Markenrecht im Onlinehandel: EuGH stärkt Schutz bei grenzüberschreitendem Besitz

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 25. September 2025 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Der EuGH hat mit Urteil vom 1. August 2025 (C‑76/24) entschieden: Der Besitz markenverletzender Ware im Ausland kann eine Markenverletzung darstellen – wenn die Ware für den Vertrieb im Schutzland bestimmt ist. Das Urteil (C‑76/24) konkretisiert den Begriff „Besitz“ im Markenrecht und stärkt die Rechte von Markeninhabern im Onlinehandel. Es geht um mehr als Lagerung – es geht um Kontrolle und Zielrichtung.​​


Einleitung: Markenrecht im digitalen Binnenmarkt​

Mit Urteil vom 1. August 2025 (C‑76/24) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine zentrale Frage des modernen Markenrechts beantwortet: Kann ein Markeninhaber einem Händler den Besitz markenverletzender Ware im Ausland untersagen, wenn diese für den Vertrieb im Schutzland bestimmt ist? Die Entscheidung betrifft die Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 und hat weitreichende Folgen für den Onlinehandel und die grenzüberschreitende Markenüberwachung.

 

Sachverhalt: Tauchzubehör aus Spanien – Markenverletzung in Deutschland

Die beklagte Tradeinn Retail Services S.L. (TRS) mit Sitz in Spanien bewarb über ihre Website und über Amazon.de Tauchzubehör mit Zeichen, für die in Deutschland Markenschutz bestand. Der Markeninhaber PH klagte auf Unterlassung – auch hinsichtlich des Besitzes der Ware in Spanien. Die Vorinstanzen gaben der Klage teilweise statt. Der Bundesgerichtshof legte dem EuGH zwei Fragen zur Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Markenrichtlinie vor.

 

Erste Vorlagefrage: Besitz im Ausland – verboten?

Kernfrage an den EuGH war, ob der Besitz markenverletzender Ware außerhalb des Schutzlandes eine Markenverletzung darstellt, wenn dieser Besitz dem Zweck dient, die Ware im Schutzland anzubieten oder in den Verkehr zu bringen. Der EuGH bejaht dies ausdrücklich: Der Schutz einer nationalen Marke umfasst auch den Besitz im Ausland, sofern dieser funktional auf den Vertrieb im Schutzland ausgerichtet ist.

 

Diese Auslegung stützt sich auf eine teleologische Auslegung von Art. 10 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2015/2436. Ziel der Vorschrift ist es, dem Markeninhaber ein effektives Instrument zur Abwehr markenverletzender Handlungen zu geben. Der EuGH verweist auf seine frühere Rechtsprechung – insbesondere Coty Germany (C‑567/18) – und betont: Besitz kann nur dann verboten werden, wenn er mit dem Zweck des Angebots oder Vertriebs verknüpft ist.

 

Territorialitätsprinzip und funktionale Ausweitung

Zwar bleibt das Territorialitätsprinzip gewahrt – der Schutz einer nationalen Marke gilt grundsätzlich nur im Eintragungsstaat. Doch der EuGH betont, dass dieses Prinzip nicht dazu führen darf, dass sich Händler durch Lagerung im Ausland der Verantwortung entziehen. Entscheidend ist die funktionale Zielrichtung des Besitzes: Wenn die Ware für den deutschen Markt bestimmt ist, kann auch der Besitz in Spanien schon eine Verletzung darstellen.

Der Gerichtshof stellt klar: Onlineangebote, die sich gezielt an Verbraucher im Schutzland richten, fallen unter die Markenrichtlinie – unabhängig davon, wo sich die Ware oder der Anbieter physisch befindet. Damit wird eine effektive Durchsetzung des Markenrechts im digitalen Binnenmarkt gewährleistet.

 

Im vorliegenden Fall hatte der BGH aus Sicht des EuGH für die „Online-Handelsplattform www.amazon.de“ angenommen, dass sich diese gezielt an Verbraucher in Deutschland richte. Zu prüfen haben das jeweils die nationalen Gerichte. Als Anzeichen kommt dabei nach der hier vom EuGH zitierten eigenen Rechtsprechung insbesondere die verwendete Top-Level-Domain in Betracht.

 

Hier war das Angebot unter einer .de-Domain zu erreichen, was bereits eine Ausrichtung auf den deutschen Markt nahelegt. Internationale Top-Level-Domains wie .com oder .eu stehen dem nicht entgegen, wenn der Inhalt des Angebotes sich gezielt an Verbraucher des Schutzlandes richtet. Besonders niedrig setzt der EuGH die Schwelle für touristische Angebote.

 

Sprache und Währung des Angebots können ebenfalls heranzuziehen sein, nämlich, wenn diese von der am Sitz des Anbieters üblicherweise verwendeten Sprache und Währung abweichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für Online-Handelsplattformen die Domain, über die Nutzer sie aufrufen, an Bedeutung verliert. Durch automatisierte Übersetzung kann der Nutzer die gewünschte Sprache einstellen, die angezeigte Währung noch dazu. Händler müssen sich demnach intensiv mit den Optionen ihrer Handelsplattform auseinandersetzen, wollen sie eine Ausrichtung ihres Angebotes auf Verbraucher in einem bestimmten Schutzland vermeiden – ggf. ist für Händler dieses Ziel praktisch nicht zu erreichen.

 

Zweite Vorlagefrage: Was bedeutet „Besitz“ im unionsrechtlichen Sinne?

Die zweite Vorlagefrage betraf die Reichweite des Begriffs „Besitz“ im unionsrechtlichen Kontext. Der EuGH stellt klar: Es kommt nicht auf die unmittelbare tatsächliche Herrschaft über die Ware an. Es genügt, wenn der Dritte eine Aufsichts- oder Leitungsbefugnis gegenüber der Person hat, die die Ware tatsächlich besitzt – etwa bei Lagerung durch einen Dienstleister.


Diese Auslegung folgt aus dem Ziel der Richtlinie, dem Markeninhaber ein wirksames Unterlassungsinstrument zu geben. Eine rein formale Betrachtung des Besitzes würde die praktische Wirksamkeit des Markenrechts untergraben. Der EuGH verweist auf die Notwendigkeit, auch mittelbare Besitzverhältnisse zu erfassen, um Umgehungskonstruktionen zu verhindern.

 

Sprachfassungen und systematische Auslegung

Bemerkenswert ist die differenzierte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Sprachfassungen der Richtlinie. Während die deutsche Fassung von „besitzen“ spricht, verwenden andere Fassungen Begriffe wie „lagern“ oder „stocking“. Der EuGH löst diesen Widerspruch durch eine systematische und teleologische Auslegung: Entscheidend ist die tatsächliche Kontrolle über die Ware – unabhängig von der sprachlichen Nuance.


Damit wird deutlich: Der Begriff „Besitz“ im Sinne der Markenrichtlinie ist funktional zu verstehen – als jede Form der tatsächlichen Kontrolle, die auf ein markenverletzendes Angebot oder einen Vertrieb abzielt.

 

Praktische Auswirkungen für Markeninhaber und Händler

Das Urteil stärkt die Position von Markeninhabern im digitalen Binnenmarkt. Es verhindert, dass sich Händler durch Lagerung im Ausland der Verantwortung entziehen. Gleichzeitig schafft es Klarheit für die Praxis: Wer Ware für den Vertrieb im Schutzland vorbereitet – auch außerhalb dessen Grenzen – muss mit markenrechtlichen Konsequenzen rechnen.


Für Onlinehändler bedeutet dies: Die Lagerung markenverletzender Ware im Ausland ist nicht risikofrei. Entscheidend ist, ob die Ware für den Vertrieb im Schutzland bestimmt ist und ob der Händler die Kontrolle über die Lagerung hat.

 

Fazit

Das Urteil des EuGH bringt eine wichtige Klarstellung für das Markenrecht im Onlinehandel: Der Besitz markenverletzender Ware im Ausland kann eine Markenverletzung darstellen, wenn er auf den Vertrieb im Schutzland abzielt. Zudem genügt bereits eine mittelbare Herrschaft über die Ware, um als „Besitz“ im Sinne der Richtlinie zu gelten. Markeninhaber erhalten damit ein effektives Instrument gegen grenzüberschreitende Verletzungen. Für Onlinehändler gilt: Lagerung im Ausland schützt nicht vor markenrechtlicher Verantwortung. Sie müssen ihre Lager- und Vertriebsstrukturen sorgfältig prüfen, um rechtlichen Risiken zu vermeiden. 

 

Hinweis:
Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe von Fachartikeln, die im Rahmen unseres praxisübergreifenden E-Commerce-Newsletters entstehen. Der Newsletter wird voraussichtlich im ersten Quartal 2026 veröffentlicht und vereint Perspektiven aus den Praxisgruppen Technologie/Daten, Vertriebs-/Außenwirtschaft sowie IP & Media.

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