Covid-19 und der Weltmarkt – Partielle De-Globalisierung

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veröffentlicht am 9. Juni 2020 | Lesedauer ca. 3 Minuten
 

Mit dem wirtschaftlichen Schaden durch die Corona-Krise steigt die Gefahr inter­natio­naler Konflikte. Die Unsicherheit über die Zukunft der globalisierten Pro­duktions- und Lieferketten hat inzwischen alle Branchen erfasst. Die Frage ist, welche politischen und ökonomischen Gefüge zusammenbrechen und welche Post-Corona neu ent­stehen. Unsicher ist, ob diese Pandemie wirksam im kollektiven Gedächtnis verankert wird und das künftige Verhalten bestimmen oder rasch vergessen wird.

 Prof. Dr. Thomas Jäger (Universität zu Köln) kommentiert

Prof. Dr. Thomas Jäger (geboren: 1960) ist seit 1999 Inhaber des Lehrstuhls für internationale Politik und Außenpolitik an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste und Herausgeber der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik.
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Das ist ein Faktor, von dem abhängt, wie Globalisierung in Zukunft aussieht. Sollte die persönliche und soziale Sicherheit an Bedeutung gewinnen, führt das zu Kosten in Form von geringerer Effizienz. Die internationalen Wirtschaftsbeziehungen werden dann regionaler, überschaubarer, kontrollierbarer geformt und damit gegenüber dem früheren Stand der Globalisierung eine Kontraktion vollziehen. Damit wird die globale Vernetzung nicht beendet, aber doch eine Phase partieller De-Globalisierung eingeleitet. Politische und wirtschaftliche Interessen werden diese Kontraktionsbewegung gleichermaßen unterstützen. Dabei ist eine gewichtige Frage, wo die neu vermessene Resilienz endet und wann nationalwirtschaftlicher Protektionismus einsetzt. Die Corona-Krise gilt deshalb als eine komplexe Umbruchsituation, weil sie die Verknüpfung mannigfacher politischer und wirtschaftlicher Interessen ermöglicht, aus denen die Neuordnung der internationalen Beziehungen und der Weltwirtschaftsbeziehungen erwächst.
 

Das stellt die künftige internationale Ordnung politisch und ökonomisch streitig. Denn die Neugestaltung der Globalisierung wird von einem verschärften Weltmächtekonflikt begleitet, dem Wettstreit zwischen den USA und China um die Führung der internationalen Ordnung. Parallele Tendenzen der Regionalisierung sind sichtbar in Nordamerika, Europa und Asien. Sie führen nicht zur völligen Fragmentierung der globalen Vernetzung. Regionalisierung ist nicht die neue Globalisierung. Aber sie ist eine neue Kraftquelle für die Führungsmächte. Ebenso wie die weitere Digitalisierung, die in der Corona-Krise intensiviert wurde. Die Weltmächte werden Big Tech noch wirksamer auf ihre Interessenlage ausrichten. Ein weiteres Gebiet, auf dem diese Tendenzen zu beobachten sein könnten, ist der Protektionismus der Nahrungsmittelproduktion.
 

Damit einher geht ein deutlicher Bedeutungsverlust internationaler Organisationen, die weit weniger als eigenständige Akteure denn als Instrument führender Mächte auftreten. Globale Institutionen geraten in der Rivalität der Weltmächte unter Druck. In diesem veränderten Umfeld werden der Willen und die Fähigkeit zu internationaler Kooperation neu vermessen. Denn die Stärkung von Nationalismus und Regionalismus wird neue politische Haltungen kreieren. Die Finanzkraft der führenden Staaten wird sich in den nächsten Jahren als einer der entscheidenden Faktoren für internationale Kooperation erweisen. Amerikanische Banken schränken die Kreditvergabe in Europa schon ein. Die Kreditanfragen beim Internationalen Währungsfond steigen. China und die EU könnten angesichts ihrer finanziellen Erfordernisse versuchen, weitere Weltreservewährungen zu etablieren. Daraus werden harte Währungskonflikte resultieren, möglicherweise die Perforierung der globalen Währungsordnung.
 

In manchen Fällen wird diese Lage für neue Akteure Chancen eröffnen. In vielen Ländern werden die Gelder schlicht fehlen. Umfassender Mangel ist die Folge. In den nächsten Jahren werden Unternehmen weniger investieren. Der Konsum wird eingeschränkt. Folglich werden Steuereinnahmen sinken. Das wird in manchen Gesellschaften zu harten, aber verkraftbaren Einschnitten führen. In anderen Staaten schlagen zurückgehende Steuereinnahmen direkt auf die politische Legitimation durch. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass Staaten zusammenbrechen. Mit dieser Staatsschwäche gehen regionale Gewaltprozesse und die Ausbildung von Gewaltmärkten einher. Sie werden die Orientierung auf Sicherheit in den hochentwickelten Staaten zusätzlich stärken. Denn Flucht aus von der Pandemie gefährdeten Gebieten wird den Migrationsdruck auf Europa und die USA erhöhen.
 

Die Abschottung der hochentwickelten Staaten durch resiliente Produktions- und Lieferwege würden in dem Maß, in dem die Wirtschaftskreisläufe nationaler, regionaler und digitaler werden, die EU-Staaten rasch vor eine Entscheidung stellen, die sie bisher zu vermeiden versuchten. Sie würden zwischen China und den USA wählen müssen, weil sie bei Digitalisierung und Sicherheitsgewährleistung nicht handlungsfähig sind. Diese Entscheidung könnte den Weltmächtekonflikt verstärken und die Vernetzung der Weltwirtschaft schwächen. Wenn der Grad der Globalisierung abgesenkt wird, kann die Resilienz der Staaten in Krisen steigen. Die Gefahr eines großen Krieges um die internationale Dominanz oder das Risiko von Stellvertreterkriegen steigt dabei mit. Je rascher die Wirtschaft aus der Corona-Krise kommt, desto größer sind die Chancen, diese Entwicklung zu vermeiden.

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