Reform der unternehmerischen Mitbestimmung – Der Mittelstand ist gut bedroht

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veröffentlicht am 9. Dezember 2021 | Lesedauer ca. 3 Minuten

 

Am 7. Dezember 2021 haben SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Koalitions­vertrag für die 20. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (2021 bis 2025) unterzeichnet. Der fast 180 Seiten umfassende Koalitionsvertrag enthält auch kurze, aber wesentliche Aussagen zur Unternehmensmitbestimmung. Fünf Sätze, die innerhalb der nächsten vier Jahre erhebliche Veränderungen der gesetzlichen Regularien zur Unternehmensmitbestimmung erwarten lassen, die besonders deutsche inhabergeführte Unternehmen treffen werden und bereits jetzt erheblichen Handlungsbedarf auslösen.

 


Die Inhalte

Die Ampelkoalition setzt sich insbesondere zum Ziel, die „missbräuchliche Umgehung geltenden Mit­bestimmungsrechts“ zu verhindern. Aufgrund von Gesetzesinitiativen, Forderungen und Äußerungen der vergangenen Legislaturperiode kann bereits erahnt werden, welchen Umfang diese teilweise noch vage formulierten Ziele des Koalitionsvertrags annehmen werden. Neben der häufig geforderten Absenkung der maßgeblichen Schwellenwerte der Mitbestimmungsgesetze wurde in der Vergangenheit aus den Kreisen der Koalitionsparteien SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhebliche Kritik insbesondere in Bezug auf die sog. „Vermeidungsgestaltungen“ im Zusammenhang mit

 

  • der Societas Europaea (SE) und deren Einfriereffekt,
  • des Einsatzes von Auslandskapitalgesellschaften,
  • der Ausnutzung der Drittelbeteiligungslücke, sowie
  • der Rechtsform der Stiftung mit Geschäftsbetrieb

 

geäußert.

 

Die SE und der Einfriereffekt

Die SE als „europäische Aktiengesellschaft“ hat sich in der Vergangenheit hoher Beliebtheit auch bei deutschen Unternehmen erfreut. Neben dem Image als Global Player, der Multinationalität durch ein europaweit einheitliches Erscheinungsbild, der möglichen Kapitalbeschaffung durch Börsenzugang, der Mobilität innerhalb Europas und der einheitlichen Konzernstrukturen wird die Rechtsform auch aus steuerrechtlichen und mitbestimmungsrechtlichen Erwägungen gerne in Betracht gezogen.

 

Der unternehmensmitbestimmungsrechtliche Status der SE entspricht gemäß der europa-rechtlichen Konzeption entsprechend der zugrundeliegenden SE-Richtlinie 2001/86/EG dem unternehmens­mitbestimmungsrechtlichen Status ihrer Gründungsgesellschaften. Eine Veränderung nach nationalem Recht mitbestimmungsrechtlich relevanter Sachverhalte – insbesondere ein Anwachsen der Arbeitnehmerzahlen über die Schwellenwerte nationaler Vorschriften hinaus – soll nach dem der SE-Richtlinie zugrundeliegenden Konsens der Mitgliedstaaten gerade keinen Einfluss auf den unternehmensmitbestimmungsrechtlichen Status in der SE mehr haben. In der juristischen Literatur und Rechtsprechung wird diese Regelung auch als „Einfriereffekt“ bezeichnet, da der bei dem Wechsel zur SE geltende Mitbestimmungsstatus der Gründungs­gesellschaften für die Zukunft „eingefroren“ wird und somit unverändert bleibt.

 

Eben dieser „Einfriereffekt“ der SE wird teilweise  als „Vermeidungsgestaltung“ kritisiert und im Koalitions­vertrag ausdrücklich ins Visier künftiger Mitbestimmungsstärkung genommen. Aufgrund des diesem Einfriereffekt zugrundeliegenden europarechtlichen Gleichgewichts erscheint eine Änderung jedoch nur auf europarechtlicher Ebene möglich und bedürfte eines entsprechenden und derzeit nicht ersichtlichen Konsens der EU-Mitgliedstaaten.    

 

Die Schließung der Drittelbeteiligungslücke

Die bisher nur im Mitbestimmungsgesetz (paritätische Besetzung des Aufsichtsrats ab 2.000 Arbeitnehmern) geregelte Konzernzurechnung will die neue Koalition entsprechend des ausdrücklichen Wortlauts des Koalitionsvertrags auf das Drittelbeteiligungsgesetz ausweiten. Im Anwendungsbereich des Drittel­beteiligungsgesetzes müssen Kapitalgesellschaftsgruppen ab 500 Arbeitnehmern in Deutschland einen Aufsichtsrat bilden, der mit einem Drittel durch Arbeitnehmer zu besetzen ist, sofern die Konzernmutter, wie üblich, mindestens eine Mehrheitsbeteiligung an den Tochtergesellschaften hält. Die Änderung des Drittelbeteiligungsgesetzes bedürfte auch keiner Zustimmung durch den Bundesrat, da es sich lediglich um ein sogenanntes Einspruchsgesetz handelt. Selbst eine Mehrheit im Bundesrat könnte also die Einführung der Konzernzurechnung letztlich nicht effektiv verhindern. Darüber hinaus existiert ein in der 19. Wahlperiode noch abgelehnter Antrag der Koalitionspartei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, wonach auch die Zurechnungsnorm über Kombinationen aus Kapitalgesellschaften und Kommanditgesellschaften (Kapitalgesellschaft und Co. KG) aus dem Mitbestimmungsgesetz lückenlos in die Unternehmens­mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz einbezogen werden sollen (BT-Drucks. 19/27828). Entsprechende Forderungen wurden auch immer wieder aus SPD-nahen Kreisen laut.

 

Einbeziehung von ausländischen Rechtsformen

Für die Einbeziehung ausländischer Rechtsformen, die mit einer Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung gleichwertig sind, in den Anwendungsbereich der deutschen Mitbestimmungsgesetze existiert sogar bereits ein entsprechender Gesetzesentwurf der Hans-Böckler-Stiftung aus Juni 2021 (I.M.U. Mitbestimmungsreport Nr. 65, 06.2021). Die Erstreckung der Mit­bestimmung soll nach dem Entwurf sowohl auf Ebene des Mitbestimmungsgesetzes als auch auf Ebene des Drittelbeteiligungsgesetzes erfolgen. Auch eine Zurechnungsnorm für den Fall, dass die Auslandsgesellschaft als persönlich haftende Gesellschafterin einer Kommanditgesellschaft eingesetzt wird, sieht der Gesetzesentwurf vor.

 

Die Stiftung mit Geschäftsbetrieb

Der in der 19. Wahlperiode im Deutschen Bundestag noch abgelehnte Antrag der Koalitionspartei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN enthält auch die Forderung, Stiftungen mit Geschäftsbetrieb, d.h. Stiftungen, die Erwerbs­zwecke verfolgen, in den Geltungsbereich der Unternehmensmitbestimmung einzubeziehen, wenn sie eine entsprechende Beschäftigtenzahl aufweisen. Kritisiert werden hier vor allem die Stiftungskonstruktionen (Stiftung sowie Stiftung & Co. KG) bei den Unternehmen Aldi, Lidl oder der Würth-Gruppe.

 

Fazit

Die neue Koalition schafft gleich zu Beginn akuten Handlungsbedarf für Unternehmen. Da die „Vermeidungs­strategien“ der unternehmerischen Mitbestimmung von der neuen Bundesregierung viel bespielt sind, empfehlen wir ein schnelles Handeln. Gerne werden wir Sie beim Aufdecken eines entsprechenden Handlungsbedarfs sowie bei der Wahl des richtigen Weges zur passenden Unternehmensrechtsform unterstützen.

 

Die Inhalte des Koalitionsvertrages zeigen deutlich, dass es in der 20. Wahlperiode höchst wahrscheinlich zu einer Reform des Rechts der deutschen Unternehmensmitbestimmung kommen wird. Auswirkungen sind auf jeder Ebene zu erwarten, denn auf dem Mitbestimmungsschirm der neuen Bundesregierung stehen sämtliche kapitalistisch organisierte Unternehmensrechtsformen, sodass eine Vermeidung der Unternehmensmit­bestimmung jedenfalls nicht mehr allein durch die Wahl der Rechtsform steuerbar sein wird.

  

Aufgrund des eindeutigen europarechtlichen Grundsteins der fehlenden nationalen Regelungskompetenz erscheint eine Verschärfung der Mitbestimmung auf Ebene der SE allein durch den deutschen Gesetzgeber jedoch schwer vorstellbar. Hier wird ein Rechtsänderungsakt auf europäischer Ebene erforderlich werden, der einen gemeinsamen Konsens der EU-Mitgliedstaaten bedarf und mehr Zeit als die anstehende Legislatur­periode in Anspruch nehmen wird. Die Schließung der Drittelbeteiligungslücke sowie die Erstreckung der Mit-bestimmung auf Auslandsgesellschaften ist dagegen schon bald zu erwarten. Die SE bleibt also weiterhin eine probate Rechtsform. Neben den zu erwartenden fehlenden Mehrheiten zur Änderung der Mitbestimmungs­regelungen bei der SE auf europäischer Ebene, sprechen auch die weiteren Vorzüge dieser Rechtsform, insbesondere aus Sicht des Steuerrechts und der Governance weiterhin für die SE.

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