Europäische Gesellschaft (SE): Antworten auf häufig gestellte Fragen aus der Praxis (FAQs)

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veröffentlicht am 16. Februar 2023 | Lesedauer ca. 6 Minuten

 

Als „europäische (Aktien-)Gesellschaft” erfreut sich die Societas Europaea (SE) auch im deutschen Mittelstand immer größer werdender Beliebtheit. Insbesondere für grenzüberschreitend tätige Unternehmen kann der Weg in die SE eine sinnvolle Alternative zu rein nationalen Rechtsformen darstellen. Neben ihrem europaweit einheitlichen Erscheinungsbild und dem Image als „Global Player” bietet die SE weitreichende Flexibilität bei der Ausgestaltung der unternehmerischen Mitbestimmung. Dieser Beitrag geht auf eine Reihe von Fragen ein, die uns im Zusammenhang mit der SE-Gründung immer wieder erreichen.

 

Einen Überblick zu weiteren rechtlichen und steuerlichen Themen im Zusammenhang mit der SE finden Sie hier Unternehmerische Mitbestimmung – Societas Europaea (SE) und andere Gestaltungen | Rödl & Partner (roedl.de).

Wie wird eine SE gegründet und gibt es ein in der Praxis bevorzugtes Modell?

Anders als rein nationale Gesellschaften kann eine SE nicht von natürlichen Personen gegründet werden, sondern nur durch bereits bestehende Gesellschaften. Die zulässigen Gründungsformen (s.u.) sind abschließend. Erforderlich ist zudem, dass die Gründung einen grenzüberschreitenden Charakter aufweist (siehe dazu jeweils sogleich).

Der Weg eines Unternehmens in die Rechtsform SE wird in der Praxis allerdings oft nicht durch die Gründung einer SE im eigentlichen Sinne bestritten. Häufig ist vielmehr die Konstellation anzutreffen, dass Gesellschafter eine sog. Vorrats-SE erwerben und auf diese später die betroffene „formzuwechselnde” Gesellschaft verschmelzen. Dieser Weg bringt einerseits eine gewisse „Zeitersparnis” gegenüber einer Gründung mit sich, andererseits lässt hierüber auch das Fehlen eines – bei einer SE-Gründung stets zwingend erforderlichen – Mehrstaatlichkeitsbezuges bei der betroffenen Gesellschaft überwinden.
 

a) Formwechselnde Umwandlung
In der Praxis häufig anzutreffen ist die „Gründung” durch formwechselnde Umwandlung. Taugliche Gründungsgesellschaften sind Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA). Voraussetzung für die formwechselnde Umwandlung ist zudem, dass die umzuwandelnde Gesellschaft seit mindestens zwei Jahren über eine Tochtergesellschaft in einem anderen EU-/EWR Mitgliedsstaat verfügt.

 

b) Verschmelzung
Die Gründung einer SE kann zudem durch die Verschmelzung zweier oder mehrerer Aktiengesellschaften (oder KGaAs) zur Aufnahme oder zur Neugründung erfolgen. Der grenzüberschreitende Bezug wird bei dieser Gründungsvariante dadurch hergestellt, dass mindestens zwei der an der Verschmelzung beteiligten Gesellschaften aus unterschiedlichen EU-EWR-Mitgliedsstaaten stammen müssen.

 

c) Holding-SE
Diese Gründungsvariante steht nicht nur Aktiengesellschaften (oder KGaAs) sondern auch GmbHs offen. Hierbei gründen die bestehenden Gesellschaften (mindestens zwei), die wahlweise aus unterschiedlichen EU-EWR-Mitgliedsstaaten stammen müssen oder seit mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in einem anderen EU-/EWR-Mitgliedsstaat haben, eine gemeinsame Holding-SE.

 

d) Tochter-SE
Die Gründung einer Tochter-SE steht sämtlichen Gesellschaftsformen offen, d.h. neben der GmbH sind insbesondere auch Personengesellschaften taugliche Gründer. Bei dieser Gründungsform gründen mindestens zwei Gesellschaften, die jeweils aus unterschiedlichen EU-/EWR Mitgliedsstaaten stammen müssen eine gemeinsame Tochter-SE.

 

e) Sekundärgründung
Schließlich sei noch zu erwähnen, dass bereits bestehende SEs – ohne Erfüllung eines weiteren Mehrstaatlichkeitserfordernisses – selbst taugliche Gründer von SEs sein können.

 

Weitere Informationen finden Sie hier Die Societas Europaea (SE): Der Weg in die Europa-AG | Rödl & Partner (roedl.de).

 

Welche weiteren „Wege in die SE” stehen GmbHs oder Personengesellschaften zur Verfügung und wie lässt sich ein etwaig fehlender Mehrstaatlichkeitsbezug überwinden?

Für GmbHs oder Personengesellschaften, die jeweils über Tochtergesellschaften (seit mindestens zwei Jahren) im EU-/EWR Ausland verfügen bietet sich – neben den oben genannten Varianten – vornehmlich der Weg über einen sogenannten Kettenformwechsel an. Danach wird die bestehende GmbH oder Personengesellschaft zunächst in eine Aktiengesellschaft und unmittelbar danach in eine SE umgewandelt. In der Praxis lassen sich diese beiden hintereinander geschalteten Umwandlungsvorgänge so gestalten, dass die Aktiengesellschaft – als notwendiges Durchgangsstadium – nur für eine logische Sekunde besteht.


GmbHs oder Personengesellschaften, die über keinen EU-EWR-Auslandsbezug verfügen, können den Weg in die SE mittels des bereits oben beschriebenen Modells durch Erwerb einer sog. Vorrats-SE, auf die die GmbH oder Personengesellschaft sodann verschmolzen wird, bestreiten.

 

Was ist das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren?

Das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren bildet regelmäßig den Mittelpunkt des SE-Gründungsprozesses. Ziel dieses Verfahrens ist es, einvernehmliche Regelungen zwischen Arbeitnehmern und der Gesellschaft über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE zu erzielen. Die Regelungen münden in die sog. (Arbeitnehmer-)Beteiligungsvereinbarung, die zwischen dem Besondere Verhandlungsgremium (BVG) einerseits und der Gesellschaft andererseits geschlossen wird. Das BVG setzt sich aus Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmervertretern zusammen, die jeweils in geheimer und unmittelbar Wahl durch die Arbeitnehmer zu wählen sind.


Das Gesetz lässt den Parteien einen relativ großen Spielraum hinsichtlich des Inhalts der Vereinbarung, regelt aber einen bestimmten Mindeststandard. Die Reglungen sehen u.a. die Errichtung des SE-Betriebsrates, dessen Zusammensetzung, Dauer und Unterrichtung sowie ggf. der Mitbestimmung der Arbeitnehmer vor. Der Nachweis des Abschlusses der Arbeitnehmerbeteiligungsvereinbarung bzw. sofern das BVG und die Gesellschaft keine Einigung erzielen können (in diesem Fall gelten gesetzliche Auffangregelungen) der Nachweis über die (erfolglose) Durchführung des Beteiligungsverfahrens ist im Regelfall Voraussetzung für die Handelsregistereintragung der SE.


Weitere Informationen finden Sie hier Durchführung von Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren als Kernstück der SE | Rödl & Partner (roedl.de).

 

Wie viel Zeit ist für das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren einzuplanen?

Eine pauschale Antwort hierauf kann nicht gegeben werden. Dies hängt einerseits vor allem von der Größe der Belegschaft, deren eventuelle „Zerstreuung” über viele kleinere Standorte oder Ländergrenzen hinweg ab. Andererseits spielt auch die Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft der Parteien und die Qualität der jeweiligen Beratung eine wesentliche Rolle. Aus der Erfahrung heraus, kann das gesamte Verfahren von der Aufforderung zur Bildung des BVG bis zum Abschluss der Beteiligungsvereinbarung zwischen zwei bis zwölf Monaten dauern.


Es sei hier auch darauf hingewiesen, dass den Arbeitnehmern nach der gesetzlichen Regelung für die Bildung des BVG – nach erfolgter Aufforderung hierzu durch das Leitungsorgan der Gesellschaft – bis zu zehn Wochen Zeit haben. Die daran anschließende Verhandlungsphase ist auf eine Dauer von sechs Monaten befristet, wobei eine einvernehmliche Verlängerung auf bis zu einem Jahr möglich ist.

 

Welches Recht findet auf gegründete SEs Anwendung?

Das auf die SE anzuwendende Recht folgt einem Stufenverhältnis. Auf erster bzw. höchster Stufe steht zunächst das EU-Recht – allen voran die SE-Verordnung – das jeweils vorrangig anzuwenden ist. Darauf folgen das nationale Umsetzungsrecht des jeweiligen Staates, in dem die SE besteht – für Deutschland ist dies vor allem das SE-Ausführungsgesetz (SEAG) und das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG). Auf der darauf folgenden Stufe steht sodann das rein nationale (Aktien-)Recht.


Rein tatsächlich unterliegen deutsche SEs im „daily business” grundsätzlich demselben Recht wie eine rein nationale Aktiengesellschaft. Das EU-Recht und das entsprechende nationale Umsetzungsrecht beinhalten vor allem Sondervorschriften im Zusammenhang mit der Gründung, die im späteren Leben der SE faktisch keine weitere Relevanz aufweisen. Einzig nennenswerte Ausnahme bilden jedoch die Regelungen zur Organisationsverfassung/Leitungsstruktur (siehe dazu sogleich).

 

Wie unterscheidet sich die monistische von der dualistisch organisierten SE?

Anders als Aktiengesellschaften, die stets dualistisch organsiert sind, besteht bei der SE auch die Möglichkeit zur Wahl eines monistischen Systems.


Eine dualistische organsierte SE verfügt, wie eine Aktiengesellschaft neben der Hauptversammlung über ein Leitungsorgan (Vorstand) und ein Aufsichtsorgan (Aufsichtsrat). Die beiden Leitungs- und Überwachungsorgane sind dabei funktional sowie personell strikt voneinander zu trennen.


Anders ist dies bei der monistischen SE. Dort existiert neben der Hauptversammlung einzig der Verwaltungsrat als Verwaltungsorgan der Gesellschaft. Der Verwaltungsrat übernimmt damit gleichermaßen Leitungs- und Überwachungsfunktion. Die Vertretung der Gesellschaft nach außen übernehmen dabei die geschäftsführenden Direktoren, die durch den Verwaltungsrat bestellt werden. Anders als der Vorstand (im dualistischen System) sind die geschäftsführenden Direktoren an Weisungen (des Verwaltungsrates) gebunden. Mitglieder des Verwaltungsorgans können auch in Personalunion die Funktion eines geschäftsführenden Direktors übernehmen, sofern die Mehrheit im Verwaltungsrat weiterhin aus sog. nicht geschäftsführenden Mitgliedern besteht. Dies bietet gerade bei inhabergeführten Unternehmen die Möglichkeiten einen „starken” CEO in der Gesellschaft zu installieren.


Die Leitungsstruktur der SE ist bei ihrer Gründung festzulegen, kann jedoch später durch Satzungsänderung angepasst werden.


Weitere Information hierzu finden Sie hier Dualistische vs. monistische Unternehmensleitung in der Societas Europaea (SE) | Rödl & Partner (roedl.de).

 

Ist die SE nach den jüngsten Ankündigungen der Ampelkoalition überhaupt noch eine sichere und nachhaltige Möglichkeit zur Mitbestimmungsgestaltung?

Im Koalitionsvertrag hat sich die Ampelkoalition das Ziel gesetzt, eine „missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts” zu umgehen. Im Fokus stehen dabei – nach Analyse vergangener Äußerungen aus der Reihen der Koalitionsparteien wohl vor allem die Verhinderung des sog. „Einfriereffekts”.


Nach der Richtlinie zur Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE (Richtlinie 2001/86/EG) entspricht der mitbestimmungsrechtliche Status der SE grundsätzlich dem Satus seiner Gründungsgesellschaften. Vereinfacht gesagt unterliegt eine SE, deren Gründungsgesellschaft(en) bereits nicht den gesetzlichen Regelungen zur unternehmerischen Mitbestimmung unterlag(en), auch nicht der unternehmerischen Mitbestimmung, jedoch mit dem Unterschied, dass sich hieran auch dann nichts ändert, wenn die SE später die relevanten gesetzlichen Schwellenwerte (500 Mitarbeiter (Drittelbeteiligungsgesetz - DrittelbG) bzw. 2.000 Mitarbeiter (Mitbestimmungsgesetz - MitbestG)) überschreitet. Von diesem Grundsatz kennt das SE-Recht unter dem Stichwort der sog. „strukturellen Änderung” nur wenige Ausnahmen. Der Begriff der strukturellen Änderung, dessen Vorliegen die Neuverhandlung einer zwischen der SE und den Arbeitnehmern geschlossenen Beteiligungsvereinbarung notwendig machen, ist nicht eindeutig definiert und äußerst restriktiv auszulegen. Erforderlich ist jedenfalls ein „Vorgang mit gründungsähnlichem Charakter mit außergewöhnlichem Gewicht”. Rein organisches Wachstum der SE oder ein Zuerwerb von Arbeitnehmern im Sinne des Unternehmenskaufes zählen jedenfalls nicht dazu.


Unterlag eine Gründungsgesellschaft vor dem Weg in die SE bereits der unternehmerischen Mitbestimmung, unterliegt die SE danach faktisch demselben Mitbestimmungsniveau, allerdings auch hier mit dem Unterschied, dass bei weiterer Überschreitung der Schwellenwerte kein strengeres Mitbestimmungsniveau gelten wird. Hierbei handelt es sich jeweils um den sog. „Einfriereffekt”.


Aufgrund der europarechtlichen Grundlage, die die Geltung des Einfriereffektes regelt, kann dieser nach herrschender Ansicht durch rein nationale Gesetzgebung nicht ausgehebelt werden. Vielmehr ist hierzu eine entsprechende Regeländerung auf europäischer Ebene erforderlich. Dass die hierzu erforderlichen Mehrheiten auf EU-Ebene gefunden werden, erscheint – besonders vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE – jedoch mehr als unwahrscheinlich.


Weitere Information hierzu finden Sie hier Reform der unternehmerischen Mitbestimmung – Der Mittelstand ist gut bedroht | Rödl & Partner (roedl.de).

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