Verwaltungsgericht Hannover: Permanente Mitarbeiter-Überwachung kann zulässig sein!

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​veröffentlicht am 19. Juni 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten

 

Etwas Licht in das Dunkel einer zulässigen Überwachungsmaßnahme brachte das Verwaltungsgericht („VG“) Hannover mit seiner Entscheidung vom 9. Februar 2023, in der es zur Freude der Arbeitgeber klar stellt, dass eine permanente Mitarbeiter­über­wachung im Einzelfall möglich sein kann.

 

 

Ausgangsfall – weitgehende Kontrollmöglichkeiten für Arbeitgeber

In dem vom VG Hannover zu entscheidenden Fall ging es um einen Arbeitgeber, der ein Logistikzentrum be­treibt und mithilfe von Handscannern jeden Arbeitsschritt seiner Arbeitnehmer permanent, ununterbrochen und minutengenau zum Zwecke der (i) Steuerung der Logistikprozesse, (ii) der Steuerung der individuellen Quali­fizierung der Arbeitnehmer sowie (iii) zum Zwecke der Schaffung objektiver Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback und Personalentscheidungen erhebt. Zuvor erließ die niedersächsische Daten­schutz­behörde gegen die Klägerin eine Untersagungsverfügung aufgrund eines vermeintlichen Verstoßes gegen § 26 Bundesdatenschutzgesetz (nachfolgend: „BDSG“), woraufhin die Klägerin vor dem VG Hannover Klage auf Auf­hebung der Untersagungsverfügung erhob. 

Das VG Hannover hob die Untersagungsverfügung der Datenschutzbehörde auf und brachte gleichzeitig etwas Licht in den Dunstnebel der zulässigen Überwachungsmaßnahmen: Es stellt nunmehr klar, dass die Daten­ver­ar­­beitung durch die Handscanner im vorliegenden Fall rechtmäßig sei und hat dies auf Art. 88 Abs. 1 Daten­schutzgrundverordnung (nachfolgend: „DS-GVO“) i.V.m. § 26 BDSG als Rechtsgrundlage gestützt. Die dortigen Voraussetzungen sind nach Auffassung des Gerichts eingehalten. Im Kern seiner Entscheidung bejaht das VG die Verhältnismäßigkeit der Überwachungsmaßnahme. Die Datenverarbeitung sei in Bezug auf die oben ge­nann­ten drei Verarbeitungszwecke erforderlich und angemessen. Im Einzelnen: 

Im Rahmen seiner Interessenabwägung hebt das VG besonders hervor, dass die Erhebung von Leistungsdaten erforderlich sei, um ad hoc bezüglich des jeweiligen Personaleinsatzes reagieren und die Schichtpläne ent­sprech­end des jeweiligen Leistungsniveaus anpassen zu können. Nur durch den passgenauen Einsatz der Ar­beit­nehmer sei eine möglichst effiziente Durchführung des Logistikbetriebes möglich. 

Gleichzeitig ermögliche die Erhebung der Leistungsdaten die Ermittlung des individuellen Quali­fi­zie­rungs­be­darfs jedes einzelnen Arbeitnehmers, so dass die Stärken und Schwächen jedes einzelnen Arbeitnehmers zu­ver­lässig erfasst werden können. 

Ebenso sei die Erfassung der Leistungsdaten der Arbeitnehmer für die etablierten Feedbackprozesse und für die Vorbereitung der Personalentscheidungen erforderlich. Dabei hebt das VG zu Gunsten des Arbeitgebers besonders hervor, dass bei dem vorliegenden Geschäftsfeld des Logistikbetriebes eine Beurteilung der Arbeits­leistung auf andere Weise gar nicht erst möglich sei. 

Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit hält das VG dem klagenden Arbeitgeber zu Gute, dass das Per­sön­lich­­keits­recht der Arbeitnehmer nicht in erheblichem Maße tangiert sei, da es sich lediglich um eine Leis­tungskontrolle, mithin um keine Verhaltenskontrolle handele und die Überwachung offen erfolge. Schließlich führt das VG als Argument für das Überwiegen des Unternehmensinteresses an, dass die Überwachungs­maß­nahme von vielen Arbeitnehmern der Klägerin als positiv angesehen wird, was sich aus der Beweisaufnahme ergab. 

Dabei hält das VG im Hinblick des Grundsatzes der Datenminimierung gem. § 26 Abs. 5 BDSG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c DS-GVO eine Speicherungsdauer der Daten von 12 Monaten gerade noch für erforderlich.

 

Folgen für die Praxis

Erfreulich ist zunächst, dass die Entscheidung des VG Hannover etwas Licht in den Dunstnebel einer zuläs­si­gen Überwachungsmaßnahme gebracht hat, indem nunmehr klargestellt ist, dass auch eine permanente, offene Überwachung grundsätzlich rechtmäßig sein kann. Allerdings hat sich, trotz dieser Entscheidung, der Dunst­nebel einer zulässigen Überwachungsmaßnahme noch nicht gänzlich gelegt. 

Zum einen ist in dem vorliegenden Rechtsstreit das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn das VG ließ die Berufung zu, woraufhin die beklagte Datenschutzbehörde gegen die Entscheidung Berufung eingelegt hat, so dass abzuwarten bleibt, wie (i) das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht („OVG“) in Lüneburg den Sach­ver­halt bewertet und zu welchem Abwägungsergebnis es kommt. Dabei dürfte der Ausgang des Berufungs­verfahrens keineswegs vorgezeichnet sein. Denn das VG hat bei der Durchführung der Interessenabwägung sehr mit sich gerungen, was es auch deutlich zum Ausdruck gebracht hat. Das zeigt sich im Übrigen bereits aus dem Umfang der 34-seitigen Entscheidungsgründe. 

Zum anderen bleibt offen, zu welcher Bewertung (ii) die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung in einem ähnlich gelagerten Fall kommt. Die bisherige Rechtsprechung erweckt erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit einer solchen Überwachungsmaßnahme. Denn das BAG sah eine – wie im vorliegenden Fall erfolgte – permanente Überwachungsmaßnahme als unzulässig an. Allerdings ist relativierend zu berücksichtigen, dass es sich in dem vom BAG zu beurteilenden Fall – wie auch vom VG Hannover selbst angeführt – um eine verdeckte Überwach­ungs­maßnahme, mithin um einen deutlich schwerwiegenderen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt (BAG, Urt. v 27.07.2017 – 2 AZR 681/16) und die Fälle daher nicht gänzlich vergleichbar sind.

 

Fazit und Handlungsempfehlung

Damit lässt sich festhalten, dass die Entscheidung zwar etwas Licht ins Dunkle gebracht hat, aber weiterhin eine erhebliche Rechtsunsicherheit bezüglich der Zulässigkeit einer permanenten Überwachungsmaßnahme, insbesondere aufgrund der Notwendigkeit der umfassenden Interessenabwägung und der damit vorzu­neh­men­den Bewertung aller Umstände im Einzelfall besteht. Insofern bleibt das Berufungsverfahren und die weitere Entwicklung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung abzuwarten. 

Insgesamt lässt sich aber festhalten, dass die Entscheidung für Arbeitgeber Mut zur Hoffnung machen kann. Besonders erfreulich aus Sicht der Arbeitgeberschaft dürfte sein, dass das VG den wirtschaftlichen und un­ter­nehmerischen Belangen des Arbeitgebers einen besonders hohen Stellenwert beigemessen hat.

Gerade vor dem Hintergrund der technisch fortschreitenden Entwicklungen in der Arbeitswelt 4.0. dürften Überwachungsmaßnahmen, gerade für Arbeitgeber mit einer ähnlich verflochtenen Organisationsstruktur, interessant und überlegenswert sein. 

Sollte man sich als Arbeitgeber, trotz der bereits erläuterten aktuellen Rechtsunsicherheit, für eine solche per­ma­nente Überwachungsmaßnahme entscheiden, so sollte besonderes Augenmerk auf eine möglichst daten­schutz­sichere Ausgestaltung des Erfassungssystems gelegt werden. In jedem Fall sollte es sich um eine (i) offene Überwachungsmaßnahme handeln, (ii) die im Vorfeld durchgeführte Interessenabwägung sollte doku­men­tiert werden, (iii) falls vorhanden sollte der Datenschutzbeauftragte sowie der Betriebsrat involviert werden, (iv) die Daten sollten nur so lange wie nötig gespeichert werden und schließlich sollten nur (v) Leis­tungs­daten und keine Verhaltensdaten erhoben werden. 

Mit Spannung kann also die weitere Entwicklung der Rechtsprechung in Bezug auf die Zulässigkeit einer sol­chen Überwachungsmaßnahme abgewartet werden. Aufgrund der komplexen Interessenabwägung sind Arbeit­geber, die eine solche Überwachungsmaßnahme durchführen möchten gut beraten, sich rechtlichen Rat bei der Umsetzung solcher Systeme einzuholen. Das gilt nicht zuletzt aufgrund des hohen Bußgeldrisikos gem. Art. 83 DS-GVO.
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