolgt, Lösungen für die oben beschriebenen Herausforderungen und Trends zu entwickeln und umzusetzen.
   

Zusammenfassender Überblick über den NIMP 2030

Der NIMP 2030 wurde vom malaysischen Ministerium für Investitionen, Handel und Industrie (MITI) im Anschluss an eine Vielzahl von Sitzungen mit Interessenvertretern, öffentlichen Konsultationen und strate­gischen Gesprächen mit verschiedenen Akteuren der Branche ausgearbeitet und ist eng mit der neuen EKONOMI MADANI-Politik der Regierung verbunden. Der NIMP 2030 unterscheidet sich insofern von früheren IMPs, als er zum ersten Mal einen sogenannten missionsbasierten Ansatz verfolgt, anstatt den Schwerpunkt ausschließlich auf bestimmte Sektoren zu legen. 
    
Obwohl alle Missionen im Rahmen des Plans zeitgleich umgesetzt werden sollen, stellt Mission 1 (Advance economic complexity) den logischen ersten Schritt bei der Aufwertung der malaysischen Wirtschaft dar, um sich in der globalen Wertschöpfungskette nach oben zu bewegen. Die zugrundeliegenden Strategien und Aktionspläne (wie z. B. „Verlagerung von der Basis- zur Spezialchemie“, „Identifizierung von Möglichkeiten mit hoher Wertschöpfung in den Bereichen Luft- und Raumfahrt, Pharmazeutika und medizinische Geräte“ oder „Nutzung von Allianzen mit ASEAN-Ländern zur Integration der Wertschöpfungskette in den Bereichen Halbleiter, fortschrittliche Werkstoffe und saubere Energie“) bieten sowohl den öffentlichen als auch den privaten Akteuren nützliche Anhaltspunkte dafür, welche Maßnahmen in welchen Bereichen in den kommenden Jahren Priorität haben sollten.
   
Mission 2 (Tech up for a digitally vibrant nation) ist eine Antwort auf die Notwendigkeit der digitalen Trans­formation sowohl in der industriellen Produktion als auch in der damit verbundenen öffentlichen Verwaltung. Der verstärkte Einsatz innovativer Technologien wie modernste Automatisierung und Robotik, KI-Modelle für verschiedene Anwendungsszenarien und die Cloud-basierte Integration industrieller Systeme werden als wichtig erachtet, um Produktivität und Effizienz zu steigern. Die malaysische Regierung beabsichtigt, eine nationale digitale Plattform für das verarbeitende Gewerbe zu schaffen und den Grad der Fabrik­auto­ma­ti­sierung künftig sogar zur Voraussetzung für die Beantragung von Fertigungslizenzen zu machen.
  
Der Übergang zu nachhaltigeren Fertigungspraktiken und die Umstellung auf die Nutzung erneuerbarer und sauberer Energien sind zwei der Strategien im Rahmen von Mission 3 (Push for Net Zero), die Malaysias Verpflichtung unterstreichen, bis 2050 das Level Carbon Net Zero zu erreichen, wie es auch in der neuen zweiteiligen National Energy Transition Roadmap („NETR“) vorgesehen ist. Ähnlich wie bei der digitalen Transformation sieht die malaysische Regierung auch in verschiedenen Bereichen der Nachhaltigkeits­trans­formation der verarbeitenden Industrie ein großes Wachstumspotenzial, insbesondere in den Bereichen erneuerbare Energien, Elektrofahrzeuge (und andere neue Energieformen), Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung sowie Kreislaufwirtschaft.
  
Mission 4 (Safeguard economic security and inclusivity) schließlich soll als Leitlinie für widerstandsfähigere Lieferketten dienen, die gegenwärtigen und künftigen Störungen durch globale Ereignisse wie den Klima­wandel, die kürzliche Covid-19-Pandemie oder die geopolitischen Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China standhalten können. Gleichzeitig geht es um die dringende Notwendigkeit, die Ungleich­heiten bei der wirtschaftlichen Teilhabe zwischen verschiedenen Bundesstaaten und verschiedenen Gruppen innerhalb der malaysischen Gesellschaft auszugleichen. 
  
Alle vier Missionen und die unterstützenden Faktoren (d.h. (i) Mobilisierung des Finanzierungssystems, (ii) Förderung der Entwicklung und Anziehung von Talenten, (iii) weitere Verbesserung der Erleichterung der Geschäftstätigkeit und (iv) Einführung eines so genannten „whole-of-nation“-Governance-Rahmens) gelten für alle Fertigungsaktivitäten in Malaysia, wobei jedoch ein besonderer Schwerpunkt auf die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen gelegt wird.
  
Die Umsetzung des NIMP 2030 erfolgt im Einklang mit dem oben erwähnten „gesamtstaatlichen“ Ansatz, der aus einer mehrstufigen Governance-Struktur besteht, an der verschiedene öffentliche und private Entschei­dungsträger und Akteure beteiligt sind. Diese Struktur soll einerseits Transparenz und Rechenschaftspflichten gewährleisten, andererseits auch einen Mechanismus zur Leistungsbewertung bieten. 
  

Schlussfolgerung 

Der NIMP 2030 ist der ehrgeizige Versuch der malaysischen Regierung, mit den Entwicklungen und tiefgrei­fenden Veränderungen im Bereich der industriellen Produktion und der Gesellschaft Schritt zu halten, die in den letzten Jahrzehnten weltweit stattgefunden haben. Sein ausdrücklicher Auftrag besteht darin, nach Lösungen für die drängenden Herausforderungen zu suchen, und zwar nicht nur durch Nachahmung der Ansätze anderer Länder, sondern vielmehr durch gezielte Überlegungen, welcher Ansatz im besonderen malaysischen Kontext am besten geeignet ist. Angesichts der Einzigartigkeit der gesellschaftlichen Zusammen­setzung und der wirtschaftlichen Situation Malaysias scheint dies eine durchaus angemessene Herangehens­weise. Ob die Ziele des NIMP 2030 innerhalb des vergleichsweise kurzen Zeitrahmens von sieben Jahren erreicht werden können – frühere IMPs waren für 10 oder sogar 15 Jahre konzipiert – lässt sich erst beant­wor­ten, wenn erste Erfahrungen mit der Umsetzung gemacht wurden. 
   
Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass der Masterplan und die darin enthaltenen Aufgaben, Strategien und Aktionspläne ausländischen Investoren in den kommenden Jahren sehr nützliche Orientierungshilfen bieten werden. Investitionsentscheidungen, die die von der malaysischen Regierung formulierten strategischen Ziele und Aufgaben gebührend berücksichtigen und laufend mit spezifischen Fördermaßnahmen abgeglichen werden, können die Chancen auf positive Renditen über einen längeren Zeitraum deutlich erhöhen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass Geschäftspraktiken, die der strategischen Ausrichtung des NIMP 2030 zuwiderlaufen, früher oder später auf erheblichen Widerstand stoßen werden, sei es von Seiten der Privat­wirtschaft (z.B. durch Schwierigkeiten, geeignete Geschäftspartner oder Fachkräfte zu finden) oder des Staates (z.B. durch zwingende Gesetze, die nicht nachhaltige Praktiken sanktionieren). Ausländischen Investoren ist daher dringend anzuraten, genau zu prüfen, ob und inwieweit ihre aktuellen und zukünftigen Investitions­projekte mit dem NIMP 2030 übereinstimmen, und die notwendigen Anpassungen vorzunehmen, um sowohl Potenziale auszuschöpfen als auch Konflikte mit gesetzlichen oder regulatorischen Vorschriften zu vermeiden.
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