Das vegane Entrecôte – EuGH zur Bezeichnung pflanzlicher Lebensmittel

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 15. Oktober 2024 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Vegane bzw. vegetarische Fleischersatzprodukte die sich an den Namen der „Originale“ anlehnen – wie etwa „Veggie Burger“, „Veganes Seitan Steak“ oder Tofu Bratwurst​ – verzeichnen seit Jahren eine steigende Nachfrage. Die Bezeichnungen, die traditionell mit Fleisch- oder Wursterzeugnissen aber auch mit Fisch und Meeresfrüchten asso​­ziert werden, sind im Hinblick auf eine mögliche „Irreführung der Verbraucher“ politisch und juristisch umstritten. Der EuGH (Urteil vom 4. Oktober 2024, C-438/23 - Protéines France u.a.​) hat nun entschieden, dass diese Bezeichnungen unter bestim­mten Voraussetzungen zulässig sein können.​


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​Bezeichnung veganer und vegetarischer Lebensmittelalternativen​​

Mit der Verwendung von bzw. Anlehnung an typisch traditionellen Bezeichnungen von Produkten rein tierischen Ursprungs (z.B. Steak, Salami, Fischfilet, Shrimps etc.) pflanzliche Fleisch- oder Fischersatzprodukte wollen Lebensmittelhersteller den Verbrauchern einerseits „gesunde“, „nachhaltige“, „klimafreundliche“ und „tier­schonende“ Alternativen anbieten und andererseits an etablierte ​Lebensmittelbezeichnungen, tief verwurzelte Ernährungsgewohnheiten sowie an bekannte Geschmacks- und Sinneserfahrungen anknüpfen. Neben der (kultur-)politischen Auseinandersetzung über diese Entwicklung spielt hier die lebensmittelrechliche Dimension eine entscheidende Rolle (vgl. zu diesem Komplex z.B. BMEL, L​eitsätze für vegane und vegetarische Lebens​­mittel mit Ähnlichkeit zu Lebensmitteln tierischen Ursprungs). 
  
Fragen der Bezeichnungen veganer und vegetarischer Lebensmittel waren immer wieder Gegenstand gericht­licher Entscheidungen (vgl. beispielsweise im Urteil des EuGH (C-422/16 TofuTown) und betreffen das Recht der Lebensmittelbezeichnung bzw. -kennzeichnung (Lebensmittelinformations-Verordnung - LMIV (EU) 1169/2011, Verordnung über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte - GMO-VO (EU) 1308/2013) sowie wettbe­werbs­rechtlichliche Auseinandersetzungen nach dem UWG. Der Hintergrund des kürzlich vom EuGH ent­schiedenen Falls war folgender:
  

​Französisches Décret n° 2024-144 – Verbot für „Veggie Steaks“​​

Die französische Regierung untersagte 2022 mit Décret n° 2022-947 vom 29 Juni 2022 und schließlich 2024 durch das Nachfolge-Décret n° 2024-144 vom 26 Februar 2024 für Lebensmittel mit pflanzlichem Eiweiß- bzw. Proteingehalt grundsätzlich die Nutzung bestimmter typischer Bezeichnungen, die traditionell für Produkte tierischen Ursprungs verwendet werden. Das Verbot galt für jegliche Art der Nutzung, einschließlich Werbung, Vermarktung, Abgabe und Verkauf.
  
Das Décret n° 2024-144 regelte zum einen abstrakt, dass „gesetzliche Bezeichnung[en], für die nach den Vor­schriften, die die Zusammensetzung des betreffenden Lebensmittels festlegen, kein Zusatz von pflanzlichem Protein vorgesehen ist“ nicht für pflanzlich basierte Lebensmittel verwendet werden dürfen. Damit erfasste das Décret grundsätzlich alle entsprechend geregelten Bezeichnungen für Lebensmittel tierischen Ursprungs. Darüber hinaus zählte es in Anhang I konkrete Bezeichnungen von Fleisch- und Wursterzeugnissen auf, deren Verwendung für vegane bzw. vegetarische Lebensmittel verboten waren, z.B. Filet, Entrecôte, Steak, Escalope (Schnitzel) oder Jambon (Schinken).
  
Das Verbot erstreckte sich sowohl auf die Übernahme der unveränderten Bezeichnung als auch auf Bezeich­nungen mit erläuternden Zusätzen wie „vegetarisch“, „vegan“ oder „pflanzlich“. Geregelt wurden ausdrücklich nur französische Lebensmittel, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten und Drittstaaten wurden nicht erfasst. Ein Verstoß wurde als Ordnungswidrigkeit behandelt und konnte mit einer Geldbuße von bis zu 7.500 Euro geahndet werden.
  
Als Ausnahme legte Anhang II für bestimmte Fleisch- bzw. Wurstprodukte Höchstgrenzen für den zulässigen Gehalt an pflanzlichem Protein fest, z.B. Saucisse 3 Prozenz, Saucissons 5 Prozent, Boudin 1 Prozent oder Jambon cru 0,5 Prozent​​​. Diese pflanzlichen Bestandteile durften teilweise wiederum jedoch ausschließlich in den Gewürzen und Aromen der Erzeugnisse enthalten sein.
  

​Vorabentscheidungsersuchen des französischen Conseil d'État​

Aufgrund einer Nichtigkeitsklage von Produzenten (Beyond Meat Inc.) und Verbänden (Association Protéines France, European Vegetarian Union und Association Végétarienne de France) gegen die Verordnungen legte der  französische Staatsrat (Conseil d'État) als oberstes Verwaltungsgericht die Angelegentheit im Juli 2023 dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. 
  
Zentrale Frage der Vorlage ist die Auslegung von Art. 7 LMIV – Lauterkeit der Informationspraxis – sowie Art. 17 LMIV – Bezeichnung des Lebensmittels – i.V.m. Anhang VI LMIV, der verpflichtende Angaben zur Ergänzung der Bezeichnung des Lebensmittels regelt. Diese Vorschruften zur Kennzeichnung und Bezeichnung zielen in erster Linie darauf ab, Verbraucher vor Täuschungen und Irreführungen zu schützen. In diesem Zusammenhang sollte auch geklärt werden, inwieweit bei der ​Bezeichnung von veganen und vegetarischen Lebensmitteln überhaupt noch Raum für nationale Regelungen bleibt, Art. 38 LMIV – Einzelstaatliche Vorschriften bzw. Harmonisierung. 
  

​​​Urteil des EuGH - C-438/23 - Protéines France u.a.​​​​

Der EuGH hat nun entschieden (Urteil vom 4. Oktober 2024, C-438/23 - Protéines France u. a), dass ein Mitgliedstaat die Verwendung von „gebräuchlichen“ bzw. „verkehrsüblichen“ oder „beschreibenden Bezeich­nungen“ für pflanzenbasierte Erzeugnisse, die sich an Bezeichnungen von Erzeugnissen tierischen Ursprungs anlehnen, nicht generell untersagen darf, sofern und solange für diese pflanzlichen Erzeugnisse keine (eigene) „rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung“ festgelegt wurde. 
  
Gem. Art. 9 Abs. 1 lit. a) LMIV ist im Rahmen der Etikettierung die Angabe einer Bezeichnung für ein Lebens­mittel als grundlegende Information zwingend vorgeschrieben. Nach Art. 17 Abs. 1 LMIV müssen Lebensmittel vorrangig mit ihrer „rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnung“ gekennzeichnet werden. Fehlt eine solche Bezei­chnung, ist die „verkehrsübliche Bezeichnung“ zu verwenden; existiert auch diese nicht, so ist eine „beschrei­bende Bezeichnung“, zu wählen. Eine „verkehrsübliche Bezeichnung“ ist eine, die von den Verbrauchern als Bezeichnung dieses Lebensmittels akzeptiert wird, ohne dass eine weitere Erläuterung erforderlich ist. Eine „beschreibende Bezeichnung“ hingegen charakterisiert ein Lebensmittel so hinreichend genau, dass Ver­braucher es erkennen und von ähnlichen Erzeugnissen unterscheiden können.

Darüber hinaus muss die Bezeichnung präzise, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein und darf diese nicht irreführen, Art. 7 Abs. 1 und 2 LMIV. Dies betrifft insbesondere die Art und Zusammensetzung des Lebensmittels sowie den möglichen Ersatz natürlicherweisevorkommender Bestandteile oder üblicherweise verwendeter Zutaten durch andere Bestandteile oder Zutaten, Art. 7 Abs. 1, 17 Abs. 5 i.V.m. Anhang VI Abs. 1 Nr. 4 LMIV.
  
Der EuGH erläutert, dass ein Mitgliedstaat positiv eine „gesetzlich vorgeschriebene Bezeichnung“ einführen kann, um eine spezifische Verbindung zwischen einem Ausdruck und einem bestimmten Lebensmittel herzu­stellen. Da es an harmonisierenden EU-Vorschriften zur „gesetzlichen Bezeichnung“ von Lebensmitteln aus pflanzlichen Eiweißen bzw. Proteinen sowie für spezifische Erzeugnisse tierischen Ursprungs im Bereich Metz­gerei, Wurstwaren und Fischverarbeitung fehlt, haben die Mitgliedstaaten diesbezüglich eine eigenständige Regelungsbefugnis gemäß Art. 38 LMIV.
  
Hat ein Mitgliedstaat jedoch keine entsprechenden „rechtlich vorgeschriebenen Bezeichnungen“ eingeführt, darf ein Hersteller pflanzlicher Proteinprodukte, nicht allein durch ein allgemein-abstraktes Verbot daran gehindert werden, diese Lebensmittel unter „gebräuchlichen“ bzw. „verkehrsüblichen“ oder „beschreibenden Bezeichnungen“ in Anlehnung an tierische Produkte zu kennzeichnen. Im Gegenteil: Die Lebensmittelhersteller sind nach den Vorschriften der Art. 7, 9 und 17 LMIV sogar verplichtet, solche Bezeichnung zu verwenden, damit der Verbraucher das jeweilige Lebensmittel erkennen und einordnen kann. Darüber hinaus geht der EuGH davon aus, dass die Angabe einer alternativen Zutat (z.B. „mit pflanzlichen Eiweißen“, „ vegan“ etc.) in unmit­telbarer Nähe zur Bezeichnung des Lebensmittels ausreichend ist, um den Verbraucher vor einer möglichen Irreführung zu schützen (vgl. EuGH, C-595/21, LSI – Germany).
  
Ein Mitgliedstaat darf demnach eine „gesetzliche bzw. rechtlich vorgeschriebene Bezeichnung“ festlegen, um eine eindeutige Zuordnung zwischen einer bestimmten Bezeichnung und einem speziellen Lebensmittel zu schaffen. Nur eine solche positive Regelug, im Gegensatz zu einem negativen generell-abstraktem Verbot, gewährleistet nach Ansicht des EuGH den Schutz der Verbraucher. Diese können darauf vertrauen, dass ein Lebensmittel mit einer spezifischen gesetzliche Bezeichnung die Bedingungen erfüllt, die speziell für die Ver­wendung dieser Bezeichnung bzw. dieses Lebensmittels vorgesehen sind. Genau das wurde jedoch durch die französischen Regelungen (Décret n° 2022-947 und Décret n° 2024-144) nicht erreicht.
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Aus dem Urteil ergibt sich aber auch, dass Frankreich oder andere Mitgliedstaaten augrund fehlender Harmo­nisierung auf EU-Ebene nicht daran gehindert sind, entsprechende gesetzliche Bezeichnungen für vegane und vegetarische Fleischersatzerzeugnisse in Zukunft vorzuschreiben. Andererseits hat der EuGH aber feststellt, dass die Kennzeichnung von Lebensmitteln, die bestimmte Zutaten oder Bestandteile normalerweise enthalten, diese aber durch andere ersetzen, auf EU-Ebene bereits vollständig harmonisiert geregelt ist und somit keine ergänzenden nationalen Bestimmungen zulässig sind, Art. 7 Abs. 1 lit. d), Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Anhang VI Teil A Nr. 4, Art. 38 LMIV.
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Der EuGH stellt aber zudem fest, dass die grundsätzlich erlaubte Bezeichnung veganer und vegetarischer Produkte mit Bezeichnungen, die an tierische Erzeugnisse angelehnt sind, nur widerlegbar vermutet einen hinreichenden Verbraucherschutz bietet. Eine nationale Behörde kann im Einzelfall also weiterhin einschreiten, wenn eine spezifische Bezeichnung nachweislich irreführend für die Verbraucher ist. 
  
Schließlich hat der EuGH entschieden, dass Mitgliedstaaten wie Frankreich keine nationalen Obergrenzen für pflanzliche Proteine in Fleisch- und Wursterzeugnissen festlegen dürfen, bei deren Einhaltung weiterhin tradi­tionelle Bezeichnungen (wie „Steak“, „Wurst“ oder „Schinken“) verwendet werden können. Der Grund dafür ist die vollständige Harmonisierung durch die LMIV auf EU-Ebene. In diesem Fall sollen die Bezeichnungen und Zusammensetzungen von Lebensmitteln europaweit einheitlich sein, um den freien Warenverkehr innerhalb der EU zu gewährleisten und um Verbraucher in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen zu schützen. Daher dürfen einzelne Länder keine eigenen nationalen Regeln zu Grenzwerten für pflanzliche Proteine in tierischen Pro­dukten einführen, die den EU-weiten Regeln widersprechen oder sie ergänzen würden.
  

​Fazit​​​

Die Entscheidung des EuGH stellt (nur) einen Etappensieg für die Hersteller von veganen und vegetarischen Fleisch- oder Fischersatzprodukten dar. Es erlaubt weiterhin die Verwendung von Bezeichnungen, die an tierische Produkte angelehnt sind. Dies aber nur solange keine spezifischen nationalen Bezeichnungsvorgaben existieren und soweit im Einzelfall keine Irreführung vorliegt. Die Mitgliedstaaten sind somit nicht daran gehindert, entsprechende rechtlich vorgeschriebene Bezeichnungen einzuführen, müssen dies jedoch im Einklang mit den EU-Vorgaben tun.
  
Die unterschiedlichen Regelungen auf EU-Ebene, insbesondere zur Kennzeichnung veganer und vegetarischer Produkte, zeigen, dass das Bezeichnungsrecht sehr komplex ist und sowohl rechtliche als auch praktische Herausforderungen birgt. Auch lebensmittelrechtliche Herkunftsbezeichnungen wie „geschützte Ursprungs­bezeichnungen“, „geschützte geografische Angaben“ oder „garantiert traditionelle Spezialitäten“ spielen für eine rechtlich korrekte Bezeichnung solcher Produkte eine Rolle (siehe hierzu EU-Qualitätsregelungen – Die neue Verordnung über geografische Herkunftsangaben​). Für eine rechtssichere Kennzeichnung, insbesondere bei der Wahl korrekter Verkehrsbezeichnungen, die sich je nach Mitgliedstaat unterscheiden können, empfiehlt sich eine kompetente Beratung. 
  
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