Klimaprozesse: Historisches Urteil des EGMR

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​​​​​​veröffentlicht am 7. Mai 2024 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 9. April 2024 aufgrund der Beschwerde Nr. 53600/20 des Vereins Klima Seniorinnen Schweiz u.a., d.h. des Schweizer Vereins „Senioren für Klima Schweiz“ und weiterer Einzelkläger, die Schweiz in einem Grundsatzurteil verurteilt, in dem zum ersten Mal der Schutz der Menschenrechte mit der Einhaltung von Klimaverpflichtungen verknüpft wird.

 
  
Konkret beantragten die Kläger in ihrer Klage „die Schweiz zu verpflichten, zum Schutz ihrer Menschenrechte einzugreifen und die erforderlichen legislativen und administrativen Maßnahmen zu ergreifen, um einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als 1,5 Grad Celsius zu verhindern, indem konkrete Ziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen festgelegt werden“.

Der Verein älterer Frauen, der gegen die Schweiz geklagt hatte, bekam teilweise Recht. Der EGMR hat die Verletzung von Artikel 2 verneint und den Schweizer Staat wegen Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, d.h. des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens, verurteilt. 

Insbesondere, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, habe die Schweiz „ihre Verpflichtungen im Bereich des Klimawandels nicht erfüllt" und „es gab kritische Mängel in dem Prozess, der die Schaffung eines Regulierungsrahmens ermöglichen sollte, einschließlich des Versäumnisses der Behörden, die Grenzen der nationalen Treibhausgasemissionen durch ein Kohlenstoffbudget oder auf andere Weise zu quantifizieren“.

Nach Ansicht der Straßburger Richter "verschlimmern unzureichende staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels die Risiken schädlicher Folgen und bedrohen den Genuss der Menschenrechte“, was einen Verstoß gegen Artikel 8 der Menschenrechtskonvention darstelle.

Im Gegensatz dazu wies der EGMR zwei ähnliche Klagen ab, die von sechs jungen portugiesischen Aktivisten und dem ehemaligen Bürgermeister von Grande-Synthe (Frankreich) eingereicht worden waren.
 
Das Urteil ist in jedem Fall ein sehr wichtiger Präzedenzfall, da es als Referenz für andere Fälle im Zusammenhang mit dem Klimawandel dienen könnte. Tatsächlich könnte es auch auf die 46 Mitgliedstaaten des Europarats anwendbar sein. In dem Urteil stellte der EGMR fest, dass die nationalen Behörden über einen „Ermessensspielraum“ verfügen und die Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele frei wählen können. Ein Staat müsse daher genaue Ziele für die Verringerung der Treibhausgasemissionen, eine Kohlenstoffbilanz oder eine andere gleichwertige Methode zur Quantifizierung der künftigen Treibhausgasemissionen sowie ein Überwachungssystem haben, um die Einhaltung dieser Ziele zu überprüfen.

In Italien hat das Gericht von Rom erst vor wenigen Wochen in seinem Urteil vom 26. Februar 2024 die Klage der „Giudizio Universale“-Kampagne abgewiesen, an der sich rund 200 Personen beteiligt hatten. Der Richter befand die Klage gegen die Untätigkeit des italienischen Staates in Bezug auf die Klimakrise und die Senkung der Emissionen für unzulässig, allerdings nur wegen eines Verfahrensfehlers bzw. wegen Unzuständigkeit. Im Einzelnen lautet das Urteil wie folgt: „Das Interesse, für das ein Entschädigungsschutz nach den Artikeln 2043 und 2051 des italienischen Zivilgesetzbuchs geltend gemacht wird, fällt nicht in die Kategorie der rechtlich geschützten subjektiven Interessen, da die Entscheidungen über die Methoden und Fristen zur Bewältigung des Phänomens des anthropogenen Klimawandels - die sozioökonomische Ermessensentscheidungen und Kosten-Nutzen-Abwägungen in den verschiedensten Bereichen des menschlichen Lebens beinhalten - in den Zuständigkeitsbereich der politischen Organe fallen und im vorliegenden Verfahren nicht sanktioniert werden können“.

[...] In Bezug auf den untergeordneten Antrag auf Änderung des Nationalen Integrierten Energie- und Klimaplans (PNIEC) heißt es nämlich, dass [...] „die angeblichen Mängel des Plans in Bezug auf die Angemessenheit, Kohärenz und Angemessenheit im Hinblick auf diese Ziele in unserem System vor dem Verwaltungsrichter zu beanstanden sind“. Es bleibt abzuwarten, ob gegen das Urteil des Gerichts von Rom Berufung eingelegt wird.

In der Zwischenzeit kann man sich jedoch vorstellen, dass angesichts des jüngsten und historischen Urteils des EGMR, in dem die Schweiz verurteilt wurde, andere Verbände - darunter auch italienische - nun die Möglichkeit prüfen werden, ähnliche Klagen beim EGMR einzureichen.
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