Effektivität der Sanktionen vs. Rechtsschutz: Vorschläge des Generalanwalts in der Rechtssache C-480/24

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​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​​veröffentlicht am 23. September 2025 | Lesedauer ca. 3 Minuten

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Vorschläge des Generalanwalts: wenn ein Sanktionsrisiko erkennbar ist, wird das Gericht es von Amts wegen prüfen. Die Schlussanträge in C-480/24: Eine Entscheidung ist möglich, die Vollstreckung bleibt gesperrt.

 

Es handelt sich um ein Vorabentscheidungsersuchen; Initiator ist das vorlegende nationale Gericht – der Oberste Gerichtshof Lettlands (Senats) gemäß Art. 267 AEUV.

Fabulum. Zwischen lettischen Gesellschaften wurde ein Kreditvertrag über 3.407.347,10 Euro geschlossen; das Gericht erster Instanz gab der Klage auf Rückzahlung statt, das Urteil wurde am 4. Oktober 2023 rechtskräftig. Das Kapital von COUNTRY HELI gehört zu gleichen Teilen ČIEKURI-SHISHKI und der zyprischen ABACUS (CYPRUS) LIMITED, deren wirtschaftlicher Begünstigter eine im Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 gelistete natürliche Person ist. Der Generalstaatsanwalt Lettlands legte Kassationsbeschwerde ein, verwies auf das Risiko der Sanktionsumgehung und beantragte die Aussetzung der Vollstreckung. 
Der Oberste Gerichtshof Lettlands (Senāts) eröffnete das Verfahren, setzte die Vollstreckung aus und legte dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 2 und Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 269/2014 vor, u. a. zu den Kriterien​ der „Verbundenheit“ von Personen, zum Umfang des Verbots, Forderungen nicht zu entsprechen, zu den Grenzen der ex-officio-Prüfung des Gerichts sowie zum Aspekt der Veröffentlichung personenbezogener Daten (DSGVO).​

Standpunkte der Beteiligten und des vorlegenden Gerichts. Die Staatsanwaltschaft machte geltend: Angesichts der Listung des wirtschaftlichen Begünstigten unterfalle der Streit der Verordnung Nr. 269/2014; das nationale Gericht müsse eine Umgehung ausschließen; die Vollstreckung sei auszusetzen. Die Klägerseite begehrte die ​einfache Durchsetzung des Zahlungsanspruchs. Das vorlegende Gericht hielt eine Sachentscheidung bei gleichzeitiger Untersagung der Vollstreckung bis zur Aufhebung der Sanktionen für möglich und ersuchte um Klarstellungen zu den Kriterien der „Verbundenheit“, zu Art. 11 Abs. 1 sowie zum Umfang der ex-officio-Pflichten des Gerichts. Position des Gerichtshofs der EU. Es handelt sich um ein Vorabentscheidungsersuchen.​

Position des Generalanwalts (Wesentliches und Ergebnisse) 

Der Generalanwalt schlägt vor zu bestätigen, dass das nationale Gericht von Amts wegen (bei entsprechenden Anhaltspunkten) die Anwendbarkeit von Art. 2 und Art. 11 Abs. 1 auf die Streitparteien einschließlich „verbundener“ Strukturen zu prüfen hat; die Prüfung erfolgt mit den verfügbaren prozessualen Mitteln, einschließlich Auskunftsersuchen an die zuständigen Behörden. Das Sanktionsregime erfasst ausdrücklich sowohl natürliche als auch juristische; die ex-officio-Kontrolle hat daher Personen- und Unternehmensebene gleichermaßen im Blick.

 

Art. 11 Abs. 1 nimmt dem Gericht nicht die Möglichkeit, den Rechtsstreit in der Sache zu entscheiden, untersagt jedoch, dem Begehren rechtliche Wirkung zu verleihen, wenn dessen Vollstreckung unmittelbar oder mittelbar von restriktiven Maßnahmen betroffen wäre; zulässig ist, im Tenor festzuhalten, dass die Entscheidung nicht vollstreckt werden darf, solange das Verbot greift (Art. 11 Abs. 1 Buchst. a–b). Das Verbot gilt unabhängig von der Prozessrolle — es erfasst sowohl Klagebegehren der Klägerseite als auch Einreden/Gegenansprüche der Beklagtenseite, wenn deren Stattgabe die Effektivität des Sanktionsregimes unterlaufen würde (weites Verständnis von Einfrieren von Geldern und Verbot der Bereitstellung wirtschaftlicher Ressourcen).


Vor diesem Hintergrund ist Art. 11 der Verordnung Nr. 269/2014 im Lichte des sechsten Erwägungsgrundes auszulegen, wonach die Verordnung unter Achtung der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Rechte und Grundsätze – insbesondere des in Art. 47 GRC garantierten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht – anzuwenden ist. Daher ist das mit der möglichen Anwendung von Art. 11 befasste nationale Gericht gemäß Art. 51 Abs. 1 GRC gehalten, die Charta zu beachten.

 

Die Balance zwischen Effektivität der Sanktionen und Rechtsschutz wird in der Praxis durch die Aussetzung der Vollstreckbarkeit sowie durch die Möglichkeit punktueller Genehmigungen der zuständigen Behörden gewährleistet, wie sie die Genehmigungs-/Ausnahmeregelungen der Verordnung vorsehen.

 

Dem vom Gerichtshof vorgegebenen Fokus folgend, gibt der Generalanwalt keine abschließende Antwort auf die Kriterien der „Verbundenheit“ (Vorlagefragen 1–3) sowie auf die DSGVO-Aspekte der Veröffentlichung personenbezogener Daten (Vorlagefrage 7); das Hauptaugenmerk liegt auf den Grenzen der ex-officio-Prüfung und der Anwendung des Art. 11 Abs. 1.​

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Ewald Plum

Dipl. Finanzwirt (Zoll), Experte für Zoll-, Verbrauchsteuer- und Außenwirtschaftsrecht

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