Die unternehmens­mit­bestimmungs­rechtlichen Aspekte der neuen europäischen Umwandlungsrichtlinie

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veröffentlicht am 8. Februar 2023 | Lesedauer ca. 3 Minuten


Seit 31. Januar 2023 in Kraft



Ausgangslage 

Bisher waren die Auswirkungen EU-grenzüberschreitender Umwandlungen auf die unternehmerische Mitbestimmung im deutschen Recht in einem überschaubaren Rahmen geregelt. Konkret nur im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Verschmelzungen. Im Übrigen führte die fehlende Existenz einer europaweit einheitlichen Regelung, insbesondere im Falle einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung, oft zu einem Wegfall der unternehmerischen Mitbestimmung. Mit der europäischen Umwandlungsrichtlinie (EU) 2019/2121 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen vom 1. Januar 2020 (nachfolgend „Umwandlungsrichtlinie“) wurden nun aber europaweit geltende Vorgaben geschaffen, die den Bestandsschutz der Arbeitnehmermitbestimmung im Unternehmen auch bei grenzüberschreitenden Sachverhalten bezwecken und ein Beteiligungsverfahren der Arbeitnehmer, angelehnt an das Beteiligungsverfahren im Rahmen der Gründung einer Societas Europaea (SE), vorsehen. 
 
Abhängig davon, welche Form der Umwandlung geplant ist und welche EU-Grenzen das Vorhaben berührt und überschreitet, sind die jeweiligen nationalen Umsetzungsgesetze der Umwandlungsrichtlinie der betroffenen Mitgliedstaaten anzuwenden, die allesamt auf der einheitlich den Rahmen vorgebenden europäischen Umwandlungsrichtlinie beruhen. 
 

Inkrafttreten der mitbestimmungsrechtlichen Regelungen zum 31. Januar 2023 in Deutschland

Der nationale Gesetzgeber war bis zum 31. Januar 2023 gezwungen die europäische Umwandlungsrichtlinie in deutsches Recht umzusetzen. Während der Bundestag am 20. Januar 2023 das die umwandlungsrechtlichen Vorgaben der grenzüberschreitenden Umwandlung betreffende Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG) beschlossen hat und die Umsetzungsfrist zum 31. Januar 2023 hierfür aufgrund des Zustimmungserfordernisses des Bundesrats nicht eingehalten wurde, wurden die in diesem Zusammenhang geltenden Vorgaben zur unternehmerischen Mitbestimmung durch das Gesetz zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen bereits am 13. Januar 2023 verkündet und sind nun zum 31. Januar 2023 in Kraft getreten. Konkret richten sich die mitbestimmungsrechtlichen Folgen einer künftigen grenzüberschreitenden Umwandlung im deutschen Recht nun nach dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und Spaltung (MgFSG) sowie nach dem geänderten Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG). 

Kernelement: bVG-Verhandlung

Die Vorgaben der Umwandlungsrichtlinie halten hinsichtlich des Schicksals der künftigen Mitbestimmung im Wesentlichen an den bereits für die Societas Europaea (SE) und für die grenzüberschreitende Verschmelzung bewährten Konzepten der Verhandlungs- und Auffanglösung in Folge eines Verhandlungsverfahrens mit den Arbeitnehmern fest. Zur Sicherung der in der formwechselnden oder in der sich spaltenden oder verschmelzenden Gesellschaft erworbenen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer soll eine Vereinbarung über die Mitbestimmung aller Arbeitnehmer der aus dem grenzüberschreitenden Vorhaben hervorgehenden Gesellschaft mit einem sog. besonderen Verhandlungsgremium (bVG) verhandelt und getroffen werden (Verhandlungslösung). Sollte es nicht zu einer Vereinbarung kommen, ist eine Auffanglösung für die künftige Sicherung der Mitbestimmung vorgesehen. Die Ausgestaltung dieses Kernelements wird im Einzelnen durch die jeweiligen Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene geregelt. 

Eröffnung des Anwendungsbereichs: Vier-Fünftel Regelung

Gänzlich neu gegenüber den bisherigen Vorschriften zur SE und zur grenzüberschreitenden Verschmelzung ist die Einführung einer sog. „Vier-Fünftel-Regelung“, die über die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Gesetze entscheidet.
 
Danach werden Verhandlungen über die Mitbestimmung bereits dann erforderlich, wenn die formwechselnde bzw. die sich spaltende Gesellschaft in den sechs Monaten vor der Offenlegung des Umwandlungsplans eine durchschnittliche Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt hat, die wenigstens 4/5 des Schwellenwerts des Mitbestimmungsrechts der formwechselnden oder sich spaltenden Gesellschaft entspricht und die Mitbestimmungsregelungen desjenigen Rechts, dem die aus dem grenzüberschreitenden Vorhaben hervorgehende Gesellschaft künftig unterliegen wird, nicht den gleichen Umfang an Mitbestimmung gewährleistet, wie er bisher gegeben war. Bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung ist darauf abzustellen, dass mindestens eine der beteiligten Gesellschaften eine durchschnittliche Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die mindestens 4/5 des die Mitbestimmung auslösenden Schwellenwertes entspricht. 
 
Diese Vier-Fünftel Regelung unterwirft also auch zum Umwandlungszeitpunkt noch mitbestimmungsfreie Gesellschaften einer Verhandlungspflicht. Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass sich Unternehmen einer künftigen Mitbestimmung entziehen können, indem das jeweilige grenzüberschreitende Umwandlungsvorhaben vor Erreichen der nationalen Schwellenwerte erfolgt oder kurzfristige Verminderungen von Arbeitnehmerzahlen im Vorfeld einer grenzüberschreitenden Umwandlung eintreten. 

Verhandlungsverfahren mit dem bVG und Mitbestimmung kraft Gesetzes

Zur Durchführung des Verhandlungsverfahrens ist durch die Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmervertretungen der betroffenen Gesellschaften ein sogenanntes besonderes Verhandlungsgremium („bVG“) zu bilden, welches aus betroffenen Arbeitnehmern des grenzüberschreitenden Vorhabens besteht. Dieses bVG verhandelt sodann mit der Leitung der formwechselnden, sich spaltenden bzw. hervorgehenden Gesellschaft über eine Mitbestimmungsvereinbarung. Die Vorgaben zur Bildung und Zusammensetzung des bVG entsprechen weitestgehend den bekannten Regelungen zur SE. Neben der Aufforderung zur Bildung eines bVG und der Information der Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmervertretungen bei Planung des grenzüberschreitenden Vorhabens, müssen die bestehenden Vorschriften über die Wahl und Zusammensetzung des bVG eingehalten werden, wobei auch hier in den deutschen Regelungen insbesondere eine 10-Wochen-Frist zur Wahl bzw. Bestellung der Mitglieder des bVG eingeräumt werden muss, bevor das Verhandlungsverfahren beginnen kann, für das grundsätzlich eine Dauer von 6 Monaten vorgesehen ist. Bei der Wahl bzw. Zusammensetzung des bVG stellt das Gesetz aufgrund des grenzüberschreitenden Bezugs in einigen Fällen auf die jeweiligen Bestimmungen der Mitgliedstaaten ab, sodass auch die entsprechende Expertise über die jeweiligen nationalen Bestimmungen der europäischen Mitgliedstaaten für die Durchführung des grenzüberschreitenden Vorhabens unumgänglich wird.
 
Wird im Rahmen der Verhandlungen keine Einigung erzielt, so greift die gesetzliche Auffangregelung. Danach finden dann, ähnlich wie bei der SE-Gründung, alle Komponenten der Mitbestimmung weiterhin Anwendung, die für die Ausgangsgesellschaft galten.
 
Anders als bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung besteht im Falle des grenzüberschreitenden Formwechsels und der grenzüberschreitenden Spaltung für die Unternehmensleitung nicht die Möglichkeit, das Verhandlungsverfahren abzubedingen und den Umwandlungsprozess dadurch zu beschleunigen, dass sie durch Beschluss die Mitbestimmung kraft Gesetzes ohne vorhergehende Verhandlungen mit dem bVG zur Anwendung bringt. Das zeit- und kostenintensive Verfahren kann daher bei diesen Vorhaben nicht verhindert werden.

Bestandsschutz bestehender Mitbestimmungsrechte im MgFSG

Auch aus dem SE-Recht übernommen ist grundsätzlich der strikte Bestandsschutz bereits bestehender Mitbestimmungsrechte (sog. „Vorher-Nachher-Prinzip“) für den Fall der Umwandlung. Für die Bereiche des grenzüberschreitenden Formwechsels und der grenzüberschreitenden Spaltung existiert im MgFSG daher eine Vorschrift, die es explizit verbietet, ein in der formwechselnden oder sich spaltenden Gesellschaft bereits vorhandenes Mitbestimmungsniveau abzusenken. Das bestehende Mitbestimmungsniveau bleibt nach der gesetzlichen Vorgabe also auch in der hervorgehenden Gesellschaft erhalten. Auch bei Eintritt der Mitbestimmung kraft Gesetzes entspricht der Umfang der Mitbestimmung demjenigen, der bei der Gesellschaft vor Durchführung des grenzüberschreitenden Vorhabens bestand: In diesem Fall bleiben alle Komponenten der Mitbestimmung der Arbeitnehmer erhalten. 

Nachwirkender Mitbestimmungsschutz 

Durch die Neuregelungen soll überdies ein umfassender Schutz bei nachfolgenden Umwandlungen erreicht werden, insbesondere betreffend die Rechtssicherheit bei Abgrenzung der durch EU-Recht vorgegebenen Verhandlungslösungen und dem innerstaatlichen Mitbestimmungsrecht. Dieser nachwirkende Mitbestimmungsschutz wurde von den bislang bekannten drei Jahren bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung auf vier Jahre nach Wirksamwerden der grenzüberschreitenden Umwandlung erweitert. Kommt es innerhalb dieser Frist zu einer erneuten grenzüberschreitenden oder innerstaatlichen Umwandlung, sollen die Mitbestimmungsrechte durch entsprechende Anwendung der Vorschriften zur Verhandlungslösung geschützt werden. Die Mitbestimmungsregelungen haben dabei grundsätzlich so lange Bestand, wie die hervorgehende Gesellschaft existiert.

Praktische Folgen der Gesetze

Durch die Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung bei grenzüberschreitenden Vorhaben werden erstmals umfassende mitbestimmungsrechtliche Regelungen für derartige grenzüberschreitenden Sachverhalte geschaffen, die grenzüberschreitende Umwandlungsprozesse durch das Erfordernis eines zu durchlaufenden Verhandlungsverfahrens zeit- und kostenintensiver werden lassen. Hinsichtlich der Ausgestaltung der künftigen Mitbestimmung im Unternehmen schafft dieses Verfahren aufgrund der Möglichkeit einer individuellen Vereinbarung aber auch Chancen. Auch wird das rechtliche Prüfungserfordernis von In- und Auslandssachverhalten um die jeweiligen nationalen Umsetzungsgesetze der von der Umwandlung erfassten Mitgliedstaaten erweitert. Unternehmen sollten sich dabei der neu geschaffenen „Vier-Fünftel-Regelung“ bewusst sein, die zwar zunächst auch mitbestimmungsfreie Gesellschaften der kosten- und zeitintensiven Verhandlungspflicht unterwirft, nicht jedoch zwangsläufig die Einführung einer unternehmerischen Mitbestimmung zur Folge haben muss. Denn scheitern die Verhandlungen mit dem bVG, so greift weiterhin die gesetzliche Auffangregel entsprechend dem Vorher-Nachher-Prinzip. 
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